Predigt zu Philipper 3,20-21 - gehalten am 30.10.2016 in Mühlhausen
(vor der Predigt Lesung von Lukas 19,1-10 (Zachäus))
I.
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
„Denn auch er ist ein Sohn Abrahams“.
Ja, ich gehöre dazu! Muss Zachäus gedacht haben - innerlich jubelnd.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Ich - der Kleine, der Betrüger, der mit den Großen kungelt.
Ich - der Einsame, der sich selber ausgeschlossen hat.
Ich gehöre wieder dazu.
Jesus sagt das. Jesus isst mit mir. Jesus ist mein Gast. In meinem Haus.
Und ich fange neu an.
Ich kann so sein wie die, die zu ihm gehören. Wie die, die zu Gott gehören.
II.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Von dort her erwarten wir auch den Retter, den Herrn Jesus Christus!
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
(Philipper 3,20-21 - nach der Übersetzung der Basisbibel)
Ich gehöre dazu. Ich gehöre zum Himmel.
Jetzt schon. Nicht erst morgen oder erst wenn ich tot bin.
Im Himmel bin ich zuhause. Für dort habe ich einen Pass.
Meine Staatsbürgerschaft. Und die sagt mir: Du gehörst dazu.
Du - mit deinen Macken, mit deinen Fehlern, mit deiner Sehnsucht, mit deiner Einsamkeit.
Du - die du dich immer wieder ausschließt.
Du hast schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Da bist du zuhause.
III.
Zuhause.
Mehr als die 4 Wände, in denen du lebst.
Zuhause - dort wo du du bist.
Mit Jogginghose und dicken Socken.
Mit der Zeitung neben dem Bett und den Staubflusen unter dem Schrank.
Mit den Fotos, die dich an früher erinnern,
und dem Stuhl, der mal wieder überquillt vor lauter Klamotten.
Zuhause.
Wo der Streit mit der Tochter noch in der Luft hängt.
Aber auch die Umarmung danach.
Wo das das Licht im Flur auch nachts anbleibt.
Wo der kleine Zettel am Kühlschrank dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
„Du schaffst das“ sagt er dir jeden Morgen.
Zuhause.
Da bist du.
Ungeschminkt. Unrasiert. Mit verquollenen Augen. Mit fettigen Haaren.
Zuhause.
Frisch geduscht und ausgeschlafen.
Da ist der Kaffeeduft und der Kuchen warm aus dem Ofen.
Klaviertöne aus dem Erdgeschoss. Tatort am Sonntagabend.
Zuhause.
Da wohnst du. Da bist du. Da darfst du sein.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
IV.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten viele kein Zuhause mehr.
Ihr Zuhause war zerstört, zerbombt.
Sie mussten es zurücklassen. Verlassen. Verloren.
Ein neues Zuhause suchen.
Und die meisten fanden ein neues Zuhause. Aber es war nicht leicht.
Neue Wurzeln schlagen. Sich neu einrichten. Wieder ich sein dürfen.
Den Boden unter die Füße bekommen. Auch dort, wo es fremd ist.
Das braucht Zeit, und nicht alle haben es geschafft.
Sie blieben unbehaust - zumindest innerlich.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Die ins Wichernhaus kommen
und wenigstens für ein paar Nächte ein Dach über dem Kopf haben.
Die im Benkiserpark schlafen müssen. Der Alkohol lenkt sie ab.
Die im Fußgängertunnel vom Hauptbahnhof am Rand sitzen und auf ein paar Münzen hoffen. Oder die gar zu einer Kolonne gehören und am Abend alles Erbettelte wieder abgeben müssen.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Und dann sind da auch noch die, die aus ihrem Land hierher fliehen. Die ein neues Zuhause suchen. Ein sicheres Zuhause. Wo keine Bombe drauf fällt. Wo keine Granate hineinrollt.
Wo keine Maschinengewehre dröhnen.
Wo keine Taliban an die Tür hämmern und dich mitnehmen wollen.
Du gehörst nicht hierher. Das hören sie nicht nur einmal.
Die Obdachlosen und die Flüchtlinge.
Geh weg. Hau ab. Mach, dass du davon kommst.
Du gehörst nicht hierher.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
V.
Zuhause sein. Dazu gehören. So wie du bist.
Und wenn der Himmel dein Zuhause ist, dann gilt das erst recht.
Alles, was wir als Zulassungsbedingungen festlegen, gilt dort nicht.
Auch wenn wir es uns nicht vorstellen können.
Dass ein Zachäus dazu gehören sollte, war unvorstellbar.
Und so wird hinterher auch heftig gemurrt.
Dass die Kinder dazu gehören sollten, war unvorstellbar.
Sogar für die Jünger und Jüngerinnen Jesu.
Dass Frauen dazu gehören sollten oder gar Gemeindevorsteherinnen werden könnten, war unvorstellbar. Aber von Anfang an predigten sie und leiteten sie die Gemeinden. Nur wollte man das später nicht mehr wahrhaben.
Dass Schwule und Lesben dazu gehören, war und ist für viele heute noch unvorstellbar. Aber Gott hat sie gewollt, so wie sie sind.
Ihre Sexualität spielt für die Einreiserlaubnis in den Himmel keine Rolle.
Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke hat das vergangenen Sonntag in der Paulskirche auf ihre Weise gesagt:
„So wird ein Kreis geformt, in den werden wir eingeschlossen, wir, die wir etwas anders lieben oder etwas anders aussehen, dem gehören wir an, ganz gleich, in oder zwischen welchen Kreisen wir uns sonst bewegen, ganz gleich, was uns sonst noch auszeichnet oder unterscheidet, ganz gleich, welche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten, welche Bedürfnisse oder Eigenschaften uns vielleicht viel mehr bedeuten. So verbindet sich etwas, das uns glücklich macht, etwas, das uns schön oder auch angemessen erscheint, mit etwas, das uns verletzt und wund zurücklässt. Weil wir immer noch, jeden Tag, Gründe liefern sollen dafür, dass wir nicht nur halb, sondern ganz dazugehören. Als gäbe es eine Obergrenze für Menschlichkeit.“ (...)
„Manchmal frage ich mich, wessen Würde da beschädigt wird: unsere, die wir als nicht zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns die Rechte, die uns gehören, absprechen wollen?“
VI.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Dort sind wir zuhause.
Keiner von uns kann anderen absprechen dazu zugehören.
Kein Priester. Keine Dekanin. Kein Präsident. Keine Partei.
Aber ist das dann noch ein Zuhause?
Wo auch die zuhause sind, die so ganz anders sind als ich.
Auch die, die ich nicht mag. Oder vor denen ich Angst habe. Oder die mich ärgern.
Auch die haben schon jetzt ein Bürgerrecht im Himmel?
Paulus sagt: ja!
Die einzige Bindung, die noch zählt, ist die an Jesus Christus.
Doch dabei geht es nicht um Rechtgläubigkeit, die uns den Einlass gewährt.
Das wäre eine Schranke, die wir Menschen aufstellen.
So wie damals die Philipper oder die Galater das wollten.
Wenn du rechtgläubig bist und die Gebote XY befolgst, erst dann gehörst du dazu.
Vorher nicht.
Genau das lehnt Paulus ab.
Gott öffnet sein Zuhause für alle.
Denn die Liebe Gottes, wie Jesus sie gelebt und erlitten hat, die gilt jedem Menschen.
Diese Liebe kannst du nicht einschränken.
Denn:
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
VII.
Die Unterscheidungen, die wir uns so gerne machen - die gelten in Christus nicht mehr.
Auch nicht mehr das, was uns vermeintliche Sicherheit gibt.
Nationalität oder Herkunft spielen keine Rolle mehr.
Es gilt nicht mehr die Unterscheidung in Juden und Heiden
oder in Freie und Unfreie, in Arme und Reiche.
Und das gilt nicht nur für den Himmel, sondern auch für die Erde.
Für jetzt und hier.
Eine doppelte Staatsbürgerschaft für dich und mich. Ein Zuhause im Himmel.
Für einen Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Du bist gut genug für den Himmel. Da bist du zuhause.
Mit den Staubflusen und ungeschminkt und unrasiert. So wie du bist.
Und deine Nachbarin auch.
Ihr werdet den Himmel nicht auf die Erde holen können.
Aber ihr könnt ihn sichtbar werden lassen. Die Erde zur Wohnung Gottes machen.
Diese Erde mit ihren Grenzen und Schablonen und Einteilungen und Unterscheidungen.
In dieser Erde mit Gott Zuhause sein.
Mit himmlischer Gastfreundschaft, die sogar einen Zachäus überzeugt.
VIII.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Neu hinschauen. Anders sein. Grenzen überwinden.
Türen öffnen und Nein sagen, wo Andere ausgeschlossen werden.
Wie in Steinegg, wo eine ganze Klasse dem Flüchtlingsmädchen Seara eine neue Heimat gab.
Sich neu begegnen.
Ob es ein Zachäus ist. Oder eine Fremde. Oder der, der anders glaubt.
Caroline Emcke sagt es so:
„Wir können neu anfangen und die alten Geschichten weiterspinnen wie einen Faden Fesselrest, der heraushängt, wir können anknüpfen oder aufknüpfen, wir können verschiedene Geschichten zusammen weben und eine andere Erzählung erzählen, eine, die offener ist, leiser auch, eine, in der jede und jeder wichtig ist.“
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Und nicht nur er.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen