Sonntag, 9. April 2017

Verschwenderische Liebe

Predigt zu Markus 14,3-9
 
(Danke an Birgit Mattausch für die Beratung des Entwurfs. Sie ist so eine wunderbare Predigerin! Ihre Texte finden sich auf frauauge.blogspot.de - sehr empfehlenswert!)

I.
Liebe ist verschwenderisch.
Die Scherben liegen noch auf dem Boden. 
Dazwischen die Reste vom Fisch und Brotkrümel.
Überall Tropfen von Nardenöl.
Sie schimmern und duften.
Ein schwerer Geruch und zugleich ganz leicht.
Vermischt sich mit dem Fisch und dem Wein und dem Schweiß.
In den Wandteppichen hängen noch die Stimmen,
die zornigen und die lauten, die leisen und die sanften auch.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.

II.
Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch,
da kam eine Frau,
die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl,
und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:
Was soll diese Vergeudung des Salböls?
Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können
und das Geld den Armen geben.
Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach:
Lasst sie! Was bekümmert ihr sie?
Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch,
und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun;
mich aber habt ihr nicht allezeit.
Sie hat getan, was sie konnte;
sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.
Wahrlich, ich sage euch:
Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt,
da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.


III.
Simon, der Aussätzige, berührt seine Narben.
Der Geruch vom Nardenöl erfüllt noch den Raum.
Und er hofft, dass er möglichst lange da bleibt.
Denn er tut seinen Narben gut, auch den Narben auf seiner Seele.
Es war mutig von der Frau, einfach so hineinzutreten in die Männerrunde.
Simon kannte sie nicht und die anderen kannten sie auch nicht.
Aber als sie eintrat, verstummten sie auf einmal.
Was will sie hier?
Merkt sie nicht, dass sie stört?
Und alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Sie wusste, was sie wollte - wohin sie wollte.
Keiner traute sich, sie aufzuhalten.
Sie sprach kein Wort.
Nur das Zerbrechen des Öl-Gefäßes aus Alabaster war zu hören.
Was sie tat, brauchte keine Worte.*
Und der Duft verströmte sich.

IV.
Liebe ist verschwenderisch.
Der liebende Duft.
Die duftende Berührung.
Alles ganz nah.
Auch mit ungewisser Zukunft.

Die Frau trat zu ihm.
Sie, die Unbekannte,
Die Liebende. Die Prophetin.

Sie salbt ihn, Jesus, zum König.
Wie einst Samuel den David salbte.
Jesus, der Gesalbte, der König.
Der auf einem Esel in Jerusalem einzog,
Er war gefeiert und bejubelt worden.
Hatte berührt und wurde berührt.
Im Tempel trat er sehr unköniglich, aber handfest auf.
Die arme Witwe bewunderte er.
Er ließ sich von der blutflüssigen Frau anfassen.
Und die todgeweihte Tochter des Jairus nahm er an die Hand.
Der Gesalbte, der verschwenderisch Liebende.

V.
Seine Verschwendung ist anstößig.
Was bringt die Rettung der kleinen Tochter von Jairus für die Toten der Welt?
Und das kleine Opfer der Witwe, wenn der Reiche nichts gibt?
Wo bleibt der Ertrag?

Und seine Verschwendung wird noch anstößiger.
Er setzt sich aus. Setzt sein Leben aus.
Verschwendet seine Liebe an Menschen, die ihn töten wollen und dies auch tun.
Er verhandelt nicht mit den Obersten, er erreicht keinen Kompromiss.
Stattdessen teilt er Brot und Wein mit seinen Freunden und Freundinnen.
Er hätte doch auch einen Pakt mit Pilatus schließen können,
ihm vormachen können, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.
Vielleicht hätte Pilatus ihn nicht gekreuzigt
und Jesus hätte noch mehr Menschen erreicht.
Vielleicht....?
Aber stattdessen geht er ans Kreuz mit seiner verschwenderischen Liebe,
Verströmt sie an die neben ihm.
Und wird sterben - mit ihr, dieser Liebe.

VI.
Liebe ist verschwenderisch.
Kostbares Öl auf seinem Kopf.
Öl, das man hätte gut verkaufen können.
Es macht ihn zum Gesalbten.
Zum König.
Zum Sterbenden.
Als Sterbender bleibt er der Gesalbte, der König.
Der wahre König muss seine Liebe verschwenden.
Er kann sie nicht für sich behalten und nutzbringend einsetzen.
So wie das Öl von seinen Haaren tropfen muss und sich auf dem Boden verteilt.
Tropfen bildet. Scherben hinterlässt. Und die anderen verstört.

Die Frau kümmert sich nicht darum, was die anderen verstört.
Sie tut, was ansteht.
Nimmt vorweg, was kommen wird.
Sie zeigt, wer Jesus ist.
Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.
Er lässt sich salben mit Öl aus einem zerbrochenen Krug*

und ist Träger von zerbrochenen Hoffnungen.

Er trägt sie mit.

Auch unsere zerbrochenen Hoffnungen.

Sie werden getragen. Und gesalbt.

Wie unsere Narben und Wunden.

VII.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da, wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
Die Namenlose.

Liebe strömt den Kopf hinab und tropft auf den Boden.
Verschwenderisch.
Sie ist da -
und bringt eine dampfende Hühnersuppe für die erkältete Pfarrerin.
Stundenlang hat sie sie gekocht für die Kranke.
Verschwenderische Liebe fährt 600 Kilometer durch die Bundesrepublik,
um dabei zu sein, wenn die Tochter ihr Abschlusszeugnis bekommt.
Sie demonstriert in Stuttgart gegen die Abschiebungen nach Afghanistan
und spricht stundenlang mit einem,
der nur noch im völkischen Denken das Heil für die Zukunft sieht.
Verschwenderische Liebe betet für dich
und umarmt dich, wenn du selber keine Kraft hast zum Lieben.
Verschwenderische Liebe komponiert unglaubliche Musik,
inspiriert von dem Licht eines Rembrandts**.
Und sie singt Töne voller Schmerz.

Liebe ist so verschwenderisch,
dass ihre Tropfen noch reichen für deine Narben,
die auf der Haut und auf der Seele.
Ihr Duft vermischt sich mit den Gerüchen deines Lebens.
Verschwenderisch bis zum Tod.
Nichts wird zurückgehalten.

Und selbst die Scherben tragen genug
für Simon,
für dich und für mich
und für alle da draußen.
Amen.

* Vielen Dank an Jonathan Overlach für diese Formulierung
** Musikalisch wurde der Gottesdienst mit Teilen aus "Golgota" von Frank Martin gestaltet, der seine Passion komponiert hat nach einer Betrachtung des Kupferstichs von Rembrandt "Die drei Kreuze"

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