Mittwoch, 27. Dezember 2023

Wie eine Feder

Was der Film "Forrest Gump" mit Weihnachten zu tun hat

Predigt zum 2. Weihnachtstag 2023

1. 

Eine Feder treibt im Wind. Wirbelnd zieht sie ihre Bahnen über der Stadt und landet fast auf der Schulter eines Fußgängers, wird beinahe vom Auto überfahren und fällt schließlich auf die abgewetzten dreckigen Schuhe von Forrest Gump. Der sitzt an einer Bushaltestelle und wartet. Forrest hebt die Feder auf. Sanft hält er sie zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtet sie neugierig, fasziniert. Dann öffnet er seinen kleinen Reisekoffer, holt ein Buch heraus, öffnet es an der Stelle, wo viele Wolken zu sehen sind, legt die Feder sanft hinein und schließt den Koffer wieder. Eine Frau setzt sich neben ihn und beginnt ein Buch zu lesen. Er begrüßt sie und stellt sich vor. Ich bin Forrest, Forrest Gump. Die Frau nickt ihm freundlich zu und liest weiter.

2.

Doch Forrest redet weiter. Erzählt von seiner Mutter und ihrer Pralinenschachtelweisheit.
Und von ihrer Wärme und wie sie ihm Mut gemacht hat. Dass er gut so ist, wie er ist. Er, der nicht so richtig in diese Welt zu passen scheint. Mit seiner Naivität und seinem kindlichen Blick auf das Leben. Er freut sich an den kleinen Dingen wie zum Beispiel die Feder, die zu ihm vom Himmel fällt. Er ist absolut ehrlich und spielt nie mit fiesen Tricks. Verweigert jegliche Manipulationen und überrascht genau damit seine Umwelt. Bei alledem versucht er beharrlich - und meistens rennend - das Wertvollste, Heiligste und Verletzlichste eines Menschenleben zu behüten: die Liebe. Die Liebe ist der rote Faden in seinem komplizierten Leben: die Liebe, die er von seinen Mitmenschen empfangen hat und die er weitergibt. Er glaubt felsenfest an das Gute im Menschen und dass alles im Leben einen Sinn ergibt.

(Feather-Theme z.B. https://www.mytravelingpiano.com/video/forrest-gump-soundtrack/)

3.

Als ich den Film vor 29 Jahren im Kino sah, hab ich hinterher geheult wie ein kleines Kind. Mit seiner naiven Verletzlichkeit hat Forrest mich im Innersten berührt. Als Kind wurde ich oft belächelt für meine Träumereien. Tollpatschig und verträumt - irgendwie nicht geeignet für diese raue Welt - so hieß es oft. Und ja, meine Mutter sorgte sich um mich, ob ich mich überhaupt durchsetzen könnte. Sie selber wurde oft für ihre Gutgläubigkeit ausgelacht. Es scheint bei uns in den Genen zu liegen. 

Manchmal kommt es auch jetzt noch vor, dass ich belächelt werde, nicht ernstgenommen, weil ich nicht fassen kann, was Menschen sich gegenseitig antun. Und weil ich mich nicht damit abfinden will. Ja, ich weiß, auf viele wirke ich eher tough. Aber diese naive, gutgläubige, verträumte Seite ist auch ein Teil von mir. Und ich mag diese Seite, auch wenn sie manchmal untergeht.

Forrest Gump hat das alles wieder anklingen lassen. Er sagt mir: es ist gut so, wie du bist. Auch wenn die Welt es dir manchmal schwer macht. Es ist gut, dass es eine zarte, leichte Seele gibt - wie eine Feder. Manchmal umher wirbelnd und vielleicht wird sie sogar überrollt? Oder sie landet auf dem Schuh genau des Menschen, der sie zu würdigen weiß. Der sich an ihr erfreut und sie schützt und bewahrt.

4.

Forrest Gump scheint nicht in diese Welt zu passen. Und doch hat er sie verzaubert. Forrest hat eine Wirkung auf die Menschen um ihn herum gehabt, ohne es zu wollen. Die Art und Weise, die Haltung, mit der er auf die Welt schaut, verändert die Welt. Und das gehört für mich zu Weihnachten. Der Glaube an das Gute im Menschen, seine unerschütterliche Liebe ausgerechnet zu Jenny, die ihn immer wieder in Stich lässt, seine Freundschaft zu Bubba und Lieutenant Dan - alles versehrte, zutiefst verletzte Menschen, für die er einfach da ist, selbst im Tod - das ist wie Weihnachten.

5.

Ja, das ist Weihnachten ohne Christbaumkerzen und Gänsebraten, ohne Glitzerlametta und Jubelchor. Es ist Weihnachten in der Tiefe, Weihnachten, wenn nach 3 Tagen das Aufräumen anfängt und der Alltag beginnt und man sich fragt: Gilt sie denn immer noch, die Botschaft von Weihnachten? Der Engelruf „Fürchtet euch nicht!“ - der Friedensgruß für alle Menschen. Was bleibt von Weihnachten übrig, wenn die Lieder verklungen sind, die Panzer wieder rollen und die Raketen wieder geschossen werden?

Dass Gott mit seiner Liebe in der Welt ist, das bleibt. Forrest Gump ist einer, für den die Liebe auch dann nicht aufhört, als Jenny stirbt. Sein Blick auf die Welt ist auch dann noch voll mit Liebe und Staunen und Wohlwollen. Wer liebt, schaut anders auf die Welt und entdeckt überall die Spuren der Liebe. Die Spuren von Gottes Herrlichkeit. Schwer wie die Trauer und leicht wie die Feder. Und Forrest ist überwältigt, dass ausgerechnet er einen Sohn hat.

Liedstrophe: 
Da wo die tiefsten Schatten sind, lässt Gottes Licht sich sehn. Noch ist es klein - so wie das Kind, vor dem die Hirten stehen. Sie haben nichts als nur verzagte Herzen mitgebracht. Aber Gott hat den Himmel aufgemacht in der Nacht. Gott hat heute seinen Himmel aufgemacht.

6.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und ein Kind in die Krippe gelegt. Dieses Kind wird wie alle Kinder wachsen und es wird staunen über das Leben, über Federn und Tiere, über Sterne und tiefe Geschichten. Es wird das Gute in den Menschen sehen und über das Böse weinen. Es passt nicht in diese Welt und die Welt wird es nicht verstehen. Aber die Welt wird nicht mehr wie vorher sein.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und hat Engel zu Nobodys geschickt, zu Menschen mit Schwielen an den Händen und jeder Menge Sprüchen auf Lager. Zu Menschen, die man nicht ernstnimmt, die keine Lobby haben. Damals auf den Feldern. Heute bei Amazon, in den Flüchtlingslagern oder an den Außengrenzen Europas. Zu ihnen schickt Gott Engel, die ihnen die Angst vor dem Morgen nehmen. Wie goldene Federn wirbeln sie über den Feldern und lassen gerade diese Nobodys spüren: Auf euch kommt es an, egal ob man es euch zutraut oder nicht. Ihr seid genau richtig. Die Welt braucht euch, so wie ihr seid.

7.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht für alle, die eigentlich nur das Gute in anderen Menschen sehen wollen. Die nicht mit Bösem rechnen und ehrlich bis in die Haarspitzen sind. Die dafür belächelt werden oder für dumm gehalten. Die ihre offenen Flanken zeigen und sich nicht schützen. Menschen wie Forrest. Kinder. Träumerinnen. Tänzer.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und eine Feder fliegen lassen. Auch für mich. Und für dich. Vielleicht ist sie golden und strahlt, vielleicht ist sie weiß wie bei Forrest Gump, vielleicht ist sie aber auch taubengrau. Und ich möchte wie Forrest diese Feder in die Hand nehmen und betrachten. Und stell dir vor, dass Gott dich wie die Feder in die Hand nimmt. Gott sieht dich an freut sich an dir wie Forrest. Sammelt dich behutsam auf, wenn du dich vom Leben hin und her geworfen fühlst. Ich wünsche dir diesen zarten, liebevollen Blick auf dein Leben, das nicht gerade federleicht ist. Und ich weiß, dass dieser Blick aus der Krippe kommt. Von diesem Kind, das von Gott dort hineingelegt wurde. Verletzlich und klein und viel zu gut für diese Welt.

8.

Am Ende des Films bringt Forrest seinen Sohn zum Schulbus. Jenny ist gestorben. Forrest muss sich um seinen Sohn alleine kümmern. Mit seiner ganzen naiven, ehrlichen und großen Liebe sorgt er für ihn. Als sie auf den Bus warten, öffnet er das Buch, das die Feder beherbergte und die Feder fällt heraus. Ein Wind wirbelt sie auf, als der Schulbus losfährt. 

Die Liebe ist schwer und leicht zugleich und sie wird gelebt.
Einfach gelebt. Golden oder weiß oder taubengrau. Mit Tränen und mit Lachen.
Staunend und zart und voller Geschichten und Narben.

Gottes Spuren. Weihnachtsspuren - wie eine Feder.
Behutsam in die Hand genommen und dann wieder frei gelassen.
Und wir gehen weiter ins Leben.

Amen.

 




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