Freitag, 25. Dezember 2015

Mut ohne Schutzzäune - "Fürchtet euch nicht!"

Predigt zu Heiligabend 2015

(Meine Worte wurden zum Teil inspiriert von Holger Pyka (vielen Dank!!) und einem Zeitonline-Artikel von 2012) 

I.
Fürchtet euch nicht!
Die Worte kommen von ganz weit her,
vom Himmel zur Erde.
Ganz hell sind diese Worte.
Extra losgeschickt für dich.
Für mich.
Und für alle da draußen.
Fürchtet euch nicht -
losgeschickt für uns Angsthasen,
die gar nicht anders können,
als sich zu fürchten.
Dieses Jahr ganz besonders.
Fürchtet euch nicht!
Worte - vom Himmel und hell und klar.

II.
Und es waren Hirten in derselben Gegend
auf dem Felde bei den Hürden,
die hüteten des Nachts ihre Herde.
Und der Engel des Herrn trat zu ihnen,
und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie;
und sie fürchteten sich sehr.
 

Und der Engel sprach zu ihnen:
Fürchtet euch nicht!
Siehe, ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird;
denn euch ist heute der Heiland geboren,
welcher ist Christus, der Herr,
in der Stadt Davids.
 

Und das habt zum Zeichen:
Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt
und in einer Krippe liegen.
Und alsbald war da bei dem Engel
die Menge der himmlischen Heerscharen,
die lobten Gott und sprachen:
Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden 

bei den Menschen seines Wohlgefallens.
(Lukas 2, 8-14)

III.
(Jugendkantorei:)
Brich an, du schönes Morgenlicht
und lass den Himmel tagen!
Du Hirtenvolk, erschrecke nicht,
weil dir die Engel sagen,
dass dieses schwache Knäbelein
soll unser Trost und Freude sein,
dazu den Satan zwingen
und letztlich Frieden bringen.

IV.
Fürchtet euch nicht
, ihr Hirten!
Auf Kalenderfotos und Krippenbildern seht ihr oft so entspannt aus.
Als ob euch nichts erschüttern könnte.
Doch ihr habt Angst.
Ihr habt Angst vor Wölfen, die eure Lämmer reißen könnten.
Ihr haltet eure Herde immer schön beisammen.
Fürchtet euch vor Klippen und Abgründen.
Ihr habt vielleicht sogar Zäune dabei,
Luther spricht von Hürden, die euch schützen.
Die könnt ihr schnell aufbauen - um euch herum.
Und dahinter könnt ihr euch zurückziehen.

V.
Vielleicht gehört ihr ja zu denen,
die sich auch sonst verschanzen müssen?
Die sich verschanzen hinter Masken,
die vor anderen verbergen,
wie es euch wirklich geht?
Die sich verschanzen hinter Wortwaffen,
die andere klein machen,
um selber nicht so mickrig zu wirken?
Die sich verschanzen hinter witzigen Sprüchen,
die alles, was euch zu nahe kommt,
auf eine hantierbare Größe zusammenschrumpfen lassen?

Oder gehört ihr zu denen,
die wirklich Angst um ihre Zukunft haben
und denen man nicht noch mehr zumuten darf?
Die nicht wissen,
ob die Tochter nach dem letzten Streit noch einmal nach Hause kommt?
Die befürchten,
dass ihre Firma nächstes Jahr pleite macht?
Oder die ahnen,
dass ihr Ehe die nächsten 10 Monate nicht überstehen wird?

Und mühsam habt ihr eure Schutzzäune aufgebaut,
die alles zusammenhalten.
Sprüche, Worte, Blicke,
Arbeiten, was das Zeug hält. Lächeln.
Oder vielleicht sogar die geballte Faust gegen Schwächere.
Damit niemand merkt, wie es euch wirklich geht.
Und dass ihr Angst habt.

VI.
Starke Menschen seid ihr und doch braucht ihr Schutzzäune.
Aus Furcht...
Fürchtet ihr euch vielleicht sogar vor Weihnachten?
Denn wenn ihr mal den Schutzzaun
von Stallromantik und süßem Glockenklang
wegschiebt,
dann hat Weihnachten nichts Niedliches,
sondern etwas Verstörendes:

Gott kommt mitten hinein in eine verstörende Welt,
wo ein Mädchen schwanger wird - einfach so,
wo die Notunterkunft dreckig ist
und das Publikum mehr als zwielichtig.
In dieser Welt gibt es zu viele Orte,
wo Kinder keinen Platz haben,
wo Menschen weggeschickt werden,
oder deren Zuhause kaputt ist.
Von innen oder von außen.
In diese Welt kommt Gott.

Aber statt Schutzzäune zu bauen,
nimmt Gott plötzlich die Hürde weg.
Die eine große zwischen sich und den Menschen
und wird selbst Mensch.
Er liefert sich komplett aus.
Und damit ist alles anders.
Und verstörend.

VII.
Fürchtet euch nicht!
Gott rüttelt an Weihnachten an unseren Zäunen und Türen
und rückt uns auf die Pelle.
Es gibt kein diffuses Grau mehr.
Stattdessen leuchtet die Klarheit des Herrn auch die dunklen Stellen aus.
Kein Verstecken mehr möglich.

Damit nicht genug,
rückt er auch noch das Unterste nach Oben.
Die Wehrlosigkeit wird zum Maßstab erhoben.
Das Einfache ebenfalls.
Und vor allem die Liebe.
Die Liebe, die nicht fragt,
ob du gewaschen bist oder nicht,
ob dein Kleid schick ist,
oder dein Kontostand genügt.

Gott kommt hinein
in unsere angstbesetzte und mauernbewehrte Welt,
und macht alles anders.
Nimmt vorsichtig in den Arm statt wegzuschicken
Hört zart hin statt schlaue Sprüche zu klopfen.
Liebt ohne zu fragen.

Fürchtet euch nicht! 
Denn euch ist heute der Heiland geboren.
In einem eingewickeltem Kind.
Ohne Schutzzäune und Hürden.
Ohne Wortwaffen und Masken.
Mensch pur.

VIII.
Darum:
Fürchtet euch nicht!
Nicht vor der Schutzlosigkeit.
Nicht vor der Klarheit.
Nicht vor dem Einfachen
und nicht vor der Liebe.
Gott nimmt euch eure Hürden und Schutzzäune,
aber er lässt euch nicht schutzlos zurück,
sondern ist bei euch - bei jeder Faser eures Lebens.

IX.
Fürchtet euch nicht!
Nicht vor Fremden.
Nicht vor Anderen.
Auch nicht vor einer anderen Religion.

Fürchtet euch nicht vor denen, die zu uns kommen.
Die selber schutzlos sind, aber es genauso ungern zeigen wie ihr.
Die Angst um ihre Lieben haben, die noch dort sind, wo sie herkommen.
Die nicht wissen, ob sie hier Fuß fassen dürfen.
Ob sie hier arbeiten dürfen.
Oder wann sie endlich mit Deutsch anfangen, um heimischer zu werden.

Fürchtet euch nicht vor ihnen,
denn sie brauchen euch,
gerade euch, die ihr selber so furchtsam seid.
Nehmt die Liebe des kindgewordenen Gottes mit.
Sie wird euch helfen.
Zum gemeinsamen Mut.

X.
Fürchtet euch nicht!
Geht los, wie die Hirten,
noch nicht wissend, wo der Weg hinführt, der heilsame.
Sucht das Kind,
und lasst eure Schutzzäune hinter euch.
Auch wenn ihr immer noch Angst habt,
so schutzlos zu sein.
Ja, ihr seid verletzlicher mit diesem Gott.
Aber nur ohne Schutzzäune kann Frieden werden.
Echter Friede.

XI.
Fürchtet euch nicht!
Sie müssen große Angst gehabt haben,
die kenianischen Passagiere im Bus.
Zwischen Mandera und Nairobi wurden sie überfallen
- vor ein paar Tagen .
Al-Schabaab-Milizen aus dem benachbarten Somalia stiegen ein.
Sie forderten die muslimischen Fahrgäste auf,
sich von den Christen zu trennen,
damit sie diese töten könnten.

Aber die Muslime weigerten sich
- obwohl sie Riesenangst gehabt haben müssen -,
im Gegenteil: sie rückten enger zueinander.
Und sie steckten den Christen heimlich Sachen zu,
die sie als Muslime auswiesen.
So haben sie ein Blutbad verhindert
mit ihrem Mut,
denn die Täter zogen wieder ab.

XII.
Fürchtet euch nicht!
Rückt euch näher auf die Pelle.
Lasst euch nicht gegeneinander ausspielen.
Sondern bleibt miteinander. Und für einander.
Ob Christen oder Muslime,
Juden oder Hinduisten oder Atheisten.
Ob Einheimische oder Zugewanderte.
Ob Single oder als Familie.
Ob Homo- oder Heterosexuelle.
Ob Alt oder jung.
Denn Angsthasen seid ihr alle.
Mal mehr oder weniger.
Umso wichtiger, dass ihr euch keine Angst machen lasst.
Weder vor der Gegenwart noch vor der Zukunft.

Fürchtet euch nicht!
Die Worte kommen von ganz weit her, vom Himmel zur Erde.
Ganz hell sind diese Worte.
Extra losgeschickt für dich.
Für mich.
Und für alle da draußen.
Losgeschickt für uns
mit Mut zum Leben und Lieben:
Fürchtet euch nicht!
Denn euch ist heute der Heiland geboren.


Amen.








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