Montag, 10. Februar 2020

Von Ersten und Letzten und einem Jesus, dem das egal ist

oder: was haben Thüringen, ein Gemeindehaus mit Wohnungen und Jesus miteinander zu tun?
 

Predigt zu Matthäus 20,1-16 (1)

I.
Von oben nach unten. Von unten nach oben.
Jesus dreht alles einmal um.
Die Letzten werden die Ersten sein. Die Ersten die Letzten.
Himmelsmaßstäbe.
Die zum Schluss kommen, kommen nicht zu spät.
Sie bekommen dasselbe wie die, die schon lange dabei sein.
Wer anfängt zu rechnen - wie wir es gewohnt sind, der wird sich wundern.
Denn Jesus hält sich nicht an unsere Berechnungen,
nicht an unsere Hierarchien und Rangordnungen.

II.
Das ist provozierender als wir denken.
Wir tun oft so, als ob wir alle gleich sind.
Aber schon am sogenannten GenderPayGap,
dem Unterschied zwischen den Gehältern von Männern und Frauen,
sehen wir, dass das nicht stimmt.
Beim synodalen Weg unserer katholischen Geschwister wird von einem Kardinal kritisiert,
dass Laien und Kleriker gemeinsam eingezogen sind und jeder gleich viel Redezeit hat. (2)
Ja, wir Evangelische empören uns leicht darüber,
aber auch wir kennen Machtgerangel um Spitzenpositionen.
Als Deutsche tun wir oft so, als ob der Rang einer Person keine Rolle spielt bei uns,
oder das Aussehen, oder die Hautfarbe oder das Geld.
Aber das stimmt nicht.
Manche bekommen noch nicht einmal eine Wohnung,
weil sie einen arabisch klingenden Namen haben.
Und wenn politisch aktive Menschen diese Unterschiede in Frage stellen,
gelten sie als linksradikal und gelten damit als No-Go für die sogenannte Mitte.
Gerade wieder passiert.

III.
Bei Jesus gibt es keine Ersten und keine Letzten..
Er heilt den blinden Bettler genauso
wie den Knecht vom römischen Hauptmann.
Spricht im Tempel wie auf dem wackligen Schiff.
Er lässt sich bedienen und er bedient selber.
Lässt sich mit kostbarem Öl salben,
reitet aber auf einem Esel in die Stadt.
Er nimmt die Kinder in den Arm,
die, die eigentlich überhaupt keine Rolle spielen damals.
Und er lässt einen reichen jungen Mann abblitzen, hat ihn aber lieb.
Die Letzten werden die Ersten sein. Und die Ersten die Letzten.

IV.
Ja, Jesus selbst lebt es so.
Er ist selber der Letzte und geht an die Seite der Letzten.
Und damit legt er sich an mit den Ersten.
Sein Kreuz ist der Ort der Letzten.
Es ist das Letzte. Etwas, das überhaupt nicht zumutbar ist.
Aber genau da geht Jesus hin. Der Erste wird zum Letzten.
Damit die Letzten die Ersten werden. Damit es keine Letzten mehr gibt.

V.
Die Jünger von Jesus verstehen das genauso wenig wie wir.
Lass doch alles beim Alten, Jesus.
Wir sind die ersten, die dir folgen. Die dir glauben.
Dann werden wir auch im Himmel an deiner Seite sein. So wie jetzt.
Und das ist ein richtig gutes Gefühl:
zu den Ersten zu gehören und nicht zu den Letzten.
Immerhin ertragen wir ja auch einiges dafür, dass wir uns so schnell entschlossen haben.
Haben Boote und Familien und Beruf liegen gelassen.
Verzichten auf das weiche Bett und die Sicherheit eines festen Daches.
Nehmen auf uns die Mühe, Tag für Tag um Essen zu betteln. Nur um bei dir zu sein.
Da haben wir uns die Belohnung doch echt verdient, oder? Immerhin sind wir die Ersten.
(Und ja: ich kenne auch heute genug Christen, die genau zu wissen meinen,
wer in den Himmel kommt und wer nicht)

VI.
Falsch, sagt Jesus. Gott ist kein Rechenautomat.
Nicht wer zuerst da ist, hat gewonnen. Auch wer später kommt, gehört zu den Ersten.
Wird genauso in den Arm genommen von Gott.
Bekommt genauso viel Liebe ab und wird genauso herzlich von ihm empfangen.

Das fühlt sich ungerecht an. Und manchmal ist es auch ungerecht.
Aber Gottes Liebe ist nicht aufzurechnen. Seine Liebe könnt ihr nicht verdienen.
Aber ihr braucht es auch nicht. Gott sei Dank.
Es hängt nicht davon ab, wieviel ihr tut und wie lange ihr schon dabei seid.
Entscheidend ist, dass ihr da seid.
Vielleicht denkt ihr, dass es zu spät ist. Aber es gibt kein zu Spät.
Ihr kommt auf den Marktplatz Gottes und findet euren Platz.
Ihr seid willkommen und könnt zupacken.
Jetzt. Nicht später. Und nicht früher. Jetzt.

VII.
Hier nebenan haben wir das Gemeindehaus umgebaut. Da sind jetzt Wohnungen drin.
Und weil Geflüchtete es besonders schwer haben, eine Wohnung zu bekommen,
haben wir mit der Stadt vereinbart, dass die Wohnung erstmal an Geflüchtete vermietet werden. (3)
Darüber haben sich nicht alle gefreut.
Vermietet doch erstmal an Deutsche, bekamen wir zu hören.
"Wir" haben doch genug Menschen, die auch eine Wohnung suchen.
Und "die" da machen doch nur Schwierigkeiten. Die haben es doch gar nicht verdient.

Ja, es gibt immer wieder Schwierigkeiten. Mit Müll und Lärm und so.
Aber das ist doch kein Grund, sie hier nicht wohnen zu lassen.
Im Gegenteil. Diese Menschen brauchen uns, euch.
Und wer das Fass mit „Wir Deutschen“ und „die da“ aufmacht,
hat offensichtlich nicht verstanden, was Jesus meint, wenn er von Liebe und Leben spricht.

VIII.
Bist du neidisch, weil ich großzügig bin?
Das lässt Jesus den Grundbesitzer fragen.
Er fragt die, die Angst haben zu kurz zu kommen.
Die meinen, dass man sich eine Grundrente oder ein Dach über dem Kopf erst verdienen muss.
Bist du neidisch, weil ich großzügig bin?
Du gönnst anderen nicht, was du bekommst?
Bekommst du dadurch weniger? Wirklich weniger?
Haben nicht auch die eine Chance verdient, die von vorne anfangen müssen.?

Deutschland ist ein reiches Land, auch wenn es mit seinen Armen nicht gut umgeht.
Aber wer bist du, deutsche Schwester, deutscher Bruder,
dass du meinst, du hättest es mehr verdient als andere, dass man sich um dich sorgt?
Bist du neidisch, weil ich großzügig bin?
Natürlich müssen wir viel dafür tun,
damit das mit dem Wohnen und Zusammenleben auch funktioniert.
Und natürlich dürfen wir auch die nicht vergessen,
die schon lange hier sind oder schon immer hier gelebt haben.
Aber wenn wir nach dem Grundsatz leben:
nur wer in die Sozialkassen gezahlt hat, darf auch daraus was bekommen,
dann schließen wir alle aus, die nicht arbeiten können oder dürfen:
Asylsuchende, Kranke, Kinder, Behinderte.

Von dieser Großzügigkeit den Schwächeren gegenüber
haben wir uns in unserem Sozialsystem etwas bewahrt
und darüber bin ich froh - trotz aller seiner Schwächen.
Aber eine Politik, die der Barmherzigkeit immer weniger Raum gibt, die will ich nicht.

Auch den Letzten einen Platz zu geben.
Jetzt da zu sein. Und zu gönnen, was da ist. Das ist christlich.
Himmelsmaßstäbe.

IX.
Die Letzten werden die Ersten sein.
Pervertiert wurde dieser Grundsatz letzten Mittwoch in Thüringen. (4)
Unwürdig war das - und gefährlich.
Da machten sich Letzte zu Ersten,
aber es ging dabei nicht um Großzügigkeit oder gar darum, dass es allen gut geht.
Es ging um Macht und ein Geschacher um die besten Plätze.
Und man tat sich zusammen mit denen,
die sehr genaue Vorstellungen davon haben, wer oben zu sein hat und wer unten.
Da sollen die Ersten die Ersten bleiben und die Letzten die Letzten.
Reiche und weiße und traditionelle Familien auf der einen Seite.
Die anderen auf die andere.
Neoliberalismus gepaart mit Rechtsextremismus.

Aber Jesus setzt andere Maßstäbe. Himmelsmaßstäbe.
Da gibt es kein Oben und kein Unten, kein rücksichtsloses Geschacher um die besten Plätze.
Da schauen wir Christen und Christinnen anders auf die Welt.
Großzügiger. Liebevoller.
Für uns gibt es keine Ersten und keine Letzten.
Neid und Machtkalkül kippen wir in die Tonne.
Wir sind alle eins in Christus. Und das gilt schon jetzt, nicht erst im Himmel.
Und egal aus welchem Land wir kommen, wie arm oder reich wir sind,
wie gebildet oder nicht, ob Mann oder Frau.

Manche nennen das gutmenschlich oder naiv. Manche nennen das linksradikal.
Aber das ist mir egal.
Gott ist gütig und großzügig. Viel mehr als ich.
Aber ich bin sein Ebenbild und ich folge Jesus nach.
Darum will ich ihm ruhig etwas mehr nacheifern.
Will, dass alle einen Platz haben und alle eine Chance für die Liebe Gottes.
Gleich hier nebenan. Und hier in der Kirche.

Die Letzten werden die Ersten sein.
Amen.

(1) »Das Himmelreich gleicht einem Grundbesitzer: Er zog früh am Morgen los, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Lohn von einem Silberstück für den Tag. Dann schickte er sie in seinen Weinberg.
Um die dritte Stunde ging er wieder los. Da sah er noch andere Männer, die ohne Arbeit waren und auf dem Marktplatz herumstanden. Er sagte zu ihnen: ›Ihr könnt auch in meinen Weinberg gehen. Ich werde euch angemessen dafür bezahlen.‹ Die Männer gingen hin.
Später, um die sechste Stunde,und dann nochmal um die neunte Stunde machte der Mann noch einmal das Gleiche.
Als er um die elfte Stunde noch einmal losging, traf er wieder einige Männer, die dort herumstanden.
Er fragte sie: ›Warum steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?‹ Sie antworteten ihm: ›Weil uns niemand eingestellt hat!‹ Da sagte er zu ihnen: ›Ihr könnt auch in meinen Weinberg gehen!‹
Am Abend sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: ›Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den Letzten an und hör bei den Ersten auf.‹ Also kamen zuerst die Arbeiter, die um die elfte Stunde angefangen hatten. Sie erhielten ein Silberstück. Zuletzt kamen die an die Reihe, die als Erste angefangen hatten.
Sie dachten: ›Bestimmt werden wir mehr bekommen!‹ Doch auch sie erhielten jeder ein Silberstück.
Als sie ihren Lohn bekommen hatten, schimpften sie über den Grundbesitzer. Sie sagten: ›Die da, die als Letzte gekommen sind, haben nur eine Stunde gearbeitet. Aber du hast sie genauso behandelt wie uns. Dabei haben wir den ganzen Tag in der Hitze geschuftet!‹
Da sagte der Grundbesitzer zu einem von ihnen: ›Guter Mann, ich tue dir kein Unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf ein Silberstück als Lohn geeinigt? Nimm also das, was dir zusteht, und geh! Ich will dem Letzten hier genauso viel geben wie dir. Kann ich mit dem, was mir gehört, etwa nicht das machen, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich so großzügig bin?‹ So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.«


(2) https://www.katholisch.de/artikel/24382-erste-synodalversammlung-frankfurt-tag-3

(3) https://www.evkirche-pf.de/html/aktuell/aktuell_u.html?&cataktuell=&m=23507&artikel=20139&stichwort_aktuell=&default=true

(4) https://www.deutschlandfunk.de/thueringen-chronologie-der-ereignisse-seit-der-landtagswahl.1939.de.html?drn:news_id=1099678

2 Kommentare:

  1. Gute Predigt!

    Als letzten Sonntag bei uns das Gleichnis von den Arbeiten im Weinberg Thema war, kam mir auch schnell der alte Slogan "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in den Kopf. Die Pastorin erwähnte später dann auch, dass es in dieser Hinsicht zu diesem Gleichnis vor Jahrzehnten auch mal Konflikte mit den Gewerkschaften gegeben hatte.

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    1. Ja, das kann ich mir vorstellen. "Gerecht" wird ja sehr unterschiedlich verstanden

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