Predigt zum Jahreswechsel 2015/2016
Predigttext Röm 8,31ff wird bereits als Lesung gelesen:
Was wollen wir nun hierzu sagen?
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat,
sondern hat ihn für uns alle dahingegeben –
wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?
Gott ist hier, der gerecht macht.
Wer will verdammen?
Christus Jesus ist hier, der gestorben ist,
ja vielmehr,
der auch auferweckt ist,
der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?
Trübsal oder Angst oder Verfolgung
oder Hunger oder Blöße
oder Gefahr oder Schwert?
Aber in dem allen überwinden wir
weit durch den, der uns geliebt hat.
Denn ich bin gewiss,
dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes
noch eine andere Kreatur
uns scheiden kann
von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
I.
Wofür bist du?
Für wen bin ich?
Nächstes Jahr sind Landtagswahlen.
Da stelle ich mir diese Frage,
wie die meisten Menschen in Baden-Württemberg.
Für wen bin ich?
Für was bin ich?
Denn Politiker stehen für Inhalte.
Sie vertreten etwas.
Oder sie wollen etwas gerade nicht.
Will ich dasselbe wie sie?
Am Ende des Jahres schaue ich zurück.
Und frage:
Für was war ich?
II.
Also gut:
ich war ganz klar für den Supermarkt oben im Rodgebiet,
schon wegen der vielen alten Menschen dort.
Ich war für ein großes gemeinsames Zeichen
gegen die Rechtsextremisten am 23. Februar.
Und ich bin dafür, dass wir die Flüchtlinge und Fremden freundlich aufnehmen.
Ich bin dafür eingetreten,
dass wir auch die Partnerschaft von homosexuellen Christen segnen dürfen.
Ich bin für eine gute Zukunft unserer Kirche in Pforzheim,
und ich bin bereit, im kommenden Jahr
mit der Synode die nötigen Entscheidungen
dafür zu fällen, auch wenn das nicht leicht wird.
Und ich bin für meine Kinder...
Dafür, dass sie alle Chancen bekommen sollen,
ihr Leben zu gestalten,
so wie es ihnen entspricht.
Vielleicht bin ich nicht mit allem einverstanden, was sie so tun.
Oder was mein Mann tut, auch nicht.
Aber ich bin dafür, dass sie es entscheiden dürfen.
Und ich sie dann unterstütze.
Und meinen Mann auch.
Es gibt vieles, wofür ich bin und gewesen bin.
Das „dagegen“ sein ist dann auch nicht weit.
Und natürlich gibt es da auch so manches,
wogegen ich bin.
Gegen Gewalt zum Beispiel.
Oder gegen Fremdenhass.
Aber gegen Menschen möchte ich nicht sein.
Ich möchte für Menschen sein.
Für sie da sein. Für sie eintreten. Für sie kämpfen.
So wie ich froh bin, wenn jemand für mich ist.
Für mich da ist.
Für mich eintritt.
Für mich kämpft.
Mir den Rücken stärkt.
Mir auf die Beine hilft.
Sich vor mich stellt.
Mir Mut macht.
III.
Was wollen wir nun hierzu sagen?
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Ich möchte nicht gegen andere Menschen sein.
Aber oft bin ich gegen mich selber.
Ich bin mit mir am strengsten.
Und wenn ich auf das vergangene Jahr zurückschaue,
fällt mir auch da viel ein, warum ich gegen mich bin.
Wo ich falsche Entscheidungen getroffen habe.
Wo ich etwas nicht geschafft habe trotz guter Vorsätze.
Wo ich zu lasch war.
Zu feige. Zu träge. Zu müde. Zu laut. Oder zu leise.
Ja, ich bin selber ungnädig mit mir.
Und das könnte mich von Gott trennen.
Mich von meiner Lebensader abschneiden.
Mir die Kraft nehmen.
Wenn da nicht Gott selber wäre....
IV.
Was wollen wir nun hierzu sagen?
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Gott selber hält zu mir.
Ist eine wie ich. Und einer wie du.
Macht sich angreifbar. Setzt sich aus.
Wird Mensch. Mitten in meiner Welt.
Weint die Tränen. Lacht den Ärger weg.
Trinkt Wein und teilt das Brot.
Sitzt stundenlang am Tisch und hört zu.
Vergisst die Zeit.
Und schreibt einen 5-seitigen Brief. Nur für mich.
Macht einen Spaziergang im Wald
und übt die ersten mühsamen Schritte mit mir.
Fällt hin und steht auf.
Gott flüchtet sich auf ein Boot im Mittelmeer
und wärmt sich am Feuer nahe beim Grenzzaun.
Gott kocht kurdisch - unverschämt gut.
Und reicht mir gefüllte Auberginen.
Gott lernt mühsam ein paar Brocken Deutsch
und hat Angst, nicht bleiben zu dürfen.
Gott hängt auch an den Überlebensschläuchen -
nebenan auf der Intensivstation.
Und er sitzt am Bettrand und hält die Hand.
Tränen tropfen auf die runzlige Haut.
Sie nehmen Abschied.
Und teilen den Schmerz.
Und trösten.
Gott sitzt drüben in der Kneipe
und weiß nicht, wie er die Heizung nächsten Monat bezahlen soll.
Er ist froh, dass es bald die Vesperkirche gibt.
Da kann er sich wenigstens ein paar Stunden aufwärmen.
Und ebenso steht er hier stundenlang
und spült das Geschirr der Vesperkirchengäste.
Er ist froh, dass er was tun kann.
Und ein kleiner Schwatz mit den Gästen ist auch drin.
Ja, Gott ist für mich.
Trauert mit mir um die Toten von Paris
und von Beirut und von Bagdad.
Gott weint mit den entführten Mädchen in Nigeria.
Gott schreibt für den gefangenen Blogger Raif Badawi
Briefe nach Saudi-Arabien.
Und steht sogar mit Angela Merkel auf,
lässt Flüchtlinge in das Land,
und muss dafür „Merkel muss weg“-Rufe anhören.
V.
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Christus Jesus ist hier, der gestorben ist,
ja vielmehr,
der auch auferweckt ist,
der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
Von diesem Gott und seiner Liebe
von diesem wahren Menschen
kann mich nichts trennen.
Nichts!
Selbst wenn ich mich selbst nicht lieben kann.
Nichts kann mich trennen von ihm.
Weder im alten noch im neuen Jahr.
Das neue Jahr wird mit diesem Gott nicht besser als das alte.
Es wird nicht weniger leidvoll sein,
nicht weniger schmerzhaft,
nicht weniger tränenreich,
nicht weniger kalt,
nicht weniger furchtsam.
Nichts davon verschwindet, weil Gott mich liebt.
Aber ich bin nicht allein damit.
Gott nimmt mich in den Arm,
streicht mir über den Kopf,
schaut mir ins Gesicht,
richtet mich auf,
wie eine Mutter, die mich tröstet,
ob wir nun alt sind oder jung.
VI.
In dem allen überwinden wir
weit durch den, der uns geliebt hat.
Gott stellt dich ins neue Jahr,
wie auch immer es sein wird.
So wie er dich ins alte Jahr gestellt hat.
Und egal ob du für ihn bist oder nicht,
ob du dich für seine Liebe einsetzt,
für seine Gerechtigkeit,
seinen Frieden,
ob du das schaffst oder nicht:
du bist Geliebte, bist Geliebter.
Auch als Geliebte werde ich dafür und dagegen sein.
Werde ich für die Liebe kämpfen,
und werde ich scheitern.
Auch als Geliebte werde ich fassungslos sein,
dass Pegida immer noch Menschen anzieht,
und dass Flüchtlingsunterkünfte immer noch in Brand gesteckt werden,
und dass es Menschen nicht gegönnt wird,
dass es ihnen genauso gut gehen soll wie uns.
Auch als Geliebte werde ich mich machtlos fühlen,
und dem Hass und der Gewalt nur wenig entgegen setzen können.
Vielleicht sogar weniger denn je.
Weil ich nicht mitmachen kann bei dieser Nicht-Liebe.
VII.
In dem allen überwinden wir
weit durch den, der uns geliebt hat.
Die Liebe, die du lebst,
sie bringt dich nicht auf die Gewinnerspur.
Aber in die Spur Jesu.
Und die hat auch Platz für dein Schwachsein.
Für die nicht erfüllten Vorsätze.
Die nimmst du mit ins neue Jahr.
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?
Trübsal oder Angst oder Verfolgung
oder Hunger oder Blöße
oder Gefahr oder Schwert?
Oder du selbst?
Selbst das geht nicht.
Und das ist gut so.
VIII.
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Heute abend feierst du die Liebe Gottes,
von der dich nichts trennen kann.
Weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges.
Auch im neuen Jahr nicht.
Denn du gehst nicht allein.
Du bleibst Geliebte, Geliebter Gottes.
Gott ist für dich.
Für dich da.
Tritt für dich ein.
Kämpft für dich.
Stärkt dir den Rücken.
Hilft dir auf die Beine.
Stellt sich vor dich.
Und macht dir Mut.
Darum geh.
Und der Friede Gottes,
welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus.
Amen.
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