Sonntag, 28. Januar 2018

Ellenbogen ablegen

Predigt zu Jeremia 9, 22 -23

So spricht der Herr:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.


I. (1)
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.

Wie ist das?
Hältst Du Dich für klug?
Oder stark? Reich? Oder Weise?
Vielleicht bist du es.
Mühelos durch die Schule und das Leben gegangen bisher.
Oder bei Sportfesten immer Ehrenurkunden. 
Oder bist Du weise?
Naja, denkst du, vielleicht ein bisschen,
aber das würdest du nicht laut sagen vielleicht.
Aber irgendwie sollen die anderen das doch auch merken.
Auf jedenfall sollen die das Gute sehen.
Nicht das, was dir das Leben schwer macht.

Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

II.
Die Zeitgenossen Jeremias halten sich für stark und weise.
Und für reich genug, um eine Belagerung ihrer Stadt zu überstehen.
Jeremia ist deswegen sauer.
Sie kapieren es immer noch nicht, denkt er.
Sie, die Weisen und Starken und Reichen von Jerusalem.
Gott steht auf unserer Seite, rufen sie.
Wir sind klüger als unsere Gegner.
Besser. Stärker. Du wirst sehen.
Ihr irrt - ruft ihnen Jeremia zu.
Und er packt sich ein Joch um den Hals und läuft damit durch die Straßen.
Seht, ruft er. So sieht es doch schon längst aus.
Ihr haltet euch für was Besseres.
Dabei liegt ihr doch schon längst am Boden.
Und ihr überseht, wo ihr das Recht mit Füßen tretet
Und nur noch das Recht des Stärkeren gilt.
Und darauf seid ihr auch noch stolz.

Aber wer nur noch daran denkt, wie er Profit aus der Not schlagen kann,
wie er am besten da steht und eine gute Figur macht,
wer sich mit Säbelrasseln aufplustert,
der ist nicht weise und stark,
sondern macht sich und den anderen was vor.
Und das könnte nach hinten los gehen…

III.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.


Heute verkauft man Panzer an Kriegstreiber, und hält sich für klug und stark.
Prahlt mit Nuklearraketen
oder ist stolz auf den großen roten Knopf, auf den man jederzeit drücken könnte.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute weiß man schon bei der ersten Schlagzeile,
wer der Messerstecher ist und dass der gar nicht hierher gehört.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute fühlt man sich stark und unantastbar,
wenn man einen gutbezahlten Job hat,
Eine gute Versicherung.
Und man treibt viel Sport und isst gesund und so.
Und dann kann einem nichts mehr passieren.
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.

IV.
Aber das ist nicht weise und stark.
Weise und stark ist:
Ich weiß um meine Grenzen.
Weise und stark ist zu wissen:
ich mach Fehler.
Ich kann nicht alles.
Und weiß nicht alles.
Ich enttäusche jemanden.
Oder sage etwas Verletztendes.
Alles das passiert. Dir und mir.

Aber das macht mich nicht weniger wertvoll.
Es macht mich auch nicht weniger weise und stark und reich.

Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.


 V.
Uns ist viel zu wichtig, wie wir vor den anderen da stehen.
Sicher, auch ich will, dass man mich wahrnimmt und nicht übersieht.
Anerkennung. Wertschätzung.
Das ist wichtig. Lebenswichtig sogar.
Schon der erste Blick der Mutter oder des Vaters, der sagt:
Du bist wunderschön. Du bist großartig. Ich liebe dich.
Aber für diesen Blick musste ich nichts tun,
Weder besonders stark noch weise sein noch reich.
Einfach ich.

Aber weil der liebende Blick da ist, da war,
Konnte ich wachsen und mich entfalten.
Durfte ich klüger werden und stärker
und besondere Fähigkeiten entdecken.
Vieles habe ich mir erarbeitet. Klar.
Aber die Anlage dazu kommt nicht von mir.
Die ist mir geschenkt. In die Wiege gelegt von Gott.
Es genügt, dass ich das sehe, was mir geschenkt ist. Und Gott.
Und die Menschen, die mich lieb haben, die sehen das auch.
Darum muss ich nicht mehr dazu tun.
Und muss nicht perfekt sein.
Und mich dessen schon gar nicht rühmen.
Als ob ich das alles alleine gemacht hätte.

VI.
Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.


Es könnte so entlastend sein.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er schaut mich mit liebenden Augen an,
Und vor ihm muss ich nicht so tun als ob.

Matthäus, der Zöllner, von dem wir vorhin hörten, (2)
Der hat vielleicht gedacht,
dass er nur mit viel Geld und Gerissenheit einen Platz an der Sonne bekommt.
Er hat den Ellenbogenkampf der Gesellschaft perfekt beherrscht.
Doch dann kommt Jesus.
Sieht ihn an. Und nimmt ihn mit.
Einfach so. Ohne zu fragen, ob er auch gut genug ist.
Oder klug genug.
Und dieser Jesus sitzt mit ihm am Tisch und isst und trinkt mit ihm,
Und Matthäus gehört einfach dazu.
Muss sich nicht verstellen.
Kann die Ellenbogen ablegen.
Und der sein, wie ihn Gott geschaffen hat.
Ein wertvoller Mensch.
Der seine Begabungen nicht mehr für sein Prestige braucht
oder für seine Stellung.
Sondern sie für die einsetzt, die ihn brauchen.

VII.
Es könnte so entlastend sein.
Wenn wir einfach ehrlich miteinander sind.
Wenn wir uns nichts mehr vormachen.
Und auch Fehler und Schwächen zeigen.
In der Gemeinde können wir das üben.
Und uns zeigen, wie wir sind.
Weil wir so, wie wir sind, geliebt sind
Vom Herrn, der Barmherzigkeit und Recht und Gerechtigkeit übt.

Und auch da "draußen", in der Welt, brauchen wir das nicht mehr,
Das sich-zur-Schau-stellen und das So-als-ob.
In unseren Partnerschaften und in den Familien.
Auf der Straße. Und am Arbeitsplatz. Und im Supermarkt.

Ja, ich wünsche mir eine fehlerfreundliche Welt.
Dass wir zu unseren Schattenseiten stehen, auch in der Geschichte.
Dass wir keine Schlussstrich-Diskussion brauchen,
sondern dazu stehen, was unsere Vorfahren getan haben.
Ich wünsche mir, dass wir unseren Politikern auch zugestehen,
dass sie Fehler machen dürfen.
Barmherzigkeit auch ihnen gegenüber.
Und allen, die Verantwortung tragen.
Aber ich wünsche mir auch, dass sie nicht so tun,
als ob sie keine Fehler machen würden.
Dass sie zugeben, nicht weiser und stärker und besser zu sein als die anderen.

VIII.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er macht mich klug und stark und reich an allem, was ich weitergeben kann.
Säbelrasseln,
Gut da stehen,
Andere in Schubladen stecken,
Besser und klüger und stärker sein als die anderen.
Das alles hab ich nicht nötig. Und du nicht.
Denn da ist einer, der schaut mich an. Und dich.
Mit Liebe und Barmherzigkeit.

(1) Danke, Elisabeth Rabe-Winnen, für die Worte zu diesem Abschnitt
(2) Matthäus 9, 9 - 13

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