Montag, 16. August 2021

Am richtigen Platz sein

Sind wir noch zu retten?
Erste Schritte als Begnadete

Predigt zu Epheser 2, 4-10*

(mit Dank an die Kollegin Henriette Crüwell für ihren fulminanten Aufschlag, den ich weiterstricken durfte!)

1. Rettung am Staudamm

Es hätte nicht mehr viel gefehlt, wenige Zentimeter und nichts mehr wäre zu retten gewesen. Die Verwüstung war eh schon groß. Dann aber wäre alles verloren gewesen. Nach dem tagelangen Starkregen Mitte Juli hatten Schlamm und Geröll den Abfluss der Steinbachtalsperre verstopft. Und so stieg der Spiegel Zentimeter um Zentimeter. Mehrere Tausend Liter Wasser rissen metertiefe Krater in den Erdwall davor. Die Dammkrone war beschädigt - würde die Talsperre den Wassermassen standhalten? Alle standen wie gelähmt davor - ohnmächtig die Katastrophe noch verhindern zu können.

Unter ihnen ist auch der Tiefbauer Hubert Schilles. Er sagt: „In diesem Augenblick war klar, dass wir keine Zeit mehr haben, also rannten wir los, um alles in die Wege zu leiten.“ 45 Minuten später stand sein Bagger da. „Und dann bin ich da reingefahren bis zum Hauptablauf,“ erzählt er. Und er macht tatsächlich das Unmögliche möglich. Er baggert 18 Meter unter dem Wasserspiegel den Abfluss wieder frei. „Du bist unser Held, Hubert!“ feiern ihn die Geretteten. „Nein, ich bin nur ein ganz normaler Mensch,“ widerspricht er.
Auf die Frage, wie er das denn geschafft habe, antwortet er: „Ich bin ein gläubiger Mensch. Der Herrgott hat mich dahin gestellt und ich habe meinen Rosenkranz gepackt, mich gesegnet und dann bin ich da reingefahren. Ich habe keine Sekunde Angst gehabt. Ich habe gesagt: ‚Du Herr, musst wissen, was passiert.‘ Und ich war voller Vertrauen, dass die Wand nicht bricht.“

Hubert Schiller war kein Held, aber ein Geschenk. Ein Geschenk Gottes.

2. Rettung aus Gnade

Aus Gnade seid ihr gerettet – durch den Glauben.
Schreibt ein Paulusschüler.
Aus Gnade seid ihr gerettet.
Das verdankt ihr nicht eurer eigenen Kraft, sondern es ist Gottes Geschenk.
Gott hat uns so geschaffen, dass wir nun das Gute tun.



3. Keine Rettung mehr möglich?

Gerettet?
Es fehlt nicht mehr viel. Nur noch ein paar Grad. Dann ist wirklich nichts mehr zu retten, warnen uns die Wissenschaftler in ihrem jüngsten Klimabericht. Die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Ja, wir können sie längst mit eigenen Augen sehen: Die Schlammmassen und Feuerstürme, die rund um den Globus alles zunichte machen. Wie gelähmt stehen wir vor dieser selbstgemachten Katastrophe.

Gerettet durch Gnade.
Und ich frage mich: „Sind wir noch zu retten?“

Die Katastrophe, in der wir mitten drin sind, lässt sich nicht mehr durch die einsame Tat eines mutigen Tiefbauers oder eines klugen Wissenschaftlers abwenden, auch nicht mit politischen Absichtserklärungen. Nur mit vereinten Kräften können wir das Ruder vielleicht noch rumreißen, so die Wissenschaftler in ihrem Klimabericht. Aber wird jetzt wirklich was geschehen? Die einen machen die Augen zu und die anderen sind wie gelähmt angesichts dieser riesengroßen Herausforderung, die da vor uns liegt. Denn die allermeisten von uns sind keine Helden.

Wie gut, dass Gott nicht nur Helden berufen hat, sondern zuallererst mal all die Mühseligen und Beladenen, die Ängstlichen und Zweifelnden. Weil wir Menschen eben Menschen sind und uns so oft die Kraft fehlt für das, was am allerdringlichsten dran ist.
Wie oft sind wir zu spät dran? Viel zu spät. Da haben wir Ausreden und viel zu viele Regeln und Gesetze. Wir schieben Dinge vor uns her und bringen uns von einer Gefahr zu nächsten.

4. Am richtigen Platz sein

Gott hat uns so geschaffen, dass wir nun das Gute tun.
Der Paulusschüler scheint der Ghostwriter für den Baggerführer Hubert Schilles zu sein. Der sagte nämlich: „Der Herrgott hat mich an diesen Platz gestellt. Er muss wissen, was er tut. Vielleicht bin ich ja sogar nur deshalb seit seinem 19. Lebensjahr Baggerführer, um in so einem Moment an Ort und Stelle zu sein und eine Katastrophe gerade noch abzuwenden.“

Gott hat uns so geschaffen, dass wir nun das Gute tun.
Gott uns in diese Zeit hineingestellt, an unseren jeweiligen Platz, damit wir jetzt als Ärztin, Steuerberater, Rentnerin, Schreiner, Jurist, Lehrerin, angehender Polizist oder Pfarrerin im Rahmen unserer Möglichkeiten tun, was zu tun ist, um seine Schöpfung zu retten.
Vielleicht ist das genau diese Gnade, von der Paulus und seine Schüler immer wieder sprechen. Die Gnade nämlich, dass Gott uns nicht nur vorbehaltlos liebt - das auch! -, sondern uns auch braucht, damit wir seine Liebe leben. Wir sind sein Geschenk für Gott. Und ein Geschenk an die Welt. Hier und heute.

5. Begnadet sein

Woher aber bekommen wir die Kraft dazu?
Die Kraft dazu bekommen wir aus dem Glauben. Da sind sich der Paulusschüler und Hubert Schilles einig. Und wieder sagt es ein jeder von ihnen auf seine Weise. „Gott hat uns zusammen mit Jesus auferweckt und hat uns zusammen mit ihm schon jetzt einen Platz im Himmel gegeben.“ Sagt der eine. Und der andere nimmt seinen Rosenkranz, bekreuzigt sich und sagt: „Der Herr wird wissen, was passiert.“

Mit dem Kreuzzeichen und dem Rosenkranz tun wir Evangelischen uns ja bekanntlich ein bisschen schwer. Schade eigentlich. Denn wo Worte fehlen, zeigt das Kreuzzeichen auf sehr sinnliche Weise, dass wir es sind, die geliebt sind. Und der Rosenkranz ist eine Erinnerung zum Anfassen, erinnert an den Gruß des Engels, der zu Maria gesagt hat: „Gegrüßet seist du Begnadete. Der Herr ist mit dir!

Gegrüßet seist du Begnadete!
Auch wir sind Begnadete. Hoffen, dass Gott mit uns ist und uns jenseits unserer menschlichen Möglichkeiten rettet. Wir sind Begnadete, beschenkt mit Liebe - und deshalb tun wir das uns Mögliche und wachsen dabei vielleicht sogar im entscheidenden Moment über uns hinaus - hoffend und betend, dass die Wand hält.

6. Schritte gehen

Und wenn die Wand nicht hält, wenn wir Angst haben und verzweifelt sind? Wenn wir scheitern und merken, dass wir die Welt nicht retten können? Dann sind wir selbst da nicht allein. Und wir klagen und rufen wie ein Kind nach seiner Mutter oder seinem Vater: „Wo bist Du? Warum bist Du nicht da? Hilf mir doch?“  Mit oder ohne Kreuzzeichen.

Ihr seid Begnadete. Ihr seid gerettet durch Gnade.
Ihr seid von Gott geliebt, bedingungslos. So wie ihr seid. Stark und schwach, mutig und feige.
Ihr, die ihr verzweifelt und so deutlich spürt, dass ihr allein die Welt nicht retten könnt.
Ihr, die ihr scheitert und euch zu Versager*innen stempelt.
Ihr seid geliebt. Und ihr seid nicht allein. Niemand von euch. Nie.
Weder 18 Meter unter dem Wasserspiegel noch angesichts der Klimakatastrophe.

Ihr seid gerettet durch Gnade.
Ihr braucht das nicht zu beweisen. Und es ist auch gar nicht so einfach, das für sich anzunehmen.
"Ich bin geliebt. Ich? Wirklich ich?"
Aber es ist Gnade, ein Geschenk, wenn jemand sagen kann: „Der Herrgott hat mich an diesen Platz gestellt!“
Und vielleicht könnt ihr es auch sagen. Irgendwann. Oder jetzt schon.
Im festen Vertrauen, dass ihr alles habt, was ihr dann braucht.
Und dann geht ihr die ersten Schritte. Als Begnadete.
 
Amen

* nach der Übersetzung der Basisbibel:
4 Gott ist reich an Barmherzigkeit.
Mit seiner ganzen Liebe hat er uns geliebt 5 und uns zusammen mit Christus lebendig gemacht.
Das tat er, obwohl wir tot waren aufgrund unserer Verfehlungen.
– Aus reiner Gnade seid ihr gerettet! –
6 Er hat uns mit Christus auferweckt und zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben.
Denn wir gehören zu Christus Jesus!
7 So wollte Gott für alle Zukunft zeigen, wie unendlich reich seine Gnade ist:
die Güte, die er uns erweist, eben weil wir zu Christus Jesus gehören.
8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet –durch den Glauben.
Das verdankt ihr nicht eurer eigenen Kraft, sondern es ist Gottes Geschenk.
9 Er gibt es unabhängig von irgendwelchen Taten, damit niemand darauf stolz sein kann.
10 Denn wir sind Gottes Werk.
Aufgrund unserer Zugehörigkeit zu Christus Jesus hat er uns so geschaffen,
dass wir nun das Gute tun.
Gott selbst hat es im Voraus für uns bereitgestellt,
damit wir unser Leben entsprechend führen können.

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