...sondern Leben, das zu dir gehört.
Oder:
Was haben ein äthiopischer Finanzminister, ein deutscher Sozialarbeiter, ein syrischer Balletttänzer gemeinsam?
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 - 39 - gehalten in der Stadtkirche am 23.7.2017
26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach:
Steh auf und geh nach Süden auf die Straße,
die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin.
Und siehe, ein Mann aus Äthiopien,
ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake,
der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister,
war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen
und las den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus:
Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las,
und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?
Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8):
»Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird,
und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt,
so tut er seinen Mund nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben.
Wer kann seine Nachkommen aufzählen?
Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach:
Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das,
von sich selber oder von jemand anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf
und fing mit diesem Schriftwort an
und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer:
Siehe, da ist Wasser;
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
38 Und er ließ den Wagen halten
und beide stiegen in das Wasser hinab,
Philippus und der Kämmerer,
und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen,
entrückte der Geist des Herrn den Philippus
und der Kämmerer sah ihn nicht mehr;
er zog aber seine Straße fröhlich.
I.
Hakki ließ sich am Freitag taufen.
Im Garten vom Lukaszentrum.
Hakki hat türkische Eltern
und ist in Mönchengladbach geboren.
Religion spielte keine Rolle in seinem Leben.
Als er 11 Jahre alt war, zogen sie wieder in die Türkei.
Aber seine Heimat blieb Deutschland.
Dorthin kehrte er zurück als er 20 Jahre war.
Wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Suchte nach dem Sinn.
Sehnte sich nach einem Willkommen.
Und wurde Sozialarbeiter.
Hakki heiratete
und fing schließlich bei der Diakonie an.
Den christlichen Glauben hat er schon vor ein paar Jahren kennengelernt.
Doch hier sind nun Menschen, die ihn willkommen heißen.
Die freuen sich, dass er da ist.
Sie zeigen: du bist uns wichtig. Und wir brauchen dich.
Und dann stellte er die Frage:
Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?
Und der Diakoniepfarrer sagte:
Niemand hindert dich.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu uns. Und vor allem zu Gott.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und Hakki feierte ein fröhliches Fest in Pforzheim.
II.
Ahmad Joudeh ist ein syrischer Tänzer. (1)
Tanzen ist unmännlich, schrie ihn sein Vater an.
Trotzdem fing er an mit Ballett.
Mit dem Krieg kamen die Terroristen.
Sie verbrennen Tänzer.
Doch Ahmad tätowierte sich in den Nacken „Dance or die“
Und er tanzte auf den Dächern der Häuser.
Und im Theater von Palmyra
Er wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Dann wurde das Holländische Nationalballett auf ihn aufmerksam,
Was hindert uns, dass du bei uns tanzt?
Niemand und nichts.
Sie besorgten ihm ein Visum
Und holten ihn nach Amsterdam.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Keine Hindernisse mehr.
Und so tanzt Ahmad fröhlich auf den Bühnen von Holland.
III.
Keine Hindernisse mehr.
Denn du bist ein wunderbarer Mensch.
Ein Kind Gottes.
Du Fremder mit dunkler Haut.
Du kommst aus Äthiopien und fährst durch die Wüste.
Du bist in Jerusalem gewesen und hast Gott gesucht.
Mag sein, dass du in deinem Land was zählst.
Aber hier nicht.
Die was zu sagen haben, zeigen dir:
du gehörst nicht dazu.
Du Andersgläubiger.
Und noch schlimmer:
Eunuch. Kein richtiger Mann mehr.
Eher queer.
Auf jeden Fall sexuelle Minderheit.
Mit dir redet man hier nicht.
Du, Mensch im Wagen.
Suchender und Lesender.
Doch dann kommt Philippus dazu.
Einfach so. Wie vom Himmel gesandt.
Er - ein Fremder für dich - spricht mit dir.
Nimmt dich ernst.
Hört dir zu.
Fragt nicht, woher du kommst
und was du glaubst und wer du bist.
Teilt dich nicht in Schubladen ein.
Will nur, dass du verstehst, was du liest.
Damit du das Leben lebst, das zu dir gehört.
Nicht mehr abhängig vom Wohlwollen der anderen.
Sondern als freies Gotteskind.
IV.
Keine Hemmungen mehr, Fremder.
Philippus will, dass du fragst und suchst und forscht.
Und ja: Der Gottesknecht fasziniert dich.
Das Schaf, das zur Schlachtung geführt wird
und stumm bleibt.
Vielleicht rührt dich das an:
Das Ausgeliefertsein?
Das Ausgelacht werden.
Dass er angespuckt wird.
Und genauso wenig dazu gehört wie du,
sondern immer fremd bleibt.
Und dann erzählt dir Philippus von Jesus.
Erzählt er dir davon,
dass er ebenfalls ein Ausgestoßener war?
Draußen vor den Toren Jerusalems starb er wie ein Verbrecher.
Ihn spuckten sie an und riefen:
Du gehörst nicht zu uns.
Und schon gar nicht zu Gott.
Du bist ein Fremder.
Und wirst immer ein Fremder bleiben.
Anders als wir.
Und den Armen und Schwachen viel zu nah.
Aber Gott hat diesen Verstoßenen zu sich geholt.
Hat sich zu ihm bekannt:
Das ist mein geliebter Sohn.
Er gehört zu mir.
Und ich zu ihm.
Nichts gibt es, was ihn daran hindert, mein Kind zu sein.
Und niemand hindert mich daran, dass ich ihn liebe.
Hat dir Philippus das erzählt?
V.
Jedenfalls gibt es für dich kein Halten mehr.
Du siehst Wasser:
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
Denn das hast du nun verstanden:
Du gehörst dazu.
Du Andersgläubiger.
Du queerer Mensch.
Suchender. Zweifelnder. Ausgestoßener.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu Gott. Zu Jesus. Zur Liebe. Zu uns.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und du ziehst fröhlich deine Straße.
VI.
Ich bin sicher:
für Philippus gab es am Anfang große Hindernisse.
Die im Kopf:
Kann ich mich einfach zu einem Fremden dazu setzen?
Und einfach so taufen, nur weil er mich darum bittet?
Woher weiß ich denn, ob der wirklich glaubt?
Und ich denke an meine Scheu,
an der Bushaltestelle die Frau im Niqab anzusprechen.
Die versteht mich doch sowieso nicht.
Und ich will ja auch nicht aufdringlich sein.
Und überhaupt: die denkt ja auch ganz anders als ich.
Wir finden bestimmt kein Gesprächsthema.
Manchmal traue ich mich doch.
Vor allem wenn Kinder dabei sind.
Dann fällt das leichter.
Ich kann fragen, wie alt sie sind.
Und wir lächeln uns zu, die Frau und ich.
Zwei vorsichtige scheue Gotteskinder.
Was hindert uns, miteinander zu reden?
Die Hindernisse im Kopf:
Die Bilder von eifernden Islamisten.
Die Sprache, die ich nicht verstehe.
Fremde Gerüche.
Misstrauische Gesichter.
Und ich kann es ihnen nicht verdenken:
Denn wer heißt sie schon wirklich willkommen?
Aber die Schranke in meinem Kopf ist da.
Auch gegenüber Deutschen, die anders ticken als ich.
VII.
Und dann -
ja, dann sehne ich mich nach einem Engel,
der mich wie Philippus einfach zu Anderen schickt.
Und mir die Scheu nimmt.
Und das Misstrauen und die Angst.
Ich will sein wie Philippus
und im Anderen ein Gotteskind sehen,
Egal woher es kommt und was es glaubt.
Ich will mich bereit halten für überraschende Begegnungen.
Offen sein für den Beginn einer Freundschaft,
auch wenn der Anfang quer liegt.
Ich sehne mich nach so einem Engel für unsere Kirche.
Für uns hier.
Dass wir nicht fragen,
ob jemand genug glaubt oder bibelfest genug ist.
Sondern dass wir einfach neugierig sind füreinander.
Dass wir Fremde und Neue unter uns wirklich willkommen heißen.
Ihre Fragen hören und unsere Fragen
und gemeinsam nach Antworten suchen.
Unseren unterschiedlichen Sehnsüchten nachspüren.
Ich will, dass wir auch mal etwas Verrücktes wagen.
Philippus war ziemlich verrückt,
einfach da in die Wüste zu gehen.
Aber die Liebe braucht solche Menschen.
Mutige und freie Menschen,
die andere ihre Straße ziehen lassen.
Und fröhliche Menschen, die ihre Straße ziehen.
VIII.
Hakki hat sich am Freitag taufen lassen.
Es war ein fröhliches Fest.
Alle haben sich mit ihm gefreut.
Und seinen Worten gelauscht. (2)
Wo er von Fehlern sprach, die er machen will, um aus ihnen zu lernen.
Und Gutes säen, um später Gutes zu ernten.
Alles tun, weil er kann - und nicht muss.
Worte eines freien fröhlichen Gotteskindes,
das dazu gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Ahmad verzaubert mit seinem Tanz die Menschen.
Er ist ein Gotteskind: frei und endlich in Sicherheit.
Lebt das Leben, das vielen nicht passte,
aber zu ihm gehört.
Mutig und verrückt und fröhlich.
Nation und Religion spielen keine Rolle.
Keine Hindernisse mehr.
Und du:
Du begibst dich auf den Weg
wie Philippus und der Äthiopier.
Begleitet von einem Engel, der dir Mut macht.
Wer weiß, wer zu dir in deinen Wagen steigt.
Wer weiß, zu wem du dich in dessen Wagen setzt.
Wer weiß, wem du an der Bushaltestelle begegnest.
Es könnte ein Gotteskind sein.
Ein suchendes, ein fragendes oder ein antwortendes.
Und wenn du dich dann fragst:
Was hindert mich?
Was hindert’s, das Leben zu leben, das zu mir gehört?
Was hindert mich, dem anderen dasselbe zu gönnen?
Dann tust du es - du lebst und liebst und gönnst.
Denn du gehörst zu Gott.
Keine Hindernisse mehr -
mit dem Frieden, welcher höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(1) ein sehr berührender Film-Spot: https://www.facebook.com/fusionmedianetwork/videos/2035042753188359/?hc_ref=ARSggXUujLylGyey1bxbSqrjn1bmqpX_f_UAkkatjLV9VlfYSVtObNndmsGgyEUl_fc&pnref=story
(2) die hat er sich von Julia Engelmann geliehen, aber so vorgetragen, dass sie wirklich zu seinen Worten wurden - sehr berührend.
wunderbar!
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