Dienstag, 25. Februar 2020

Wunde fängt mit W(eh) an

Mein Beitrag zum Preacher-Slam über.wunden
Pforzheim 22. Februar 2020

I.  (Verwundet)

Wunden tun weh. Wunden sind wahr.
Thomas wurde als 7jähriger verschickt.
Damals - vor 40 Jahren.
So nannte man die Mästungs- und Lungenkuren für Kinder.
6 Wochen lang. Irgendwo im Schwarzwald.
Er weinte sich in den Schlaf vor lauter Heimweh.
Und dann wurde ihm das verboten. Das Weinen.
Dein Heimweh ist nicht normal. Du steckst die anderen an.
Deinetwegen können sie nicht schlafen.
Sei still. Reiß dich zusammen.

Wunden tun weh. Wunden sind wahr.
Stimmt es, dass du keinen Vater hast?
Das wird die 10jährige Sabine vor allen anderen gefragt.
Ich habe einen Vater, aber er lebt nicht bei uns.
So antwortete sie und schämte sich.
Sie waren anders als die anderen. Unvollständiger.
Ein Bruder, der Autoreifen anzündete.
Die Mutter arbeitete nachts und ging kaputt daran.
Sie selber war die Brave. Die Fassade muss stimmen.
Bloß nicht auffallen. Nicht anecken.
10 Jahre später hörte sie dann: Toll, was aus euch geworden ist.
Und sie wusste keine Antwort mehr.

Wunden tun weh. Wunden sind wahr.
Der misstrauische Blick verfolgt Ahmed überall.
Sein Deutsch ist nicht gut. Seine Haut dunkler als die der anderen.
Und er hört gerne syrische Musik.
Er weiß, was sie denken.
Der ist doch nur faul, denken sie. Der ist feige, denken sie.
Der soll doch seine Heimat wieder aufbauen, denken sie.
Aber sie kennen seine Albträume nicht.
Wenn er nachts aufwacht, schweißgebadet.
Und sie wissen nichts von seinem Onkel,
der aus dem Foltergefängnis nicht mehr zurück kam.

Wunden.

II. (Wunde mit W)

Why, wound.
Wunde fängt mit W an.
Weh mit H am Ende.
Ein weicher Buchstabe.
Ein Doppel-Buchstabe: Dubbleyou, Dubleweh.
Weil Schmerz immer doppelt zählt?

Wunde fängt mit W an.
Und das W ist ein weicher Buchstabe.
Ob ich Wunden mit W-Wörtern beschreiben kann?
(ich versuche es mal:)

III. (80 W-Wörter)

Wunden sind oft winzig und doch wirksam.
Weswegen ich sie wiederholt wegschließe.
Will sie nicht wahrnehmen.
Weigere mich, sie wahr-sein zu lassen.
Was für ein Wahnsinn.

Sie wehren sich gegen meinen Wunsch mit aller Wucht.
Kein Wischen nach links
oder kein Weg-Waschen macht sie weniger.
Kein Witzeln wandelt sie,
Kein Wechseln und Wüten würgt sie ab.
Wunden wachsen und wuchern wild,
wallen und walten, wenn ihnen kein Wort gilt.

Wunden halten mich wach.
Wunden weisen auf eine Wirklichkeit, die weich ist.
Wo Widerstand zwecklos wird,
wo Wirbelsäule, Wangen und Wimpern weinend die Wahrheit weben.
Und Wind, Wetter und Winter wüten die Wunden auf.

Wohl weiß ich, was mir weh tut.
Wer in meinen Wunden wühlt und ihre Würde wegraubt.
Wärme ist dann wichtig. Und Weinen.
Manchmal auch Whisky, Wein oder Wodka - aber wenig (!).
Keine Watte für die Wunden,
aber eine Welt, wo sie wohnen können und wertvoll sind.
Wo sie mich weich machen.
Und wahrscheinlich - wie die Wundmale Jesu - Wunder ermöglichen.

IV. (Wunden von Pforzheim)

Wunden tun weh.
Wunden sind wahr.
Und ich sehe die Wunden dieser Stadt.
Die Straßenzüge, die es nicht mehr gibt.
Der Wallberg mit seinem Schutt unter dem Gras.
Die eine Stele, die noch fehlt,
weil man für die Nazizeit hier noch keine Worte finden will (oder kann?).
Ich sehe die Stolpersteine mit Buchstaben und Zahlen.
Manchmal sehe ich sie nur zufällig.

Und ich spüre die Wunden der Menschen.
Fragen, die sie nicht stellen durften.
Warum haben ausgerechnet wir überlebt?
Wer hat hier vorher gewohnt?
Wo ist der Nachbar geblieben, nachdem sie ihn weggebracht haben?

Ihre Wunden sind vernarbt, nicht verheilt.
Manche brechen wieder auf. Gerade jetzt. 75 Jahre später.
Und zulange hat man verschwiegen, was in Pforzheim geschehen war.
Der jüdische Arzt, der nicht mehr wiederkam.
Die behinderte Schwester, die plötzlich verstarb.
Die französischen Widerstandskämpfer, ermordet im Hagenschieß.
Der Bruder, verschollen in einem nicht enden wollenden Krieg.
Die Leichen in der Enz.
Die Vergewaltigungen in der Nordstadt, als alles vorbei zu sein schien.

Verwundete Stadt.
Wunden, die immer noch da sind.
Und neue kommen dazu.

V. (Wunden zeigen)

Wunden tun weh.
Wunden sind wahr.
So viele Wunden in einer Stadt.
Alte und neue.
Serbische und irakische, syrische und deutsche Wunden.
Wunden in Hanau. Wunden in Halle.

Wir teilen diese unverheilten Wunden.
Die Wunden von damals und die Wunden heute.
Die von Thomas und Sabine und Ahmed.
Von Schawkat, Hans-Carl* und den Eltern von Mercedes in Hanau.
Die Wunden sind da und brauchen unsere Zärtlichkeit.
Brauchen Wunder der Liebe.

Zeigen wir uns unsere Wunden.
Ich zeige dir meine.
Du zeigst mir deine.
Wir tragen sie ja mit uns.
Wir bleiben verwundbar. Und das ist gut so.
Damit wir weich bleiben.
Mensch bleiben.
Nur in einer verwundbaren Welt kann ich leben.
Mit Tränen und offenen Herzen.

*Pforzheimer Kurier (bnn) vom 22.2.2020, S.27

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