Sonntag, 25. Oktober 2015

Nüchterne und zukunftsweisende Gedanken des Friedens

Predigt zu Jeremia 29 (gehalten am 25.10.2015 in Büchenbronn)

I.
Zuhause ist weit weg.
Ganz weit weg.
Ein ganzes Meer weit weg.
Ein Gebirge weit.
Und ein wochenlanger Fußweg weit.
Und die vielen Geldscheine in der Hand des Schleusers.
Zuhause ist weit weg.
Auf dem Weg verloren sie noch mehr Zuhause.
Wenn die Mutter mit der kleinen Schwester in der Türkei bleiben musste.
Wenn der Cousin im Boot nebenan untergegangen ist.
Wenn der Zaun an der Grenze immer größer wird.
Und wenn die wütenden Schreie von draußen in das neue Heim dringen.
Ausländer raus, brüllen welche.
Sie verstehen nicht, was sie sagen.
Aber sie spüren, dass sie nicht gewollt sind von denen da draußen.
Zuhause ist weit weg.

II.
Gedanken des Leids.
Zuhause ist weit weg.
Und nun sitzen sie hier in Babel an den Wassern.
Sie, an die Jeremia schreibt.
Ohne Zukunft.
Ohne Tempel.
Ohne das, was alles so vertraut und sicher macht.

Zuhause gibt es nicht mehr.
Kaputt gebombt.
Kaputt gebrannt.
Der Garten mit dem Olivenbaum.
Die Lilien, die im Sommer blühten.
Die kleine Mauer, auf der die Nachbarskinder so gerne saßen.
Die Trauben, die so süß schmeckten, wenn sie reif waren.
Das alles gibt es nicht mehr.
Jedenfalls nicht mehr für sie,
an die Jeremia schreibt.

III.
Und so hören wir Worte von Jeremia (Kapitel 29, Verse 4 bis 7):
So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels,
zu den Weggeführten,
die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
Baut Häuser und wohnt darin;
pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter,
nehmt für eure Söhne Frauen
und gebt eure Töchter Männern,
dass sie Söhne und Töchter gebären;
mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen,
und betet für sie zum HERRN;
denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.


IV.
Gedanken, die Zukunft bauen.
Gedanken des Lebens.

Richtet euch ein. Denn Gott ist bei euch.
Auch wenn kein Tempel da ist.
Auch wenn kein Priester da ist.
Richtet euch ein. Denn Gott ist bei euch.
Auch wenn das Zuhause weit weg ist.
Ihr könnt ein zweites Zuhause haben.
Und da gibt es auch wieder eine kleine Mauer, wo Kinder darauf sitzen können.
Die Trauben sind vielleicht etwas saurer,
aber dafür gibt es süße Äpfel.
Und einen Zwetschgenbaum.
Ihr könnt zwei oder drei oder vier Heimaten haben.
Dort, wo ihr seid, werdet ihr gebraucht.
Mit eurer Kraft.
Euren Ideen.
Eurer Liebe.
Ja, auch mit eurem Gebet.
Und das Wohl des Landes suchen.

Ihr denkt, ihr seid am falschen Ort?
Unrein und ohne Gott?
Ihr meint, nur wo ihr herkommt, ist es richtig?
Nur wie es früher war, ist es richtig?
Nur wenn alles wie gewohnt läuft, ist es richtig?
Nur wenn ihr ihr schwarz und weiß, richtig und falsch,
gut und böse benennen könnt, ist es richtig?
Nein, es wird nicht immer so bleiben, wie es war.
Sondern eure Welt verändert sich.
Ihr verändert euch.
Das Leben verändert euch.
Was ihr glaubt, verändert sich.

Gedanken, die Zukunft bauen,
die habe ich für euch.
Menschen leben heute anders als früher,
aber sie brauchen immer noch Gott.
Menschen lieben anders als früher,
aber sie suchen immer noch Gott.
Gott ist kein Gott, der nur in der Kirche oder im Tempel auf euch wartet.
Gott ist auch nicht nur da, wo die Regeln von früher gelten.
Und Gott ist auch nicht auf eine Religion beschränkt.
Gott ist in der Fremde. Im Exil.
Dort, wo alles anders ist.

V.
Aber das macht Angst, oder?
Angst, weil das Zuhause weit weg ist
und alle Sicherheit.
Das Vertraute,
das Alte,
das Richtige.
Alles das
ist weg.
Heute mehr denn je.
Selbst in der Kirche ist nichts mehr wie es war.
Und wie wird sich unsere Gesellschaft verändern?
Mit den vielen Zuwanderern,
die so viel Leid mitbringen,
und auch andere Gedanken,
und viele auch eine andere Religion.
Woran können wir uns noch halten,
wenn noch nicht mal mehr unsere Grenzen halten?

In diese Angst, die jeder hat,
können sich Gedanken des Unfriedens einnisten.
Gedanken des Neids.
Gedanken des Hasses.
Gedanken der Gewalt.
Gedanken der Lüge.

VI.
Und so schreibt Jeremia weiter (Verse 8 und 9):
Lasst euch durch die Propheten, die bei euch sind,
und durch die Wahrsager nicht betrügen,
und hört nicht auf die Träume, die sie träumen!
Denn sie weissagen euch Lüge in meinem Namen.
Ich habe sie nicht gesandt, spricht der HERR.


Nicht in meinem Namen.
Unter diesem Titel gab es vor einem Jahr eine Kampagne als Pegida los ging.
Ihr lauft nicht in meinem Namen.
Eure Hetze gegen Muslime geschieht nicht in meinem Namen.
Eure Lügen über eine angebliche Invasion durch Fremde
geschehen nicht in meinem Namen.
Eure Träume von einer Mauer um Deutschland herum
oder auch um Europa
geschehen nicht in meinem Namen.
Das sind Gedanken des Hasses.
Sie schüren Angst vor denen,
die da kommen und Sicherheit suchen
und Zukunft bauen wollen.
Sie nähren den Neid der Armen und Benachteiligten.
Sie säen die Zwietracht zwischen denen, die einander beistehen sollten.
Gedanken des Hasses sind es.
Aber nicht meine, sagt Gott.

Hast du andere Gedanken für uns, Gott?
Wir brauchen andere Gedanken.
Gedanken, die uns stärken
und trösten
und die uns lieben lassen
und leben.
Hast du solche Gedanken für uns, Gott?

VII.
Jeremia schreibt weiter (Verse 10 bis 14):
Denn so spricht der HERR:
Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind,
so will ich euch heimsuchen
und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen,
dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe,
spricht der HERR:
Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.
Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten
und ich will euch erhören.
Ihr werdet mich suchen und finden;
denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen,
spricht der HERR,
und will eure Gefangenschaft wenden
und euch sammeln aus allen Völkern
und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe,
spricht der HERR,
und will euch wieder an diesen Ort bringen,
von wo ich euch habe wegführen lassen.


VIII.
Gedanken des Friedens.
Ihr Israeliten im Exil
sucht das Wohl des Landes eurer Feinde!
Lasst euch nicht treiben von Hass und Zorn und Rache
sondern betet für die, die eure Not verantworten.
Arbeitet mit ihnen.
Lebt mit ihnen zusammen.
Und bekommt Kinder.

Gedanken des Friedens
Ich muss an Navid Kermani denken
an seine Rede als Friedenspreisträger
letzten Sonntag.
Wie er erzählt von Pater Jacques,
der in Syrien bleibt,
dort, wo seine Peiniger sind und
die Menschen nicht aufgeben kann und mag.
Er liebt den Islam und leidet unter der Fratze des IS.
Und dann wird Pater Jacques entführt
und zum Schluss wieder befreit
nicht von den Christen,
sondern von den Muslimen seines Ortes.
Sie wollen dort nicht aufgeben
und sich nicht anstecken lassen vom Hass des IS
und der anderen Parteien.
Nein, wir leben hier zusammen, wie eh und je,
wir lassen uns nicht aufeinander hetzen.
Die Liebe wirkt über die Grenzen der Religionen, Ethnien und Kulturen hinaus
sagt Kermani.
Sagt Jesus.
Und sagt Jeremia.
Gedanken des Friedens.

IX.
Ja, sich nicht anstecken lassen vom Hass.
Sich nicht von Angst treiben lassen.
Sondern Leben gestalten.
Zusammenleben gestalten.
Miteinander, nicht ohne einander.
Das geht nicht ohne Streit,
nicht ohne Diskussion.
So wie die Einheimischen mit den neuen Zuwanderern streiten
und diskutieren müssen,
mit ihnen zusammenleben,
sie ernst nehmen
und sich ernst nehmen lassen von ihnen.
Gemeinsam Zukunft gestalten,
weil es nur gemeinsam geht.
Das ist nicht Sozialromantik,
sondern vernünftig und nüchtern.
Wie Jeremia.

Nüchterne Gedanken.
Das Zuhause ist weit weg.
Vielleicht sogar das innere Zuhause,
selbst wenn du zuhause geblieben bist.
Du wirst die Rückkehr nicht mehr erleben,
du im Exil. Du in der Fremde
Darum richte dich ein.
Aber halte das nicht für unabänderlich.
Die Zukunft kann noch ganz andere Veränderungen bringen.
Für dich.
Für deine Nachkommen.
Für die Welt.
Nichts bleibt wie es ist.
Und die Gegenwart hat nicht das letzte Wort.
Sondern Gott.
Und nur er.
Und auch in der Fremde kannst du Gott suchen und finden.
Auch im Exil - vielleicht sogar gerade dort.

X.
Nüchterne Gedanken.
Und gerade deshalb:
Gedanken des Friedens und nicht des Leids.
Gedanken der Hoffnung.
Zukunft bauende Gedanken.

Die hat Gott für uns.
Für dich.
Für mich.
Für die Menschen, die zu uns kommen.
Und für die Menschen, die hier schon wohnen.
Auch für die Menschen, die voller Hass sind,
und voller Angst.
Auch für die Menschen, die Flüchtlingsheime in Brand stecken
und auch für die, die sich wieder nach einem starken Führer sehnen.
Gottes Gedanken sind nicht ihre Gedanken.
Aber Gottes Gedanken des Friedens gelten auch für sie.

Oder mit Gedanken von Hanns-Dieter Hüsch (Nachdichtung zu Psalm 62):

Ich stehe unter Gottes Schutz,
er lässt mich nicht in die Leere laufen
und macht aus mir keinen Kriegsknecht.

Ich suche den Frieden und will mich ausruhen
ihn mit allen zu finden, die noch unter Waffen stehen.

Ich stehe unter Gottes Schutz
ich bin sein Fleisch und Blut
und meine Tage sind von ihm gezählt.

Er lehrt mich, den zu umarmen,
dessen Tage ebenfalls gezählt sind,
und alle in die Arme zu nehmen,
weil wir die Trauer und die Freude teilen wollen.

Ich stehe unter Gottes Schutz,
ich weiß das seit geraumer Zeit.
Er nahm den Gram und das bittere aus meinem Wesen
und machte mich fröhlich.

Und ich will hingehen,
alle anzustecken mit Freude und Freundlichkeit,
auf dass die Erde Heimat wird
für alle Welt:

Durch SEINEN Frieden
und unseren Glauben.
Shalom in Dorf und Stadt.


Gedanken des Friedens.
Amen.

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