Predigt zu Matthäus 6,25-34
und zur Kantate BWV 138 "Warum betrübst du dich mein Herz"*
(mit besonderem Dank an Holger Pyka (v.a. III + IV) und Michael Greßler (v.a. I) für ihre Formulierungsimpulse)
Textpassagen in Blau sind der Kantate entnommen. Den vollständigen Text der Kantate hänge ich unten an.
Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben
mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?
Seht
die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht,
sie
sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater ernährt sie
doch.
Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?
Und
warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld
an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
Wenn
nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht und
morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch
tun, ihr Kleingläubigen?
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.
Darum
sorgt nicht für morgen,
denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.
Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
I.
Manchmal sind sie schon morgens da.
Die Sorgen.
Grau stehen sie am Bett.
Und einen grauen Schleier legen sie dir um den Tag.
Die Sorge um den kranken Ehemann:
schlägt die Therapie endlich an?
Die Sorge um den Freund:
wird er tatsächlich abgeschoben,
wie es der Brief von gestern ankündigt?
Oder die Sorge um dein Land
und ob die Demokratie noch stark genug ist.
Alles das kann so nach dir greifen,
dass du nichts anderes mehr denken kannst.
„Ach Sorgen, werdet ihr denn alle Morgen und alle Tage wieder neu?“
So könntest du mitklagen.
Ganz schlimm wird es, wenn du das Gefühl hast:
Ich muss das alles alleine tragen.
Wenn du keinen Gott an deiner Seite spürst.
Und dann singst du mit gebrochener Stimme mit:
„Ich bin verlassen, es scheint,
als wollte mich auch Gott bei meiner Armut hassen.“
II.
„Dein Vater und dein Herre Gott, der steht dir bei in aller Not.“
Ach, lieber Johann Sebastian Bach - das kommt mir zu schnell.
Ja, ich weiß, du folgst den Worten Jesu:
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
Ich ärgere mich über diese Worte.
Empfinde sie als zynisch.
Und neige dazu, darin die typischen Worte eines Wanderpredigers zu hören.
Einer, der eben umherzieht.
Und dessen Jünger und wahrscheinlich vor allem die Jüngerinnen
nach was zu essen für alle schauen.
Keiner von uns lebt von der Hand in den Mund.
Und ich bin froh, dass wir ein soziales System haben,
In ihm können auch die Armen zumindest überleben.
Zu mehr reicht es aber auch selbst in unserem Land für viele nicht.
Wenn eine Alleinerziehende fragt:
Wie soll ich die Klassenfahrt meiner Tochter bezahlen?
Dann sage ich nicht: Nach all dem trachten die Heiden…. Darum sorge dich nicht.
Ich ärgere mich über diese Worte.
Und gerade deshalb sind sie wohl auch wichtig.
Jesu Worte reißen mich raus aus dem grauen Schleier meiner Sorgen.
Wirbeln wie ein Wind den Nebel auf.
Und sie unterbrechen meine Betriebsamkeit,
die kennt nichts anderes mehr als
das immer mehr, immer sicherer, immer weiter.
Versicherungen. Absicherungen. Geld verdienen.
Für eine gute Rente arbeiten bis zum Umfallen.
Keine Unsicherheiten zulassen.
Sorgen groß machen und politisch instrumentalisieren,
Grenzen zu. Mauern hoch.
Und besorgt auf die Straße gehen.
Sorgen klingen besser als Neid oder Missgunst oder Kleingeist.
Auf Sorgen muss man hören. Auf Neid nicht.
Da reißt Jesus die Maske ab von unserer kleinbürgerlichen Ängstlichkeit.
III.
Ja, es gibt ein Sorgen, das unfrei macht.
Es wird zum Gefängnis
und schneidet dich ab von der Welt und den Menschen um dich herum.
Ein Sorgen, das Einzelne und ganze Gesellschaften in sich verkrümmt.
Dieses Sorgen macht unfrei, weil es aus Irrtümern geboren wird:
Dass in diesem Leben irgendeine letzte, absolute Sicherheit zu haben ist
und dass wir es in der Hand haben.
Aus dem Volksmund kennen wir die Parolen:
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Jeder ist seines Glückes Schmied,
und ein bisschen Unsterblichkeit kann sich jeder schaffen,
indem er ein Haus baut, ein Kind zeugt, einen Baum pflanzt
oder ein Buch schreibt.
Aber das ist letztendlich Blödsinn.
Wer ist unter euch,
der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?
Die wichtigen Dinge im Leben sind weder käuflich noch sonst wie zu sichern.
Binsenweisheit.
Das weiß der Neunjährige,
der unsterblich in seine Sitznachbarin aus seiner Klasse verliebt ist -
aber noch nicht mal eine ganze bunte Tüte vom Kiosk
noch das Versprechen, ihr jeden Tag den Schulranzen zu tragen,
kann sie dazu bewegen,
seine Freundin zu werden.
Das weiß auch die erfolgreiche Geschäftsfrau
mit viel Geld auf dem Konto,
als ihr der Arzt mit ernstem Gesicht eine Diagnose übermittelt,
in der das schlimme Wort „unheilbar“ vorkommt.
Und das wissen auch die vielen Familien in Sulawesi,
deren Dörfer vom Tsunami weggeschwemmt wurden.
Das Warnsystem hat versagt.
Aber ihre Häuser hätten sie in jedem Fall verloren.
Ganze Moscheen und Kirchen sind eingekracht.
Interessanterweise können aber gerade die Ärmsten der Welt
mit dieser Unsicherheit des Lebens besser umgehen als wir,
die wir meinen alles im Griff zu haben.
IV.
Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
Glaube ich ihm das?
Glaube ich Jesus,
dass da einer ist,
der mich in diesem ganzen unsicheren Lebenswahnsinn hält und trägt?
Ja. Ich will ihm das glauben.
Obwohl oder gerade weil Jesus so anders klingt als die besorgten Stimmen,
die gerade so laut sind
und die nach Mauern und Sicherheiten und Abschottung schreien
- auch in mir.
Ich will ihm glauben, diesem Wanderprediger voller Gottvertrauen,
und mein Blick folgt seinem ausgestreckten Zeigefinger
und fällt auf Vögel, die scheinbar schwerelos den Himmel durchziehen
und auf Blumen, die das Feld bedecken.
Und bei genauerem Hinsehen entdecke ich:
es sind nicht irgendwelche Vögel und nicht irgendwelche Blumen.
Genau ist es nicht zu erkennen, aber es sind wahrscheinlich Raben,
auf die Jesus da zeigt,
Raben - diese schwarzen Biester,
bei uns als Diebe und Unglücksboten verschrien
und im alten Israel als unrein betrachtet.
Aber die eine oder andere sieht die Vögel
und denkt vielleicht an die alten Geschichte vom Propheten Elia:
Den versorgen ausgerechnet die Raben auf seiner Flucht mit Brot und Fleisch.
Ausgerechnet die Raben, denen keiner irgendetwas zugetraut hätte.
Außer Jesus:
der hält dann vielleicht noch ganz andere Überraschungen bereit.
Und es sind auch nicht nur Lilien, auf die Jesus da zeigt,
sondern alle möglichen Sorten von Ackerblumen,
unkultiviert im wahrsten Sinne des Wortes,
wilde und freie Gewächse,
die sehen nicht nur schön aus,
sondern sie können auch nach ihrem Verblühen
von den armen Leuten genutzt werden,
um den Ofen anzuheizen.
Schaut Euch die Vögel am Himmel an
und lernt von den Blumen auf dem Feld
und seht mit eigenen Augen:
Wo man nicht vor der Sorge um das eigene Leben kapituliert,
da wachsen Flügel,
da blüht es bunt und schön.
Und dieses Leben ist so viel mehr als eine sichere Bank.
V.
Ja, ich glaube ihm das, diesem Jesus,
und ich lasse die Vögel und die Blumen zurück
und höre und sehe mich um in der Welt
und entdecke immer mehr Zeichen
und, wer weiß, vielleicht sogar Wunder.
Und dann sehe ich, dass das Reich Gottes aufblitzt.
Und das Grau der Sorgen weicht den Herbstfarben.
Hier und da.
Ich sehe, dass die Sea-Watch endlich wieder den Hafen von Malta verlassen darf
und hoffentlich sticht sie bald wieder in See, um Menschenleben zu retten.
Ich höre von einer ganzen Klasse:
die sammelt Geld, damit die Mitschülerin doch noch mitfahren kann.
Ich sehe die 240.000, die auf der unteilbar-Demo in Berlin waren
und die machten das „wir sind mehr“ sichtbar.
Und ich höre Töne im 6/8-Takt:
die trösten mich und machen mein Herz leichter.
„Auf Gott steht meine Zuversicht, mein Glaube läßt ihn walten.“
Das höre ich und du hörst es auch.
Und vielleicht willst du dann sogar durch die Kirche tanzen
und ihre bunten Fenster geben den gesungenen Worten recht.
VI.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.
Ich glaube ihm diesem Jesus.
Ich will mich von seinem Vertrauen leiten lassen -
von seinem Vertrauen statt von meiner Sorge und Angst.
Ich glaube, dass Gott es gut mit mir und der Welt meint.
Und will genau hinschauen und hinhören:
wo blitzt das Reich Gottes auf und wo ist es zu hören?
Es ist da.
Dort, wo wir beide sind.
„Nun kann ich wie im Himmel leben.“
Das höre ich und nehme es mit.
Und meine Sorgen -
die lasse ich hier.
Amen.
*Text der Kantate:
1.
Warum betrübst du dich mein Herze?
Bekümmerst dich und trägest Schmerz
Nur um das zeitliche Gut?
Ach, ich bin arm,
mich drücket schwere Sorgen.
Vom Abend bis zum Morgen
währet meine liebe Not.
Dass Gott erbarm!
Wer wird mich noch erlösen
vom Leibe dieser bösen
und argen Welt?
Wie elend ists um mich bestellt!
Ach! wär ich doch nur tot.
Vertrau du deinem Herren Gott,
der alle Ding erschaffen hat.
2.
Ich bin veracht'
der Herr hat mich zum Leiden
am Tage seines Zorns gemacht
der Vorrat, hauszuhalten,
ist ziemlich klein
man schenkt mir vor den Wein der Freuden
den bittern Kelch der Tränen ein.
Wie kann ich nun mein Amt mit Ruh verwalten,
wenn Seufzer meine Speise und Tränen das Getränke sein?
3.
Er kann und will dich lassen nicht,
er weiß gar wohl, was dir gebricht,
Himmel und Erd ist sein!
Ach, wie?
Gott sorget freilich vor das Vieh,
er gibt den Vögeln seine Speise,
er sättiget die jungen Raben,
nur ich, ich weiß nicht,
auf was Weise
ich armes Kind
mein bißchen Brot soll haben
wo ist jemand, der sich zu meiner Rettung findt?
Dein Vater und dein Herre Gott,
der dir beisteht in aller Not.
Ich bin verlassen,
es scheint,
als wollte mich auch Gott bei meiner Armut hassen,
da ers doch immer gut mit mir gemeint.
Ach Sorgen,
werdet ihr denn alle Morgen
und alle Tage wieder neu?
So klage ich immerfort
Ach! Armut! Hartes Wort,
wer steht mir denn in meinem Kummer bei?
Dein Vater und dein Herre Gott,
der steht dir bei in aller Not.
4.
Ach süßer Trost!
Wenn Gott mich nicht verlassen
und nicht versäumen will,
so kann ich in der Stille
und in Geduld mich fassen.
Die Welt mag immerhin mich hassen,
so werf ich meine Sorgen
mit Freuden auf den Herrn,
und hilft er heute nicht, so hilft er mir doch morgen.
Nun leg ich herzlich gern
die Sorgen unters Kissen
und mag nichts mehr als dies zu meinem Troste wissen:
5.
Auf Gott steht meine Zuversicht,
mein Glaube läßt ihn walten.
Nun kann mich keine Sorge nagen,
nun kann mich auch kein Armut plagen.
Bleibt er mein Vater, meine Freude
er will mich wunderlich erhalten.
6.
So will ich auch recht sanfte ruhn.
Euch, Sorgen! Sei der Scheidebrief gegeben.
Nun kann ich wie im Himmel leben.
7.
Weil du mein Gott und Vater bist,
dein Kind wirst du verlassen nicht,
du väterliches Herz!
Ich bin ein armer Erdenkloß,
auf Erden weiß ich keinen Trost
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