Sonntag, 12. Februar 2017

Gut, dass du da bist - Grenzen, Kaffee, Lächeln, Schmatzen

Predigt zu Matthäus 9,9-13 zum Abschluss der Vesperkirche

Und als Jesus von dort wegging,
sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus;
und er sprach zu ihm: Folge mir!
Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause,
siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder
und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern:
Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
Als das Jesus hörte, sprach er:
Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.
Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6):
»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.«
Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.


I.
Der alte Herr kommt jeden Tag. Vier Wochen lang.
Aber dieses Jahr das erste Mal.
Er wusste von der Vesperkirche. Dass es sie gibt.
Aber doch nicht für ihn.
Er ist ja nicht arm.
Hat eine Wohnung. Eine gute Rente. Und seine Frau.
Aber die ist nun nicht mehr da.
Und seitdem ist es leer zu Hause.
Vier Wochen lang war hier Platz für ihn.
Ein freundliches Lächeln an der Kaffeetheke,
ein offener Blick bei der Essensausgabe,
und immer jemand zum Reden.
Über die einsamen Stunden,
das leere Bett neben seinem Bett,
die Bilder an der Wand von früher,
die Kissen, die sie bestickt hat, und über die er früher geschmunzelt hat.
Erinnerungsstücke nun.
Und das tut immer noch weh.
Hier kann er das erzählen.
Und es lacht ihn keiner aus.
Ein warmer Händedruck - das genügte.
Gut, dass du hier bist.
Komm, setz dich an den Tisch.

II.
Die alte Dame aus dem Nachbardorf kommt schon seit Jahren.
Nicht jeden Tag, aber so dreimal die Woche.
Ihr Mann ist schon vor Jahren gestorben.
Und sie hat sich ganz gut eingerichtet - so allein.
Sie geht aber nicht gern aus dem Haus. Schon gar nicht im Winter.
Aber wenn Vesperkirche ist, dann nimmt sie den Bus.
Und freut sich auf die vertrauten Gesichter hier.
Auf das warme Essen.
Und die Andacht zum Schluss.
Letztens hat eine Musikerin, die Frau Albert, sogar Mundharmonika gespielt.
Und bei der Schlussmelodie haben alle mitgesummt.
Die freundlichen Blicke sind es, die sie hierher locken.
Heraus aus ihrer Wohnung.
Gut, dass du hier bist.
Komm, setz dich an den Tisch.

III.
Dann ist da noch der 30jährige, der aussieht wie 50.
Alkohol und Heroin haben seinen Körper kaputt gemacht.
Oft kann er sich gar nicht aufrecht halten.
Noch nicht mal Tisch.
Aber hier wird er in Ruhe gelassen.
Gut, dass du hier bist.

Am Tisch nebenan eine junge Frau.
Sie kramt in ihrem Portemonnaie.
Geldscheine kommen nicht zum Vorschein,
sie räumt Zettel und Fahrkarten hin und her.
Mit ihren Freunden kann sie kaum noch reden.
Ihr Leben ist ohne Arbeit viel zu langweilig geworden.
Gut, dass du hier bist.
Komm, setz dich an den Tisch.

IV.
Matthäus ist auch da.
Sitzt hier - mit Jesus an einem Tisch.
Und mit den anderen, die er gar nicht kennt.
Und mit denen er normalerweise nie an einem Tisch sitzt.
Die alte Dame. Der Witwer. Der Junkie. Die Arbeitslose.
Es spielt gar keine Rolle mehr, wer sie sind und was sie tun.
Nur was sie hierher gebracht hat und was sie brauchen.
Und was sie brauchen, ist so unterschiedlich:
das Essen, der Kaffee, die Wärme, das Gespräch,
der Tisch, Ruhe, Abwechslung, freundliche Hände und Augen.
Aber eins brauchen sie alle:
den Satz: Gut, dass du hier bist.

V.
Gut, dass du dich auf den Weg gemacht hast,
dich überwunden hast.
Du bist gekommen, obwohl es glatt ist.
Und obwohl du denkst, dass du nicht hierher gehörst.
Du bist hier mit deinen Schmerzen und deiner Schuld und deinem Frust.
Die Stimme in dir sagt dir: Du hast es nicht verdient, hier zu sein.
Und doch bist du da.
Gut so.
Hier darfst du sein. Du darfst du sein.
Musst nicht stark sein. Nicht schlau. Nicht gerissen und nicht hübsch.
Die Tür zur Vesperkirche ist offen für dich.
Die Tische sind gedeckt. Der Kaffee gekocht. Die Malstifte gespitzt.
Und Jesus ist auch da.
Für dich. Und für die anderen auch.

VI.
Es gibt Menschen, die stört es, dass Jesus keinen Unterschied macht.
Dass er einfach da ist und sich nicht aufhalten lässt.
Weder von Regeln noch von Normen oder menschlichen Maßstäben.
Grenzen, die du und ich aufstellen, interessieren Jesus nicht.
Bei Jesus gibt es keine Mauer zwischen zwei Völkern
und keinen Einreisestopp.
Die Volkszugehörigkeit spielt keine Rolle
und wie jemand an Gott glaubt, ob überhaupt oder nur ein wenig,
darüber lässt sich zwar trefflich reden,
aber nicht urteilen.
Es sei denn, dass dieser Jemand anderen den Tisch verbietet.
Und das Hier sein.
»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.«
Keinen korrekten Glauben. Auch nicht eifrig die Gebote erfüllen.
Sondern barmherzig sein.
Da sein. Lieben. Umarmen. Wärme geben. Annehmen. Helfen.

VII.
Auch Matthäus hat mal Grenzen gezogen.
Er hat als Zöllner nicht jeden hereingelassen in die Stadt.
Nur wer genügend bezahlen konnte, kam durch.
Und er bestimmte den Preis.
Doch das hat ihn selber ausgeschlossen.
Nämlich von der Liebe. Von der Weite Gottes.
Dann ist er Jesus begegnet.
Der hat die Schranke aufgemacht.
Die Schranke von seinem Zollhaus.
Zu seinem Leben.
Zum Herzen und zu allem, was ihn hart gemacht hat und einsam.

Er braucht die Schranken nun nicht mehr.
Er ist wertvoll, geliebt - einfach so,
auch ohne Geld und ohne Macht und ohne Einfluss.
Jetzt sitzt er hier am Tisch. Mit Jesus.
Gut, dass ich hier bin. Denkt Matthäus.
Hier gehöre ich her.
Ohne Grenzen und ohne Schranken,
aber mit gutem Essen und warmen Händen
und einem offenen Herzen.
Denn ich bin es Jesus wert.
Und die anderen auch.

VIII.
Ja, auch die, die es stört, was Jesus da macht.
Auch die sind es wert, dass sie dabei sind.
Geht hin und lernt, was das heißt:
»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.«
Sagt Jesus.
Kommt, setzt euch auch an den Tisch.
Hier haben Zöllner, Sünder, Kranke, Kluge und Ängstliche alle Platz.
Ihr auch.
Denn Gottes Herz ist weit und warm und groß genug.
Öffnet die Schranken eures Herzens.
Klettert über die Mauer aus Normen und Maßstäben und Korrektheit.
Ich halte euch die Hand und zieh euch rüber.
Und dann werdet ihr schmecken und sehen und riechen und fühlen,
was das heißt: Barmherzigkeit will ich.
Ihr werdet mir begegnen.
Hier hat alles Platz, was das Leben ausmacht:
hier wird geweint und gelacht, geschmatzt und gemalt,
einer schaut missmutig und grummelt vor sich hin,
eine lächelt und nimmt ihn in den Arm,
Einer ruht sich aus und eine andere spielt mit den Kindern.
Und auch, wenn sich einer daneben benimmt, behält er seine Würde.
Und darf morgen wieder kommen.
Denn dann bin auch ich wieder da.

IX.
Die Vesperkirche hört heute auf. Bis zum nächsten Jahr.
Aber die Wärme und die Weite und die Liebe nehmt ihr mit in euer Leben.
Und ihr breitet sie weiter aus.
Ihr, die ihr Essen ausgeteilt und Kaffee ausgeschenkt habt.
Und die ihr gespült habt und Brot geschmiert und Toiletten geputzt.
Und auch ihr, die ihr hier Gäste wart. Täglich oder einmal die Woche.
Ihr Trauernden, Einsamen, Fröhlichen, Ängstlichen und Kranken.
Ihr Klugen, Schönen, Gestressten, Gelangweilten.
Alle ihr nehmt die Liebe mit. Die Weite. Und die Wärme.
Und ihr sagt nein, wo Menschen ausgegrenzt werden.
Ihr reißt Schranken und Mauern ein oder klettert einfach darüber.
Das ist nicht leicht. Und es wird Menschen geben, die das nicht wollen.
Aber Jesus wird dann auch da sein.
Und es sich bei euch bequem machen.

Und dann werdet ihr sagen:
Gut, dass ich hier bin.
Komm, setz dich mit mir an den Tisch.
Amen.

Montag, 6. Februar 2017

Majestätisches Leben und Sterben

Predigt zu Matthäus 17,1-9 und zu Filmausschnitten von "Das Beste kommt zum Schluss" (The Bucket List)

Wir haben die Filmausschnitte während der Predigt vorgeführt (und natürlich dafür auch eine Lizenz eingeholt). Gott sei Dank hatte ich einen guten Techniker, der die Ausschnitte vorher heruntergeladen hat. Aber die Szenen sind auch so gewählt, dass man zur Not "hinspringen" kann). Zum Verständnis der Predigt gebe ich sie relativ ausführlich wieder (mit dieser Schriftfarbe). Eine Inhaltsbeschreibung des gesamten Films findet man unter https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Beste_kommt_zum_Schluss
Das Lied in der Predigt hatte sich das Gottesdienstteam zuvor gewünscht. 
Die Bibeltextstellen wurden von einem Teammitglied gelesen.


I.
Szene 1 (0:19 - 1:20)
(Himalayagebirge - ein Bergsteiger stapft mühsam durch Schnee und Eis bergan. Dazu eine Stimme (Carter):)
Edward Perriman Cole starb im Mai. Es war ein Sonntag nachmittag und es war nicht eine Wolke am Himmel. Es ist schwer das Leben eines Menschen in seiner Bedeutung zu beurteilen. Einige würden sagen, man misst es an denen, die man zurücklässt. Einige würden sagen, man misst es am Glauben oder an der Liebe. Andere wiederum sagen, das Leben hat nicht die geringste Bedeutung.
Ich - ich glaube man misst sich an den Menschen, die sich ihrerseits an einem selbst messen.
Was ich Ihnen mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Edward Cole, egal woran man es messen will, in seinen letzten Tagen mehr gelebt hat, als es die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben tun. Ich weiß, als er starb, waren seine Augen geschlossen und sein Herz offen.


II.
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich 
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, 
und führte sie allein auf einen hohen Berg.

Gleißendes Licht vor dunkelblauem Himmel.
Mühsames Stapfen durch Geröll und Sand. Und Schnee und Eis.
Und dann endlich oben angekommen. Müde. Aber frei.
Auf die Welt schauen.
Und Gott spüren. Ganz allein mit Jesus.
Ohne die anderen.
Ohne die, die immer was von einem wollen,
und man weiß nicht, was man für sie tun kann.
Gott ganz nah in dieser dünnen Luft,
wo das Blau intensiver ist als sonst und die Sonne heller scheint.
Am Ende der Welt. Auf dem Dach der Welt.
Und das Herz wird weit.

Die Herzen von Edward und Carter sind eng,
als sie sich das erste Mal begegnen.
Denn sie sind todkrank.
Carter, der kluge, gläubige Familienmensch,
und Edward, der zynische, reiche Krankenhausbesitzer.
Beide in einem Zimmer.
Beide mit derselben Diagnose: nur noch ein paar Monate.
Sie könnten aber unterschiedlicher nicht sein.
Und doch freunden sie sich an. Öffnen zaghaft ihre Herzen.
Vielleicht spüren sie, dass sie füreinander gut sein können.

III.
Szene 2 (Kapitel 7 - 28:16 - 32:34) 
Im Krankenzimmer: Thomas (der eigentlich Matthew heißt) zieht die Gardinen auf ("Begrüßen wir den Tag mit einem Lächeln" - Stinkfinger von Edward - "ja, oder so") - Edward nimmt einen auf dem Boden liegenden, zerknüllten Zettel aus Toms Hand, bevor der diesen wegwirft. Edward sagt Thomas, das er bei Christies dieses Jahr nicht bieten wird. Tom fragt Edward, was er tun soll im Falle des Todes. „Gehen Sie vor, als wäre es ihr eigener“ - und schickt ihn Mandelcroissants holen
Thomas verlässt den Raum. Edward faltet das Papier auf und liest.
Carter (C) wird wach - sieht, das Edward (E)den Zettel liest. 

C:Was machst du da?  
E: Was ist das?
C (genervt): Komm, gib es her.
E: Es lag auf dem Boden. Ich wusste nicht, dass es ein Staatsgeheimnis ist
C erklärt, dass die Idee von seinem Philosophieprofessor stammt, als Aufgabe im vorausschauenden Denken. Sie sollten damals eine Löffelliste erstellen: was sie tun wollen, bevor sie den "Löffel abgeben".
C: Ich wollte nun die Liste erneuern. Aber dann…. 

E liest: „Einem fremden Menschen etwas Gutes tun - Lachen bis ich weine - das sind nicht unbedingt Brüller
C: Naja, jetzt ist es ja sowieso egal.
E: Ich würde sagen: das Gegenteil ist der Fall!  (Fängt an zu schreiben). 

C: Was machst du da?
E: Nur eine kleine Korrektur. Ich meine, willst du nicht abtreten wie ein Mann?
Feuerwerk, Kanonenschüsse, Ramba Zamba
C: So war das nie gedacht… Kanonenschüsse, Ramba Zamba....
Du verdrehst komplett den Sinn der Sache!
E: Was zum Geier soll das sein: Etwas Majestätisches erfahren?
C lächelt: warst du mal im Himalaya?
E rollt mit den Augen: Eine Fahrt mit dem Mustang Chevy - nicht übel
Ich habe auch eine Idee: Fallschirmspringen - wie wäre es damit?  - C stöhnt.
E: Jetzt kommen wir der Sache schon bedeutend näher
C: Wir kommen der Sache näher? Lass mal sehen...
E. gibt C die Liste. C liest. Lacht.
C: Das schönste Mädchen auf der Welt küssen? Und wie bitte willst du das anstellen?
E: Nie aufgeben        

C + E lachen gemeinsam
C liest weiter: Ein Tattoo - das sind deine verbliebenen Wünsche?
Ich habe Bäder genommen, die tiefgründiger waren.
E: im ersten Semester Philosophie ist Tiefgründigkeit leicht.
Was hat Doktor H. Gesagt? Wir haben nur noch Monate, richtig?
C: 1 Jahr vielleicht
E: Weißt du nicht, wie schnell 45 Jahre vergangen sind? 

Wir könnten das tun - Wir sollten es tun!
C: Nein, nein, ich könnte das gar nicht...
E: Wenn ich etwas habe, dann Geld. Also lassen wir das aus dem Spiel!
C: Aber ich  - nein, ich weiß nicht.  

E: Was weißt du nicht?
C: Das Ganze war anders gemeint. Ein metaphorischer Gedanke. Ich wollte doch nur irgendwie versuchen….
E: Bla bla bla - Metaphern - du jammerst doch rum, dir sei so viel entgangen…  Hier ist deine Chance
C: Eine Chance für was? Mich wie ein Idiot aufzuführen?
E: Es ist nie zu spät.


IV.
Edward und Carter machen sich auf den Weg.
Die Löffelliste erledigen, bevor es zu spät ist.
Einem fremden Menschen was Gutes tun.
Lachen, bis ich weine.
Fallschirm springen.
Autorennen. Ein Tattoo stechen lassen.
Safari. Pyramiden. Taj Mahal.
Edward erzählt auf der Reise von seiner Tochter, mit der er sich zerstritten hat.
Und Carter weiß nicht, ob er zu seiner Frau zurückkehren soll.
Offene Fragen: Wie willst du bestattet werden?
Hat wirklich ein Gott die Sterne geschaffen?
Wartet er am Ende des Lebens auf mich?
Wird sich die Pforte für mich öffnen? ———
Schließlich landen Carter und Edward sogar im Himalaya.
Und das ist der Wendepunkt ihrer Reise.

V.
Nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich 
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, 
und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen,
und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus:
Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke.
Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach:
Steht auf und fürchtet euch nicht!
Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach:
Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen,
bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.


VI.
Etwas Majestätisches erfahren.
Petrus und Jakobus und Johannes.
Mit gleißendem Licht und blauem Himmel,
einem strahlenden Jesus,
wie Schnee, nur noch heller.
Und eine mächtige Stimme aus einer Wolke.
Majestätischer geht es fast nicht mehr…
Eine Sternstunde im Glauben.

Zweifel sind weggeblasen vom Gipfelwind,
die Welt liegt zu Füßen.
Von Angesicht zu Angesicht mit Mose, Elia und Jesus.
Garanten für den richtigen Weg.
Zeugen für Majestätisches, das wirklich erfahren werden kann.
Endlich alles klar sehen und alles hautnah fühlen.
Sich endlich sicher sein, dass man auf der richtigen Seite steht.
Ja, hier ist gut sein.

Ob sie ein Loblied angestimmt haben?
So wie das, das wir nun singen?

Lied:
Herr, im Glanz deiner Majestät
auf den Stufen vor deinem Thron
stehen wir in deinem Licht. und singen dir Lieder
Du, o Herr, bist die Quelle des Lebens
und von dir leben wir


VII.
Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.


Schön wär’s gewesen, nicht wahr, Petrus?
Diesen majestätischen Moment festhalten,
wo der Himmelsglanz die Luft erfüllt und der Atem stockt.
Diese Klarheit nie wieder eintauschen.
Keine Vergangenheit, kein Alltag breitet seine Schatten aus.
Nur Himmel und Glanz und Schein.
Auf dem Berg bleiben - ganz oben.
Hütten bauen und da bleiben.
Keine täglichen Nachrichten über neue Dekrete von Trump.
Die Hilflosigkeit der EU geht mich nichts mehr an.
Und ob die Rechten immer mehr Macht auch bei uns bekommen,
braucht mich nicht mehr zu interessieren.

Manchmal müssen Menschen über sich selbst hinaus blicken.

Müssen Berge erklimmen. Den Blick weiten. Auf Abstand gehen.
Eine Löffelliste erstellen und in die Tat umsetzen.
Sonst bleibt ein Menschenleben kleiner als Gott es gemeint hat.

Du brauchst den weiten Blick, nicht immer, aber von Zeit zu Zeit.
Auch den Blick von oben in die Tiefe brauchst du.

Für einen Augenblick mehr zu sehen als vor Augen scheint.

Der Moment, in dem Gott dir begegnet
und du etwas von seiner Größe erkennst

und von seinem Glanz.

VIII.
Und trotzdem, keiner kann ewig auf dem Gipfel bleiben.
Du kannst solche Momente nicht festhalten und das ist gut so.
Petrus, Jakobus und Johannes wollen gerade Baumaterial zusammenschleppen,
da hören sie die Stimme:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören!


Der liebe Sohn bleibt nicht in den Höhen des Himmels,
sondern steigt in die Tiefen hinab.
Er ist keine übermenschliche menschenferne Lichtgestalt,
sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Er nimmt Kinder in den Arm,
sitzt mit Zöllnern und Sündern an einem Tisch,
und schreit vor Schmerzen als er stirbt.
Der Sohn Gottes bleibt nicht oben, sondern geht nach unten.
Geht tief hinein und bleibt nicht außen vor.
Denn genau das macht ja seinen Glanz aus:
Er gilt nicht nur den Gipfeln,
sondern auch und gerade den Tiefen und Abgründen des Lebens.
Gottes Licht ist oben und unten,
auch da, wo Menschen viel zu früh sterben,
oder zu müde sind, um aus dem Bett aufzustehen.
Es leuchtet wie das kleine Nachtlicht,
das mich als Kind im Dunkeln getröstet hat.


IX.
Und weil das so ist, kannst auch du nicht auf dem Berg bleiben.
Du musst absteigen, zurückkehren.
In den Alltag zurück.
Dort, wo die anderen sind,
und die Steine, der Staub und der Nebel,
aber auch die Liebe und die Lust und die Tränen.
Nicht der Berg ist der heilige Ort, sondern dein Leben.

Carter und Edward haben das nach vielen Gipfeln auf ihrer Reise verstanden.
Den Himalaya bekommen sie nicht zu sehen.
Das Wetter ist zu schlecht.
Und so kehren sie zurück von ihren Gipfelerlebnissen,
ohne das Majestätische so erfahren zu haben,
wie sie es sich vorgestellt haben.
Und auch sonst konnten sie nicht alles von ihrer Löffelliste erledigen.
Sie trennen sich sogar im Streit.
Vielleicht steht das Eigentliche noch aus?

Doch dann muss Carter nochmal operiert werden.
Und er weiß, jetzt ist es ernst.
Er gibt Edward die Löffelliste und einen Brief.

X.
Szene 3 (Kapitel 22 - 1:23:20 - 1:25:35)
Ständige Bildwechsel zwischen Edward, der zu seiner Tochter fährt, und dem Krankenhaus.
(Edward sitzt im Auto und öffnet einen Brief. Carters Stimme:)
„…ob ich diesen Brief schreiben soll oder nicht. 

Letztendlich hatte ich das Gefühl, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht täte  
(Bildwechsel: Carter bei der OP)
Hier ist er also.
Ich weiß, (Bild von betender Familie Carters) 

wir haben nicht gerade die harmonischten Töne getroffen, als wir zuletzt auseinander gingen,
Natürlich wollte ich nicht, dass unsere Reise so endet.

(Edwards Auto, das vor einem Haus hält)
Ich glaube, dass das meine Schuld war. Und mir tut das sehr Leid.   

(Edward vor dem Haus)
Aber ehrlich gesagt, wenn ich die Chance hätte (Edwards Tochter öffnet die Tür),
ich würde es wieder so machen.  

(Edward überreicht seiner Tochter eine große Pflanze /
Bildwechsel: Virginia, Carters Frau, füllt sich Kaffee ein)
Virginia sagte, ich sei als Fremder gegangen und als Ehemann zurückgekehrt 

(Virginia sieht den Arzt kommen)
Das verdanke ich dir.

(Bildwechsel: Edward mit seiner Tochter) 

Ich werde mich für all das, was du für mich getan hast, nie revanchieren können.
Also versuche ich es gar nicht erst, 

sondern bitte dich lieber, noch etwas für mich zu tun.
Finde die Freude in deinem Leben.  

(Bildwechsel: Virginia erhält die Nachricht vom Tod Carters)
Du hast mir einmal gesagt, du bist nicht jeder. 

Nun, das ist wahr (Virginina weint)
Du bist ganz sicher nicht jeder. Ich aber: Jeder ist jeder.

(Virginia wird von ihrem Sohn getröstet /
Bildwechsel: Edward mit seiner Tochter)
Mein Pastor sagt immer: 
(Ein Mädchen, Edwards Enkeltochter, kommt herein)
Jedes Leben ist ein Bach, der in denselben Fluss mündet, 

der in ein Jenseits fließt, das im Nebel hinter den großen Wasserfällen liegt. 
(Edward beugt sich zu herab  - er küsst das Mädchen)
 
Finde die Freude in deinem Leben, Edward.  

(Edward streicht „Kiss the most beautiful girl in the world“ auf der Löffelliste durch - 
Bildwechsel: Carter liegt tot aufgebahrt - mit geschlossenen Augen, Virginia nimmt Abschied)
Lieber Freund, schließe deine Augen und lass dich von dem Fluss nach Hause tragen.


XI.
Finde die Freude in deinem Leben.
Geh ins Leben hinein und nicht heraus.
Das Leben ist dein heiliger Ort.
Versöhne dich mit dir selbst und küsse das schönste Mädchen der Welt.
Steige vom Berg herab,
von da oben, wo du denkst, dass dir die Dinge nichts anhaben können.
Versteck dich nicht hinter der Maske des Unangreifbaren,
öffne aber dein Herz.

Steht auf und fürchtet euch nicht!
Steh auf - hab keine Angst! Finde die Freude in deinem Leben.
Diesen Ruf gönne ich der Welt von ganzem Herzen.
Ich möchte ihn weiter rufen.

Steht auf und fürchtet euch nicht!
Ich möchte das denen zurufen, die in sich mit einer Mauer umgeben
und Angst vor dem Leben haben.
Ich möchte das den Menschen zurufen, die Rechtspopulisten wählen
mit ihrer Angst vor dem Fremden und vor Veränderungen.

Steht auf und fürchtet euch nicht!
Ich möchte es denen zurufen, die die Vergangenheit verklären
und die Schattenseiten nicht wahrhaben wollen.
Die den Dresdner Oberbürgermeister bedrohen,
weil er gesagt hat, Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen.
Findet die Freude in eurem Leben jetzt.

Steht auf und fürchtet euch nicht!.
Stehen wir zusammen auf und steigen herab.
In eine Welt hinein, in ein Leben,
wo Gewalt und Hass keinen Platz mehr haben sollen.
Wo wir uns gegenseitig Freude machen.
Und die Herzen offen sind.

XII.
Majestätische Gipfelerlebnisse - du kannst sie nicht festhalten.
Aber sie bringen Himmel und Erde zusammen.
Und du bist dazwischen.
Und erfährst Tag für Tag und im Kleinen das Majestätische.
Das Große. Gott.

Und am Ende -
am Ende darfst du auf dem Gipfel bleiben.
Dort, wo das Licht klar ist und der Himmel tiefblau.
Wo das Leben heilig ist.
Deine Löffelliste - ist vollbracht.
Majestätisch bist du.
Mit geschlossenen Augen und offenem Herzen.


XIII.
Szene 4 (Kapitel 22 - 1:25:36 - 1:28:32)
(Edward steht vor der Trauergemeinde)
Guten Tag, mein Name ist Edward Cole.
Ich weiß nicht, was man normalerweise bei solchen Gelegenheiten sagt.
Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich hab sie zu vermeiden versucht.
Das einfachste wäre, dass ich ihn lieb gewonnen hatte. Ihn vermisse.
(Edward ringt um Fassung - holt die Löffelliste heraus). 

Carter und ich haben die Welt zusammen gesehen.
Das Erstaunliche daran ist, dass wir noch vor 3 Monaten vollkommen Fremde füreinander waren.
(E streicht durch: „Einem fremden Menschen etwas Gutes tun“)
Ich hoffe, dass es nicht allzu egoistisch klingt, 

aber die letzten Monate seines Lebens waren die besten Monate von meinem. 
Er hat mein Leben gerettet. Und das wusste er, bevor ich es wusste.

(Bildwechsel: Wieder Himalaya, der Bergsteiger ist zu sehen - Stimme von Edward:)
Ich bin zutiefst stolz, dass dieser Mann es für wert erachtet hat, mit mir befreundet zu sein. 

(Bergsteiger kommt beim Gipfel an) 
Schlussendlich glaube ich aber sagen zu dürfen, dass wir uns gegenseitig Freude gemacht haben. (Bergsteiger setzt Rucksack ab)
Und wenn ich eines Tages an meine letzte Ruhestätte gelange, 

(Der Bergsteiger nimmt die Atemmaske vom Gesicht. Es ist "Thomas", der Assistent von Edward. Er öffnet den Bergstein)
und es dazu kommen sollte, dass ich vor einer bestimmten Pforte aufwache, 
hoffe ich, dass Carter dort ist.  
(Eine Kaffeedose wird sichtbar)  
Um ein gutes Wort für mich einzulegen. 
Und um mir den Weg auf die andere Seite zu zeigen.
("Thomas" holt aus dem Rucksack eine zweite Kaffeedose mit der Asche von Edward heraus)

(Stimme von Carter:)
Edward Perriman Cole starb im Mai. 

Es war ein Sonntag nachmittag und es war nicht eine Wolke am Himmel  
(Thomas stellt  die 2. Kaffeedose in den Stein zur anderen dazu). 
Er war 81 Jahre alt. 
(Thomas holt die Löffelliste heraus und streicht den ersten Satz durch: 
„Etwas Majestätisches erfahren - dann legt er sie zu den beiden Dosen)
Ich finde es auch jetzt noch schwer, 

das Leben des Menschen in seiner Bedeutung zu beurteilen.
Aber was ich Ihnen sagen kann, ist: 

ich weiß, als er starb waren seine Augen geschlossen  
(Thomas schließt den Stein)  
und sein Herz war offen.
Und ich bin sicher, dass er mit seiner letzten Ruhestätte sehr zufrieden war.
(Thomas setzt sich den Rucksack wieder auf und geht weg)
Denn er wurde auf einem Berg begraben. Und das war gegen das Gesetz
(Blick über die Berggipfel)


Amen.


Sonntag, 29. Januar 2017

Schwankend in den Wellen der Welt

Predigt zu Matthäus 14, 22-33 - Christuskirche Pforzheim 29.1.2017

(mit herzlichen Dank an Philipp Rottach und Michael Greller für geniale Ideen und Formulierungen, die in diese Predigt hineingeflossen sind)

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen 
und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 
Und als er das Volk hatte gehen lassen, 
stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. 
Und am Abend war er dort allein. 
Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt 
und kam in Not durch die Wellen; 
denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: 
Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: 
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: 
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
Und er sprach: Komm her! 
Und Petrus stieg aus dem Boot 
und ging auf dem Wasser 
und kam auf Jesus zu. 
Als er aber den starken Wind sah, erschrak er 
und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: 
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 
Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: 
Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!I. 


I.
Losgefahren. Mitten hinein.
Geht hin in alle Welt, sagt er. 
Fahrt über die Tiefen des Sees, 
über die Bodenlosigkeiten der Welt. 

Und wartet nicht auf den besten Zeitpunkt.
Denn der ist jetzt.
Auch wenn der Wind euch entgegenbläst.
Fürchtet euch nicht!

Und jetzt bläst der Wind.
Und du mittendrin im Boot. 
Das Ufer ist weit weg. 
Du klammerst dich fest an der Reling. Aber sie ist rutschig.
Es ist dunkel. Und dir ist schlecht. 
Ein dahinschlingernder Halt. 
Wo es keinen Halt gibt. 
Du weißt nicht, was richtig ist. 
Und wo das Chaos lauert und der Gegenwind dich frieren lässt.
Fürchtet euch nicht!

II.
Unaufhörlich schlagen die Wellen gegen das Boot, 
toben und tosen um dein Leben herum. 
Wenn du denkst, dass es jetzt mal ruhiger werden könnte, geht es erst richtig los.
Als das Kind krank war und du bei der Arbeit nicht fehlen konntest, 
weil ein Projekt abgeschlossen werden musste.
Als dein Mann ein Pflegefall wurde 
und du selber kaum noch die Kraft hattest, ihm beizustehen.
Als die Bomben auf dein Haus fielen 
und du wusstest, jetzt kann ich nicht mehr bleiben. 
Und du sammeltest das bischen, was noch da war, 
zogst die Kinder an und gemeinsam suchtet ihr den Weg raus. 
Und dann wart ihr endlich an der Grenze und es ging nicht mehr weiter. 

Unaufhörlich schlagen die Wellen gegen das Boot.
Die ständigen Ankündigungen von Donald Trump. 
Die jüngsten Daten zum Klimawandel. 
Die brennenden Flüchtlingsheime.
Der Hass. Die Angst. Die Häme. Der Rassismus.
Neue Medien, Segen oder Fluch, Flüchtlinge, 
Rechtspopulismus, Obergrenze, 
Arbeit und noch mehr Arbeit, Sorgen um die Rente, 
Fake-News, Oberbürgermeisterwahl, Kirchenreform...
(puh....)
Und die Gischt spritzt dir ins Gesicht 
und hängt sich wie Tränen an deine müden Augen. 
Fürchtet euch nicht!

III.
Das Boot schlingert und schaukelt. 
Ohne einen, der den Sturm beruhigt. 
Der alles friedlich macht.
Oder wenigstens Brot und Wein verteilt.
Ohne Jesus.

Doch kurz vorm Morgengrauen kommt er.
Kommt ins laute Brausen hinein. 
Mitten im Wasser.
Läuft über die Tiefen und die Tiefen haben ihn nicht ergriffen. 

Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, 
erschraken sie und riefen: 
Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 

Das Leben tobt rundherum.
Die Welt spielt verrückt.
An Jesus kannst du womöglich grade nicht denken.
Es ist ja so viel anders. Schlimmes.
Und wenn er dann kommt?

Ist es Trost? Ist es ein Schrecken?
Hast du noch mit ihm gerechnet?
Oder ist er ein verzerrtes Wunschbild?
Aber er spricht.
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Es braust. Das Boot schwankt.
Kein Grund zu sehen.
Und dann das Wort. Nur das Wort. 
»Fürchtet euch nicht. Ich bins.«
Mehr hast du nicht.
Aber das hast du. Das wohl.
„Ich bins. Fürchtet euch nicht.“

IV.
Jesus soll einsteigen. Denkst du.
Er soll die Wellen beruhigen. 
Das Boot sicher machen - und die Welt auch. 
Halt geben. Frieden.
Aber er tut es nicht. Noch nicht.
Jesus bleibt auf Distanz. 
Er bleibt auf dem Wasser, in den Wellen, über den bodenlosen Tiefen.

Er bleibt da draußen.
Sitzt in der Pressekonferenz und hört Donald Trump zu, 
schaut sich kurz bei Twitter um, 
rast mit dem gestressten Vertriebsleiter zu seinem Meeting, 
und starrt mit den Verzweifelten die Wand an. 
Besucht die Mineure im Ispringer Tunnel 
und wischt der Hebamme den Schweiß von der Stirn. 
Dann teilt Jesus mit dem gemobbten Jungen aus der 8a sein Pausenbrot 
und fährt mit einem Flüchtlingsboot von Libyen nach Lampedusa, 
lässt eine Nelke in ein frisches Grab fallen 
und hat dabei Tränen in den Augen. 
Er weint um die Millionen von den Nazis Ermordeten 
und wartet in Kairo mit den fassungslosen Flüchtlingen, 
die nicht in die USA einwandern dürfen, weil sie Muslime sind. 
Und er hört staunend die Reden auf AfD-Parteitagen, 
wo sie seine Wahrheit mit Füßen treten 
und seine Worte der Nächstenliebe belächeln.

Da bleibt er.
Mittendrin im Sturm und im Gegenwind. 
Jesus stillt ihn nicht. Spricht kein Machtwort. 
Auch wenn du es dir wünscht.
Sondern er ist mittendrin. Draußen.
Ich bins’s. Fürchtet euch nicht!

V.
Geht hin in alle Welt. 
Bleibt nicht im Boot, 
verkriecht euch nicht vor den Wellen.
Wagt es rauszugehen! 
Verlasst die Sicherheit eurer Gottesdienste und Gemeindehäuser 
und geht in die Kneippen, Chatrooms und Bürgerversammlungen
oder wie die New Yorker auf den Flughafen*.
Sagt mutig die Wahrheit. 
Geht meinen Weg. 
Seid Salz, seid Licht. 
Seid da. 
Mittendrin in den Wellen.
Fürchtet euch nicht!

Und du kletterst auf die Reling. 
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
Kein: Befiehl dem Sturm aufzuhören.
Kein: Komm in unser Boot.
Sondern: Befiehl mir zu dir zu kommen. 
In deine Nähe. 
Auf den unsicheren Grund.
In die Wellenberge und die bodenlose Tiefe. 
Die letzte Sicherheit verlassen. 
Auf dein Wort hören. Dir vertrauen. 
Bei dir Halt finden, wenn ich schon sonst keinen Halt habe.
Sprich du nur ein Wort, so.… so schaffe ich es vielleicht.

Und er sprach: Komm her! 
Und du steigst mitten in die Wellen. In die wirre Welt

Ein Schritt.
Und noch einer.
Schwankend.
Der Blick: Zu Jesus.
Jesus, dein Trost im Leben und Sterben.
Fürchtet euch nicht!

VI.
Doch dann verlässt dich der Mut. 
Außerhalb vom sicheren Boot. 
Wellen und Wind hautnah.
Sie reißen dir deine Sicherheiten aus der Hand. 
Du erschrickst vor deinem Mut. 
Vor dem, was da unten lauert.
Die Angst hat dich wieder im Griff.
Auch mit Jesus. 

Du wolltest endlich mal widersprechen, 
wo andere klein gemacht werden.
Aber dann fehlen dir doch die richtigen Worte.
Du wolltest gegen die ewigen Nörgler ankämpfen 
und sie bitten, mit an zu packen. 
Aber dann denkst du, wer bin ich schon? 
Und vielleicht ist das da ja doch nicht Jesus, sondern nur ein Gespenst?
Vielleicht stimmt das ja gar nicht mit dem Reich Gottes und mit der Liebe für alle?
Vielleicht haben ja die Spötter und die Selbstgerechten recht und die Neider auch?
Du solltest möglich schnell wieder Land gewinnen, denkst du.
Und diese Wellen sind wild und die Stimmen viel lauter als Jesus.

Dich verlässt der Mut und du versinkst.
Du spürst, wie die Wellen über dir zusammenschlagen.
Und du weißt, du schaffst das nicht alleine.
Herr, hilf mir, rufst du.

Herr, hilf mir...

VII.
Und dann: 
Zugreifen: Da ist die Hand.
Gottes Hand. Jesu Hand.
Ich bin’s. Fürchtet euch nicht!
Festhalten!

Und er zieht dich nach oben.
Nimmt dich mit ins Boot.
Das Herz klopft immer noch.
Und du verstehst keineswegs alles.
Aber Jesus ist da, rührt dich an.
Mit seinen Worten.
Mit seiner Hand.

Ich bins. 
Bin mitten in der Welt bei dir. 
Ich bin da, wo du bist. 

VI.
Ich bin’s. Fürchtet euch nicht!
Mittendrin im Boot. 
Das Ufer ist weit weg. Und du bist in der Welt. 
Nicht am rettenden Ufer, 
sondern dort, wo es tost und tobt und rauscht.
Aber du bist nicht allein. 
Auch nicht, wenn du deinen Fuß aufs Wasser setzt.

Du weißt: es geht. 
Mit Jesus ist Unmögliches möglich.
Und ich schaffe es.
Du wirst mutig. Und wagst wieder mal etwas Neues. 
Denn Jesus ist da und ruft dir zu: Komm her.
Du vertraust ihm. Und der Wind legt sich.

Aber du weißt auch, dass es nicht immer klappt.
Du versinkst. 
Du bist Teil des weltlichen Tobens, 
machst mit beim Rennen und Jagen. 
Beim Neiden und Verzagen.
Aber auch dann bist du nicht allein.
Jesus nimmt deine Hand.
Und er steigt mit dir ein in dein Boot - 
zu den anderen, die genauso Angst haben wie du.
Und gemeinsam wisst ihr: Jesus ist Gottes Sohn.
Er ist Gottes Sohn, weil er bei euch ist, 
auch in tosenden Wellen. 
Er ist Gottes Sohn, weil er dir Grund gibt. 
Selbst wenn du versinkst.

Ich bin’s. Sagt er. Fürchtet euch nicht!
Geh hin in alle Welt. 
Der Gottessohn hält dich.

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

*) Gestern (28.1.2017) haben angesichts des Dekrets des US-Präsidenten, Menschen aus 7 Ländern trotz vorhandener Visa etc. nicht mehr einreisen zu lassen, tausende Amerikaner*innen an den Flughäfen in den USA demonstriert. In New York waren es m.W. besonders viele

Sonntag, 8. Januar 2017

Mittendrin - im Jordan, auf der Mahnwache, im Leben

Predigt zu Matthäus 3,13-17 - Stadtkirche Pforzheim 8.1.2017
(mit Dank an Michael Greßler, Thomas Hirsch-Hüffel, Birgit Mattausch und Friederike Goedicke fürs kritische Mitdenken)

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes,
dass er sich von ihm taufen ließe.
Aber Johannes wehrte ihm und sprach:
Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde,
und du kommst zu mir?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihm:
Lass es jetzt geschehen!
Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.
Da ließ er's geschehen.
Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf,
und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren
und über sich kommen.
Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

(Matthäus 3,13-17)

I.
Mittenhinein tritt der Gottessohn.
Mitten in das Volk.
In den Fluss.
Mitten ins Leben.

Dieses Mittenhinein hört einfach nicht auf.
Voller Gnade lässt Gott sich nicht bremsen.
Der Stall, die Hirten, das dunkle Feld.
Mittenhinein.
Die Flucht nach Ägypten, weil einem Mächtigen das einzelne Leben nichts zählt.
Mittendrin.
In der Menge, die gebannt dem Täufer zuhört.
Mittenhinein.
In das Wasser, das allen Unrat mit sich führt, und von dem doch alle leben.
Die Stimme, die vom Himmel kommt.
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Auch sie kommt mittenhinein.
Weil der Himmel offen ist.

II.
Dabei ist er doch wirklich was Besonderes.
Hat einen tadellosen Stammbaum.
Gelehrte verneigen sich vor ihm.
Ein Stern weist den Weg.
Engel begleiten die Eltern.
Viel Licht. Viel Bewegung. Seinetwegen.
Der wahre Gottessohn.
Das ist keine kleine Nummer, sondern richtig groß.
Größer als ich. Und als du. Und als Johannes.
Größer als wir alle zusammen.

Aber das erste, was der Gottessohn tut:
er predigt nicht, tritt nicht auf wie ein Gottessohn,
sondern er geht mittenhinein,
stellt sich mit all den anderen ins Wasser und lässt sich taufen.
Er selbst stellt sich nicht über Johannes, sondern neben ihn und unter ihn.
Zusammen mit den Sündern. Mit denen, die Johannes zur Umkehr ruft.

III.
Das geht doch nicht.
Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde,
und du kommst zu mir?

Es geht nicht, dass du als Kind in der Krippe liegst.
Es geht nicht, dass du dich in eine Reihe stellst mit diesen Leuten hier.
Mit denen, die keine Ahnung haben.
Und die sich nicht an die Gesetze halten.
Oder die aus der Reihe tanzen, einfach so.

Es geht nicht, dass du dich nächste Woche hier an die Tische der Vesperkirche setzt.
Da, wo die sitzen, die gerade besonders frieren.
Und die, deren Ehe kaputt gegangen ist.
Und die, deren Wohnung noch kalt ist, selbst wenn die Heizung heiß bollert.
Es geht nicht, dass du das Geschirr abspülst, nebenan im zugigen Durchgang.
Es geht nicht, dass du im Bett in der Thalesunterkunft liegst, wo du nicht schlafen kannst, weil dein Bettnachbar ständig umherläuft. Ruhelos. Rastlos.
Es geht nicht, dass du wie Sansal im türkischen Gefängnis sitzt, vorher zusammengeschlagen, weil du die Politik von Erdogan kritisierst.
Das alles geht nicht. Denn du bist doch groß.
Königlich. Herrschaftlich. Göttlich.

IV.
Lass es jetzt geschehen!
Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.

Mach nicht groß 'rum mit dem, was geht oder nicht geht.
Lass es zu.
Lass die Liebe geschehen: Gott hat sie für jeden und jede.
Lass das Recht geschehen:
Es gilt auch dann schon, wenn die Welt noch unterscheidet zwischen Rechtlosen und Rechthabenden, zwischen linker Tür und rechter Tür.
Hier und jetzt, mittendrin geschieht das Reich Gottes.
Es hält sich nicht daran, ob es in deinen Augen geht oder nicht.
Lass es jetzt geschehen!
Denn Gott nimmt das Geschehen in die Hand.
Hier und jetzt, wenn ein Großer ins Wasser steigt zu den Kleinen.
Wenn er sich in die Reihe stellt zu denen, die sich nach Liebe sehnen,
nach Angenommensein, nach Güte.
Hier und jetzt und nicht erst, wenn wir meinen, uns das leisten zu können.
Lass es jetzt geschehen!

V.
Da ließ er's geschehen.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf.

Das Geschehenlassen ist schwer.
Nicht nur für Johannes.
Das Heft nicht in der Hand zu haben.
Auf Kontrolle verzichten.

Mir ging das so, als ich die Mahnwache für die Opfer von Aleppo organisiert habe.
Kurz vor Weihnachten.
Über das Forum Asyl wurden auch syrische Flüchtlinge eingeladen.
Diese wollten aber nicht nur teilnehmen, sondern auch aktiv gestalten.
Aber so richtig erklären konnten sie mir nicht, was sie machen wollten.
Ich machte noch deutlich, dass ich keine Kampfansagen will.
Sondern dass wir der Opfer gedenken. Dass wir um sie trauern. Für sie beten.
Erst recht nach dem Anschlag in Berlin.
Ja, sie nickten.

Aber ab dann hieß es für mich:
Geschehen lassen. Auf Kontrolle verzichten.
Was würde kommen? Würden sie eine Anti-Assad-Demo machen?
Wir alle wissen ja, dass es da nicht nur eine Seite der Bösen gibt.
Konnte ich das wirklich geschehen lassen?

Was dann zu sehen war, war für mich das Berührendste der letzten Wochen.
Kinder und Jugendliche spielten Vogelgezwitscher, Gewehrschüsse und Bombendonner per Handy ab - mitten auf dem Leopoldsplatz.
Dazu zeigten sie, wie es ihnen in Aleppo erging:
Auf der Straße spielen und dann nach Unterschlupf suchen.
Ausgebombt werden. Tote beklagen. Tote begraben.
Dann ein Lied - vorgesungen von Kindern. Übersetzt von einem 12jährigen.
Und wir, die wir zuschauten, standen dicht an dicht -
mit Kerzen in der Hand
und wir trauerten gemeinsam mit den syrischen Flüchtlingen.
Da ließ er's geschehen.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf.


Ja, der Himmel tat sich auf - mittendrin, auf dem Leopoldsplatz.
Auch wenn immer noch Krieg war. Und Trauer und Wut.
Aber wir standen beieinander.
Im Leid um die Toten in Aleppo und in Berlin.
Und Gott war da. Jesus war war.
Der Gottessohn, der in die Abgründe steigt.
Mittenhinein. Mittendrin.

VI.
Mittenhinein kommt eine Stimme - von sehr weit her.
Und doch aus der Mitte, weil das gar nicht anders geht.
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Mein Sohn, der mittendrin ist und nicht von oben herab kommt.
Der soweit mittendrin ist, dass sie ihn rausschubsen.
Der auf Machtsymbole verzichtet und dem Teufel eine lange Nase macht,
aber die Sanftmütigen und die Friedensstifter selig preist.
Er sitzt am Tisch mit den Vesperkirchengästen,
übersetzt das Friedenslied der syrischen Kinder,
teilt sein Brot mit dir.
und bleibt doch unfassbar.
Und das alles geht.
Dieser Sohn sagt dir: auch du bist Gottes Kind, an dem er Wohlgefallen hat.
In der Krippe liegst DU.
Auf der Flucht vor Herodes bist DU.
In das Wasser des Jordans steigst DU.
Und so bist auch DU mittendrin im Leben.
Und du lässt es geschehen.
Hier und jetzt.
Die Wogen der Liebe Gottes umspülen dich.
Und der Himmel tut sich auf.

Amen.