Dienstag, 15. Dezember 2015

Fürchte dich nicht

Meditation zu Lukas 1,30

(Anlass: Synode Montag abend. Aber für diesen Zweck hier im Schlussteil verändert)

Der Engel sprach zu ihr:
Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.
Lukas 1,30


Fürchte dich nicht,
Maria,
auch wenn du nicht weißt,
was genau auf dich zukommt.
Du weißt nicht, ob du dem gewachsen bist.
Du ahnst, was die Leute sagen über dich,
und das wird nicht nett sein.
Du weißt nicht, wie dein Verlobter reagieren wird.
Und schwanger in diesen schwierigen Zeiten?
Palästina besetzt,
despotische Herren,
korrupte Verwalter.
Trotzdem:
Fürchte dich nicht, Maria,
sondern steh auf,
Lass das Alte hinter dir,
denn zu trägst die Zukunft in dir.
Ja, gerade du.
Du hast Gnade bei Gott gefunden.
Und die Zukunft trägt dich.

Fürchte dich nicht,
du Volk Israel.
Auch wenn du nicht weißt,
ob dein Exil ein Ende haben wird.
Fürchte dich nicht -
so sagt es der Prophet Jesaja.
Deine Heimat ist nicht hier.
Dein Tempel ist zerstört.
Du bist nun ein Nichts - dort in der Fremde.
Ein Spielball der Mächtigen,
die heute so, morgen so sagen.
Und du weißt nicht,
ob du da jemals wieder raus kommst.
Trotzdem:
Fürchte dich nicht, du Volk Israel,
sondern steh auf,
denn dein Gott ist mit dir.
Lass das Alte hinter dir,
Denn du trägst die Zukunft in dir.
Ja, gerade du.  
Und die Zukunft trägt dich.

Fürchtet euch nicht,
ihr Hirten auf dem Feld.
Auch wenn ihr euch ausgeliefert fühlt
und ausgenutzt.
Auch wenn das Licht mitten in dieser Nacht
furchtbar hell ist.
Auch wenn ihr den Drang verspürt,
einfach wegzurennen,
weil euch das alles eine Nummer zu groß ist.
Ihr könnt euch einfach nicht vorstellen,
auf einmal inmitten eines Geschehens zu sein,
das auch noch die Welt aus den Angeln heben soll.
Ihr wollt vielleicht am liebsten in Ruhe gelassen werden?
Und doch mutet euch dieser Engel was zu.
Dass ihr hingehen sollt zu einem Kind.
Ausgerechnet ihr,
die sonst Kindern eher Angst einjagt.
Trotzdem:
Fürchtet euch nicht, ihr Hirten.
Sondern steht auf.
Lasst das Alte hinter euch,
Denn ihr tragt die Zukunft weiter.
Ja, gerade ihr.
Und die Zukunft trägt euch.


Fürchtet euch nicht,
ihr Frauen am Grab,
auch wenn der Tod noch so mächtig zu sein scheint.
Auch wenn ihr alle Hoffnung verloren habt.
Auch wenn das Leben von euch gewichen ist.
Der Stein ist weggerollt.
Und ihr wisst nicht,
mit welcher Macht ihr es hier zu tun habt.
Und ob die männlichen Kollegen euch glauben werden.
Bestimmt halten die euch für verrückt,
wenn ihr davon erzählt.
Alles gerät aus den Fugen.
Der Boden scheint zu wanken.
Worauf sich noch verlassen?
Doch was der Engel sagt, rüttelt euch auf.
Macht wach
und steckt an.
Gott besiegt den Tod -
und zwar jetzt, nicht erst morgen.
Darum:
Fürchtet euch nicht, ihr Frauen am Grab.
Sondern steht auf.
Lasst den Tod hinter euch.
Denn ihr tragt die Zukunft weiter.
Ja, gerade ihr. 
Und die Zukunft trägt euch.

Fürchte dich nicht,
du Mensch,
der zu uns kommt - von weit her.
Auch wenn dein Bus mit Steinen und Böllern beworfen wird.
Auch wenn angezweifelt wird, ob du zu Recht hier bist.
Auch wenn du immer noch Angst um deine Lieben hast,
die noch dort sind, wo du her kommst.
Und du weißt nicht,
ob du hier Fuß fassen darfst.
Und du weißt nicht,
ob du hier arbeiten darfst.
Und du weißt nicht,
wann du endlich Deutsch lernen darfst.
Und du weißt nicht,
ob die Nachbarin dich heute wieder freundlich ansieht.
Trotzdem:
Fürchte dich nicht, du Mensch,
der zu uns kommt - von weit her.
Steh auf
und mach mit.
Lebe mit uns.
Lass den Tod hinter dir.
Denn du trägst die Zukunft in dir.
Ja, gerade du. 
Und die Zukunft trägt dich.
Auch hier in diesem Land.

Fürchtet euch nicht,
ihr liebe Christen,
ihr Kirchenmenschen,
auch wenn euch gerade so viel verunsichert,
und ihr nicht wisst, was die Zukunft bringt,
und ob ihr auf dem richtigen Weg seid.
Und ob es sich lohnt, Altes hinter sich zu lassen.
Da kommen viele nicht mehr,
um die ihr euch bemüht habt.
Doch es kommen andere,
mit denen ihr nicht rechnet.
Sie tragen Sehnsucht mit sich.
Sie wollen spüren,
Gott spüren.
Ganz nah.
Und das macht euch manchmal Angst.
Weil sie eine andere Sprache sprechen.
Selbst wenn sie hier geboren sind.
Fürchtet euch nicht,
sondern geht auf sie zu.
Hört ihnen zu. 
Ihr tragt die Zukunft weiter.
Ja, gerade ihr.
Zusammen mit ihnen, mit den Fremden,
wer auch immer sie sind.
Und was auch immer sie glauben.
Ja, ihr - und sie
Beide habt ihr Gnade bei Gott gefunden.
Und die Zukunft trägt euch.

Fürchte dich nicht. 
Ja, du auch nicht.

Amen.

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