Samstag, 31. Dezember 2022

Ein Wunder voll Käseschmiere

Von Maria, Ana, Hirten und einem Kind.

Predigt zu Weihnachten 2022


(in der Predigt zitiere ich ein Video einer Whiskey-Marke, das mich sehr berührt hat, weil es eine besondere Wundergeschichte erzählt. Ich verlinke es unten)

I.

Es ist ein Wunder.
Mitten in der Nacht wird es hell. Draußen auf einem Feld irgendwo.
Und ein Engel spricht zu Hirten, die Angst haben.
Männer, die für wenig Geld auf Tiere aufpassen. Schafe und Ziegen.
Irgendwo bei einem Dorf namens Bethlehem. Hier im Nichts, wo sie nichts haben, außer ihren kleinen Job und den Schutz, den sie sich gegenseitig geben können.
Ausgerechnet hier und ausgerechnet zu ihnen spricht ein Engel.

Ein Wunder, das sie überfordert.
Wieso gerade zu uns, fragen sie vielleicht.
Hier ist doch nichts. Wir sind nichts. Sind wirklich wir gemeint?

II.

Es ist ein Wunder.
Maria trägt es in ihren müden Armen. Legt es in den Futtertrog.
Und sie weiß, sie hat nochmal Glück gehabt.
Es ist warm und trocken hier. Zwischen den Tieren.
Irgendwo in einem Dorf namens Bethlehem.
Sie sind bei freundlichen Menschen untergekommen.
Die haben nur noch diesen Raum übrig, den sie mit den Tieren teilen müssen.
So ist das nun mal, wenn man niemanden kennt und arm oder im Krieg ist:
Da kann man froh sein, wenn wenigstens der Futtertrog frei ist.
Und etwas Platz zum Gebären mittendrin.

Maria trägt es in ihren Armen, das Wunder.
Den Messias. Den Gesalbten. Mary did you know?
Ein Engel hat es ihr gesagt, vor 9 Monaten.
Ausgerechnet zu ihr, die ja nur ein junges Mädchen ist. Sonst nichts. Wer ist sie schon?
Viele Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen. Und Sorgen.
Aber jetzt - im Moment der Geburt ist alles auf Null gesetzt.
Ein kleines schreiendes runzliges Wunder
Voll mit Käseschmiere und Blut und verkniffenden Augen.

Ein Wunder, das sie überfordert.
Das Licht zu hell. Die Tierlaute zu laut. Das Weinen zu verzagt. Die Zukunft unsicher.
Aber es ist da, dieses Wesen wie von einem anderen Stern.
Warm ist es. Und es braucht alle Wärme, die Tiere und Menschen ihm geben können.
Wärme und Windeln, Decke und Muttermilch, Haut und sanfte Hände.
Irgendwo in Bethlehem.
Und ja, es ist ein Wunder.

III.

Ein alter Mann in einem Dorf irgendwo. (1)
Eines Tages greift er nach dem Lippenstift seiner Frau und probiert ihn aus.
Die ersten Versuche missglücken. Er sieht eher wie ein Clown aus.
Er kauft sich weiteres Makeup und ignoriert den Blick der Verkäuferin.
Er übt. Jeden Abend. Vor dem Spiegel. Heimlich.
Manchmal steht er nachts auf, um zu üben. Seine Frau soll nichts merken.
Er steht an der Bushaltestelle und zeichnet mit dem Finger auf dem Werbeplakat die Augen des Models nach. Und irgendwann ist es perfekt: Sein Makeup.

Eines Mittags – es ist Weihnachten:  Ein Motor brummt. Autotüren klappen.
Seine Familie kommt unter fröhlichem Lachen. Kinder und Enkelkinder.
Und da ist die 26jährige Ana, die sich noch nicht traut, Ana zu sein.
Jedenfalls nicht in der Familie. Nicht an Weihnachten.

Für die Familie ist sie Alvaro. Ein schüchterner, stiller junger Mann im schwarzen Anzug.
Als alle den Tisch decken, nimmt der Großvater Ana, die noch Alvaro heißt, an die Hand
und führt sie nach nebenan.
Dann greift er zum Makeup und schminkt sie. Das, was er Abend für Abend geübt hat.
Behutsam, liebevoll, nimmt sich alle Zeit der Welt.
Ana weiß nicht, wie ihr geschieht. Das Wunder überfordert sie.
Aber als sie beide wieder zur Familie stoßen, staunen die anderen.
Und dann klatschen sie und nehmen Ana in den Arm.
Und endlich ist Ana angekommen. Mitten an Weihnachten. Irgendwo in einem Dorf.
Es ist ein Wunder.

IV.

Es ist ein Wunder.
Maria hält es in den Armen.
Ana spürt es auf der Haut.
Anas Großvater im Herzen.
Und die Hirten trauen ihren Augen nicht.
Ein Wunder, das die Menschen überfordert und verändert. Das die Seele heilt.
Ein Wunder, das allen gilt.

Es ist ein Wunder: voller Käseschmiere und nassen schwarzen Haaren.
Im Futtertrog. In einem Dorf irgendwo.
Dort, wo gelacht wird und geweint, gestritten und versöhnt.
Ein Wunder für die, die denken, dass sie es sowieso nicht verdienen.
Sie rechnen nicht damit, weil sie nicht so „wichtig“ sind wie Augustus oder Herodes.
Menschen wie die Hirten. Wie Maria. Oder wie Ana.
Irgendwo.

V.
Ja, es ist das Wunder Gottes, dass jeder Mensch liebenswert ist.
Du und ich und deine Nachbarin und das Kind in Kiew.
Ihr seid wert zu lieben. Zu achten.

Dieses Wunder Gottes glänzt in den Augen von Ana.
Es ist der Großvater, der in Anas Seele blickt und sieht, wie allein sie ist.
Und wie sehr sie sich danach sehnt, offen und frei zu leben, was sie ist.
Es ist Maria, die das runzlige Kind hält und wärmt und das Große und Weite sieht, was in ihm schlummert. Yes, Maria, you did know.
Es ist ihre Stimme, die sie erhoben hat, weil Gott es ihr zutraut.
Es ist der Mut der Hirten, auf einmal zu predigen.
Ja, sie haben was zu sagen, obwohl sie doch sonst nichts zu sagen haben.

Es ist der Engel, der zu ihnen sagt: Fürchtet euch nicht.
Denn heute ist der Heiland geboren. Geboren wie ihr. Geboren wie alle Menschenkinder.
Wunderbar gemacht, aber Gott sei Dank nicht perfekt.
Geliebt. Gewollt. Voller Sehnsucht.
Wie ihr. (2)


VI.

Ich wünsche dir dieses Wunder heute.
Ich wünsche dir, dass dich jemand in den Arm nimmt.
Dich ansieht, wie du gesehen werden willst.
Dass du spürst, wie sehr Gott dich lieb hat. Gerade dich.
Ich wünsche dir, dass du etwas erlebst, womit du nicht rechnest.
Irgendwo in Pforzheim: zuhause oder auf der Straße oder hier in den Bänken.
Ein Augenzwinkern vielleicht. Oder ein Lächeln. Oder ein Wort, ein Licht, ein Lied.
Eine Wärme, die sich wie eine Decke um deine Schultern legt.

Ich sehne mich nach diesem Wunder für die mutigen Frauen und Männer im Iran.
Dass sie leben dürfen, wie sie wollen. Frei und mutig und liebevoll.
Ich sehne mich nach diesem Wunder für die Menschen in der Ukraine.
Nicht die Herrscher Augustus und Herodes haben das Sagen,
sondern die Frauen, die ihre Haare wehen lassen und auf der Straße tanzen,
die Kinder in den U-Bahnhöfen Kiews, wo sie Schutz suchen –
und sie leben frei und müssen nicht mehr um ihr Leben fürchten.
Ja, nach diesem Wunder sehne ich mich.

Vielleicht überfordert es mich, mich und die Welt.
Aber wir brauchen dieses Wunder so sehr.

Ja, es ist dieses eine Wunder, das diese meine Sehnsucht weckt:
Das Wunder im Futtertrog irgendwo in Bethlehem -
mit Käseschmiere und rauher Stimme,
mit Tier-Atem und Armen, die es festhalten.

Es macht mein Herz weich, meine Augen hell und meinen Mut groß.
Ja, es ist ein Wunder. Ein Wunder auch für dich.
Amen.

(1) Der folgende Abschnitt erzählt das erwähnte Video nach. Zu sehen hier: https://www.youtube.com/watch?v=oOVVgEtuybk

(2) Die kursiv gedruckten Worte habe ich mir von der wunderbaren Predigerin Birgit Mattausch ausgeliehen. https://frauauge.blogspot.com/2022/12/in-diesem-jahr-meine-kleine_25.html

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