Dienstag, 31. Oktober 2017

Entgegenstellen - mit einem Wörtlein

Predigt zum Reformationsfest 2017 (zu Matthäus 4,1-8) 
gehalten in Altdorf bei Nürnberg

I.
Mach dich frei.
Lege die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.

Er macht sich auf,
der Theologieprofessor Dr. Martinus Luther,
Mönch und Wissenschaftler,
Allen Mut nimmt er zusammen.
Bringt seine 95 Thesen unters Volk.
Die von der Freiheit vom Ablass
und vom Gehorsamszwang gegen den Papst.
Ja, er macht sich frei
und sagt den Dämonen seiner Zeit den Kampf an.
Stellt sich ihnen in den Weg.
Richtet das Wort gegen den Fürsten der Welt,
der ihn klein machen will.
Und dich und mich auch.
Da gibt es viele Fürsten, die ihm helfen und denen er hilft.
Aber auch Fürsten, die ihn mundtot machen wollen.
Der eigentliche Fürst ist aber ein ganz anderer.
Das Böse.
Der Teufel.
Der Fürst dieser Welt.
Ein Wörtlein kann ihn fällen.

II.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, 
damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3):
»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt
und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12):
»Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben;
und sie werden dich auf den Händen tragen,
damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16):
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm:
Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan!
Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13):
»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel. 

Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.

III.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.

Denn du bist frei.
Ein freies Gotteskind - in den Spuren von Jesus.
Du bist frei und doch gebunden.
Denn du lebst nicht auf einer Insel,
sondern hier, wo das Leben tobt.
Und der Tod.
Wo der Wind pfeift und die Kürbisse zu Fratzen werden.
Der frisch getaufte Jesus setzt sich dem Leben aus.

Es ist schwer zu ertragen:
dieses Leben voll mit Sturm und Fratzen und Tod.
Es ist schwer zu ertragen, dass die Kinder in Jemen an Cholera sterben.
Und die junge Nachbarin an Leukämie.
Oder dass die nigerianischen Mädchen von Boko Haram Bombengürtel umgebunden kriegen.

Dein Leben geht weiter,
aber wenigstens für die anderen willst du einen,
der Steine zu Brot machen kann
und dem allen ein Ende.
Der mit dem Finger schnippt
und alle Lebensprobleme einfach auflöst.
Du versuchst ihn zu bestechen -
durch Ablassbriefe oder besonders fromme Gebete.
Ja, du willst einen, der endlich mal seine Macht durchsetzt.
Und der tut, was du willst.
Und was das sogenannte Volk will, auch.
Du sehnst dich danach, dass endlich alles richtig ist.
Richtig läuft.
Kein Sand im Getriebe mehr.
Ja, so sollte Gott sein, wenn du das schon selber nicht kannst.

IV.
Aber so ist der Jesus-Gott nicht.
Er ist so frei, dass er auf alles verzichtet,
was ihn zu einem Gott machen würde, wie du ihn haben willst.
Er verzichtet auf Besitz,
auf Heldendemonstration
und vor allem verzichtet er auf Macht.
Er lässt sich nicht instrumentalisieren für die Bedürfnisse -
noch nicht mal für die eigenen.

Und ja, das ist die größte Versuchung:
Dass du deine eigenen Bedürfnisse auf Gott überträgst:
Er soll erledigen, was du nicht kannst.
Er soll bestrafen und herrschen und Macht ausüben.
Er soll dafür sorgen, dass alle so sind wie du.
Und so machst du ihn harmlos
oder zum tyrannischen Götzen.
Mit intensiven und besonders bibelfesten Gebeten lässt er sich einfangen,
denkst du.
So wie vor 500 Jahren die Ablässe oder das Verbrennen von Ketzern.
Ein Gott, der Opfer braucht.
Die größte Versuchung:
Gott könnte dein Ebenbild sein. Statt umgekehrt.

V.
Leg die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich dem Fürsten der Welt entgegen.

Du kannst die Dämonen, die dich plagen, in die Wüste schicken.
Aber du kommst nicht darum herum:
Deine Wüste ist in dir.
Dort, wo du nicht mehr weiter weißt.
Wo es so gnadenlos zugeht,
Und du dein eigener Staatsanwalt wirst.
Wo kein Schnipser die Steine zu Brot verwandeln kann.
Da ist deine Wüste.

VI.
Stelle dich ihm entgegen.
Schaue dem Teufel ins Gesicht.
Er spielt mit deiner Angst und den Ängsten dieser Welt.
Er treibt dich in den Perfektionswahn.
Das macht dich krank. Und unbarmherzig.
Mauern lässt er dich bauen, damit du dich sicherer fühlst.
Aber du fühlst dich nicht sicherer.
Er macht aus einzelnen Menschen eine Masse.
Wie damals vor 80 Jahren.
Und so wird heute aus Flüchtlingen eine Flutwelle.
Und selbst Luther, der es doch besser wissen musste,
hetzte gnadenlos und erbarmungslos gegen Juden und Bauern.
Der Diabolos, der Spalter ist auch bei Luther sehr erfolgreich gewesen.
Und uns spaltet er zwischen Einheimischen und Zuwanderern,
zwischen Christen und Muslimen und Juden.

Ja, das alles ist teuflisch.
Mittendrin steckst du.
Wozu Menschen fähig sind, weißt du -
aus dem Geschichtsbuch.
Aus der Tagesschau.
Und vielleicht von dir selbst.

Aber da sind Hände, die deine Fesseln lösen.
Arme, die dich umfangen.
Und die Welt auch.
Und Augen, die dich nicht mustern, sondern in dein Herz schauen.
Bis es ruhig wird. Und fest.

VII.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.
Mit dem Wörtlein der Gnade.

Es mag so harmlos klingen.
Aber es ist es nicht.
Denn als uneheliches Kind hätte es mich in den 60er Jahren nicht geben dürfen.
Aber es gab mich.
Und die Welt schaute kritisch.
Was soll aus diesem Kind schon werden?
Schüchtern. Mit einer überforderten Mutter.
Aber da war dieses Wort:
Lass dir nicht einreden, du seist weniger wert als die anderen.
Du bist ein Kind Gottes.
Wort der Gnade.

Und wenn mir heute Menschen einreden wollen,
ich dürfe nichts sagen,
weil eine Kirchenfrau nicht politisch reden darf -
Dann ist da dieses Wort:
Du bist ein Kind Gottes.
Mit der Gabe zu Reden.
Also tu es.
Hab keine Angst.
Wort der Gnade.

Und wenn Menschen behaupten,
euer Dekan dürfe keinen Muslim einladen*,
dann ist da dieses Wort:
Beide sind Kinder Gottes, die einander begegnen.
Und das ist gut so und richtig.
Wort der Gnade.

Und wenn ich die Gnadenlosigkeit unserer Politik sehe,
die erklärt ein Land voller Tretminen und Terroranschlägen zum sicheren Land,
und schickt die Flüchtlinge dorthin zurück -
dann ist da dieses Wort:
Es sind Kinder Gottes - wie du.
Stell dich an ihre Seite.
Wort der Gnade.

VIII.
Du bist ein Gotteskind.
Und du bleibst es.
Du musst nicht anders sein als du bist.
Nicht besser, nicht perfekter.
Nicht klüger und nicht schöner.
Und du brauchst weder dir noch Gott was vor zu machen.
Aber du bist ein freier Mensch.
Stell dich dem Teufel entgegen, so gut es geht.
Ein Wörtlein genügt.
Probier es aus.

Gnade.
Das ist das Wörtlein.
Freie Gnade in einer unfreien gnadenlosen Welt.
Gnade - ein Wörtlein, das den Fürsten der Welt fällt.
Und dich frei macht.
Die Gnade sieht die Welt mit anderen Augen und umarmt sie.
Sie schickt dir Engel, die dir dienen.
Und sie richtet dich auf, wie nur sie es kann.
Weil sie dich nicht verurteilt, sondern liebt.
Mit einem Wörtlein.
Amen.

* Zum Reformationstag 2016 hatte Dekan Jörg Breu den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek für einen Vortrag in die St.Laurentius-Kirche in Altdorf eingeladen. Dafür wurde er u.a. vom 3. Bürgermeister beschimpft und erhielt anonyme Morddrohungen.

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