Text zum Predigt-Slam in Heidelberg "Maria, ihm schmeckt's" am 3.2.2018
I.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit Thymian und Rotwein und gutem Brot.
Ich will die Schneeflocken mit der Zunge fangen
(heute sind welche gefallen!)
Und Ingwertee trinken will ich.
Mag nicht jeder.
Ich aber liebe seine Schärfe,
auch wenn Schärfe kein Geschmack ist, sondern ein Schmerz.
Ja, ich will auch Schmerz schmecken.
Den Schmerz der verlorenen Momente, die ich nicht mehr zurückholen kann.
Den Schmerz, wenn der Sohn in den Flieger steigt und weit weit weg geht.
Und wenn ich mich schäme für Worte, die ich gesagt habe.
Auch der Schmerz der Wut, wenn Menschen abgeschoben werden
- ist gerade wieder passiert.
Ich will diese Schmerzen schmecken, Maria.
Wut wie Chilis, die überall brennen.
Ohnmacht wie versalzene Kartoffeln oder angebrannter Milchreis.
Und Sehnsucht. Wie Schokolade mit Salz-Kristallen.
Widersprüche, die ich kaum aushalte.
Aber was wäre das Leben ohne sie?
II.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit dir.
Komm raus aus der Küche.
Wir trinken den besten Capuccino der Stadt im Casa del Caffe.
Wir setzen uns den Pussy-Hat auf
und verweigern das Recht auf Belästigung.
Und wir predigen - predigen, was das Zeug hält.
Du und ich und die anderen Frauen hier.
Lass uns neue Worte erfinden, Maria.
Worte, die nach Thymian und Rotwein und Brot schmecken.
Und nach Schokolade.
Worte, die den Schmerz nachfühlen.
Und raus wollen. Raus müssen.
Ja, und wir lassen uns den Mund nicht verbieten.
Komm, Maria, komm raus aus der Küche.
Lass uns auf die alte Brücke gehen und ins Wasser spucken.
Lass uns Erdbeeren in flüssige Schokolade tauchen.
Lass uns mit Kübra Liebe organisieren
und mit Birgit geistvolle Papierflieger vom Hochhaus werfen.
Mit Nadja gehören wir zu den Sinners and Saints
Mit Antje wehren wir uns gegen jede Vereinnahmung
und schmecken zusammen den Streit.
Scharf wie Ingwer.
Denn da sind ja auch noch die,
die uns nur in der Küche sehen wollen,
Oder auf der Kühlerhaube.
Und mit schwarz-rot-goldenen Machoträumen von Bikinis faseln.
Komm, wir stören ihre Träume.
Und versalzen ihnen die Suppe.
III.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Und mir die Zunge dabei verbrennen, wenn es sein muss.
Ich will das Leben riechen und tasten
und sehen und hören.
Trinken, essen,
tätowieren, lackieren, markieren.
Kneifen, kitzeln und fest zu packen.
Ich will einen riesigen Schluck Leben trinken
und ihn laut schlürfen.
Gott hat mir voll eingeschenkt.
Und dann will ich im Gras liegen.
Im Neckar schwimmen
Im Schnee einen Engel zaubern.
Will mit dem Enkel auf dem Marktplatz tanzen.
Und die Falten der Alten nachzeichnen.
IV.
Ja, ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit dir und den anderen Frauen.
Und mit den Männern auch.
Ich will es salzig wie den Schweiß auf der Haut.
Und wie die Tränen.
Das Bittere will ich schmecken, weil das Leben so kostbar ist.
Ich will es nicht einfach nur herunterschlucken.
Des Lebens Säure -
Sie zieht mir alles zusammen.
Bis in die Fingerspitzen will ich sie spüren.
Und ich will die Süße des Lebens:
Den Kuss.
Den zarten Kuss.
Will die Hand, die mich streichelt.
Den Blick, der mich rot werden lässt.
Und meinen Mund trocken macht.
V.
Ich will das Leben schmecken, Maria,
Und schützen.
Vor denen, die es klein machen.
Und ihm die Würde rauben.
Ich will mit dir die Niedrigen erheben
und wir machen das Leben so groß,
dass niemand mehr dran vorbei kommt.
Oder sich sonst daran verschluckt.
Komm, Maria, komm raus aus der Küche.
Und nimm die Löffel mit.
Die mit Honig und Thymian.
Nimm das Brot mit und den Wein.
Und die Schokolade auch.
Wir gehen raus damit.
Auf die Straße.
Wir schmecken das Leben dort, wo es ist.
Und wo die anderen sind. Und Jesus auch.
Und auch die, die es noch nicht schmecken,
das Leben.
Wir organisieren Liebe,
zeichnen die Falten der Alten nach.
Und tanzen mit unseren Enkeln.
Wir fangen Schneeflocken mit der Zunge
Und wir trinken Ingwertee.
Ich liebe seine Schärfe,
(auch wenn sie kein Geschmack ist, sondern ein Schmerz.)
VI.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Jetzt.
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