Sonntag, 20. Dezember 2015

Worte, die sich nicht einsperren lassen: Maria, Paulus und Bonhoeffer....

Predigt zum 4. Advent
 
Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!
Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!
Der Herr ist nahe!
Sorgt euch um nichts,
sondern in allen Dingen
lasst eure Bitten in Gebet und Flehen
mit Danksagung  vor Gott kundwerden!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

(Philipper 4,4-7)

I.
Sie kann es noch gar nicht fassen.
Da erfährt Maria mal eben, dass sie schwanger ist.
Sie weiß nicht, was sie denken soll.
Denn sie weiß, dass da was Gewaltiges auf sie zu kommt.
Ob sie es schaffen wird?
Ob sie dem Ganzen gewachsen sein wird?
Eigentlich müsste sie Angst haben.
Aber sie hat keine Angst.
Sie freut sich.
Von ganz innen kommt es.
In ihr brodelt und sprudelt und blubbert es.
Die Worte müssen raus.
Richtig raus - die ganze Welt müsste es hören!
„Mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan.“ 

(aus Lukas 1 - der gesamte Text des Magnificats wurde als Lesung gelesen)
Ja, Gott ist zu ihr gekommen.
Zu Maria, dem einfachen Mädchen, das nichts Besonderes ist.
Ausgerechnet mit ihrer Hilfe will er zur Welt kommen.

Das übersteigt ihre Vernunft.
Aber sie ist plötzlich ganz wach.
Und erkennt:
da stellt etwas Unscheinbares die Welt auf den Kopf.

Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!
Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!
Der Herr ist nahe!


II.
Worte von Paulus.
Worte, die raus müssen, obwohl alles dagegen spricht.
Worte, die sich nicht einsperren lassen.

Aber Paulus ist eingesperrt.
Hinter dicken Mauern.
Oder in einem dunklen Loch.
Wie die Gefängnisse damals eben waren.
Und viele heute noch sind.
Trübe Aussichten.
Wenn es überhaupt Aussicht gibt,
und an Schlaf nicht zu denken ist.
Werde ich wieder frei kommen?
Oder doch hingerichtet?
Was wird mit meinen Lieben da draußen geschehen?
Sind sie wenigstens in Sicherheit?
Wer kümmert sich um sie?
Sorgen, die einen schier verrückt machen können.
Ob er nun Paulus heißt.
Oder Dietrich Bonhoeffer:

III.
„Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und feste
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge.
Ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen.“


Worte, die sich nicht einsperren lassen.
Worte, die raus müssen.
An die Welt. An die Freunde.
An Gott.

Lasst eure Bitten in Gebet und Flehen
mit Danksagung  vor Gott kundwerden!


IV.
Worte, die auch gefährlich sein können.
Denn die Wächter lesen sie auch,
die Worte von Paulus.
Der Herr ist nahe!
Das ist doch dieser Herr, der die Gewaltigen vom Thron stürzt.
Und der die Niedrigen erhöht.
Der Herr ist nahe!
Das ist doch der, der die Sanftmütigen selig preist,
und die Friedensstifter und die Verfolgten ebenso.
Der Herr ist nahe!
Das ist doch der, der Kinder und Arme segnet
und dessen Reich nicht von dieser Welt ist.
Sondern anders.
Voller Liebe und Barmherzigkeit und Güte.

V.
Der Herr ist nahe!
Paulus schreibt diese Worte.
Er kann nicht anders.
Sie müssen raus.
Denn es ist seine einzige Hoffnung,
dass der Herr nahe ist.

Ja, er ist nahe!
Draußen - vor den Gefängnismauern.
Und auch drinnen, hinter den Mauern.
Sie werden ihn nicht stoppen können, den Friedensfürsten.
Sie werden die Worte nicht stoppen können,
die vom Frieden künden
und von der Barmherzigkeit
und von der Liebe.
Sie haben es schon mal versucht,
aber es ist ihnen nicht gelungen,
weil Gott dazwischen gefunkt hat.
Ihn, den Gekreuzigten auferweckt
und an seine Seite gesetzt.
Und ja, so oft es Menschen gibt,
die den Herrn aus der Welt herausdrängen,
so oft wird er wieder kommen,
wird er nah sein,
vor der Tür, vor den Mauern, und sogar dahinter.

Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!

Das sagt einer,
weil es vielleicht das Letzte ist,
was er sagen kann.
Freuet euch!

VI.
Paulus sagt es denen da draußen,
die Angst um ihn haben.
Die Angst auch um sich selber haben.
Kommen wir ebenfalls ins Gefängnis?
Was passiert mit uns, wenn wir die Liebe leben?
Wenn wir Frauen und Männer als gleichwertig ansehen?
Wenn es unter uns kein Oben und Unten gibt?
Wenn wir in den anderen unsere Brüder und Schwestern sehen
und Reiche ihr Hab und Gut mit den Armen teilen?
Was passiert dann mit uns?

Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!

Damals war es gefährlich, die Liebe Jesu zu leben.
Heute finden das manche immer noch gefährlich:

So viele Flüchtlinge aufnehmen - wo führt das hin?
Kirchenasyl gewähren - das hebelt doch den Staat aus!
Den Kriegsdienst verweigern - wer das tut, lässt die Opfer in Stich.
Homosexuelle Liebe als Liebe annehmen - das zersetzt unsere Moral!
Oder zerstört gar unsere Kirche.

Solche Gedanken können uns gefangen nehmen.
Und sie tun es auch.
Sie schließen uns ein, wie ein Gefängnis.
Menschen mauern sich ein, um nicht enttäuscht zu werden.
Denn wer sich öffnet, kann verletzt werden.
Mauern scheinen da sicherer zu sein.
Aber sie machen einsam.
Und lieblos.
Und freudlos.

VII.
Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!
Lasst euch nicht einsperren.
Lasst eure Worte nicht stumm bleiben.
Teilt weiterhin euer Leben, eure Liebe, euer Hab und Gut.
Seid gütig zu allen, ohne Unterschied.
Denn der Herr ist nahe.
Er hält sich nicht an die Mauern, die wir hochziehen.
Er reißt sie ab und baut aus ihren Steinen eine neue Welt.

Und genau darauf dürft ihr euch freuen,
ihr da draußen.
Ihr betet für mich hier hinter den Mauer,
ihr seid für mich da,
denkt an mich und versorgt mich,
Ja, ihr lebt doch schon die Güte.
Ihr lasst mich spüren, dass der Herr nahe ist.
Vor den Gefängnismauern.
Und dass er hier herein kommt.

Darum:
Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!


Worte, die sich nicht einsperren lassen.
Paulus muss es seinen Freunden sagen.
Dass es immer Grund zur Freude gibt,
immer - auch im Dunkeln.
Und wer sich selber nicht freuen kann,
weil er traurig ist, verzweifelt, am Boden,
der ist trotzdem nicht allein,
da sind andere,
die für ihn beten,
an ihn denken.

Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!


VIII.
Ja, es gibt Grund zur Freude.
Auch heute und trotz allem.

Gott hat sich ein einfaches Mädchen ausgesucht,
um mit seiner Hilfe die Welt zu retten.
Unscheinbares stellt die Welt auf den Kopf.
Grund zur Freude.

Menschen finden eine neue Heimat -
in unserem Land.
Grund zur Freude.

Lewin hat das Kirchenasyl geschafft.
Er muss nicht nach Bulgarien zurück.
Und darf bei seiner Familie bleiben.
Grund zur Freude.

Eine deutsche Jüdin nimmt in Berlin
einen syrischen Muslim in ihrer Wohnung auf.
Einfach so.
Grund zur Freude.

Die Deutschen haben noch nie so viel gespendet
wie in diesem Jahr.
Sie wollen helfen.
Grund zur Freude.

Gott kommt dir nahe.
Wie ein Freund.
Wie eine Mutter.
Wie ein Bruder.
Gott, der dich anhört.
Die dich tröstet.
Der dich versteht.
Das übersteigt deine Vernunft.
Grund zur Freude.

IX.
Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!

Denn die Mauern,
die ich baue oder die andere bauen,
die reißt der Herr ein.
Und baut eine neue Welt aus den Steinen.

Darum machen wir die Fenster und Türen auf,
wo noch Mauern sind.
Dann kommt frische Luft herein.
Und Gottes Geist,
der uns auf die Straße treibt,
und in die Häuser und Heime,
in die Läden und Geschäfte,
an die Tische und auf die Bänke,
damit wir Güte leben -
vor allen Menschen.
Einfach so.
Darauf können wir uns freuen.
Und wenn es das Letzte ist,
das wir sagen können.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.


Amen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen