mit Bachkantate "Es ist das Heil uns kommen her" und Abendmahl
und anlässlich 70 Jahre Motettenchor
gehalten am 2.10.2016 in der Stadtkirche Pforzheim
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt, offenbart,
bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott,
die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen,
die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied:
sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt
als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit,
indem er die Sünden vergibt,
die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld,
um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen,
dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den,
der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.
Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird
ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.
Oder ist Gott allein der Gott der Juden?
Ist er nicht auch der Gott der Heiden?
Ja gewiss, auch der Heiden.
Denn es ist der eine Gott,
der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
I.
Der Traum vom perfekten Menschen.
Ein uralter Traum. So alt wie die Menschheit.
Brangelina - das perfekte Paar, das sogar einen Namen für seine Perfektion trug.
Die perfekte Musikerin, wo nie ein Ton falsch ist.
Der perfekte Politiker, der jede Entscheidung richtig trifft
und natürlich keine Drogen nimmt.
Die perfekte Athletin, die jedes Jahr neue Rekorde schafft - ohne Doping.
Der perfekte Pfarrer, der immer Zeit hat.
Der perfekte Urlaub, wo immer die Sonne scheint.
Das perfekte Kind, das lauter Einsen nach Hause bringt.
Der perfekte Chef, der immer geduldig ist.
Die perfekte Christin, deren Glaube endlos ist.
Der perfekte Flüchtling, der dankbar lächelnd alles erträgt.
Natürlich wissen wir, dass es keinen perfekten Menschen gibt.
Wir wissen sogar, dass der Traum vom perfekten Menschen gefährlich ist.
Denn wir wollen Menschen aus Fleisch und Blut sein.
Aber wir können von diesem Albtraum des perfekten Menschen nicht lassen.
Selbst Paulus nicht, wenn er vom Mangel spricht.
Der alte Traum von Perfektion.
Und das Wissen, das Leiden, nie gut genug zu sein, nie perfekt sein zu können.
Dahinter und davor alte Fragen, die immer noch neu sind: (1)
Wie kriege ich mein Leben so hin, dass es gelingt?
Was kann ich machen, dass sie mich wieder liebt?
Was kann ich tun, damit die Angst vergeht?
Ich habe viel gelernt.
Aber wie schaffe ich das Examen, das Abitur, den Realschulabschluss?
Was muss ich machen, damit ich eine Lehrstelle bekomme?
Was stellen wir an, damit wir – und nicht die anderen – die Wohnung bekommen?
Und hoffentlich halte ich durch.
Ja, ich muss durchhalten, damit der Chef merkt, dass ich unverzichtbar bin.
Besser sein als die anderen.
Schneller. Stabiler. Schlanker. Klüger. Lauter. Bedeutender...
II.
Die Qual bleibt.
Auf Knien nach Lourdes oder gar Compostela wallfahren heilt nicht.
30 Rosen nehmen nicht das schlechte Gewissen. Die Qual bleibt.
Martin Luther hat sich selbst bestraft.
Meinte, sich die Liebe Gottes verdienen zu müssen.
Er hat sogar nachts auf der Holzpritsche seine einzige Wolldecke weggelegt,
weil er dachte, das gefällt Gott.
Unter uns gibt es viele, die sich selbst bestrafen.
Die immer mehr leisten wollen. Immer schöner sein. Immer fitter.
Und sie sind unglücklich, wenn sie versagen.
Und wie sie sich beurteilen, so urteilen sie auch über andere.
Hat der das auch verdient?
Das Geschäft mit der Angst ist hochmodern.
Wir sind süchtig danach, Menschen einzuteilen,
ob sie es verdient haben dazu zugehören.
Zum Staat. Zum Land. Zu den Gläubigen.
Zu den Gewinnern. Zu den Reichen.
Zu den Begabten. Zu den Schönen. Zu den Schlanken.
Wir sind süchtig danach, wahrgenommen zu werden.
Gesehen zu werden. Damit wir dazugehören.
Damit wir es verdienen, dazu zugehören.
III.
Aber das brauchen wir nicht.
Wir brauchen es nicht zu verdienen,
weil wir schon längst dazu gehören.
Zu Gott. Zu dem, was das Leben ausmacht.
Paulus sagt das so:
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Ohne Verdienst.
Du musst nicht perfekt sein.
So wie du bist, bist du toll. Liebenswert. Unendlich wertvoll.
So wie du bist, gehörst du zu Gott.
So und nicht anders gehörst du zur Welt.
Du musst dich nicht quälen und verbiegen.
Und andere musst du auch nicht quälen und verbiegen.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Die Werk, die helfen nimmermehr,
Sie mögen nicht behüten. Der Glaub sieht Jesum Christum an,
Der hat g‘nug für uns all getan,
Er ist der Mittler worden. (2)
IV.
Jesus ist ans Kreuz gegangen.
Dort, wo die Opfer sind. Die Looser.
Dort, wo die Untauglichen und die Ausgestoßenen hingehören.
Dort, wo Verkrümmungen sichtbar werden, auch die inneren.
Dort, wo du nichts bist. Wo keiner hinsieht. Wo niemand wichtig ist.
Wo die Flucht nicht mehr weitergeht.
Wo die Grenzen des Lebens sind.
Dorthin ist Jesus gegangen.
Und mit ihm Gott. In ihm Gott.
Und dort findet er dich.
Er sieht dich an und sieht auch das, was du selber nicht ansehen magst.
Er sieht dich mit Liebe an.
Kein Kontrollblick, ob du tauglich bist.
Kein kritischer Blick, ob du fromm genug bist,
oder klug genug, oder schön genug.
Nein, der Blick des Liebenden.
Der Blick eines Gottes, der dich an seinen Tisch einlädt.
Der sich dazu setzt und sich freut, dass du da bist.
Der dich nicht ausfragt, der dir aber zuhört.
Ob sichs anließ, als wollt er nicht,
Lass dich es nicht erschrecken;
Denn wo er ist am besten mit,
Da will ers nicht entdecken. Sein Wort lass dir gewisser sein,
Und ob dein Herz spräch lauter Nein,
So lass doch dir nicht grauen. (3)
V.
An diesem Tisch mit Gott kannst du aufrecht sitzen.
Nichts, was dich krumm macht.
Oder klein. Ganz und gar du.
Und dann öffnest du deine Augen
und entdeckst noch andere, die auch mit am Tisch sitzen.
Genauso geliebte Gottes Kinder.
Sie sind so ganz anders. Aber sie gehören dazu, wie du.
Eure Töne kommen zusammen, wie in einem Chor.
Und weil du unter Gottes Blick ein anderer werden kannst,
siehst du auch die anderen anders an.
Du liebst nicht, um Gott zu gefallen.
Aber weil du Gott gefällst, kannst du lieben.
Und die Liebe, die dich umfängt, willst du weitergeben.
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Du musst nicht perfekt sein. Du musst Gott nicht gefallen.
Und du musst nicht um den besten Platz am Tisch kämpfen.
Denn da sitzt du schon.
Und darum kannst du dich auch über die anderen am Tisch freuen.
Und du singst mit ihnen, weil die Musik grenzenlos ist.
Du baust mit ihnen den Tisch größer,
damit da noch mehr dran sitzen können.
Auch die, die eine andere Sprache sprechen.
Oder die gerade erst angekommen sind.
Auch die mit den zerlumpten Kleidern
und die mit den bösen Träumen.
Auch die, die nichts vorzuweisen haben,
noch nicht mal einen Pass.
VI.
Und weil du weißt, dass sie Kinder Gottes sind wie du, setzt du dich für sie ein.
Du lässt nicht zu, dass sie beschimpft werden,
oder dass man sie schlägt, oder ihre Heime in Brand steckt.
Und du lässt nicht zu, dass in unserem Land Menschen aussortiert werden.
(Weil sie vielleicht nicht "deutsch" genug sind)
Denn Gott kennt keine Nation und keine Hautfarbe und keine Religion.
Bei Gott ist niemand wichtiger oder besser oder wahrer als der andere.
Wer das Gegenteil denkt, hat Gott nicht verstanden.
Denn:
Es ist der eine Gott, der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
Du musst nicht perfekt sein. Und die anderen auch nicht.
Aber zusammen könnt ihr lieben.
Zusammen könnt ihr singen und himmlische Musik machen.
70 Jahre oder noch länger.
Zusammen könnt ihr essen und reden und euch ansehen.
Zusammen könnt ihr streiten und versöhnen
und ringen um das, was die Welt und unser Land braucht.
Zusammen könnt ihr euch einsetzen
für die, die noch keinen Platz am Tisch haben.
Oder im Land. Oder in den Herzen.
Alles das geht, weil du nicht perfekt bist.
Gott ist es, der dich versöhnt - auch mit dir selber.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Und das ist, was zählt.
Amen.
(1) Folgender Abschnitt enthält Anregungen von Gerhard Engelsberger
(2) aus der Bachkantate, Teil 1
(3) aus der Bachkantate, Teil 7
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen