Dienstag, 6. Februar 2024

Manchmal lässt du auf dich warten, Gott

Predigt zu Markus 4

1.
Wo bist du, Gott?
Wir bitten dich, dass dein Reich kommen möge. Jedes Mal in diesem Gottesdienst.
Dass du da bist, dass wir dich spüren, dass wir mit dir eins sind, im Einklang mit der Schöpfung.
Und dann schlage ich die Zeitungen auf oder höre im Radio
oder lese im Netz von jungen Männern, die im Iran hingerichtet werden,
weil sie für die Freiheit von Frauen kämpfen.
Oder von AfDlern, die offen davon sprechen, die Parteiendemokratie abschaffen zu wollen.
Ich höre von Familien, denen das Geld fehlt für die Klassenreise ihres jüngsten Kindes.
Oder ich höre Detlev Zander, wie er von sich und den vielen Menschen spricht,
die in unserer evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben
und die nie gehört wurden.
Wo bist du, Gott? Wo bleibst du? Wann kommst du endlich?

Jesus erzählt von dir auf seine Weise (Markus 4):
»Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern.
Er streut die Körner auf das Land,
dann legt er sich schlafen und steht wieder auf –
tagaus, tagein.
Die Saat geht auf und wächst – aber der Bauer weiß nicht, wie das geschieht.
Ganz von selbst bringt die Erde die Frucht hervor.
Zuerst den Halm, dann die Ähre und zuletzt den reifen Weizen in der Ähre.
Wenn das Getreide reif ist, schickt er sofort die Erntearbeiter los,
denn die Erntezeit ist da.«


2.
Du lässt auf dich warten, Gott!
Und ich muss mich in Geduld üben. Oje!
Dein Wort ruht in der Erde und ich muss das aushalten.
Die Samen hast du gelegt.
Worte zur Nächstenliebe und Fremdenliebe.
Worte der Hoffnung, dass alles gut werden kann.
Das Wissen, dass jeder Mensch von dir geliebt ist und eine Würde hat,
egal woher er kommt und wen sie liebt.
Worte, dass es nicht gerecht ist, wenn Menschen in Armut leben.
Ja, diese Samen hast du gelegt, und ich streue sie weiter.

Und ja, auch ich habe meinen Anteil daran.
Ich lege die Hände nicht einfach in den Schoß. Ich streue weiter.
Ich widerspreche, wo Menschen das Netz mit Hass überfluten.
Ich versuche mit denen ins Gespräch zu kommen,
die alles, was schief läuft, auf die Ampel schieben oder auf die Medien oder auf die Migranten.
Ich spende für Brot für die Welt.
Ich gehe sogar demonstrieren.
Und unterstütze die Vesperkirche.
Samen für das Reich Gottes.
Nicht damit ich besser da stehe oder mich gut fühle,
sondern damit die Welt zu einem besseren Ort wird.
Ein Ort, wo alle spüren, dass du da bist. Oder bald da bist.
Den Boden bereiten.

3.
Ja, du lässt auf dich warten, sagt Jesus.
Und ich merke, dass ich nicht immer Samen streuen kann.
Ich kann nicht alles. Und das ist gut so.
Schlafen und ruhen sind genauso wichtig wie streuen und ackern.
Pause machen. Ausruhen. Loslassen. Überhaupt: lassen. Nicht immer nur tun.
Das ist schwer heutzutage.
Und zugleich werden immer mehr Menschen auf dazu gezwungen.
Sie können nicht mehr. Werden krank. Oder einfach nur müde.
Und manche dürfen auch nicht.
Packerinnen bei Klingel verlieren ihre Arbeit.
Oder Flüchtlinge dürfen oft nicht arbeiten.

Okay, das ist nicht dasselbe wie bei dem Bauern, von dem Jesus erzählt.
Aber manchmal fühlt es sich vielleicht genauso an:
Ich. Kann. Nichts. Tun.

Ich kann nichts ändern.
Und wenn ich das Gefühl habe, dass alles vergeblich ist.
Meine Stimme zählt nichts. Rechte Ideologie wird immer lauter.
Die Armen werden noch ärmer. Und die Abschiebungen gnadenloser.

Ja, du lässt auf dich warten, Gott.
Und das halte ich manchmal nur schwer aus.

4.
»Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern.
Er streut die Körner auf das Land,
dann legt er sich schlafen und steht wieder auf –
tagaus, tagein.
Die Saat geht auf und wächst – aber der Bauer weiß nicht, wie das geschieht.“


Manchmal weiß ich auch nicht, wie was geschieht.
Dass seit 3 Wochen die Menschen auf die Straße gehen, um die Demokratie zu verteidigen.
Dass ein iranischer Sänger doch wieder frei kommt.
Dass 50 deutsche Unternehmen die Viertagewoche testen.

Ja, manchmal wissen wir nicht, wie was geschieht.
Als vor 25 Jahren Maria Trautz und Christel Rieke in Pforzheim die Idee mit der Vesperkirche hatten
und anfingen, diese Idee umzusetzen, hätten sie auch nicht gedacht, wie groß sie werden würde.
Wieviele helfen würden, wieviele spenden würden,
wieviele her kommen und sich auf diese Zeit freuen.
Die Saat, die sie gelegt hatten, ging auf und sie wussten nicht, wie ihnen geschah.

Als ich letztes Jahr am 15. Oktober
mit über 20 anderen aus den verschiedenen Religionen unserer Stadt in der Synagoge war,
um unseren jüdischen Freunden zu zeigen, dass wir an ihrer Seite sind,
war es wie ein „ich weiß nicht, wie das geschieht“.
Denn es war wie ein Wunder.
8 Jahre vorher wäre das so noch nicht möglich gewesen.
Damals - vor 8 Jahren - gab es hasserfüllte Gazademos und brennende Davidssterne.
Und nun - letzten Oktober - waren wir gemeinsam da:
Muslime, Jesiden, Aleviten, Christen. Als Freunde und Freundinnen.
Die Saat, über Jahre gelegt -
viele Gespräche, viele Besuche, viel Lachen, viel Streit, viel gemeinsam Essen,
viel Zuhören und sogar getanzt haben wir zusammen -
und nun ging die Saat auf:
wir waren und blieben beieinander -
auch als sich um uns herum die Welt spaltete in pro Gaza und pro Israel.

5.
Auch wenn es wichtig ist, die Saat zu kennen, die wir streuen:
Es ist gut, dass wir manchmal nicht wissen, warum was gedeiht.
Dass nicht alles erklärbar ist oder nicht alles einfach zu machen.
Das Stück Wunderhafte macht zumindest mich demütig.
Ich weiß ja, dass es nicht an mir alleine liegt, ob eine Saat aufgeht.
Ich brauche andere Menschen dazu, die mitsäen und ackern.
Manchmal muss es einfach der richtige Zeitpunkt sein.
Und du musst da sein, Gott....

Ich bin dankbar, dass Correctiv nun aufgedeckt hat,
was die AfD Menschenverachtendes denkt und sagt - auch wenn mir vieles nicht neu war.
Aber auf einmal haben es alles gehört.
Ich bin dankbar, dass es nun diese ForuM-Studie gibt,
die aufdeckt, wie in meiner geliebten evangelischen Kirche jahrzehntelang weggeschaut wurde,
als Pfarrer ihre Macht missbraucht haben.
Auch wenn es weh tut: wir müssen hinschauen und hinhören und ernst nehmen, was da passiert ist.
Und dann das Richtige tun: Betroffene entschädigen und Täter bestrafen.
Auch wenn es verjährt ist.
Da haben viele Menschen viel Saat gelegt und nun geht sie auf.
Und das ist gut so.

6.
Auch wenn ich manchmal nicht weiß, wie was geschieht:
ich kann den Boden bereiten.
Ich kann Samen streuen. Ich kann Pause machen. Und ich kann hinsehen.
Und dann entdecke ich auch, wenn etwas wächst und da ist.
Und wenn die Zeit reif ist, dass was passiert.
Und ich entdecke dich, Gott.
Mitten drin. Mitten in meinem Leben. Mitten in meiner Welt.

Hier an den Tischen der Vesperkirche. Und im Hefezopf.
Und bei Brot und Kelch im Abendmahl.
Im richtigen Wort zur richtigen Zeit, das mich ermutigt.
In der Sprachnachricht von meinem Freund Michael, der mir zeigt, wie nah er mir ist -
trotz der vielen 100 Km zwischen uns  .
In den Blumensträußen am Straßenrand zwischen Neuhausen und Schellbronn.
Und im leidenschaftlichen Streit mit meinen jüdischen Freunden.
Ja, auch in der Studie zur sexualisierten Gewalt, weil endlich die Betroffenen zu Wort kommen.
Worte, die lange in der Erde ruhten. Viel zu lange.

Ja, da bist du, Gott. Auch wenn du immer wieder auf dich warten lässt.
Und ich entdecke dich, wenn es Zeit ist.
Und ich weiß nicht, wie das geschieht.
Aber ich will, dass mir das nichts ausmacht. Sondern dass ich auf dich vertraue.

Ich säe die Saat, ich schlafe und wache, esse und trinke,
ich halte meine Augen und Ohren offen,
und es kommt der Moment, da wächst die Saat.
Da wird sie grün und stark.
Weil du sie wachsen lässt.
Tun und Lassen und wach sein.
Und dann bist du da, Gott.
Ja, jetzt bist du da.
Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen