Donnerstag, 13. April 2017

Lieben, dass es weh tut. Und heilt.

Predigt zum leidenden Gottesknecht (Jes 53,2b - 13)
Karfreitag 2017

I.
Er hatte keine Gestalt und Hoheit.
Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, 

voller Schmerzen und Krankheit.
Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg;
darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Fürwahr, er trug unsre Krankheit 

und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.
Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig
und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird;
und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf.

Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.
Wer aber kann sein Geschick ermessen?
Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen,
da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern,
als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat
und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.

Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,
wird er Nachkommen haben
und in die Länge leben,
und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
den Vielen Gerechtigkeit schaffen;
denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben
und er soll die Starken zum Raube haben,
dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat
und den Übeltätern gleichgerechnet ist
und er die Sünde der Vielen getragen hat
und für die Übeltäter gebeten.


            Musik

II.
Gott, hast du uns verlassen?
Da wird einer fertig gemacht,
zum Sündenbock abgestempelt,
klein gehalten, bespuckt.
Der Allerverachtetste und Unwerteste.
Schaut ihn euch an:
was muss der nur verbrochen haben, dass es dem so geht?
Der ist bestimmt selber Schuld.
Oh, ich hab ihm nichts getan, die anderen waren‘s.
Ich wasche meine Hände in Unschuld!
Und sag lieber nichts dazu.
Womöglich gerate ich noch in den gleichen Schlamassel...

Gott, hast du uns verlassen?
Wie den Gottesknecht.
Sind die über 40 koptischen Christen in Ägypten deine Gottesknechte?
Getötet von Terroristen.
Weil sie Christen sind.
Sind die Opfer von Stockholm deine Gottesknechte?
Wo bleibt deine Strafe für die Täter, Gott?
Oder die Flüchtlinge, die nach Afghanistan zurück geschickt werden,
in ein Land, das voller Minen und Talibanterroristen ist
und das Außenministerium warnt vor Reisen in dieses Land.
Oder der 13jährige -  über whats-app so gemobbt,
dass er sich nicht mehr in die Schule traut…
Alles Gottesknechte?
Schaut sie euch an:
was müssen sie nur verbrochen haben, dass es ihnen so ergeht?
Die sind bestimmt selber Schuld.

III.
Gott, hast du uns verlassen?
Warum müssen wir über andere schlecht reden?
Warum interessiert es uns so wenig,
wie es denen geht, denen es offensichtlich schlecht geht?
Vielleicht sogar direkt nebendran…
Und wir glauben, uns könnte das nicht treffen?

Da verdient einer sein Geld unsauber.
Aber einen anderen Platz hat er nicht gefunden.
Es geht ihm nicht gut dabei.
Die Blicke der anderen tun ihm weh.
Aber das wird er nicht zeigen.
Sonst werden sie seine Schwäche erkennen.
Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus.

Da hat eine andere einen fragwürdigen Lebenswandel.
So jedenfalls bezeichnen es die, die anders leben.
Sie selber will das eigentlich nicht.
Ihre Träume sind ganz andere.
Aber ihre Träume werden zertreten.
Weil so eine wie sie nicht träumt.
Andere träumen von ihr.
Das findet kaum einer schlimm.
Aber dass sie sich einlässt auf die Träume, das ist unmoralisch.
Moral hat mindestens zwei Gesichter. Und an welches soll sie sich halten?

Zwei Geschichten - bekannt aus der Bibel:
der Zöllner, die Sünderin.
Gescheiterte Existenzen. Menschen wie wir.
Ein anderes Leiden als die Opfer der brutalen Übergriffe
in Ägypten oder Stockholm oder Afghanistan.
Nicht vergleichbar.
Und doch Leiden - immer wieder - auch heute.
Und es gibt keine Zwei-Klassen-Leiden…

IV.
Gott, hast du uns verlassen?
Da gibt es da noch einen dritten -
der Grund, warum wir hier sind:
Jesus, ja, du.
Du predigst von Sanftmut und Barmherzigkeit,
hältst die rechte Wange hin,
nachdem dir auf die linke geschlagen wurde.
Du stellst dich vor andere Opfer,
vor die Ehebrecherin zum Beispiel.
Und du machst dich unbeliebt,
weil du Regeln in Frage stellst,
die nicht für Menschen gemacht sind.
Du liebst, dass es weh tut.
Verraten, verkauft, verloren.
Deine Freunde haben sich verkrümelt.
Die Menge schreit und will ein Opfer,
will einen, auf den sie alles abladen kann.
Dich.
Sie lacht über deine Schmerzen.
Schaut zu, wenn du gequält wirst,
achselzuckend oder geifernd.

Gott, hast du uns verlassen?
Hast du sogar Jesus verlassen, deinen Sohn?
Da steht, sitzt, hängt einer.
Und andere schütteln den Kopf,
wenden sich ab, gehen vorüber.
Es ist einsam auf Golgatha.
Da sind nur die, die da sein müssen.
Und die, die lieben, dass es weh tut.

V.
Leiden hat keine Lobby.
Liebe darf nicht weh tun.
Denn Leiden und Schmerz passen nicht in die perfekte Welt.
Karfreitag soll sich verkrümeln.
Es reicht, dass ich das täglich in den Nachrichten sehe und höre.
Mein Aufschrei im Internet und das beleuchtete Brandenburger Tor -
das muss genügen.
Nicht mehr bitte - denn sonst müsste ich genauer hinsehen,
wo ich da eigentlich stehe.
Ich müsste stehen bleiben.
Den Schmerz aushalten und mitfühlen.

Der Gottesknecht.
Die ägyptische Christin, der schwedische Angestellte,
der afghanische Flüchtling, der gemobbte Junge.
Der Zöllner, die Frau. Jesus.
Derselbe rote Faden zieht sich durch alle Geschichten.
Menschen leiden.
Unschuldig oder mitschuldig.
Heroisch oder schmuddelig.
Sympathisch oder unsympathisch.
Wer will das unterscheiden?
Jesus: unschuldiges, heroisches, sympathisches Leiden.
Für uns.
Für die Damaligen:
Ein mitschuldiger, schmuddeliger und unsympathischer Tod.
Kein Grund stehen zu bleiben.

Gott bleibt stehen.
Beim Kreuz.
Bei den Minen und im zerstörten Gotteshaus.
Und dem traurigen Jungen.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du hältst dich nicht heraus
aus dem Leid und dem Unrecht in unserer Welt.
Du bleibst nicht im Himmel.
Du bist selber am Kreuz.
Du liebst.
Bist der Gottesknecht, der selber schuld ist.
Nah am Abgrund und nah an meinen Abgründen.

VI.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du nimmst in Christus die Abgründe auf dich.
Du gehst tief hinein. Ganz tief.
Christus wird hingerichtet wie ein Mörder,
zwischen zwei Mördern am Kreuz links und rechts.
Dort, wo die Täter sind.
Die mit ihren Abgründen.
Die, die selber schuld sind.
Ja, da bist du, Gott, in den Abgründen - auch bei mir.
Wo ich mitlaufe oder anführe,
wo ich schweige oder zu Gerüchten beitrage,
wo ich wegschaue und geschehen lasse,
wo ich mitbeteiligt bin, ob ich will oder nicht.
Und wo ich denke, dass der oder die doch selber schuld ist.
Auch da bist du, Gott!
Und bei dir kann ich es lassen - und neuanfangen.

Das Kreuz zeigt die Welt, wie sie ist. Täter und Opfer.
Und ich sehe im Kreuz nicht nur, wie die Welt ist,
sondern, wie sie sein kann.
Voller Liebe und Vergebung.
Lieben, dass es weh tut.
Und heilt.

VII.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du bist hier, mitten drin.
In alles Leid der Welt gefallen.
So tief, wie keiner.
Und weil du tiefer bist als alles Leid, kannst du alles Leid auffangen.
Bei dir wird keiner fertig gemacht.
Du liebst, dass es weh tut.
Und heilst.
Auch mich.

Fürwahr, du trugst unsre Krankheit 
und ludst auf dich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten dich für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber du bist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Durch deine Wunden sind wir geheilt.

Amen.

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