Dienstag, 19. April 2022

Ins Leben hinausgespuckt

3 Tage und 3 Nächte im Fischbauch
Ostermontagspredigt zu Jona 2, 1 - 11
(mit Dank an Anne Herzig für Inspiration und einige Worte, die ich von ihr bekommen habe - sie sind blau markiert)

1. Im Fischbauch

Nach einer spektakulären Flucht findet sich Jona an einem Ort wieder,
wo er bestimmt nie nie sein wollte.
Bloß weg von hier, dachte er, als Gott ihm eine sehr unangenehme Aufgabe aufdrückte.
Bloß weit weit weg. Aufs Meer hinaus mit einem Schiff.
Doch Gott zeigt sich unerbittlich.
Das Schiff gerät in schwere Seenot, die Seeleute suchen nach einem Schuldigen
und finden ihn in Jona.  Ja, Jona hat es verbockt. Und zwar so richtig. Und dann:

Der Herr aber schickte einen großen Fisch, der Jona verschlang.
Und Jona war drei Tage und drei Nächte lang im Bauch des Fisches. (Jona 2, 1)


Drei Tage und drei Nächte im Fischbauch stelle ich mir ziemlich langweilig vor.
72 Stunden an einem so dunklen, schleimigen Ort.
Drei Tage und drei Nächte eingekapselt – da käme man wohl unweigerlich ins Nachdenken.
Drei Tage und drei Nächte –
und ich, ich setze mich neben Jona auf die glitschige Fischzunge und sinniere in die Dunkelheit hinei
n:

Nach 2 Jahren vielleicht das erste Osterfest,
an dem Großeltern und Enkel wieder zusammen gefeiert haben.
Gottesdienste und Konzerte, Frühlingswetter,
spektakulärer Sonnenaufgang und wunderbare Mondnacht.
Aber so richtig Feierstimmung will nicht aufkommen.
Denn immer noch bleiben da Ängste, die irgendwie offiziell keiner hat, aber doch genug Menschen, um das Speiseöl und das Mehl und das Toilettenpapier wieder aus den Regalen verschwinden zu lassen.
Die Nachrichten über den Krieg, Frauen mit Kindern und Haustieren, die auch hier ankommen.
Grausame Bilder aus Butscha,
Fragen über Lieferungen von Waffen, von denen viele gar nicht wussten, dass es sie gibt.
Andere haben Angst,
dass das Geld irgendwann nicht mehr für den Einkauf im Supermarkt und die Warmmiete reicht.
Corona ist vorbei, rufen Dritte, Maßnahmen aufheben, jetzt reicht’s.

Und sie wollen sogar vor der Impfstelle trommeln, nur weil da heute Familien geimpft werden.

Drei Tage und drei Nächte, das dritte Jahr Pandemie, das erste Jahr Krieg.
Und ich sitze hier neben Jona,
und um mich herum schwimmen halbverdaute Ängste und frisch geschluckte Sorgen.


2. Klagen aus der Tiefe

Im Bauch des Fisches betete Jona zum Herrn, seinem Gott: Als ich in Not war, schrie ich laut.
(Jona 2, 2-3)


Und ich rufe mit.
Gott, ich rufe zu Dir. Mir reicht es auch.

So viele Menschen in meiner Umgebung, die sich mit Omikron infiziert haben.
Immer die Angst, ob es mich nun auch erwischt.
Und ob wir wohl unsere Feste im Sommer wirklich unbeschwert genießen können?

Das Wasser steht mir bis zum Hals.
Die Nachrichten grausen mich.
Menschen werden auf offener Straße erschossen.
Bilder von Kindern, die in Bunkern sitzen, gehen um die Welt.
Zum ersten Mal habe ich mir darüber Gedanken gemacht, ob es so etwas wie einen „Feind“ geben kann
.

Gott, sind wir verloren? Wie lange soll es noch so weitergehen?
Was ist mit denjenigen, die ihre Arbeit verlieren, ihre Heimat?
Mit denjenigen, die sich selbst Öl und Brot nicht mehr leisten können?
Und in welcher Welt werden meine Enkel noch gut leben können?

Gott, ich rufe zu Dir in meiner Angst.
Schaue doch und erhöre mich, Herr, mein Gott!
Und bitte, mach meinen Sorgen ein Ende. Gerade jetzt an Ostern!

3. Jonas Gebet

Und wie betet Jona?

Als ich in Not war, schrie ich laut. Ich rief zum Herrn und er antwortete mir.
Aus dem Innern des Totenreichs rief ich um Hilfe. Da hast du mein lautes Schreien gehört.
In die Tiefe hattest du mich geworfen, mitten in den Strudel der Meere hinein.
Wasserströme umgaben mich.
Alle deine Wellen und Wogen – sie schlugen über mir zusammen!
Da dachte ich: Jetzt bin ich verloren, verstoßen aus deinen Augen.
Wie kann ich je wieder aufschauen, um deinen heiligen Tempel zu sehen?
Das Wasser stand mir bis zum Hals. Fluten der Urzeit umgaben mich.
Seetang schlang sich mir um den Kopf.
Zum Grund der Berge bin ich hinabgestiegen, in das Reich hinter den Toren des Todes.
Sie sollten für immer hinter mir zugehen.
Du aber hast mein Leben aus dem Abgrund gezogen, du Herr, du bist ja mein Gott.
Als ich am Ende war, erinnerte ich mich an den Herrn.
Mein Gebet drang durch zu dir, bis in deinen heiligen Tempel.
Ja, wer sich an Nichtigkeiten klammert, verliert seinen einzigen Halt im Leben.
Ich aber will dir mit lauter Stimme danken, Schlachtopfer will ich dir darbringen.
Auch meine Gelübde werde ich erfüllen. Hilfe findet sich beim Herrn!
(Jona 2, 3-10)


Aus dem Bauch des Fisches dringt keine Klage, sondern Dank. Vertrauen statt Angst:
Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.
Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir, betet Jona.

Und ich frage mich verwundert, woher er dieses Vertrauen nimmt.
Der Fischbauch wird zu einer Heilskapsel,
die Jona vor den lebensfeindlichen Elementen um ihn herum schützt.
Der dunkle, schleimige Ort ist ein Ort der Rettung,
auch wenn dies vordergründig gar nicht so aussieht.

Aber das, was Angst gemacht hat, wird auch nicht verschwiegen.
Es ist ja auch noch da.
Jona weiß nicht, ob er heil herauskommt. Aber er weiß: Gott ist bei mir.
Selbst hier im Bauch des Fisches, am dunklen Ort.

4. Gott ist da

Jonas Worte könnten Worte des auferstandenen Jesus sein.
Worte dessen, der 3 Tage und 3 Nächte verschlungen war
und nun das Licht des Ostermorgen erblickt.
Worte von einem, der am dunklen Ort war,
wo es kein Zurück mehr gibt, den Ort der totalen Gottesfinsternis,
und der nun diesen Ort verlässt.
Die Todesnot ist überwunden.
„Du hast mein Leben aus dem Abgrund gezogen“.

Gott gibt nicht auf. Niemals und niemanden.
Gott gibt Jona nicht auf. Und Jesus erst recht nicht.
Gerade die, die von uns Menschen aufgegeben werden, liegen Gott am Herzen. Auch heute.

Und gerade heute.
Es sind so viele, über die die Wogen und Wellen des Meeres gehen,
die in ihren untauglichen Booten den Weg über das Meer suchen, um im Frieden leben zu können.
So viele Jonas, deren Gebete und Geschichten wir nicht hören.
Aber Gott hört sie.
Und schickt die Seawatch und die Seaeye hinaus und wacht mit der Seabird über dem Meer.
Das Meer, für so viele ein Ort der Flucht, des Verschlingen, des Todes - und der Rettung.

Gott ist da. Am Kreuz. Im Grab mit dem Felsen davor.
Im Fischbauch. Im Flüchtlingsboot. In der Seabird. In den Ruinen von Mariupol.

So wie bei Pinocchio.
Der trifft im Bauch des Hais, der ihn verschluckt, auf Geppetto.
Der Schreiner, der Piniocchio gemacht hat.
Er hat sich aufgemacht in die Welt und seinen hölzernen Sohn gesucht.
Gesucht bis hier unten. Und hier unten, im Fisch, hat er auf ihn gewartet.
Wie tief du auch stürzen wirst, wie dunkel auch immer der Ort ist, wo du bist:
der dich gemacht hat und der dich lieb hat, wartet dort auf dich.
Und er wird dich dort nicht lassen.

Manchmal erkennst du ihn. Aber meistens eher nicht.

Meilenweit wandern zwei Jünger neben dem Auferstandenen nach Emmaus,
bevor sie ihn erkennen.
Erst als er das Brot mit ihnen bricht, gehen ihnen die Augen auf.
Es ist so viel leichter, an den Tod zu glauben, als an das Leben, auch heute noch.

Aber Gott gibt das Leben nicht auf. Und seine Menschen erst recht nicht.
Und das ist Ostern: Gottes Lebenssturheit.
Und darum bleibt Jona auch nicht im Bauch des Fisches.

5. Ausgespuckt

Da befahl der Herr dem Fisch, Jona an Land zu bringen. Dort spuckte der Fisch ihn aus. (Jona 2, 11)

An Ostermontag ausgespuckt zu werden, ist kein besonders schönes Bild.
Jona wird nicht einfach ans Land „befördert“ oder „gebracht“, „herausgeholt“
oder „kam zurück an den Strand“.
Nein, der Fisch würgt ihn heraus, mit einer solchen Wucht, dass es bis ans rettende Ufer reicht.

Ich stelle mir vor, wie er nun am Strand sitzt.
Die Haare leicht verklebt, die Kleidung trieft vom Salzwasser.
Noch etwas verdutzt und mit müden Augen in die Sonne blinzelnd – eine Alge hängt am Fuß.
Aber dann auch ein kleines Glücksgefühl, dass sich langsam bis in die Fingerspitzen ausbreitet.

Hilfe ist bei dem Herrn.

Ostern ist kein Wohlfühlfest. (so hat mich der Pforzheimer Kurier zitiert).
Ostern ist Gottes Protest gegen die Macht der dunklen Orte.
Ostern ist Gottes Lebenssturheit, die mich irgendwo hinspuckt.
Irgendwo, wo ich ahne, dass es weiter geht.
Vielleicht in dieser Kirche
oder nachher in die Fußgängerzone vor die Impfstelle, um sie zu schützen.
Vielleicht bringe ich ihnen eine Blume oder einen Schokohasen.

Gott gibt niemanden auf.
Weder Jesus noch die Jonas dieser Welt.
Mich nicht und dich nicht.
Und er spuckt uns ins Leben zurück.
Ihm klagen wir unsere Angst und Gott hört uns zu.
Und an Gottes Hand tun wir, was unsere Aufgabe ist:
Wir überlassen diese Welt nicht dem Tod und der Gewalt,
sondern leben und lieben.
Immernoch und immerwieder.

Amen.

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