Von Barbara, Blütenzweigen, Liebespaaren und einem Gott voller Sehnsucht
Predigt zum Hohelied 2, 8 - 13 am 2. Advent
(mit großem Dank an Kathrin Oxen, deren Predigtentwurf die Grundlage für meine Predigt war. Link s.u.)
I. Barbara: passt nicht
Barbara weiß, was sie will und was nicht.
Jesus will sie. Heiraten will sie nicht. Und das geht in ihrer Zeit gar nicht. Wie es genau mit ihr war, weiß niemand. Vielleicht gab es sie auch gar nicht. Aber es gibt ihre Geschichte. Und deswegen ist heute ihr Tag: Der Tag der Heiligen Barbara, schön und klug. Immer müssen die schönen und klugen Jungfrauen sterben in solchen Heiligengeschichten. Weil es noch nie jemand aushalten konnte, wenn Frauen schön und klug zugleich sind?
In Barbaras Fall ist es ihr Vater. Er kann nicht ertragen, dass sie zu keinem Mann gehören will, bloß zu Jesus. Und da lässt er sie in einen Turm sperren, wo sie auf ihre Hinrichtung warten muss. Auf dem Weg in den Turm verfängt sich ein trockener Zweig in ihrem Gewand. Den stellt sie in ihren Becher. Und er blüht an dem Tag, als sie stirbt.
Der Barbarazweig.
Eine Geschichte voller unpassender Sehnsucht. Barbara sehnt sich danach, ein eigenes Leben zu leben und nicht den Erwartungen anderer zu gehorchen. Überhaupt nach Leben, blühendem Leben, auch und gerade, als sich alles um sie herum dunkel und tot und ohne Ausweg anfühlt. Sie sehnt sich nach Frühling und Liebe in Tod und Winter.
Mit Heiligen haben wir es in der evangelischen Kirche ja nicht so. Selbst die katholische Kirche hat Barbara inzwischen aus ihrem Heiligenkalender aussortiert. Aber die Sehnsucht lässt sich weder wegsperren noch aussortieren. Sie dringt noch durch die kleinsten Ritzen von Mauern und Fenstern und verschlossenen Türen. Sie blüht, auch im Dezember.
II. Hohelied: zwei, die zusammen passen
Er weiß, was er will - oder besser: wen er will und wer zu ihm passt. Sulamit, die schöne Geliebte. Und Sulamit weiß, wen sie will: ihren Geliebten, niemanden sonst. Ihre Sehnsucht macht die beiden Verliebten schier wahnsinnig und lässt Worte aus ihrem Herzen fließen ohne Scham, ohne Scheu, voller Poesie. Diese Worte haben ihren Platz in unserer Bibel gefunden.
Hören wir auf sie im Hohelied:
Hör ich da nicht meinen Liebsten? Ja, da kommt er auch schon!
Er springt über die Berge, hüpft herbei über die Hügel.
Mein Liebster gleicht der Gazelle oder einem jungen Hirsch.
Schon steht er an unserer Hauswand.
Er schaut durch das Fenster herein, späht durch das Fenstergitter.
Mein Liebster redet mir zu:
»Schnell, meine Freundin, meine Schöne, komm doch heraus!
Denn der Winter ist vorüber, der Regen vorbei, er hat sich verzogen.
Blumen sprießen schon aus dem Boden, die Zeit des Frühlings ist gekommen.
Turteltauben hört man in unserem Land.
Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen. Die Reben blühn, verströmen ihren Duft.
Schnell, meine Freundin, meine Schöne, komm doch heraus!
III. Worte, die nicht passen
Worte voller Sehnsucht im Advent.
Nun ja, denkst du vielleicht: Das kenn ich gut. Verliebt und voller Sehnsucht. Jede Faser deines Körpers tut weh und will berührt werden von ihm, von ihr, von diesem zauberhaften Wesen, das sich in dein Herz gestohlen hat. Aber ehrlich: was hat das mit Advent zu tun?
Vielleicht denkst du: So ein Liebeslied, das vom Frühling erzählt, von sexueller Leidenschaft, von großem Verliebtsein, das passt doch nicht hierher. Und übrigens haben wir Dezember.
Und du hast recht. Erstaunlich, dass dieses Lied einen Platz in der Bibel bekommen hat. Da ist noch nichtmal von Gott die Rede. Irgendwann geriet das Lied der Liebeslieder in das Buch der Bücher. Wie genau, das bleibt ein Geheimnis.
Ich bekenne: ich bin Gott froh darüber. Ich bin froh, dass auch die Leidenschaft, die sich an keine Regeln hält, Teil der Bibel ist.
Die jüdische Tradition hat daraus eine Leidenschaft zwischen Gott und seinem Volk Israel gemacht. Die christliche Tradition hat das übertragen auf Christus und die Kirche. Und ich vermute, wenn es Barbara gegeben hat, hat sie es genauso gelesen: Christus ist ihr Geliebter, der sich nach ihr verzehrt. Und sie sich nach ihm. Nur er ist wichtig. Niemand sonst.
Und ja, mit dieser Übertragung hat man alles Anstößige rausgenommen. Die Sexualität wurde verbannt aus der Bibel. Besonders im Christentum. Dass es mitten in der Bibel Szenen gibt, die davon erzählen, dass es Sex außerhalb der Ehe gibt - puh, da hat man lieber nicht hingeschaut.
Deshalb ist es gut, diese Lieder der Lieder auch als das zu sehen, was sie sind: orientalische erotische Lyrik - mit allem, was dazu gehört. Und das ganze Buch riecht nach Thymian und Lavendel, nach Wein und Heu und Feigen, nach Sex, Schweiß, Parfum und Bettlaken.
Und das passt in die Bibel. Punkt.
IV. Gottes Liebeslied: passt zum Advent
Ja, es ist ein Liebeslied. Ein Lied von Frühling und Liebe. Durch und durch menschlich.
Und gerade deshalb ist auch ein Liebeslied Gottes, ein adventliches Liebeslied:
Hör ich da nicht meinen Liebsten? Ja, da kommt er auch schon!
Schon steht er an unserer Hauswand.
Er schaut durch das Fenster herein, späht durch das Fenstergitter.
Probiere es aus. Höre es dann doch mal als Liebeslied Gottes:
Gott ist wie ein junger Mann, der weiß, was er will, wen er will. Er hat es eilig, zu seiner Freundin zu kommen, so wie es alle jungen Männer immer eilig haben, zu ihrer Freundin zu kommen. Oder besser: Alle, die lieben, zu denen, die sie lieben.
Wie eine Gazelle, wie ein Hirsch kommt Gott. Mühelos überwindet er die Berge und die Hügel, so jung und voller Kraft. Springend und hüpfend kommt Gott, als Überschuss an Kraft und Leben.
Still steht Gott erst vor dem Haus der Geliebten, an ihrer Tür oder vor ihrem Fenster. Gott bleibt stehen an dem Ort, wo sich die Geliebten, die Liebhaber immer schon eingefunden haben, wo schon seit Jahrtausenden ihr Ort war. Wo er immer sein wird.
Und dann ist da nur noch die Tür zwischen den beiden. Die Geliebte riecht ihn förmlich, seinen Körper. Es braucht kein Zeichen mehr, kein Klopfen oder Rufen. Denn sie kommt ihm ja schon entgegen und öffnet ihm mehr als nur eine Tür.
Eine Szene, so alt wie die Welt und das Leben: Es kommt einer, der will nur zu mir. Kommt über die Berge und Hügel, zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit der U-Bahn. Kommt und steht vor meiner Tür, mit Wind in den Haaren und dem Geruch von draußen in seiner Jacke und will zu mir.
Wie in dem Film „Tatsächlich Liebe“, wo Jamie wochenlang portugiesisch lernt, dann am heiligen Abend nach Marseille fliegt, statt mit seiner Familie zu feiern, und seiner Aurelia mitten im Restaurant einen Heiratsantrag macht.
Tatsächlich Liebe. Tatsächlich ist Gott diese Liebe - der Winter ist vorbei und es ist Frühling. Ganz egal, ob es draußen wirklich Frühling ist. Auch egal, ob es gerade der Frühling meines Lebens ist oder sein Sommer, Herbst oder Winter. Denn es kommt einer, der will nur zu mir.
Und er redet mir zu: »Schnell, meine Freundin, meine Schöne, komm doch heraus!
V. Unpassende wilde Liebe
Ein Lied vom Frühling und von der Liebe.
Ein Adventslied von einem leidenschaftlichen Gott, der sich nach dir sehnt, der weiß, was er will.
Dass er die Liebe ist, das hast du bestimmt schon oft gehört. Aber nicht so, oder?
Vielleicht eher wie eine Liebe nach vielen gemeinsamen Jahren, an einem Tisch, in einem Bett, auf einem Sofa vor einem Fernseher: Ich kenne dich gut. Bei mir kannst du sein, wie du wirklich bist. Zu mir kannst du immer zurückkommen. Und ja, das hat seinen Wert.
Aber Gott als Geliebter, als Liebhaber? Gott will nur zu dir, kann es nicht erwarten, bei dir zu sein und ruft dich: Schnell, meine Schöne, komm! Dass das einer zu dir sagt und es wirklich so meint. Dass der Frühling wiederkommt, wo schon lange Winter ist. Passt das?
Ja, Gottes Liebe ist auch zahm und fürsorglich, aber heute ist sie die junge und wilde Liebe, wie ein junger Mann mit zu viel Kraft und Wind in den Haaren. Mit Gerechtigkeitsempfinden und Leidenschaft für die Schwachen. Leidenschaft für dich.
Gott steht gleich hinter der Wand, weil er bei dir sein will, nur bei dir. Er riecht nach Thymian und Lavendel, Wein und Heu, Feigen und Schweiß und er lernt portugiesisch - nur für dich.
VI. Es passt
Passt das in die Kirche? Passt das in den Advent? Ein Lied von Frühling und Liebe?
Wir haben übrigens Anfang Dezember, sagst du. Und Angst, dass es wieder ewig dauert mit dem Frühling. Oder irgendwann sowieso vorbei ist damit, weil wir die Welt verkommen lassen und zerstören.
Man kann sich einmauern lassen von solchen Gedanken, wie Barbara in ihren Turm. Aber man sollte es nicht auch noch selber tun, dieses Einmauern.
Barbara hat in ihren Turm ein drittes Fenster brechen lassen. Das erzählt eine andere Geschichte von ihr. Ihr Vater hat getobt. Denn dies war ein Zeichen für den dreieinigen Gott, für Gottes unterschiedlichen Gestalten, bekannt und vertraut und wild und jung und voller Sehnsucht. Sieh, da steht er hinter unserer Mauer, schaut herein durch die Fenster, späht durch die Gitter.
Gott weiß, was er will.
Gott will dich.
Und darum singt er ein Lied voller Liebe. Menschlich und göttlich zugleich.
Und die Geschichte von dem Zweig, der mitten im Winter blüht, sie erzählt von diesem Gott:
er steht vor deiner Tür. Mach ihm auf.
Amen
*Kathrins wunderbare Predigt ist nachzulesen unter: Nachzulesen unter https://www.facebook.com/kathrin.oxen/posts/pfbid0bmjZLaW6pRvb9mkjktaJoUNs7et32Y3AomPDQvnGXpGNe1MDzngZt9vEFUa1mYsSl
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