Sonntag, 27. März 2016

Flucht ins Leben - mit vollen Netzen, geteilten Broten und heilender Musik

Predigt zu Markus 16 an Ostern

(Lesung 1.Korinther 15,1-11 -
außerdem vorher: Teile 1-4 der Bachkantate "Halt im Gedächtnis Jesum Christ" und die Taufe eines kleinen Mädchens)

I.
Nachdem er ihn gesehen hat, ging es ihm erstmal gar nicht gut.
Das Sehen ist dem Paulus vergangen,
damals vor Damaskus.
Es hat ihn zu Boden geworfen.
Ob er es sofort begriffen hat,
dieses Licht, dieser Jesus, der da in sein Leben trat,
ausgerechnet dieser Gekreuzigte?

Es klingt so einfach bei Paulus.
„das Evangelium, das ich euch verkündigt habe,
ihr habt es auch angenommen,
ihr steht auch fest darin“ (1.Kor. 15)

Der Schrecken von Golgotha vorbei -
von heute auf morgen?
Der Schrecken von Brüssel?
Der Schrecken von Al-Asrija?
Der Schrecken der Todesnachrichten?
Der Schrecken der Kündigung für eine Freundin?
Nein, er steckt fest in den Gliedern.
Er lässt sich nicht mal so eben abschütteln.

II.
Und als der Sabbat vergangen war,
kauften Maria von Magdala
und Maria, die Mutter des Jakobus,
und Salome
wohlriechende Öle,
um hinzugehen und ihn zu salben.
Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche,
sehr früh, als die Sonne aufging.

Und sie sprachen untereinander:
Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?
Und sie sahen hin
und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war;
denn er war sehr groß.

Und sie gingen hinein in das Grab
und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen,
der hatte ein langes weißes Gewand an,
und sie entsetzten sich.
Er aber sprach zu ihnen:
Entsetzt euch nicht!
Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.
Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.
Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus,
dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa;
dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.

Und sie gingen hinaus
und flohen von dem Grab;
denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.
Und sie sagten niemandem etwas;
denn sie fürchteten sich.

(Markus 16,1-8)

III.
Zittern und Entsetzen
statt fröhliches Osterlachen.
Sie fliehen vom Grab
anstatt das Leben zu feiern.
Haben sie den Engel nicht gehört?
Entsetzt euch nicht!
Die Worte kommen nicht an.

Du kennst das, nicht wahr?
Die Schatten sind zu groß.
Zu tief.
Der Schmerz füllt das ganze Herz aus.
Blind vor Wut.
Taub für Trost.
Das Vogelzwitschern am frühen Morgen
findet in einer anderen Welt statt.
Nicht in deiner.
Die Sonne scheint in einer anderen Welt.
Nicht in deiner.
Der Engel spricht in einer anderen Welt.
Nicht in deiner.
Nicht jetzt.
Und dann siehst du nur den leeren Platz.
Da, wo er sein sollte.
Aber nicht ist.
Noch nicht mal mehr salben kannst du ihn.
Das Verpasste.
Das Zu-spät-sein.
Nichts sonst.

IV.
Die Toten von Brüssel sind noch nicht begraben.
Der Schock der Kündigung ist noch nicht verdaut.
Doch jetzt Osterlieder singen?
Fröhlich zum nächsten Punkt übergehen?
Karfreitag abhaken?
Wie einen schlechten Traum beiseite legen?

Nein, das geht nicht.
Bei den Frauen am Grab auch nicht.
Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen
Sie können noch nicht mal darüber reden.

Der Tod wird nicht verdrängt.
Das Grab ist noch da.
Das Grabtuch trägt die Spuren.
Es ist alles noch da.
Die Wunden sind tief.
Die Mutter kommt vom Flughafen in Brüssel nicht mehr zurück.
Der Job ist immer noch weg.
Die Kinder müssen umziehen.
Die Worte vom Entlass-Gespräch hallen noch nach.
Das Kreuz ist da - auch nach Ostern.

V.
Geht aber hin....
Etwas ist trotzdem anders.
Der Tod wird nicht verdrängt,
sondern besiegt.
Maria, Maria und Salome verharren nicht in Schockstarre.
Sie setzen sich in Bewegung.
Oder werden sie bewegt?

Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus,
dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa;
dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
Und sie gingen hinaus
und flohen von dem Grab.


Sie fliehen und lassen den Totenort hinter sich.
Sie fliehen ins Leben.
Weg vom Grab.
Weg vom Tod.
Weg von der Gewalt.
Weg von der Leere.

Sie fliehen wie die Tausenden,
die zu uns kommen wollen.
Auch diese wollen ins Leben fliehen.
Weg von den Gräbern ihrer Ermordeten.
Weg von der Leere der zerbombten Häuser.
Weg von dort, wo es keine Hoffnung mehr gibt.

Sie fliehen wie die Arbeitslosen,
die im Erwerbslosentreff zusammen kommen.
Weg von der Leere eines langen Tages.
Weg vom trostlosen Küchentisch.
Weg von dem „Ich bin nichts mehr wert“.

VI.
Die Frauen fliehen vom Grab
hinein ins Leben.
Nach Galiläa.
Dort, wo das Brot geteilt wurde und für alle genug war.
Dort, wo die Schwiegermutter von Petrus wieder gesund wurde.
Dort, wo die Fischernetze nach einer langen leeren Nacht auf einmal voll waren,
voller Hoffnung und Mut.
Dorthin fliehen sie.
Dorthin laufen sie.
Sie bleiben nicht stehen.
Und verkriechen sich nicht in ihr Entsetzen.
Sondern sie gehen.
Rennen.
Eilen.
Fliehen.

VII.
Der Engel ist es, der sie auf den Weg schickt.
Seine Worte können sie nicht hören.
Das Entsetzen hält sie gepackt.
Und doch schafft er es, dass sie gehen.
Dass sie sich bewegen.
Dass sie ins Leben gehen.
Und den Tod hinter sich lassen.

Die andere Welt, aus der er kommt,
sie bricht herein in ihre Welt.
In meine Welt.
Sie ist schon längst in meiner Welt.
Gottes Licht ist schon längst da.
Auch dort, wo es dunkel ist.

Ja, Gottes Lebenswelt ist mitten in unserer Totenwelt.
Dort, wo wir sind.
Da bricht sie herein.
Bricht sie auf.
Da werden Fische gefangen,
obwohl es unmöglich ist.
Da reichen 5 Brote für 5000 Menschen,
obwohl es unmöglich ist.
Und da schöpfen Geflüchtete Hoffnung,
obwohl sie alles verloren haben.
Da finden Frauen den Mut, doch zu reden.
Und die Trauernden in Brüssel öffnen ihre Türen für die Fliehenden.

VIII.
Das Entsetzen aber bleibt.
Auch in Galiläa.
Auch nach Ostern gibt es keine Insel reiner Glückseligkeit.
Und es werden auch nicht alle den Weg schaffen - weg vom Grab.

Aber die Friedhofsruhe wird gestört.
Die Friedhofsruhe, die uns vormacht,
dass es nur noch den Tod gibt und nichts sonst,
dass wir mit Gewalt und Hass nun mal leben müssten,
die wird gestört.
Denn der Gekreuzigte bleibt nicht im Grab,
sondern geht nach Galiläa,
dorthin, wo die andere Welt,
die Welt Gottes in unsere Welt einbricht.
Dort ist er zu sehen.
Nicht im Grab.
Geht aber hin ... nach Galiläa;
dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.


IX.
Im letzten September kamen 750 Flüchtlinge
im Belair in Sasbachwalden unter,
von heute auf morgen.
Bei 2400 Einwohnern.
Die Bewohner von Sasbachwalden waren sauer.
Unter den Flüchtlingen gab es schnell Unruhe.

Im Januar aber startete der Kirchenmusiker Patrick Bach ein Projekt:
innerhalb von 3 Tagen stellte er einen Chor zusammen
aus Flüchtlingen und Einheimischen,
die sangen mit ihm voller Inbrunst und Begeisterung „We are the world“.
Viele schiefe Töne dabei, aber Töne mit Herz.

Monate lang schon lebten sie nebeneinander,
aber sie kannten sich nicht.
Und nun sangen sie und klatschten und fassten sich an den Händen.
Ja, einige tanzten sogar mit dem Bürgermeister.
Zu sehen im Fernsehen.
Menschen, die aus dem Entsetzen kamen,
und Menschen, die ins Entsetzen kamen:
sie flohen gemeinsam ins Leben.
Dorthin, wo die Welt Gottes in unsere Welt einbricht,
und uns zueinander bringt,
uns Grenzen überwinden lässt.

X.
Entsetzt euch nicht!
Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.
Geht aber hin .... nach Galiläa;
dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.


Die Frauen fliehen vom Grab ins Leben.
Paulus wird geblendet
und fängt nochmal von vorne an.
Syrische Frauen und irakische Männer fliehen vor dem Tod.
Hier leben sie neu.
Und in Sasbachwalden lassen alte und neue Bewohner ihr Entsetzen hinter sich
und sie singen -
und entdecken sich neu.
Die gekündigte Freundin kann ihre Trauer teilen mit Freunden.

Ja, die Welt bleibt gebrochen.
Aber Gottes Welt ist zu sehen.
Mit vollen Netzen, geteilten Broten und heilender Musik.
Und da bist du nicht zu spät,
sondern fängst an,
den Tod lässt du hinter dir.
Dort, wo du lebst.

Amen.

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