Ansprache zum Badischen Pfarrer/innen-Tag in Pforzheim (24.10.2016) zum Baden-Württembergischen Motto des Reformationjubiläums
I.
Da ist Freiheit! - ein schon fast trotziger Ausruf.
Da und da und da. Siehst du sie nicht?
Da, wo Menschen öffentlich sagen dürfen, was sie denken, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen glauben dürfen, was sie wollen, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen anziehen dürfen, was sie möchten, da ist Freiheit.
Da, wo sie lernen dürfen und lesen, egal ob Mädchen oder Junge.
Da, wo sie einen Beruf wählen können, der ihren Begabungen entspricht.
Da, wo sie lieben dürfen, wen sie wollen, ob Mann oder Frau.
Da ist Freiheit.
II.
Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (2.Kor 3,17b) - der Monatsspruch für Oktober.
Dass diese Freiheit nichts mit Ungebundenheit zu tun hat, mit Laissez-faire sozusagen,
das ist für Paulus klar, der diese Worte an die Gemeinde in Korinth richtet.
Freiheit heißt für Paulus:
Wir erkennen Gott mit seiner ganzen Liebe in Jesus Christus. Indem wir uns zu Christus zugehörig wissen, lassen wir uns von seinem Geist leiten und von sonst nichts. Und nichts anderes muss uns dann noch binden, knechten, knebeln.
Freiheit und Zugehörigkeit gehören zusammen.
Freiheit und Bindung.
Spannend dazu die gestrige Rede der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke.
Sie denkt über den Begriff Zugehörigkeit nach und wie Zugehörigkeit funktioniert.
So spricht sie von ihrer Sexualität
und von der Erfahrung, darum gerade nicht immer dazu zugehören,
also ausgegrenzt zu werden.
Dabei gehört es doch gerade zum Wesen einer freiheitlichen Gesellschaft, dass Menschen wegen ihrer Verschiedenheit gerade nicht ausgegrenzt werden.
Sondern dazugehören. Weil Freiheit nur so funktioniert.
Und so beschreibt sie Freiheit als
die „Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend oder Gemeinschaft zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs – und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen.“
III.
Da ist Freiheit!
Indem ich Menschen eine Zugehörigkeit verweigere, spreche ich ihnen auch ihre Freiheit ab, so sein zu dürfen, wie sie sind.
Und ich spreche ihnen ab, mit ihrem Sosein die Welt gestalten zu können.
Wo Menschen wegen ihrer Sexualität ausgegrenzt werden, da ist Unfreiheit.
Wo Andersgläubige unter dem Generalverdacht stehen, extremistisch zu sein, da ist Unfreiheit.
Wo Frauen der Zugang zu Ämtern verwehrt wird, wie seit diesem Sommer wieder in Lettland, da ist Unfreiheit.
Und wo Unfreiheit ist, da ist nicht der Geist Gottes!
Gerade dagegen hat sich die Reformation gewandt:
dass Menschen der Zugang verweigert wird.
Dass es vermeintliche Autoritäten gibt, die bestimmen, wer zu Gott gehört und wer nicht.
Und diese Autoritäten oder auch Herrschaften waren und sind immer sehr findig,
wenn es darum geht, andere in zugehörig und nicht zugehörig einzuteilen.
Ob es der Ablass ist oder die Steuer,
ob die Religionszugehörigkeit oder die Hautfarbe,
ob das Geschlecht oder die Angepasstheit oder die Kleidung.
Und leider sind auch die reformatorischen Kirchen immer wieder in dieses allzu menschliche Einteilungsverhalten hineingerutscht.
Da ist Freiheit!
Ja, sie ist verletzlich, diese Freiheit. Verletzlich und gefährdet. Mehr denn je, wo der Ungeist der Ausgrenzung wieder um sich greift.
IV.
Dieser Ungeist widerspricht fundamental dem protestantische Bekenntnis zur Gnade Gottes:
Kein Mensch kann mich aus der Gemeinschaft mit Gott ausschließen.
Gott selbst richtet seinen Bund auf.
Gott selbst geht die Verbindung mit mir ein.
Gott selbst nimmt mich als sein Kind an.
Und diese Gotteskindschaft kann mir keiner absprechen:
kein Papst, kein Fürst, kein Staat, kein Wutbürger,
keine Behörde, keine Schule, keine Armee, keine Partei.
Ich gehöre zu Gott - und darum bin ich frei, die zu sein, die ich als Gotteskind bin.
Da ist Freiheit!
„Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut“, sagt Carolin Emcke in ihrer Friedenspreisrede.
Freiheit ist „etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.“
Da ist Freiheit! Da, wo der Geist Gottes ist.
Der Geist der Gotteskindschaft.
Der Geist der Vergebung.
Der Geist der Gottesfamilie,
zu der wir alle gehören und von der wir niemanden ausschließen.
Da, wo dieser Geist Gottes Raum greift, wo er nicht behindert wird, da ist Freiheit.
Da und hier, dort und auch dahinten.
Da ist Freiheit! Passen wir auf sie auf.
Amen.
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Das Lied vom anderen Leben
(Text von Traugott Schächtele, nach der Melodie „Die güldne Sonne“ zu singen)
Ich will dem Leben, das mir gegeben,
mit Herz und Sinnen nachspür’n; beginnen
dem, was in mir liegt, ganz fest zu vertrau’n.
Ich will neu sehen, die Schritte jetzt gehen
auf deinen Wegen und unter dem Segen,
der mich begleitet. Auf dich will ich bau’n
Wo ich geschunden, will ich gesunden
an Leib und Seele, dass mir nichts fehle,
was meinem Leben fest Halt gibt und Grund.
Ich will jetzt fragen, will mutiger wagen,
neu zu gestalten, wo Kräfte noch walten,
die nur vertrauen vergangener Stund’.
Frei kann ich glauben, dem Bösen rauben
sein lähmend’ Wesen. In neuen Thesen
sprech’ ich von dem, der die Kirche bewegt.
Will frei bezeugen, mich nie wieder beugen
ängstlichem Sorgen, genieße den Morgen
den Gott mir heut’ in mein Leben gelegt.
Vom Paradiese träum ich und fließe
in neues Werden. Mitten auf Erden,
schafft deine Schöpfung im Wandel sich Raum.
Grenzen zu schieben, den Nächsten zu lieben,
bin ich berufen, und steig’ meine Stufen,
zu neuen Höhen und leb’ meinen Traum!
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