Montag, 10. April 2023

Frage mich nach der Auferstehung

... und ich erzähle dir...
Predigt am Ostermontagmorgen


 I.
sie fragen mich nach der auferstehung
sicher sicher gehört hab ich davon
daß ein mensch dem tod nicht mehr entgegenrast
daß der tod hinter einem sein kann
weil vor einem die liebe ist
daß die angst hinter einem sein kann
die angst verlassen zu bleiben
weil man selber - gehört hab ich davon
so ganz wird daß nichts da ist
das fortgehen könnte für immer

ach fragt nicht nach der auferstehung
ein märchen aus uralten zeiten
das kommt dir schnell aus dem sinn
ich höre denen zu
die mich austrocknen und kleinmachen
ich richte mich ein
auf die langsame gewöhnung ans totsein
in der geheizten wohnung
den großen stein vor der tür

ach frag du mich nach der auferstehung
ach hör nicht auf mich zu fragen


(Dorothee Sölle (1))

II.
Ach, frag du mich nach der Auferstehung.
Frag, was ich dazu denke, fühle oder auch nicht fühle.
Halte aus, dass ich womöglich nur stammeln kann,
denn das Ganze ist ja viel zu groß und überhaupt nicht zu begreifen.
Und der Widerspruch der Welt ist so mächtig.
Der Tod so stark - nicht nur in der Ukraine oder im Iran oder in Israel.
Aber bitte frag mich. Und ich frage auch dich.
Und wir versuchen Worte zu finden,
die diese Auferstehung irgendwie fassen können.
Lass uns davon erzählen. So wie die vor uns das erzählt haben.

III.
Was hat Maria Magdalena erzählt, als sie vom Grab zurück kam (2)?
Hat sie von ihrer Suche erzählt,
von ihrer Trauer, dass ihr noch nicht mal mehr der Leichnam bleibt?
Wo kann sie ihren Jesus denn noch mal anfassen, spüren, streicheln, salben?
Und dann war da dieser Gärtner und sie hörte Jesus aus seinem Mund.
Und plötzlich wusste sie: mein lieber Jesus lebt. Er ist nicht mehr bei den Toten.
Und alles fängt neu an. Ganz neu. Ganz anders. Mit Jesus.
So wie er einst mit ihr neu angefangen hat.
Ach, frage du Maria nach der Auferstehung und sie wird dir von dem Gärtner erzählen
und davon, dass Jesus sie ins Leben schickt, ins bunte pralle Leben.

Was haben Simon und Thomas erzählt und Nathanael und die Zebedaiden?
Haben sie von dem Morgen am See erzählt, als sie wieder mal nichts gefangen haben (3)?
Und wie Jesus zu ihnen kommt und sie erkennen ihn nicht.
Und dann schickt er sie nochmal raus aufs Wasser und sie fingen so viele Fische wie noch nie!
Haben sie davon erzählt, wie er mit ihnen Brot teilte und Fisch?
Und sie wussten es: er ist es. Er lebt. Er ist da - immer da.
Ach, frage du Simon und Thomas und Nathanael und die Zebedaiden nach der Auferstehung
und sie werden dir von dem Seeufer erzählen und von gegrillten Fischen und geteiltem Brot
(und vielleicht auch davon, dass Simon nackt war und das war irgendwie ein bischen peinlich).

IV.
Und was hat Paulus erzählt?
Lesen wir seine Worte an die Gemeinde in Korinth (4):

Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.

Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.


V.
Frage du Paulus nach der Auferstehung und er wird dir erzählen,
dass Jesus ihn vom hohen Ross herunter geholt hat.
Das war vor Damaskus und plötzlich konnte er nichts mehr sehen.
Aber er hörte die Stimme von Jesus.
Er hat ihn ja nicht kennengelernt, als Jesus als Wanderprediger durch Galiläa streifte
und die Verlorenen suchte und die Kranken heilte.
Als er die Kinder segnete und Zachäus vom Baum holte
und die Jünger und Jüngerinnen losschickte, um es ihm nachzutun:
zu heilen und das Reich Gottes zu predigen.
Paulus lernte Jesus erst rund 20 Jahre nach seinem Tod kennen.

Frag du Paulus nach der Auferstehung und er wird dir erzählen,
dass ihm dieser Jesus ihm die Augen geöffnet hat.
Durch Jesus hat Paulus die Gnade entdeckt. Sie war ja immer schon da.
Gott schaut dich mit liebevollen Augen an.
Du musst ihm nicht beweisen, wie gläubig du bist
oder wie fleißig oder wie klug oder wie erfolgreich.
Alles das zählt nicht. Aber du zählst.
So wie du bist, bist du wertvoll.
So wie du bist, machst du die Welt zu einem wunderbaren Ort.
Und auch wenn du Mist baust oder nicht mehr weiter kannst:
aus dieser Liebe Gottes, aus dieser Gnade kannst du nicht rausfallen.
Niemals.

Frag du Paulus nach der Auferstehung und er wird dir von seinem Staunen erzählen:
dass ausgerechnet er, der sich als unzeitige Geburt betitelt,
dass ausgerechnet er von diesem Jesus und von dieser Gnade erzählen kann.
Dass er den Mut hat, das zu tun.
Paulus wird dir von dem Stachel im Fleisch erzählen, von seinem Stottern
und auch davon, dass er immer wieder in alte Muster zurück fällt,
wenn er doch wieder anfängt, seine Leistungen aufzuzählen.
Paulus wird dir erzählen, dass er enttäuscht wurde
von den Christen und Christinnen, mit denen er zu tun hatte.
Aber auch, dass er sie enttäuscht hat.
Und Paulus wird dir von der Liebe erzählen,
die größer und wichtiger ist als jeder noch so richtige Glaube.

Frag Paulus nach der Auferstehung und er wird dir von den Anfängen erzählen:
von den ersten Jüngern und Jüngerinnen
und wie mit ihnen und Jesus der christliche Glaube begonnen hat.
Als Paulus Jesus kennenlernte, waren die Geschichten von Jesus noch nicht aufgeschrieben.
Paulus kannte die Geschichten von Maria am Grab
und vom großen Fischfang der Jünger vielleicht noch nicht.
Paulus hatte einen anderen Anfang mit Jesus als sie.
Und vielleicht wusste er auch noch nicht, dass doch die Maria die erste war,
die den auferstandenen Jesus gesehen hat. Vielleicht wurde es ihm noch nicht erzählt.

VI.
Aber mir wurden diese Geschichten erzählt - von meiner Mutter und im Kindergottesdienst.
Und später in vielen vielen Gesprächen mit dem Jugendpastor in Hamburg,
der mich inspirierte wie kein anderer,
weil er alle Fragen zu ließ und jeder Zweifel durfte sein.
Und ich hatte viele Fragen.

Fragst du mich nach der Auferstehung,
so erzähle ich von diesem Jesus, der gar nicht anders kann als lieben.
Und der mich so gefangen nimmt
und mit ihm kann ich weinen und lachen und leicht und schwer sein.
Er preist die Sanftmütigen und die Friedensstifterinnen,
lässt sich von einer Ausländerin belehren und weint um den toten Lazarus.
Und selbst der Tod stoppt seine Liebe nicht.

Fragst du mich nach der Auferstehung,
erzähle ich dir von meiner Freundin, die mich in den Arm nahm,
als ich dachte, ich könnte nicht mehr Pfarrerin sein.
Und ich erzähle dir von der Therapeutin:
die schickte mich los, damit ich mir Blumen für mich kaufe, weil ich es wert bin.
Jede Blume für ein wertvolles Stück Christiane. Gnadenblumen.
Und ich erzähle dir von meinen Gnadenliedern - Lieder, die mich aufrichten.
"Der Lärm verebbt" - zum Beispiel.
Oder "My Constellation" von den Lord of the Lost.

VII.
Ach, frage mich nach der Auferstehung,
Frag, was ich dazu denke, fühle oder auch nicht fühle.
Halte aus, dass ich womöglich nur stammeln kann,
denn das Ganze ist ja viel zu groß und überhaupt nicht zu begreifen.
Und der Widerspruch der Welt ist so mächtig.
Der Tod so stark - nicht nur in der Ukraine oder im Iran oder in Israel.
Aber bitte frag mich nach der Auferstehung. Und ich frage auch dich.
Und wir versuchen Worte zu finden, die diese Auferstehung irgendwie fassen.
Wir erzählen von Jesus, dem Gärtner,  und dem leeren Grab
und von geteiltem Brot und gegrillten Fisch.
Wir erzählen davon,
dass auch in unserem unfertigen und unspektakulären Leben Gottes Gnade wirkt,
wie sie bei Paulus und Simon und Maria wirkte.

Wir erzählen von der Auferstehung und wir stehen auf in ein buntes Leben
und wir rollen den Stein des Todes weg.
Wir stehen auf für eine Welt voller Gnade.  Jeden Tag.

VIII.
(noch einmal Dorothee Sölle:)
sie fragen mich nach der auferstehung
sicher sicher gehört hab ich davon
daß ein mensch dem tod nicht mehr entgegenrast
daß der tod hinter einem sein kann
weil vor einem die liebe ist
daß die angst hinter einem sein kann
die angst verlassen zu bleiben
weil man selber - gehört hab ich davon
so ganz wird daß nichts da ist
das fortgehen könnte für immer
(....)
ach frag du mich nach der auferstehung
ach hör nicht auf mich zu fragen


Amen.

(1) Gedicht von Dorothee Sölle, die demnächst ihren 20. Todestag hat

(2) Johannes 20, 1-18

(3) Johannes 21, 1-14

(4) 1. Korinther 15, 1-11

2 Kommentare:

  1. Danke für diesen Beitrag, den ich sehr anregend finde!

    Frage mich nach der Auferstehung und ich muss sagen, dass man heute noch besser als früher weiß, dass und warum eine körperliche Auferstehung von Toten nicht möglich ist: wenige Minuten nach dem Tod beginnen irreversible Zersetzungsprozesse. Ich bin Ingenieur und in meinem Denken naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verpflichtet, wenn ich ehrlich und wahrhaftig sein will.

    Frage mich nach der Auferstehung, und ich sage dir, dass sie selbst unter Theologen umstritten ist. Der Theologe Reimarus hat bereits vor langer Zeit die Widersprüche zwischen den verschiedenen biblischen Bericht intensiv und systematisch untersucht. Danach blieb so gut wie nichts mehr übrig, und er hat es wohl zu Recht nicht gewagt, seine Ergebnisse zu Lebzeiten zu veröffentlichen, so dass sie erst nach seinem Tod bekannt wurden. Der modernere Theologe Bultmann hat ein Modell der "Auferstehung ins Kerygma" angeboten, das aber wohl für die praktische Verkündigung nichts taugt.

    Frage mich nach der Auferstehung, und ich begreife mit den Jahren immer mehr, dass sie eine zentrale, tragende Säule des Christentums ist, die man nicht einfach wegnehmen kann.

    Frage mich nach der Auferstehung, und ich kann sagen, dass mir vor kurzem ein lieber Verstorbener im Traum begegnet ist. Ich habe selbst im Traum gedacht: Das kann nicht sein. Ich habe ihn vorsichtig berührt und er fühlte sich materiell an. Selten hat mich ein Traum so bewegt wie dieser, und ich verstehe seitdem die ersten Jünger besser.

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  2. Danke für die persönlichen, ehrlichen und berührenden Einblicke!

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