Fragmentarisches zu 1.Korinther 13. Predigt vom 7.2.2016
I.
„Am Mittwoch bin ich der Liebe begegnet.“
schreibt Regina Kramer aus Berlin
(Frankfurter Rundschau 2003 oder 2004)
„Es war gegen 18 Uhr, die U-Bahn war sehr voll,
da trat sie mir auf den Fuß.
Ich sah sie verärgert an:
„Sie könnten sich wenigstens entschuldigen!“
Sie überlegte und sagte schließlich:
„Das hat selten jemand von mir verlangt.“
Arrogante Ziege, dachte ich
und sah woanders hin.
Am Hackeschen Markt kamen die Kontrolleure.
Ich zeigte meine Umweltkarte.
Die Liebe suchte.
Sie zog jede Menge Zettel mit Telefonnummern aus ihrer Tasche
und bat die Kontrolleure um Geduld.
Die nickten und kontrollierten die anderen Fahrgäste.
So wie die Liebe suchte,
war es mir klar, dass sie schwarz fuhr.
Ich weiß nicht warum, aber ich riet ihr:
Sagen Sie einfach,
Sie kommen aus einem kleinen Kaff im Westen,
und deshalb wüssten Sie nicht,
wie man in der Hauptstadt U-Bahn fährt.“
Die Kontrolleure kamen wieder.
„Na, meine Liebe, haben wir nun den Fahrschein gefunden?“ -
„Ja“, flötete sie
und hielt ihnen einen perfekt gestempelten Schein hin.
Die Kontrolleure lächelten...
„Nett, dass Sie mir helfen wollten“, strahlte die Liebe
und legte wie zufällig die Hand auf meine Hand.
„Sie nerven“, sagte ich...
„Wie Sie meinen“, sagte die Liebe
und stieg am Alexanderplatz aus...
Zu Hause stellte ich fest,
dass mein neues T-Shirt ein kleines Loch hatte,
in Herzhöhe.
Verflixt...“
II.
Ja, Liebe nervt. Und sie fährt schwarz.
Sie tritt auf die Füße und macht ein Loch ins T-Shirt.
Die Liebe - ist sie so leicht wie die in der U-Bahn?
Nein, sie ist auch schwer und enttäuschend.
Raubt den Kopf und lenkt ab,
wenn ich mich doch eigentlich konzentrieren sollte.
Hand in Hand gehen.
Das öffentliche Geständnis auf Facebook.
Die Stunden am Krankenbett, vorsichtig die zerknitterte Hand halten.
Das kleine bunte Pflaster auf dem blutenden Knie.
Das erste Bild aus dem Kindergarten.
Der Kuss nachts auf der Straße.
Das Taschentuch für die bittere Tränen.
Das neue Kleid, extra für den Liebsten.
Die Autofahrt einmal quer durch Deutschland - einfach so.
Der „Ich hab schon lange nichts mehr von dir gehört“-Anruf.
Die Umarmung am Flughafen.
Das klare Wort, das ich sonst nicht hören mag.
Das „Komm, ich erkläre es dir nochmal“ bei den Hausaufgaben.
Die Liebe -
sie lässt uns nicht los und sie erwischt uns:
zwischen zwei Menschen, in der Familie,
unter Freunden, in der Gemeinde,
mitten in der U-Bahn und sogar in der Politik.
Ob wir wollen oder nicht.
Logisch und unlogisch.
III.
Selbst der spröde Paulus ist nicht frei von Liebe
und singt ein Liebeslied.
Nur ist es keine Frau, oder kein Mann, für die er dichtet.
(wobei, wer weiß, wen er da vielleicht auch im Kopf hatte? aber wir wissen es nicht) -
Er dichtet für eine zerstrittene Gemeinde in Korinth:
Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete
und hätte die Liebe nicht,
so wäre ich ein tönendes Erz
oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich prophetisch reden könnte
und wüsste alle Geheimnisse
und alle Erkenntnis
und hätte allen Glauben,
so dass ich Berge versetzen könnte,
und hätte die Liebe nicht,
so wäre ich nichts.
Und wenn ich all meine Habe den Armen gäbe
und ließe meinen Leib verbrennen,
und hätte die Liebe nicht,
so wäre mir‘s nichts nütze.
IV.
Die Korinther können viel.
Erfinden und forschen,
phantasieren und hoffen.
Neues entdecken
und scheinbar Unmögliches möglich machen.
Berge versetzen. Welten verändern.
Aber anstatt sich daran zu freuen, gibt es Streit.
Ich bin der wahre Christ, weil ich in Zungen rede.
Du nicht.
Ich bin die wirkliche Christin, weil ich mein letztes Hemd hergebe.
Du nicht.
So auch heute:
Ich bin der wahre Christ, weil ich die Bibel wortwörtlich lese.
Du nicht.
Ich bin die wahre Christin, weil ich in einer Ehe lebe mit einem Mann.
Du nicht.
Du nicht, die du auch in anders Gläubigen Kinder Gottes siehst.
Du nicht, der du schwul bist.
V.
Doch genau das sind nicht die Töne von Paulus.
Denn egal wie konsequent,
wie genial oder wie gläubig du bist -
wenn die Liebe nicht dabei ist,
nützt dir das alles nichts.
Es zählt alles nichts.
Lieblosigkeit macht alles kaputt.
Da werden aus guten Worten
plattmachende Hammerschläge,
aus dem befreienden Wort Gottes
wird eine Zwangsjacke,
aus dem Ruf zur Veränderung
ein erstickender Fanatismus
und aus der guten Tat
eine Last, die jegliche Lust tötet.
Dagegen singt Paulus das Lied der Liebe.
An dieser Liebe wird alles gemessen.
Mit ihr hören Menschen aufeinander,
nehmen einander wahr
und lassen einander frei.
Und so singt Paulus weiter:
Die Liebe ist langmütig und freundlich,
die Liebe eifert nicht,
die Liebe treibt nicht Mutwillen,
sie bläht sich nicht auf,
sie verhält sich nicht ungehörig,
sie sucht nicht das Ihre,
sie lässt sich nicht erbittern,
sie rechnet das Böse nicht zu,
sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,
sie freut sich aber an der Wahrheit,
sie erträgt alles,
sie glaubt alles,
sie hofft alles,
sie duldet alles.
VI.
Liebe ist kein Gefühl,
keine momentane Glücksstimmung.
Liebe tut etwas - sie nervt, sie schmunzelt,
sie tritt auf die Füße und macht ein Loch ins T-Shirt.
Ja, sie macht,
sie handelt, und zwar gegen den Strom,
gegen den Augenschein,
aber viel vernünftiger als du denkst.
Liebe befreit deinen Verstand von seinem Egoismus,
deinen Glauben von seiner Herrschsucht,
die Enge deines Herzen.
Liebe macht nicht mit, wenn gegen Flüchtlinge gehetzt wird.
Stattdessen geht sie hin und bringt den Kindern Tischtennis bei.
Liebe protestiert gegen Ungerechtigkeit, aber nicht gegen Menschen.
Liebe widerspricht den Hasskommentaren im Internet
und weigert sich, Zäune zu bauen, die Menschen ausschließen.
Oder gar auf sie zu schießen, weil sie in unser Land kommen.
Stattdessen packt sie mit an, auch hier in der Vesperkirche.
Liebe lässt ganz neu auf die Welt schauen,
fragt aber auch mal nach, wenn Leute Blödsinn erzählen.
Und macht obendrein ein Loch ins T-Shirt.
In Herzhöhe.
Vor allem aber macht die Liebe eins:
Sie fragt nicht danach, ob es erlaubt ist zu lieben.
VII.
Das macht die Liebe verletzlich.
Und jede, die liebt, auch.
Sie wird angegriffen wie Jesus, der diesen Weg geht.
Den Weg der Liebe, die nicht fragt, ob es erlaubt ist zu lieben.
Den Weg, der ans Kreuz führt.
Den Weg, wo ein Mensch sich ausliefert um der Liebe willen.
Es ist die Liebe Gottes,
so vollkommen, dass wir immer wieder an ihr scheitern.
Paulus weiß das auch:
Unser Wissen ist Stückwerk
und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.
Wenn aber kommen wird das Vollkommene,
so wird das Stückwerk aufhören.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind
und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind;
als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war.
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich stückweise;
dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Alles, was ich machen und tun will,
was ich erkennen und wissen will,
alles das ist Stückwerk und ist begrenzt -
und vor allem nur ein Ausschnitt dessen, was möglich ist.
Das gilt für meine Konkurrenzkämpfe genauso wie für meine Mauern.
Sie sind Stückwerk.
Es gilt für das Ringen um die richtige Asylpolitik
wie um die Zukunft der Kirche.
Sie sind Stückwerk.
Ja, das gilt auch, wenn ich meine, die vermeintliche Wahrheit zu kennen.
Sie ist Stückwerk.
Und das gilt auch für die Liebe, die ich lebe.
Und darum sollte ich erst recht nicht vorschreiben,
wer wen lieben darf und wen nicht.
VIII.
Mein Leben bleibt Fragment
und auch mein Glauben und Lieben und Hoffen bleiben Fragment.
Stückchen und Fetzen.
Der Moment, dass alles ganz und heil ist, kommt noch.
Aber wann, weiß ich nicht.
Darum ist der Weg der Liebe kein leichter Weg.
Er ist manchmal sogar harte Arbeit.
Ein erwachsener Weg.
Denn ich stoße ständig auf meine Unvollkommenheit
und auf die der anderen.
Auch Jesus stieß auf diese Unvollkommenheit,
auf die Unfähigkeit zu lieben -
und liebte trotzdem weiter.
Er setzte auf die Liebe.
Weil Gott die Liebe ist.
Und die brauche ich, die Liebe, die Gott ist.
Damit ich mich selbst lieben kann,
so unvollkommen wie ich bin.
Ich brauche seine Geduld,
um nicht „kurzen Prozess“ zu machen.
Ich brauche seine Vergebung,
um nicht gnadenlos zu urteilen,
um nicht an meinen eigenen Abgründen zu verzweifeln,
Ich brauche den,
der meinen unvollkommenen Weg geht.
Und dabei auf die Liebe setzt.
IX.
Mit Augen dieser Liebe schaut Gott mich und dich an.
Und mit diesen Augen schrumpfen Zäune und Mauern,
das, was uns Angst macht,
selbst die Hass-Kommentare werden kleiner.
Und eine U-Bahnfahrt wird plötzlich zum Ereignis,
das dein Leben verändern kann.
Es ist eine trotzige Liebe, die dich entwaffnet.
Sie kann nerven und dir auf die Füße treten.
Und dich vor allem in Gang setzen.
Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Mit diesem Lied auf den Lippen und im Herzen,
in den Spuren Jesu,
unvollkommen,
gehst du frei und trotzig
und auf einmal ist da ein Loch im T-Shirt,
dort, wo das Herz ist.
Amen.
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