Predigt zu Heiligabend 2017
(zu Hesekiel 37,24-28)
I.
Wohnen will ich bei dir.
Spricht der Ewige.
Und er steht vor meiner Tür.
Ich will bei dir einziehen, sagt er.
Ein Dach über den Kopf.
Ein Bett wäre gut. Mit einer Decke und einem Kissen.
Ich weiß, ich hab dich nicht gefragt.
Und ich sehe dir an, dass du noch nicht weißt, was du davon halten sollst.
Du hast noch das Geschirrtuch in der Hand.
Und schaust etwas überrascht.
Dein Blick schweift durch deine Wohnung.
Aufgeräumt hast du auch nicht.
Aber glaube mir. Das macht nichts.
Ja, ich will bei dir wohnen, sagt er. Heute nacht.
Und nicht nur für ein paar Tage.
Dein ganzes Leben lang und mehr.
Und ich weiß, dass bei dir Platz genug ist.
In deinem Herzen.
II.
Wohnen will ich bei dir.
Ich setze mich an deinen Tisch.
Du holst 2 Gläser und schaust mal eben, was du da hast.
Tee oder Wein. Ach, einfach Wasser tut es auch.
Komm, setz dich und erzähl von dir.
Erzähl mir davon, wie du jeden Tag auf das Geräusch vom Schlüssel gewartet hast.
Früh am Abend.
Dann bist du zur Tür gerannt und hast dich in die Arme von deiner Mutter geworfen.
Endlich war sie wieder zuhause. Nach einen langen Arbeitstag.
Müde sah sie aus. Aber auch glücklich dich zu sehen.
Ich war übrigens dabei. Aber ich glaube, du hast das nicht wirklich gemerkt.
Erzähl mir, wie ihr Sonntags in Barmbek zum Bahnhof gerannt seid,
um zum Onkel nach Othmarschen zu fahren - ans andere Ende der Stadt.
Lachend und außer Atem habt ihr euch in Sitze geschmissen.
Dann die Skatkarten rausgeholt und die 45 Minuten Skat gespielt.
Du, dein Bruder und deine Mutter.
Du hast dich darauf gefreut, viel mehr als auf das Essen beim Onkel.
Fast wie ein Zuhause, diese Bummelstrecke quer durch Hamburg
Ich bin immer mitgefahren. Und bin da übrigens auch gerne.
Erzähl mir davon, dass es dir nicht schnell genug gehen konnte,
von Zuhause wegzuziehen.
Und du hast dich so geschämt deswegen.
Denn es ist doch dein Zuhause gewesen.
Aber irgendwann war es an der Zeit, dass du gehen musstest.
Trotzdem bleibt da dieses „Ich habe etwas verloren-Gefühl“.
Ein haarfeiner Riss in der Seele.
Erzähle mir davon, dass du keine Lust hattest,
wieder in das alte Zuhause in Barmbek zu fahren.
Selbst an Weihnachten nicht.
Es war dir zu eng geworden.
Und in die alte Rolle wolltest du auch nicht mehr schlüpfen.
Und doch:
der Geruch in der Küche, der nach Zimt und Rotkohl und Kaffee,
der machte auch dein Herz wieder warm.
Und ja, erzähle mir davon,
wie du 8 Stunden mit dem Zug durch die Bundesrepublik gefahren bist,
um dich von deiner Mutter zu verabschieden.
Vom Bodensee nach Hamburg.
Die längsten 8 Stunden deines Lebens.
Du wusstest nicht, ob sie noch so lange warten konnte.
Und dann warst du bei ihr. Bruder und Schwester auch.
Und ich war auch da.
Und sie atmete noch
und war doch schon längst auf dem Weg in ein ganz anderes Zuhause.
Ja, sie durfte gehen.
Aber doch ist da was verloren für dich.
Ein Zuhause weniger.
Ein Riss in der Seele mehr.
III.
(Hesekiel 37, 24 - 28:
Mein Knecht David soll ihr König sein
und der einzige Hirte für sie alle.
Und sie sollen wandeln in meinen Rechten
und meine Gebote halten und danach tun.
Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen,
das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe,
in dem eure Väter gewohnt haben.
Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer,
und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.
Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen,
der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein.
Und ich will sie erhalten und mehren,
und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.
Meine Wohnung soll unter ihnen sein,
und ich will ihr Gott sein,
und sie sollen mein Volk sein,
damit auch die Völker erfahren,
dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht,
wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
IV.
Wohnen will ich bei dir,
du mit deinen Rissen in der Seele und der Wärme im Herzen.
Ich komme zu dir und bin einfach da, sagt er.
Da, wo du lebst und liebst, weinst und lachst.
Du bist mein Zuhause. Ein anderes will ich nicht.
Und ich zeichne die Risse in deiner Seele nach und füge sie zusammen.
Sie werden immer sichtbar sein. Sie gehören ja zu dir.
Aber sie tun nur noch manchmal weh.
V.
Meine Wohnung bist du.
Ich wohne dort, wo es Risse gibt und Kratzer.
Und auch wo ein Mensch nicht weiter weiß.
Ich wohne in einem Stall mit lauter Tieren.
Dort komme ich zur Welt.
Bei einer jungen Frau und einem Mann, die im Niemandsland gelandet sind.
Und die flüchten müssen in ein anderes Niemandsland.
Und da sind noch andere dabei, die nichts zu sagen haben.
Die machen einfach nur ihre Arbeit auf dem Feld.
Und die Risse in ihrer Seele haben sie mitgebracht.
Ja, und hier im Stall mit dem Paar und dem Kind und den Tieren,
da spüren sie:
Sie sind mir so wichtig und so lieb, dass ich hier bin und hier wohne.
In diesem Stückchen Leben bin ich.
Im Atem der Tiere, die das Kind wärmen.
Und in der Liebe, die dieses Kind geschaffen hat.
VI.
Wohnen will ich bei dir.
Und dir erzählen von den anderen, wo ich auch wohne.
Von deiner Freundin, die sich von ihrem Mann getrennt hat, weil es nicht mehr ging.
Die Risse in ihrer Seele sind sehr groß.
Von Shawkat, der seine Familie nun kommen lassen kann,
aber dringend eine Wohnung sucht, damit sie auch alle Platz haben.
Und von den verzweifelten Flüchtlingen,
die in Libyen festsitzen und wie Sklaven gehalten werden.
Und wie sie Wärme deines Herzens brauchen.
VII.
Es sind zu viele Risse in der Welt.
Sie gehören geheilt.
Und danach sehnst du dich.
Nach Frieden und Geheilt sein.
Danach, dass alle ein Zuhause haben.
Und dass niemand heimatlos ist, auch nicht im Herzen.
Dieses Kind im Stall macht einen Anfang.
Es bringt die zusammen, die zerrissen sind:
Die Hirten und die Knechte und die Könige. Die Frau und den Mann.
Die Heimatlosen und die Angekommenen.
Ja, in diesem Anfang ist alles da.
Der Frieden, das Heilsein, alles das ist ganz klein da und ganz schwach.
Aber es ist da. Und es geht nicht wieder weg.
Es bleibt. Selbst der Tod kann es nicht vertreiben.
VIII.
Mein Kind.
Ich sitze an deinem Tisch, du hast das Geschirrtuch immer noch in der Hand.
Die Risse in deiner Seele - die betrachten wir beide liebevoll.
Wir zünden für sie eine Kerze an.
Sie feiern mit uns.
Das Heilwerden.
Das Wohnen in der Welt.
Wir sind beide daheim. Gott und Kind Gottes.
In dir sind wir zuhause.
Wir horchen auf den Schlüssel im Schloss,
wir spielen Skat in der Bummelbahn,
wir trauern zusammen.
Und wir wissen, dass das Zuhause da ist, wo die Risse wieder geheilt werden.
Auch heute abend.
Amen.
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