Ansprache anlässlich des Gedenktags der Zerstörung Pforzheims am 23. Februar (1)
„Wenn ich heute zurückdenke, dann kann ich nur hoffen
und beten, dass so etwas nie wieder geschieht!“
Das sagte eine Zeitzeugin vor 3 Jahren (2).
Am 23. Februar 1945 war sie 12 Jahre alt.
Sie und ihre Familie lebten im Norden der Stadt.
Ihr Haus hatte keinen Keller, also versteckten sie sich, so gut es ging,
in einem Graben im Garten.
Die Angst, dass es sie erwischen würde, ist immer noch präsent.
Wie auch das Weinen der Mutter.
Denn da waren ja noch die 2 Schwestern unten in der Stadt, als die Bomben fielen.
Sie haben sie in den Trümmern nie gefunden.
„Dass so etwas nie wieder geschehe“.
Nie wieder - wie ein Stoßgebet.
Ein Auftrag an die Menschen damals und heute:
Lebt den Frieden. Nicht den Krieg. Und lernt aus dem, was uns passiert ist.
Und ja, wir haben gelernt.
Wir haben ein Grundgesetz, das auf dem Boden der Menschenrechte fußt.
„Dass so etwas nie wieder geschehe.“
Die Stadt Pforzheim ist wieder aufgebaut und sie ist größer als je zuvor.
Die Freundschaften mit Menschen in aller Welt tun uns gut.
Unsere Stadt ist bunt und international und lernt jeden Tag neu,
wie es gehen kann mit dem Frieden.
Aber Narben sind sichtbar – alleine hier auf dem Hauptfriedhof -
und die Narben in den Seelen der Zeitzeugen tun immer noch weh.
Wir wissen, wie unsere Vorfahren hinein verstrickt waren in Schuld und Gewalt.
Und es gibt wieder Krieg in Europa.
Und ja, alles das mahnt uns: Nie wieder.
Wir lernen den Frieden und jeden Tag fühlt er sich neu an.
Er riecht nach gefüllten Zwiebeln, die mir Wajida, meine jesidische Nachbarin, vorbei bringt,
duftet nach Thymian und Zitrone.
Aus dem Irak ist Wajida hierher geflohen und hat hier ein neues Zuhause gefunden.
Das alles teilt sie mit mir, wenn sie mir ihre dampfende Schüssel reicht.
Wir lernen den Frieden -
er klingt nach kyrillischen und arabischen Buchstaben,
und nach Saz, der kurdischen Gitarre mit ihrem langen Hals, deren Töne miteinander verschwimmen.
Er schmeckt nach dem Hummus meiner jüdischen Glaubensgeschwister,
zu dem sie mich an Chanukka einladen.
Gemeinsam zünden wir die Kerzen am Chanukka-Leuchter an
und wir teilen unsere Sorgen um den Frieden in Israel und Gaza
zusammen mit unseren muslimischen Freunden.
In der Vesperkirche teilen wir Zeit, Essen und Frieden mit Alten und Jungen.
Und die Kinder in der Pforzheimer Kita der Religionen leben jeden Tag diesen Frieden.
Irenicus heißt die Kita. Irenicus - Der Friedensbringer.
Wir leben hier in einer Stadt und wissen so wenig voneinander.
Aber wir brauchen uns. Immer wieder machen wir uns das klar.
Und so tasten wir uns vor und lernen uns kennen.
Wir machen auch Fehler. Und lernen daraus.
Immer wieder lernen wir, wie es gehen kann mit dem Frieden.
Und wir spüren genau: nie wieder ist jetzt.
Im Vers 9, vom 85. Psalm heißt es:
„Ich will hören, was Gott zu sagen hat. Er redet vom Frieden.
Er verspricht ihn seinem Volk und seinen Frommen.
Doch sie sollen nicht mehr zurückkehren zu den Dummheiten der Vergangenheit!“
Nehmt den Frieden ernst, sagt Gott.
Passt auf ihn auf.
Gebt der Liebe Raum und nicht dem Hass.
Verbindet euch, statt euch gegeneinander aufhetzen zu lassen.
Sagt ja zu Menschenrechten, die allen gelten, ja zur Demokratie,
und sagt nein zum nationalistischem Albtraum.
Geht respektvoll miteinander um,
auch mit denen,
die anders sind, anders lieben, anders glauben.
Ja, nehmen wir den Frieden ernst,
denn es gibt sie, die den Frieden bedrohen.
Sie wiederholen die "Dummheiten der Vergangenheit".
Sie überfallen die Ukraine. Sie ermorden Menschen in israelischen Kibbuzim.
Sie opfern ihre eigene Bevölkerung im Gaza und im Iran und in Russland.
Es gibt sie, die die Dummheiten der Vergangenheit wiederholen:
Sie bedrohen die Synagoge und die Moscheen hier.
Bereiten den Boden für Hass und Gewalt.
Und jedes Jahr kommen sie auf den Wartberg mit ihren Fackeln.
Immer wieder am 23. Februar.
Nie wieder ist jetzt!
Und wenn es uns ernst ist mit dem Frieden,
dann stehen wir auf gegen diese Dummheiten der Vergangenheit.
Immer wieder.
Wir sagen laut, dass wir nur miteinander leben können und wollen,
- ohne den Hass der Ewiggestrigen.
Wir stellen uns vor die, die bedroht werden.
Wir lassen den Frieden nicht nur auf der Zunge zergehen, sondern köcheln ihn weiter.
Mit allen Zutaten, die bei den Menschen in unserer Stadt zu finden sind.
Das gibt uns Kraft.
Kraft für den Frieden.
Kraft für unsere Demokratie.
„Wenn ich heute zurückdenke,
dann kann ich nur hoffen und beten,
dass so etwas nie wieder geschieht!“
Ja, ich bete mit der Zeitzeugin um den Frieden für unsere Stadt und unser Land.
Ich bete um einen Frieden, der größer ist als unser zerbrechliches Wir.
Dieser Friede soll uns zusammenbringen aus Nah und Fern,
mit unseren Sprachen und Gerüchen und Tönen.
Zu diesem Frieden gehören meine jesidische Nachbarin
und mein jüdischer Glaubensbruder,
mein alevitischer Freund
und natürlich unsere Zeitzeuginnen.
Ich will diesen Frieden lernen - mit euch und über alle Trümmer hinweg.
Immer wieder. Denn nie wieder ist jetzt.
(1) Am 23.2.1945 wurde Pforzheim durch Bomben der britischen Luftwaffe innerhalb von 20 Minuten zerstört. 80% der Innenstadt lag in Trümmer, nahezu ein Drittel der damaligen Bevölkerung kam ums Leben (ca 17.600 Menschen). Bis heute ist dieses traumatische Ereignis präsent. Und leider wird es durch rechte und rechtsextreme Gruppen geschichtsrevisionistisch interpretiert bishin zu einer sog. "Fackelmahnwache" auf dem Wartberg am Rand der Stadt.
Jedes Jahr rund um den 23.2. gibt es seitens der Stadt und ihrer Bevölkerung zahlreiche Veranstaltungen, die das Gedenken auf vielfältige Weise gestalten.
Wichtig dazu ist die sog. "Pforzheimer Erklärung" (https://www.pforzheim.de/stadt/stadtgeschichte/gedenken-friedenskultur/gedenktage/23-februar/erklaerung-zum-23-februar-2023.html)
Meine Rede habe ich auf dem Hauptfriedhof gehalten.
(1) https://www.pz-news.de/pforzheim_artikel,-Tod-im-Feuersturm-Video-Interview-mit-Zeitzeugin-Therese-Ratzenberger-zum-23-Februar-1945-_arid,1415026.html
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