Predigt zum 1.Advent und zum Lied "Nun komm, der Heiden Heiland"
Das Lied wurde während der Predigt gesungen.
Unmittelbar vor der Predigt sang der Jugendchor eine Vertonung von Jesaja 11
und davor wurde das Evangelium aus Matthäus 21 (Jesu Einzug in Jerusalem) gelesen.
Ein weiterer wichtiger Hintergrund zur Predigt:
Es war ein gemeinsamer Gottesdienst von 2 Gemeinden, die in den vergangenen Wochen visitiert wurden (= besucht von der Kirchenbezirksleitung). Die beiden Gemeinden werden in Zukunft noch mehr miteinander kooperieren, was in der Vergangenheit immer wieder zu Komplikationen geführt hat.
I.
Der Heiland kommt.
Jesus kommt. Mitten hinein in die Stadt.
Hierher. In den Posaunenchor. In den Jugendchor.
In die Ältestenkreise von M... - und C....gemeinde.
In die Visitationskommission.
In das Quartier.
Der Heiland kommt.
Der, der als König gefeiert und als Messias erhofft wird.
Der, von dem Jesaja sagt und der Jugendchor singt.
Einer mit dem Geist Gottes.
Einer an der Seite der Armen.
Der Heiland mischt Staub und Speichel, um damit einen Tauben hörend zu machen.
Er spricht die Friedensstifter selig
und reitet selber mit provokanter Schlichtheit als Friedensbringer auf einem Esel.
Für ihn werden die Palmen gewedelt und Mäntel in den Staub gelegt.
Tore werden geöffnet und laut hört man das „Hosianna, du Sohn Davids“.
Zöllner klettern seinetwegen auf Bäume und Frauen stiften ihr kostbarstes Öl.
Denn sie freuen sich, dass er kommt.
Dass er in ihr Leben kommt. Mit ihnen zu tun haben will.
Obwohl sie doch überhaupt nicht wichtig sind.
Gerade zu ihnen, die so oft hören: was willst du hier?
Oder: wer bist du schon?
II.
Ja, zu ihnen kommt der Heiland. Und auch hierher in die Kirche.
Festlich und erhaben. Schlicht und bescheiden.
Alles zugleich. So sind wir hier. Und so singen wir zum Heiland:
1. Nun komm, der Heiden Heiland, der Jungfrauen Kind erkannt,
dass sich wunder alle Welt, Gott solch Geburt ihm bestellt.
2. Er ging aus der Kammer sein, dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held; sein' Weg er zu laufen eilt.
3. Sein Lauf kam vom Vater her und kehrt wieder zum Vater,
fuhr hinunter zu der Höll und wieder zu Gottes Stuhl.
4. Dein Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar.
Dunkel muß nicht kommen drein, der Glaub bleib immer im Schein.
5. Lob sei Gott dem Vater g'tan; Lob sei Gott seim ein'gen Sohn,
Lob sei Gott dem Heilgen Geist immer und in Ewigkeit.
„Nun komm, der Heiden Heiland“ - über lange Zeit der Adventschoral schlechthin.
Gedichtet von keinem Geringeren als Martin Luther im Jahr 1524.
Als Vorlage hatte er dafür einen alten lateinischen Hymnus aus dem 4.Jahrhundert
von Ambrosius aus Mailand.
Im Vorgängergesangbuch vor unserem heutigen
war „Nun komm, der Heiden Heiland“ noch die Nummer 1.
Das war kein Zufall.
Das war Programm. Sozusagen die Ansage für den Advent.
Wer das erste Lied aufschlägt, soll sofort erfahren, worum es geht.
Der Heiland kommt. Mitten ins Leben.
III.
Nun komm, der Heiden Heiland!
Alte Worte, eigentümliche Versform, geballte Theologie.
Die ganze Geschichte der Menschwerdung Gottes in wenigen Strophen.
Und viel zum Stolpern.
Da sind die Heiden.
Ja, die Völker sind das. Die, die eben nicht Israel sind.
Heiden: Kein Negativ-Begriff für die sogenannten Verlorenen,
wie er sich im Laufe der Geschichte entwickelte.
Sondern - ein Wort für alle, die auf der Suche nach Gott sind,
nach Wahrheit und Erlösung, für alle, die nicht sicher sind, ob sie zu Gott gehören.
Heiden sind Menschen auf der Suche nach Gott.
Also ich und du. Wir hier.
Darum, liebe Heiden von Pforzheim, euer Heiland soll kommen.
Der Heiland ist der, der heil macht, der ganz macht, was kaputt ist.
Jesus heilt den blinden Bartimäus und die blutflüssige Frau.
Er richtet die gekrümmte Frau auf und stellt sich vor die Ehebrecherin.
Der Heiland erquickt die mühselig Beladenen und nimmt die Kinder in den Arm.
Er bringt einfache Hirten und weise Gelehrte in einem Stall zusammen,
und kündigt noch am Kreuz den Verbrechern das Paradies an.
Und durch ein Stückchen Brot bringt der Heiland selbst den Feind an seinen Tisch.
IV.
Dieser Heiland lässt nicht alles beim Alten.
Er kommt, um zu bewegen. Die, die ihn suchen. Die Gott suchen.
Er kommt und bringt Menschen zusammen, die von alleine nicht auf die Idee kommen würden.
Er wendet ihren Blick von sich auf die anderen, auf die, die Hilfe brauchen.
Und dafür genügt ein Glaube, der so klein ist wie ein Senfkorn.
Und darum macht er sich selber ganz klein.
Der Heiland kommt mitten hinein ins Leben.
Dort wo es nur allzu menschlich zu geht.
Wir singen nocheinmal die Strophen 2 und 3:
2. Er ging aus der Kammer sein, dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held; sein' Weg er zu laufen eilt.
3. Sein Lauf kam vom Vater her und kehrt wieder zum Vater,
fuhr hinunter zu der Höll und wieder zu Gottes Stuhl.
V.
Der Heiland kommt mitten hinein ins Leben.
Gott bleibt nicht im Himmel, sondern wird Mensch.
Gott und Mensch kommen zusammen
Königlicher Saal und jämmerlicher Stall -
Himmel und Hölle,
Dunkel und Hell.
Galadinner und Vesperkirche.
Stroh und Palmenzweige.
Weihnachtsoratorium und Klagegesang.
„Macht hoch die Tür“ und „Auch wer zur Nacht geweinet“
Hosianna und Kreuziget ihn.
Alles das. Alles das ist das Leben. Unser Leben.
Und da hinein, in dieses Leben mit allem, was es so liebenswert und grausam macht, begibt sich der menschgewordene Gott.
Der Heiland ist göttlich anders und doch menschlich wie wir.
Es genügt, dass er das Kind einer einfachen jungen Frau ist,
die Jungfrau - mehr braucht es nicht, um Heiland für die Menschen zu sein,
keine mächtigen Männer, keine großen Herrscher oder Ahnentafeln.
Kein Pass über eine legale Einreise. Kein Adelsprädikat.
Keine Unterhaltserklärung. Kein Beweis.
Sondern das Menschsein pur.
Schwach wie ein Kind, aber gerade in dieser Schwäche stark.
Gefährdet wie ein schutzloser Säugling. Und gerade deshalb glaubwürdig.
Geboren in einer Absteige und schmachvoll sterbend draußen vor den Stadtmauern.
Und gerade dadurch der Hoffnungsträger derer, die an den Rändern unserer Gesellschaft leben.
VI.
Nun komm, der Heiden Heiland!
Der Heiland kam mitten ins Leben von Martin Luther.
Das hat ihm die Augen geöffnet.
Ein Gott, der ganz an meiner Seite ist, der sich in mein Leben begibt, das ist ein gnädiger Gott.
Das ist ein Gott, der mich frei macht von der Angst, etwas nicht richtig zu machen.
Denn auch das, was ich falsch mache, trägt er mit.
Dieser Heiland, der mitten ins Leben kommt, ist kein gleichgültiger Gott.
Er lebt mit. Er weint mit. Freut sich mit.
Lacht. Genießt. Er jubelt. Und klagt.
Der Heiland kommt mitten ins Leben.
Und er bewegt. Weil er verändert. Neu macht.
Weil der Himmel aufgerissen wird.
Weil Himmel und Erde zusammenkommen.
Und das sollte sogar die Kirche verändern.
So wird es auch hier geschehen. In den Gemeinden der XRegion.
Der Heiland kommt - mitten in die Xregion.
Und er bewegt. Er führt euch hier zusammen. Und verändert euch.
Euch, die ihr Gott sucht und die ihr zweifelt und klagt
und die ihr euch freut und mal etwas Neues ausprobiert, egal ob es Erfolg hat.
Er öffnet euch die Augen füreinander.
Er lässt euch sehen, was die anderen brauchen von euch.
Was ihr voneinander braucht und was ihr einander geben könnt.
Der Heiland lässt euch gemeinsam neue Wege gehen.
Dorthin, wo die anderen Gottsucher sind.
Mutig, denn eure Ängste könnt ihr ihm überlassen.
Und das, woran euer Herz hängt, auch.
Wenn euer Glaube so groß ist, wie ein Senfkorn, genügt es.
Der Heiland kommt - und reißt die Himmel auf.
Denn er kommt mitten ins Leben. In deins und meins.
Amen.
Lied: O Heiland, reiß die Himmel auf....
Sonntag, 27. November 2016
Sonntag, 6. November 2016
Niemand ist eine Insel
Predigt zu Römerbrief 14, 7-9 - gehalten in der Stadtkirche am 6.11.2016
(auch ein Beispiel einer Predigtwerkstatt. Darum Danke an Peter Krogull, Michaela Jecht und Rene Enzenauer.
Und wichtig: vor der Predigt wurden 2 Mädchen getauft!)
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Denn das ist der Grund, warum Christus gestorben ist
und wieder lebendig wurde:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
I.
Will Freeman (1) ist ein freier Mann. 36 Jahre alt. Single. Wohlhabend. Er lebt in einem tollen Haus in London. Muss noch nicht mal arbeiten. Denn Geld verdient Will Freeman ganz automatisch. Sein Vater hat nämlich mal ein Lied geschrieben, das ein großer Weihnachtshit in England wurde. Einen Teil seines Tages verbringt er nun damit, dieses Geld wieder auszugeben, zum Beispiel für teure Turnschuhe. Einen zweiten Teil seines Tages verbringt Will vor dem Fernseher mit seinen Lieblingssendungen. Streit um die Fernbedienung gibt es dabei nicht. Will lebt ja alleine. Wenn er mal Lust auf Zweisamkeit hat, macht sich der gutaussehende Will gezielt auf die Suche nach Frauen, die leicht zu haben und - noch wichtiger - leicht loszuwerden sind.
„Ich bin eine Insel - ich brauche niemanden“, sagt er trotzig. „Und das ist gut so.“
Will Freeman - frei und unabhängig, einer der sich selbst lebt - Hauptfigur im Roman „About a Boy“ von Nick Hornby.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
II.
Einmal leben können wie Will Freeman.
Ohne Verpflichtungen. Ohne Abhängigkeiten.
Ohne Terminkalender. Ohne Schule oder Chef oder Eltern oder Kinder.
Einmal alles loslassen. (2)
Und die Pflicht rufen lassen.
Die Fäden lösen,
die mich festbinden an mein tägliches „Sollen“ und „Müssen“
Einmal frei sein von allen .
Einmal ohne das „Du“ und das „Wir“.
Einmal tun und lassen können.
Einmal ich selbst sein können.
Sich selbst leben können.
Reizvoll?
Für die Familien J. und M. vielleicht schon. (3)
Wer nachts geweckt wird, um das schreiende Baby zu beruhigen, sehnt sich danach, wieder allein sein zu können.
Wer für einen Ausflug ins Grüne umständlich alle Babysachen im Kinderwagen verstauen muss - wer dafür den richtige Zeitpunkt für den Mittagsschlaf abpassen will, denkt mit Wehmut zurück als nur die eigenen Handschuhe und Schuhe nötig waren.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
III.
Will Freeman lernt Marcus kennen, einen zwölfjährigen Jungen - so ziemlich das Gegenteil von ihm: Marcus hat keinen reichen Vater, sondern nur eine arme Mutter, noch dazu depressiv. Keine freie, unbeschwerte Kindheit. Zu früh erwachsen.
Beide, Will und Marcus, ziehen einen Nutzen aus Ihrer Verbindung:
Will gibt Marcus ab und zu als seinen Sohn aus, um als angeblich alleinerziehender Vater besser bei alleinerziehenden Müttern zu landen. Marcus darf dafür bei Will nachmittags Fernsehen gucken. Die ersten Fäden werden gesponnen.
Will lernt diesen merkwürdigen Jungen kennen und er wächst ihm ans Herz.
Marcus ist ein Außenseiter in seiner Schule. Das tut Will irgendwie leid.
Und so wird der jugendlich wirkende Erwachsene ein Lehrer für den aus der Zeit gefallenen Jugendlichen - erteilt ein paar Lektionen in Jugendkultur und Coolness.
Marcus wiederum zeigt Will, dass das Leben aus mehr als Turnschuhen und Coolness besteht.
Die Fäden werden immer dicker, immer fester.
Am Ende ist alles anders und neu. Und viele Fäden sind da.
Der ernsthafte Junge Marcus entdeckt durch Will das unbeschwerte Kind in sich.
Der berufsjugendliche Will lernt durch Marcus, was Verantwortung bedeutet.
Und kann sich auf einmal richtig verlieben.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn.
Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
immer gehören wir dem Herrn!
IV.
Niemand ist eine Insel.
Und wer die eigene Insellage aufgibt, verliert nicht, sondern gewinnt:
ein Leben voller Geheimnisse, die man noch nicht kennt.
Fremde Gedanken, die weiterführen.
Liebe, für die ich mich nicht verstellen muss.
Keiner lebt nur für sich selbst.
Du hängst an 1000 Fäden. Immer. (4)
Von Anfang deines Lebens an.
Und manchmal ist das gut.
Denn 1000 Fäden geben Halt und Wärme,
Sie geben Nähe und Geborgenheit.
Die Fäden, die dich halten,
sie lehren dich die Welt verstehen.
Sie zeigen dir, wie Lachen geht.
Sie nehmen dich an die Hand,
damit du auf eignen Füßen laufen lernen kannst.
Die 1000 Fäden, die dich umweben,
sie können deine Tränen trocken, wenn du weinst.
Sie können trösten und dir sagen: Es wird am Ende alles gut.
Sie zeigen dir, was Liebe ist.
Und sie nehmen dir die Einsamkeit.
Und wenn du irgendwann einmal im Sterbezimmer liegst,
Wenn der Tag gekommen ist, an dem du dann zum letzten Mal
die Sonne aufgehen siehst,
selbst dann noch ist mindestens ein dicker, großer Faden da.
Der von Gott.
Mit ihm bist du verbunden. Von Anfang an.
Der Faden, mit dem du mit Gott verbunden bist, der bleibt.
Er reißt nicht. Nie. Egal was du tust.
Und egal was andere sagen.
Denn das ist der Grund, warum Christus gestorben ist
und wieder lebendig wurde:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
V.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Du bist mit Gott verbunden.
Von Anfang an. Und bis zum Ende.
Und du bist keine Insel, sondern mit der Welt verbunden.
Mit den Menschen.
Ein jeder lebt für den anderen. Lebt vom anderen. (5)
Vom „Guten Morgen“ beim Bäcker.
Von dem Lächeln der Kassiererin.
Von der Umarmung der Geliebten.
Du lebst von den Näherinnen in Bangladesh
und von den Kindern, die in Indien deinen Müll sortieren.
Du lebst von dem Krankenpfleger, der letzte Nacht gearbeitet hat,
und von der Politikerin, die über gerechtere Löhne nachdenkt.
Keiner von lebt nur für sich selbst.
Und du hängst an tausend Fäden.
Wie Paulus.
Der sitzt und schreibt an Menschen, die sich nicht verbunden fühlen.
Die unterscheiden zwischen „die da“ und "wir",
zwischen "ich" und "die glauben nicht richtig".
Er schreibt an Christen, die vergessen haben, dass sie verbunden sind.
So wie heute das viele vergessen und wieder unterscheiden
zwischen „die da“ und „wir“,
und die sagen, dass „die da“ nicht dazu gehören.
Die da - die hierher geflohen sind
Die da - mit der anderen Hautfarbe. Mit dem anderen Glauben.
Die da, anders lieben oder gleich lieben.
Aber diese Unterscheidung zählt bei Christus nicht.
Denn durch Gott sind wir verbunden.
Ob wir wollen oder nicht.
VI.
Und genau dafür ist einer gestorben.
Christus. Der Herr über die Toten und die Lebenden.
Er hat nicht für sich selbst gelebt. Sondern ganz nah an den anderen.
Mit seiner Liebe. Ohne ein „die da“.
Er ist darum auch nicht sich selbst gestorben.
Sondern dafür, dass es kein „die da“ und „wir“ mehr gibt.
Dafür, dass niemand für sich selbst bleiben muss,
sondern verbunden ist mit Gott - egal, was andere sagen oder tun.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Verbunden mit Gott bist du frei, deine Fäden zu spannen.
Ob es der 12jährige Marcus ist, der neue Fäden zu Will Freeman spannt.
Oder V. und G. (6)
Ob du der Papst bist und nach Lund gehst, um neue Gemeinsamkeiten mit den Protestanten zu entdecken. (7)
Oder ob du ein bayrischer Dekan bist, der den Vorsitzenden vom Zentralrat der Muslime in seine Kirche einlädt. (8)
Ob du als Frau eine Frau liebst, oder als Mann einen Mann, oder als Frau einen Mann.
Du bist verbunden mit Gott.
Und darum freier als Will Freeman.
Du bist frei und verbunden. Mit Gott. Mit den anderen.
Verbunden mit Gott lebst du die Liebe zu den anderen.
Verbunden mit Gott gibt es für dich kein „die da“.
Denn auch „die da“ sind verbunden mit Gott.
Gehören zu ihm, ob sie leben oder sterben. Wie du.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Und das macht dich wirklich frei.
Amen.
(1) danke an Peter Krogull für die Idee und die Anregungen zur Geschichte über Will Freeman aus "About a boy" (Pastoralblätter Nov.2016) - ich bin froh, dass ich den Roman vor einigen Jahren selber gelesen habe, darum hatte ich sofort ein Bild vor Augen. Der Roman wurde 2002 verfilmt mit Hugh Grant und Toni Colette.
(2) die folgenden Zeilen habe ich von Michaela Jecht
(3) Das sind die Tauffamilien
(4) Der folgende Abschnitt ist wesentlich bestimmt von Formulierungen von Rene Enzenauer, der widerum Ideen von Michaela Jecht weiterverarbeitet hat. Vor allem die Idee mit den Fäden stammt von ihr.
(5) Im Folgenden wieder viele Ideen von Michaela Jecht, die ich weitergesponnen habe
(6) die Täuflinge
(7) http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/reformation-lund-papst-franziskus-bundespraesident-joachim-gauck
(8) http://n-land.de/news/altdorf/kluge-und-differenzierte-worte-als-einstieg-zum-dialog
(auch ein Beispiel einer Predigtwerkstatt. Darum Danke an Peter Krogull, Michaela Jecht und Rene Enzenauer.
Und wichtig: vor der Predigt wurden 2 Mädchen getauft!)
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Denn das ist der Grund, warum Christus gestorben ist
und wieder lebendig wurde:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
I.
Will Freeman (1) ist ein freier Mann. 36 Jahre alt. Single. Wohlhabend. Er lebt in einem tollen Haus in London. Muss noch nicht mal arbeiten. Denn Geld verdient Will Freeman ganz automatisch. Sein Vater hat nämlich mal ein Lied geschrieben, das ein großer Weihnachtshit in England wurde. Einen Teil seines Tages verbringt er nun damit, dieses Geld wieder auszugeben, zum Beispiel für teure Turnschuhe. Einen zweiten Teil seines Tages verbringt Will vor dem Fernseher mit seinen Lieblingssendungen. Streit um die Fernbedienung gibt es dabei nicht. Will lebt ja alleine. Wenn er mal Lust auf Zweisamkeit hat, macht sich der gutaussehende Will gezielt auf die Suche nach Frauen, die leicht zu haben und - noch wichtiger - leicht loszuwerden sind.
„Ich bin eine Insel - ich brauche niemanden“, sagt er trotzig. „Und das ist gut so.“
Will Freeman - frei und unabhängig, einer der sich selbst lebt - Hauptfigur im Roman „About a Boy“ von Nick Hornby.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
II.
Einmal leben können wie Will Freeman.
Ohne Verpflichtungen. Ohne Abhängigkeiten.
Ohne Terminkalender. Ohne Schule oder Chef oder Eltern oder Kinder.
Einmal alles loslassen. (2)
Und die Pflicht rufen lassen.
Die Fäden lösen,
die mich festbinden an mein tägliches „Sollen“ und „Müssen“
Einmal frei sein von allen .
Einmal ohne das „Du“ und das „Wir“.
Einmal tun und lassen können.
Einmal ich selbst sein können.
Sich selbst leben können.
Reizvoll?
Für die Familien J. und M. vielleicht schon. (3)
Wer nachts geweckt wird, um das schreiende Baby zu beruhigen, sehnt sich danach, wieder allein sein zu können.
Wer für einen Ausflug ins Grüne umständlich alle Babysachen im Kinderwagen verstauen muss - wer dafür den richtige Zeitpunkt für den Mittagsschlaf abpassen will, denkt mit Wehmut zurück als nur die eigenen Handschuhe und Schuhe nötig waren.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
III.
Will Freeman lernt Marcus kennen, einen zwölfjährigen Jungen - so ziemlich das Gegenteil von ihm: Marcus hat keinen reichen Vater, sondern nur eine arme Mutter, noch dazu depressiv. Keine freie, unbeschwerte Kindheit. Zu früh erwachsen.
Beide, Will und Marcus, ziehen einen Nutzen aus Ihrer Verbindung:
Will gibt Marcus ab und zu als seinen Sohn aus, um als angeblich alleinerziehender Vater besser bei alleinerziehenden Müttern zu landen. Marcus darf dafür bei Will nachmittags Fernsehen gucken. Die ersten Fäden werden gesponnen.
Will lernt diesen merkwürdigen Jungen kennen und er wächst ihm ans Herz.
Marcus ist ein Außenseiter in seiner Schule. Das tut Will irgendwie leid.
Und so wird der jugendlich wirkende Erwachsene ein Lehrer für den aus der Zeit gefallenen Jugendlichen - erteilt ein paar Lektionen in Jugendkultur und Coolness.
Marcus wiederum zeigt Will, dass das Leben aus mehr als Turnschuhen und Coolness besteht.
Die Fäden werden immer dicker, immer fester.
Am Ende ist alles anders und neu. Und viele Fäden sind da.
Der ernsthafte Junge Marcus entdeckt durch Will das unbeschwerte Kind in sich.
Der berufsjugendliche Will lernt durch Marcus, was Verantwortung bedeutet.
Und kann sich auf einmal richtig verlieben.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn.
Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
immer gehören wir dem Herrn!
IV.
Niemand ist eine Insel.
Und wer die eigene Insellage aufgibt, verliert nicht, sondern gewinnt:
ein Leben voller Geheimnisse, die man noch nicht kennt.
Fremde Gedanken, die weiterführen.
Liebe, für die ich mich nicht verstellen muss.
Keiner lebt nur für sich selbst.
Du hängst an 1000 Fäden. Immer. (4)
Von Anfang deines Lebens an.
Und manchmal ist das gut.
Denn 1000 Fäden geben Halt und Wärme,
Sie geben Nähe und Geborgenheit.
Die Fäden, die dich halten,
sie lehren dich die Welt verstehen.
Sie zeigen dir, wie Lachen geht.
Sie nehmen dich an die Hand,
damit du auf eignen Füßen laufen lernen kannst.
Die 1000 Fäden, die dich umweben,
sie können deine Tränen trocken, wenn du weinst.
Sie können trösten und dir sagen: Es wird am Ende alles gut.
Sie zeigen dir, was Liebe ist.
Und sie nehmen dir die Einsamkeit.
Und wenn du irgendwann einmal im Sterbezimmer liegst,
Wenn der Tag gekommen ist, an dem du dann zum letzten Mal
die Sonne aufgehen siehst,
selbst dann noch ist mindestens ein dicker, großer Faden da.
Der von Gott.
Mit ihm bist du verbunden. Von Anfang an.
Der Faden, mit dem du mit Gott verbunden bist, der bleibt.
Er reißt nicht. Nie. Egal was du tust.
Und egal was andere sagen.
Denn das ist der Grund, warum Christus gestorben ist
und wieder lebendig wurde:
Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
V.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Du bist mit Gott verbunden.
Von Anfang an. Und bis zum Ende.
Und du bist keine Insel, sondern mit der Welt verbunden.
Mit den Menschen.
Ein jeder lebt für den anderen. Lebt vom anderen. (5)
Vom „Guten Morgen“ beim Bäcker.
Von dem Lächeln der Kassiererin.
Von der Umarmung der Geliebten.
Du lebst von den Näherinnen in Bangladesh
und von den Kindern, die in Indien deinen Müll sortieren.
Du lebst von dem Krankenpfleger, der letzte Nacht gearbeitet hat,
und von der Politikerin, die über gerechtere Löhne nachdenkt.
Keiner von lebt nur für sich selbst.
Und du hängst an tausend Fäden.
Wie Paulus.
Der sitzt und schreibt an Menschen, die sich nicht verbunden fühlen.
Die unterscheiden zwischen „die da“ und "wir",
zwischen "ich" und "die glauben nicht richtig".
Er schreibt an Christen, die vergessen haben, dass sie verbunden sind.
So wie heute das viele vergessen und wieder unterscheiden
zwischen „die da“ und „wir“,
und die sagen, dass „die da“ nicht dazu gehören.
Die da - die hierher geflohen sind
Die da - mit der anderen Hautfarbe. Mit dem anderen Glauben.
Die da, anders lieben oder gleich lieben.
Aber diese Unterscheidung zählt bei Christus nicht.
Denn durch Gott sind wir verbunden.
Ob wir wollen oder nicht.
VI.
Und genau dafür ist einer gestorben.
Christus. Der Herr über die Toten und die Lebenden.
Er hat nicht für sich selbst gelebt. Sondern ganz nah an den anderen.
Mit seiner Liebe. Ohne ein „die da“.
Er ist darum auch nicht sich selbst gestorben.
Sondern dafür, dass es kein „die da“ und „wir“ mehr gibt.
Dafür, dass niemand für sich selbst bleiben muss,
sondern verbunden ist mit Gott - egal, was andere sagen oder tun.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Verbunden mit Gott bist du frei, deine Fäden zu spannen.
Ob es der 12jährige Marcus ist, der neue Fäden zu Will Freeman spannt.
Oder V. und G. (6)
Ob du der Papst bist und nach Lund gehst, um neue Gemeinsamkeiten mit den Protestanten zu entdecken. (7)
Oder ob du ein bayrischer Dekan bist, der den Vorsitzenden vom Zentralrat der Muslime in seine Kirche einlädt. (8)
Ob du als Frau eine Frau liebst, oder als Mann einen Mann, oder als Frau einen Mann.
Du bist verbunden mit Gott.
Und darum freier als Will Freeman.
Du bist frei und verbunden. Mit Gott. Mit den anderen.
Verbunden mit Gott lebst du die Liebe zu den anderen.
Verbunden mit Gott gibt es für dich kein „die da“.
Denn auch „die da“ sind verbunden mit Gott.
Gehören zu ihm, ob sie leben oder sterben. Wie du.
Keiner von uns lebt nur für sich selbst
und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn.
Und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir also leben oder ob wir sterben –
so sind wir des Herrn!
Und das macht dich wirklich frei.
Amen.
(1) danke an Peter Krogull für die Idee und die Anregungen zur Geschichte über Will Freeman aus "About a boy" (Pastoralblätter Nov.2016) - ich bin froh, dass ich den Roman vor einigen Jahren selber gelesen habe, darum hatte ich sofort ein Bild vor Augen. Der Roman wurde 2002 verfilmt mit Hugh Grant und Toni Colette.
(2) die folgenden Zeilen habe ich von Michaela Jecht
(3) Das sind die Tauffamilien
(4) Der folgende Abschnitt ist wesentlich bestimmt von Formulierungen von Rene Enzenauer, der widerum Ideen von Michaela Jecht weiterverarbeitet hat. Vor allem die Idee mit den Fäden stammt von ihr.
(5) Im Folgenden wieder viele Ideen von Michaela Jecht, die ich weitergesponnen habe
(6) die Täuflinge
(7) http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/reformation-lund-papst-franziskus-bundespraesident-joachim-gauck
(8) http://n-land.de/news/altdorf/kluge-und-differenzierte-worte-als-einstieg-zum-dialog
Sonntag, 30. Oktober 2016
Bürgerrecht im Himmel - für alle
Predigt zu Philipper 3,20-21 - gehalten am 30.10.2016 in Mühlhausen
(vor der Predigt Lesung von Lukas 19,1-10 (Zachäus))
I.
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
„Denn auch er ist ein Sohn Abrahams“.
Ja, ich gehöre dazu! Muss Zachäus gedacht haben - innerlich jubelnd.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Ich - der Kleine, der Betrüger, der mit den Großen kungelt.
Ich - der Einsame, der sich selber ausgeschlossen hat.
Ich gehöre wieder dazu.
Jesus sagt das. Jesus isst mit mir. Jesus ist mein Gast. In meinem Haus.
Und ich fange neu an.
Ich kann so sein wie die, die zu ihm gehören. Wie die, die zu Gott gehören.
II.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Von dort her erwarten wir auch den Retter, den Herrn Jesus Christus!
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
(Philipper 3,20-21 - nach der Übersetzung der Basisbibel)
Ich gehöre dazu. Ich gehöre zum Himmel.
Jetzt schon. Nicht erst morgen oder erst wenn ich tot bin.
Im Himmel bin ich zuhause. Für dort habe ich einen Pass.
Meine Staatsbürgerschaft. Und die sagt mir: Du gehörst dazu.
Du - mit deinen Macken, mit deinen Fehlern, mit deiner Sehnsucht, mit deiner Einsamkeit.
Du - die du dich immer wieder ausschließt.
Du hast schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Da bist du zuhause.
III.
Zuhause.
Mehr als die 4 Wände, in denen du lebst.
Zuhause - dort wo du du bist.
Mit Jogginghose und dicken Socken.
Mit der Zeitung neben dem Bett und den Staubflusen unter dem Schrank.
Mit den Fotos, die dich an früher erinnern,
und dem Stuhl, der mal wieder überquillt vor lauter Klamotten.
Zuhause.
Wo der Streit mit der Tochter noch in der Luft hängt.
Aber auch die Umarmung danach.
Wo das das Licht im Flur auch nachts anbleibt.
Wo der kleine Zettel am Kühlschrank dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
„Du schaffst das“ sagt er dir jeden Morgen.
Zuhause.
Da bist du.
Ungeschminkt. Unrasiert. Mit verquollenen Augen. Mit fettigen Haaren.
Zuhause.
Frisch geduscht und ausgeschlafen.
Da ist der Kaffeeduft und der Kuchen warm aus dem Ofen.
Klaviertöne aus dem Erdgeschoss. Tatort am Sonntagabend.
Zuhause.
Da wohnst du. Da bist du. Da darfst du sein.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
IV.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten viele kein Zuhause mehr.
Ihr Zuhause war zerstört, zerbombt.
Sie mussten es zurücklassen. Verlassen. Verloren.
Ein neues Zuhause suchen.
Und die meisten fanden ein neues Zuhause. Aber es war nicht leicht.
Neue Wurzeln schlagen. Sich neu einrichten. Wieder ich sein dürfen.
Den Boden unter die Füße bekommen. Auch dort, wo es fremd ist.
Das braucht Zeit, und nicht alle haben es geschafft.
Sie blieben unbehaust - zumindest innerlich.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Die ins Wichernhaus kommen
und wenigstens für ein paar Nächte ein Dach über dem Kopf haben.
Die im Benkiserpark schlafen müssen. Der Alkohol lenkt sie ab.
Die im Fußgängertunnel vom Hauptbahnhof am Rand sitzen und auf ein paar Münzen hoffen. Oder die gar zu einer Kolonne gehören und am Abend alles Erbettelte wieder abgeben müssen.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Und dann sind da auch noch die, die aus ihrem Land hierher fliehen. Die ein neues Zuhause suchen. Ein sicheres Zuhause. Wo keine Bombe drauf fällt. Wo keine Granate hineinrollt.
Wo keine Maschinengewehre dröhnen.
Wo keine Taliban an die Tür hämmern und dich mitnehmen wollen.
Du gehörst nicht hierher. Das hören sie nicht nur einmal.
Die Obdachlosen und die Flüchtlinge.
Geh weg. Hau ab. Mach, dass du davon kommst.
Du gehörst nicht hierher.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
V.
Zuhause sein. Dazu gehören. So wie du bist.
Und wenn der Himmel dein Zuhause ist, dann gilt das erst recht.
Alles, was wir als Zulassungsbedingungen festlegen, gilt dort nicht.
Auch wenn wir es uns nicht vorstellen können.
Dass ein Zachäus dazu gehören sollte, war unvorstellbar.
Und so wird hinterher auch heftig gemurrt.
Dass die Kinder dazu gehören sollten, war unvorstellbar.
Sogar für die Jünger und Jüngerinnen Jesu.
Dass Frauen dazu gehören sollten oder gar Gemeindevorsteherinnen werden könnten, war unvorstellbar. Aber von Anfang an predigten sie und leiteten sie die Gemeinden. Nur wollte man das später nicht mehr wahrhaben.
Dass Schwule und Lesben dazu gehören, war und ist für viele heute noch unvorstellbar. Aber Gott hat sie gewollt, so wie sie sind.
Ihre Sexualität spielt für die Einreiserlaubnis in den Himmel keine Rolle.
Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke hat das vergangenen Sonntag in der Paulskirche auf ihre Weise gesagt:
„So wird ein Kreis geformt, in den werden wir eingeschlossen, wir, die wir etwas anders lieben oder etwas anders aussehen, dem gehören wir an, ganz gleich, in oder zwischen welchen Kreisen wir uns sonst bewegen, ganz gleich, was uns sonst noch auszeichnet oder unterscheidet, ganz gleich, welche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten, welche Bedürfnisse oder Eigenschaften uns vielleicht viel mehr bedeuten. So verbindet sich etwas, das uns glücklich macht, etwas, das uns schön oder auch angemessen erscheint, mit etwas, das uns verletzt und wund zurücklässt. Weil wir immer noch, jeden Tag, Gründe liefern sollen dafür, dass wir nicht nur halb, sondern ganz dazugehören. Als gäbe es eine Obergrenze für Menschlichkeit.“ (...)
„Manchmal frage ich mich, wessen Würde da beschädigt wird: unsere, die wir als nicht zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns die Rechte, die uns gehören, absprechen wollen?“
VI.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Dort sind wir zuhause.
Keiner von uns kann anderen absprechen dazu zugehören.
Kein Priester. Keine Dekanin. Kein Präsident. Keine Partei.
Aber ist das dann noch ein Zuhause?
Wo auch die zuhause sind, die so ganz anders sind als ich.
Auch die, die ich nicht mag. Oder vor denen ich Angst habe. Oder die mich ärgern.
Auch die haben schon jetzt ein Bürgerrecht im Himmel?
Paulus sagt: ja!
Die einzige Bindung, die noch zählt, ist die an Jesus Christus.
Doch dabei geht es nicht um Rechtgläubigkeit, die uns den Einlass gewährt.
Das wäre eine Schranke, die wir Menschen aufstellen.
So wie damals die Philipper oder die Galater das wollten.
Wenn du rechtgläubig bist und die Gebote XY befolgst, erst dann gehörst du dazu.
Vorher nicht.
Genau das lehnt Paulus ab.
Gott öffnet sein Zuhause für alle.
Denn die Liebe Gottes, wie Jesus sie gelebt und erlitten hat, die gilt jedem Menschen.
Diese Liebe kannst du nicht einschränken.
Denn:
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
VII.
Die Unterscheidungen, die wir uns so gerne machen - die gelten in Christus nicht mehr.
Auch nicht mehr das, was uns vermeintliche Sicherheit gibt.
Nationalität oder Herkunft spielen keine Rolle mehr.
Es gilt nicht mehr die Unterscheidung in Juden und Heiden
oder in Freie und Unfreie, in Arme und Reiche.
Und das gilt nicht nur für den Himmel, sondern auch für die Erde.
Für jetzt und hier.
Eine doppelte Staatsbürgerschaft für dich und mich. Ein Zuhause im Himmel.
Für einen Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Du bist gut genug für den Himmel. Da bist du zuhause.
Mit den Staubflusen und ungeschminkt und unrasiert. So wie du bist.
Und deine Nachbarin auch.
Ihr werdet den Himmel nicht auf die Erde holen können.
Aber ihr könnt ihn sichtbar werden lassen. Die Erde zur Wohnung Gottes machen.
Diese Erde mit ihren Grenzen und Schablonen und Einteilungen und Unterscheidungen.
In dieser Erde mit Gott Zuhause sein.
Mit himmlischer Gastfreundschaft, die sogar einen Zachäus überzeugt.
VIII.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Neu hinschauen. Anders sein. Grenzen überwinden.
Türen öffnen und Nein sagen, wo Andere ausgeschlossen werden.
Wie in Steinegg, wo eine ganze Klasse dem Flüchtlingsmädchen Seara eine neue Heimat gab.
Sich neu begegnen.
Ob es ein Zachäus ist. Oder eine Fremde. Oder der, der anders glaubt.
Caroline Emcke sagt es so:
„Wir können neu anfangen und die alten Geschichten weiterspinnen wie einen Faden Fesselrest, der heraushängt, wir können anknüpfen oder aufknüpfen, wir können verschiedene Geschichten zusammen weben und eine andere Erzählung erzählen, eine, die offener ist, leiser auch, eine, in der jede und jeder wichtig ist.“
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Und nicht nur er.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Amen.
(vor der Predigt Lesung von Lukas 19,1-10 (Zachäus))
I.
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
„Denn auch er ist ein Sohn Abrahams“.
Ja, ich gehöre dazu! Muss Zachäus gedacht haben - innerlich jubelnd.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Ich - der Kleine, der Betrüger, der mit den Großen kungelt.
Ich - der Einsame, der sich selber ausgeschlossen hat.
Ich gehöre wieder dazu.
Jesus sagt das. Jesus isst mit mir. Jesus ist mein Gast. In meinem Haus.
Und ich fange neu an.
Ich kann so sein wie die, die zu ihm gehören. Wie die, die zu Gott gehören.
II.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Von dort her erwarten wir auch den Retter, den Herrn Jesus Christus!
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
(Philipper 3,20-21 - nach der Übersetzung der Basisbibel)
Ich gehöre dazu. Ich gehöre zum Himmel.
Jetzt schon. Nicht erst morgen oder erst wenn ich tot bin.
Im Himmel bin ich zuhause. Für dort habe ich einen Pass.
Meine Staatsbürgerschaft. Und die sagt mir: Du gehörst dazu.
Du - mit deinen Macken, mit deinen Fehlern, mit deiner Sehnsucht, mit deiner Einsamkeit.
Du - die du dich immer wieder ausschließt.
Du hast schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Da bist du zuhause.
III.
Zuhause.
Mehr als die 4 Wände, in denen du lebst.
Zuhause - dort wo du du bist.
Mit Jogginghose und dicken Socken.
Mit der Zeitung neben dem Bett und den Staubflusen unter dem Schrank.
Mit den Fotos, die dich an früher erinnern,
und dem Stuhl, der mal wieder überquillt vor lauter Klamotten.
Zuhause.
Wo der Streit mit der Tochter noch in der Luft hängt.
Aber auch die Umarmung danach.
Wo das das Licht im Flur auch nachts anbleibt.
Wo der kleine Zettel am Kühlschrank dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
„Du schaffst das“ sagt er dir jeden Morgen.
Zuhause.
Da bist du.
Ungeschminkt. Unrasiert. Mit verquollenen Augen. Mit fettigen Haaren.
Zuhause.
Frisch geduscht und ausgeschlafen.
Da ist der Kaffeeduft und der Kuchen warm aus dem Ofen.
Klaviertöne aus dem Erdgeschoss. Tatort am Sonntagabend.
Zuhause.
Da wohnst du. Da bist du. Da darfst du sein.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
IV.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten viele kein Zuhause mehr.
Ihr Zuhause war zerstört, zerbombt.
Sie mussten es zurücklassen. Verlassen. Verloren.
Ein neues Zuhause suchen.
Und die meisten fanden ein neues Zuhause. Aber es war nicht leicht.
Neue Wurzeln schlagen. Sich neu einrichten. Wieder ich sein dürfen.
Den Boden unter die Füße bekommen. Auch dort, wo es fremd ist.
Das braucht Zeit, und nicht alle haben es geschafft.
Sie blieben unbehaust - zumindest innerlich.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Die ins Wichernhaus kommen
und wenigstens für ein paar Nächte ein Dach über dem Kopf haben.
Die im Benkiserpark schlafen müssen. Der Alkohol lenkt sie ab.
Die im Fußgängertunnel vom Hauptbahnhof am Rand sitzen und auf ein paar Münzen hoffen. Oder die gar zu einer Kolonne gehören und am Abend alles Erbettelte wieder abgeben müssen.
Wer kein Zuhause hat, ist arm dran.
Und dann sind da auch noch die, die aus ihrem Land hierher fliehen. Die ein neues Zuhause suchen. Ein sicheres Zuhause. Wo keine Bombe drauf fällt. Wo keine Granate hineinrollt.
Wo keine Maschinengewehre dröhnen.
Wo keine Taliban an die Tür hämmern und dich mitnehmen wollen.
Du gehörst nicht hierher. Das hören sie nicht nur einmal.
Die Obdachlosen und die Flüchtlinge.
Geh weg. Hau ab. Mach, dass du davon kommst.
Du gehörst nicht hierher.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
V.
Zuhause sein. Dazu gehören. So wie du bist.
Und wenn der Himmel dein Zuhause ist, dann gilt das erst recht.
Alles, was wir als Zulassungsbedingungen festlegen, gilt dort nicht.
Auch wenn wir es uns nicht vorstellen können.
Dass ein Zachäus dazu gehören sollte, war unvorstellbar.
Und so wird hinterher auch heftig gemurrt.
Dass die Kinder dazu gehören sollten, war unvorstellbar.
Sogar für die Jünger und Jüngerinnen Jesu.
Dass Frauen dazu gehören sollten oder gar Gemeindevorsteherinnen werden könnten, war unvorstellbar. Aber von Anfang an predigten sie und leiteten sie die Gemeinden. Nur wollte man das später nicht mehr wahrhaben.
Dass Schwule und Lesben dazu gehören, war und ist für viele heute noch unvorstellbar. Aber Gott hat sie gewollt, so wie sie sind.
Ihre Sexualität spielt für die Einreiserlaubnis in den Himmel keine Rolle.
Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke hat das vergangenen Sonntag in der Paulskirche auf ihre Weise gesagt:
„So wird ein Kreis geformt, in den werden wir eingeschlossen, wir, die wir etwas anders lieben oder etwas anders aussehen, dem gehören wir an, ganz gleich, in oder zwischen welchen Kreisen wir uns sonst bewegen, ganz gleich, was uns sonst noch auszeichnet oder unterscheidet, ganz gleich, welche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten, welche Bedürfnisse oder Eigenschaften uns vielleicht viel mehr bedeuten. So verbindet sich etwas, das uns glücklich macht, etwas, das uns schön oder auch angemessen erscheint, mit etwas, das uns verletzt und wund zurücklässt. Weil wir immer noch, jeden Tag, Gründe liefern sollen dafür, dass wir nicht nur halb, sondern ganz dazugehören. Als gäbe es eine Obergrenze für Menschlichkeit.“ (...)
„Manchmal frage ich mich, wessen Würde da beschädigt wird: unsere, die wir als nicht zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns die Rechte, die uns gehören, absprechen wollen?“
VI.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Dort sind wir zuhause.
Keiner von uns kann anderen absprechen dazu zugehören.
Kein Priester. Keine Dekanin. Kein Präsident. Keine Partei.
Aber ist das dann noch ein Zuhause?
Wo auch die zuhause sind, die so ganz anders sind als ich.
Auch die, die ich nicht mag. Oder vor denen ich Angst habe. Oder die mich ärgern.
Auch die haben schon jetzt ein Bürgerrecht im Himmel?
Paulus sagt: ja!
Die einzige Bindung, die noch zählt, ist die an Jesus Christus.
Doch dabei geht es nicht um Rechtgläubigkeit, die uns den Einlass gewährt.
Das wäre eine Schranke, die wir Menschen aufstellen.
So wie damals die Philipper oder die Galater das wollten.
Wenn du rechtgläubig bist und die Gebote XY befolgst, erst dann gehörst du dazu.
Vorher nicht.
Genau das lehnt Paulus ab.
Gott öffnet sein Zuhause für alle.
Denn die Liebe Gottes, wie Jesus sie gelebt und erlitten hat, die gilt jedem Menschen.
Diese Liebe kannst du nicht einschränken.
Denn:
Dazu hat er die Macht –
wie er auch die Macht hat, sich alles zu unterwerfen.
Er wird unseren armseligen Leib verwandeln,
sodass er seinem eigenen Leib gleicht –
dem Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
VII.
Die Unterscheidungen, die wir uns so gerne machen - die gelten in Christus nicht mehr.
Auch nicht mehr das, was uns vermeintliche Sicherheit gibt.
Nationalität oder Herkunft spielen keine Rolle mehr.
Es gilt nicht mehr die Unterscheidung in Juden und Heiden
oder in Freie und Unfreie, in Arme und Reiche.
Und das gilt nicht nur für den Himmel, sondern auch für die Erde.
Für jetzt und hier.
Eine doppelte Staatsbürgerschaft für dich und mich. Ein Zuhause im Himmel.
Für einen Leib, der die Herrlichkeit Gottes sichtbar werden lässt.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Du bist gut genug für den Himmel. Da bist du zuhause.
Mit den Staubflusen und ungeschminkt und unrasiert. So wie du bist.
Und deine Nachbarin auch.
Ihr werdet den Himmel nicht auf die Erde holen können.
Aber ihr könnt ihn sichtbar werden lassen. Die Erde zur Wohnung Gottes machen.
Diese Erde mit ihren Grenzen und Schablonen und Einteilungen und Unterscheidungen.
In dieser Erde mit Gott Zuhause sein.
Mit himmlischer Gastfreundschaft, die sogar einen Zachäus überzeugt.
VIII.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Neu hinschauen. Anders sein. Grenzen überwinden.
Türen öffnen und Nein sagen, wo Andere ausgeschlossen werden.
Wie in Steinegg, wo eine ganze Klasse dem Flüchtlingsmädchen Seara eine neue Heimat gab.
Sich neu begegnen.
Ob es ein Zachäus ist. Oder eine Fremde. Oder der, der anders glaubt.
Caroline Emcke sagt es so:
„Wir können neu anfangen und die alten Geschichten weiterspinnen wie einen Faden Fesselrest, der heraushängt, wir können anknüpfen oder aufknüpfen, wir können verschiedene Geschichten zusammen weben und eine andere Erzählung erzählen, eine, die offener ist, leiser auch, eine, in der jede und jeder wichtig ist.“
„Heute ist diesem Haus Heil widerfahren“ - der Gänsehautmoment von Zachäus.
Endlich gehöre ich wieder dazu!
Und nicht nur er.
Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.
Amen.
Montag, 24. Oktober 2016
Da ist Freiheit! Und auf die müssen wir aufpassen.
Ansprache zum Badischen Pfarrer/innen-Tag in Pforzheim (24.10.2016) zum Baden-Württembergischen Motto des Reformationjubiläums
I.
Da ist Freiheit! - ein schon fast trotziger Ausruf.
Da und da und da. Siehst du sie nicht?
Da, wo Menschen öffentlich sagen dürfen, was sie denken, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen glauben dürfen, was sie wollen, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen anziehen dürfen, was sie möchten, da ist Freiheit.
Da, wo sie lernen dürfen und lesen, egal ob Mädchen oder Junge.
Da, wo sie einen Beruf wählen können, der ihren Begabungen entspricht.
Da, wo sie lieben dürfen, wen sie wollen, ob Mann oder Frau.
Da ist Freiheit.
II.
Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (2.Kor 3,17b) - der Monatsspruch für Oktober.
Dass diese Freiheit nichts mit Ungebundenheit zu tun hat, mit Laissez-faire sozusagen,
das ist für Paulus klar, der diese Worte an die Gemeinde in Korinth richtet.
Freiheit heißt für Paulus:
Wir erkennen Gott mit seiner ganzen Liebe in Jesus Christus. Indem wir uns zu Christus zugehörig wissen, lassen wir uns von seinem Geist leiten und von sonst nichts. Und nichts anderes muss uns dann noch binden, knechten, knebeln.
Freiheit und Zugehörigkeit gehören zusammen.
Freiheit und Bindung.
Spannend dazu die gestrige Rede der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke.
Sie denkt über den Begriff Zugehörigkeit nach und wie Zugehörigkeit funktioniert.
So spricht sie von ihrer Sexualität
und von der Erfahrung, darum gerade nicht immer dazu zugehören,
also ausgegrenzt zu werden.
Dabei gehört es doch gerade zum Wesen einer freiheitlichen Gesellschaft, dass Menschen wegen ihrer Verschiedenheit gerade nicht ausgegrenzt werden.
Sondern dazugehören. Weil Freiheit nur so funktioniert.
Und so beschreibt sie Freiheit als
die „Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend oder Gemeinschaft zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs – und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen.“
III.
Da ist Freiheit!
Indem ich Menschen eine Zugehörigkeit verweigere, spreche ich ihnen auch ihre Freiheit ab, so sein zu dürfen, wie sie sind.
Und ich spreche ihnen ab, mit ihrem Sosein die Welt gestalten zu können.
Wo Menschen wegen ihrer Sexualität ausgegrenzt werden, da ist Unfreiheit.
Wo Andersgläubige unter dem Generalverdacht stehen, extremistisch zu sein, da ist Unfreiheit.
Wo Frauen der Zugang zu Ämtern verwehrt wird, wie seit diesem Sommer wieder in Lettland, da ist Unfreiheit.
Und wo Unfreiheit ist, da ist nicht der Geist Gottes!
Gerade dagegen hat sich die Reformation gewandt:
dass Menschen der Zugang verweigert wird.
Dass es vermeintliche Autoritäten gibt, die bestimmen, wer zu Gott gehört und wer nicht.
Und diese Autoritäten oder auch Herrschaften waren und sind immer sehr findig,
wenn es darum geht, andere in zugehörig und nicht zugehörig einzuteilen.
Ob es der Ablass ist oder die Steuer,
ob die Religionszugehörigkeit oder die Hautfarbe,
ob das Geschlecht oder die Angepasstheit oder die Kleidung.
Und leider sind auch die reformatorischen Kirchen immer wieder in dieses allzu menschliche Einteilungsverhalten hineingerutscht.
Da ist Freiheit!
Ja, sie ist verletzlich, diese Freiheit. Verletzlich und gefährdet. Mehr denn je, wo der Ungeist der Ausgrenzung wieder um sich greift.
IV.
Dieser Ungeist widerspricht fundamental dem protestantische Bekenntnis zur Gnade Gottes:
Kein Mensch kann mich aus der Gemeinschaft mit Gott ausschließen.
Gott selbst richtet seinen Bund auf.
Gott selbst geht die Verbindung mit mir ein.
Gott selbst nimmt mich als sein Kind an.
Und diese Gotteskindschaft kann mir keiner absprechen:
kein Papst, kein Fürst, kein Staat, kein Wutbürger,
keine Behörde, keine Schule, keine Armee, keine Partei.
Ich gehöre zu Gott - und darum bin ich frei, die zu sein, die ich als Gotteskind bin.
Da ist Freiheit!
„Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut“, sagt Carolin Emcke in ihrer Friedenspreisrede.
Freiheit ist „etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.“
Da ist Freiheit! Da, wo der Geist Gottes ist.
Der Geist der Gotteskindschaft.
Der Geist der Vergebung.
Der Geist der Gottesfamilie,
zu der wir alle gehören und von der wir niemanden ausschließen.
Da, wo dieser Geist Gottes Raum greift, wo er nicht behindert wird, da ist Freiheit.
Da und hier, dort und auch dahinten.
Da ist Freiheit! Passen wir auf sie auf.
Amen.
------------------------------------------------------
Das Lied vom anderen Leben
(Text von Traugott Schächtele, nach der Melodie „Die güldne Sonne“ zu singen)
Ich will dem Leben, das mir gegeben,
mit Herz und Sinnen nachspür’n; beginnen
dem, was in mir liegt, ganz fest zu vertrau’n.
Ich will neu sehen, die Schritte jetzt gehen
auf deinen Wegen und unter dem Segen,
der mich begleitet. Auf dich will ich bau’n
Wo ich geschunden, will ich gesunden
an Leib und Seele, dass mir nichts fehle,
was meinem Leben fest Halt gibt und Grund.
Ich will jetzt fragen, will mutiger wagen,
neu zu gestalten, wo Kräfte noch walten,
die nur vertrauen vergangener Stund’.
Frei kann ich glauben, dem Bösen rauben
sein lähmend’ Wesen. In neuen Thesen
sprech’ ich von dem, der die Kirche bewegt.
Will frei bezeugen, mich nie wieder beugen
ängstlichem Sorgen, genieße den Morgen
den Gott mir heut’ in mein Leben gelegt.
Vom Paradiese träum ich und fließe
in neues Werden. Mitten auf Erden,
schafft deine Schöpfung im Wandel sich Raum.
Grenzen zu schieben, den Nächsten zu lieben,
bin ich berufen, und steig’ meine Stufen,
zu neuen Höhen und leb’ meinen Traum!
I.
Da ist Freiheit! - ein schon fast trotziger Ausruf.
Da und da und da. Siehst du sie nicht?
Da, wo Menschen öffentlich sagen dürfen, was sie denken, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen glauben dürfen, was sie wollen, da ist Freiheit.
Da, wo Menschen anziehen dürfen, was sie möchten, da ist Freiheit.
Da, wo sie lernen dürfen und lesen, egal ob Mädchen oder Junge.
Da, wo sie einen Beruf wählen können, der ihren Begabungen entspricht.
Da, wo sie lieben dürfen, wen sie wollen, ob Mann oder Frau.
Da ist Freiheit.
II.
Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (2.Kor 3,17b) - der Monatsspruch für Oktober.
Dass diese Freiheit nichts mit Ungebundenheit zu tun hat, mit Laissez-faire sozusagen,
das ist für Paulus klar, der diese Worte an die Gemeinde in Korinth richtet.
Freiheit heißt für Paulus:
Wir erkennen Gott mit seiner ganzen Liebe in Jesus Christus. Indem wir uns zu Christus zugehörig wissen, lassen wir uns von seinem Geist leiten und von sonst nichts. Und nichts anderes muss uns dann noch binden, knechten, knebeln.
Freiheit und Zugehörigkeit gehören zusammen.
Freiheit und Bindung.
Spannend dazu die gestrige Rede der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke.
Sie denkt über den Begriff Zugehörigkeit nach und wie Zugehörigkeit funktioniert.
So spricht sie von ihrer Sexualität
und von der Erfahrung, darum gerade nicht immer dazu zugehören,
also ausgegrenzt zu werden.
Dabei gehört es doch gerade zum Wesen einer freiheitlichen Gesellschaft, dass Menschen wegen ihrer Verschiedenheit gerade nicht ausgegrenzt werden.
Sondern dazugehören. Weil Freiheit nur so funktioniert.
Und so beschreibt sie Freiheit als
die „Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend oder Gemeinschaft zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs – und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen.“
III.
Da ist Freiheit!
Indem ich Menschen eine Zugehörigkeit verweigere, spreche ich ihnen auch ihre Freiheit ab, so sein zu dürfen, wie sie sind.
Und ich spreche ihnen ab, mit ihrem Sosein die Welt gestalten zu können.
Wo Menschen wegen ihrer Sexualität ausgegrenzt werden, da ist Unfreiheit.
Wo Andersgläubige unter dem Generalverdacht stehen, extremistisch zu sein, da ist Unfreiheit.
Wo Frauen der Zugang zu Ämtern verwehrt wird, wie seit diesem Sommer wieder in Lettland, da ist Unfreiheit.
Und wo Unfreiheit ist, da ist nicht der Geist Gottes!
Gerade dagegen hat sich die Reformation gewandt:
dass Menschen der Zugang verweigert wird.
Dass es vermeintliche Autoritäten gibt, die bestimmen, wer zu Gott gehört und wer nicht.
Und diese Autoritäten oder auch Herrschaften waren und sind immer sehr findig,
wenn es darum geht, andere in zugehörig und nicht zugehörig einzuteilen.
Ob es der Ablass ist oder die Steuer,
ob die Religionszugehörigkeit oder die Hautfarbe,
ob das Geschlecht oder die Angepasstheit oder die Kleidung.
Und leider sind auch die reformatorischen Kirchen immer wieder in dieses allzu menschliche Einteilungsverhalten hineingerutscht.
Da ist Freiheit!
Ja, sie ist verletzlich, diese Freiheit. Verletzlich und gefährdet. Mehr denn je, wo der Ungeist der Ausgrenzung wieder um sich greift.
IV.
Dieser Ungeist widerspricht fundamental dem protestantische Bekenntnis zur Gnade Gottes:
Kein Mensch kann mich aus der Gemeinschaft mit Gott ausschließen.
Gott selbst richtet seinen Bund auf.
Gott selbst geht die Verbindung mit mir ein.
Gott selbst nimmt mich als sein Kind an.
Und diese Gotteskindschaft kann mir keiner absprechen:
kein Papst, kein Fürst, kein Staat, kein Wutbürger,
keine Behörde, keine Schule, keine Armee, keine Partei.
Ich gehöre zu Gott - und darum bin ich frei, die zu sein, die ich als Gotteskind bin.
Da ist Freiheit!
„Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut“, sagt Carolin Emcke in ihrer Friedenspreisrede.
Freiheit ist „etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.“
Da ist Freiheit! Da, wo der Geist Gottes ist.
Der Geist der Gotteskindschaft.
Der Geist der Vergebung.
Der Geist der Gottesfamilie,
zu der wir alle gehören und von der wir niemanden ausschließen.
Da, wo dieser Geist Gottes Raum greift, wo er nicht behindert wird, da ist Freiheit.
Da und hier, dort und auch dahinten.
Da ist Freiheit! Passen wir auf sie auf.
Amen.
------------------------------------------------------
Das Lied vom anderen Leben
(Text von Traugott Schächtele, nach der Melodie „Die güldne Sonne“ zu singen)
Ich will dem Leben, das mir gegeben,
mit Herz und Sinnen nachspür’n; beginnen
dem, was in mir liegt, ganz fest zu vertrau’n.
Ich will neu sehen, die Schritte jetzt gehen
auf deinen Wegen und unter dem Segen,
der mich begleitet. Auf dich will ich bau’n
Wo ich geschunden, will ich gesunden
an Leib und Seele, dass mir nichts fehle,
was meinem Leben fest Halt gibt und Grund.
Ich will jetzt fragen, will mutiger wagen,
neu zu gestalten, wo Kräfte noch walten,
die nur vertrauen vergangener Stund’.
Frei kann ich glauben, dem Bösen rauben
sein lähmend’ Wesen. In neuen Thesen
sprech’ ich von dem, der die Kirche bewegt.
Will frei bezeugen, mich nie wieder beugen
ängstlichem Sorgen, genieße den Morgen
den Gott mir heut’ in mein Leben gelegt.
Vom Paradiese träum ich und fließe
in neues Werden. Mitten auf Erden,
schafft deine Schöpfung im Wandel sich Raum.
Grenzen zu schieben, den Nächsten zu lieben,
bin ich berufen, und steig’ meine Stufen,
zu neuen Höhen und leb’ meinen Traum!
Samstag, 22. Oktober 2016
Stadt der Frauen - Tischrede beim Frauenmahl in Pforzheim
I.
Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg.
Machet Bahn! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Siehe, Gott lässt es hören bis an die Enden der Erde:
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! (...)
Dich wird man nennen „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“ (Jes 62,10-12)
Die Stadt ist eine Frau!
Sie wird nicht nur bewohnt von Frauen, sie ist eine Frau.
Zumindest wenn es nach dem Propheten Jesaja geht.
Jerusalem - Stadt des Friedens, des Schaloms.
Tochter Zion. Braut Gottes. Königin und geachtete Mutter.
Eine schöne Frau ist sie.
Gezeichnet vom Leben, Leid erprobt, aber letztlich geliebt und vor allem standhaft.
Die Stadt der Zukunft. Die Stadt, die attraktiv ist.
Denn zu ihr strömen die Völker und niemand hat Angst vor diesem Strömen.
Von dieser Stadt geht der Frieden aus.
II.
Gehet ein durch die Tore! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Mich fasziniert dieses Bild.
Und eine Stadt, in der ich als Frau lebe, soll genauso sein.
Eine Stadt mit offenen Toren und Türen,
wo Menschen willkommen sind
und die Steine weggeräumt sind, die uns hindern, dass wir aufeinander zugehen.
Ich denke weiter
und habe Frauen und Männer vor Augen, die einander zuhören und ausreden lassen.
Die sich über Fremde freuen und sie mitgestalten lassen.
Die aufeinander achten und gemeinsam dafür sorgen, dass es allen gut geht
und nicht nur denen, die immer schon das Sagen haben.
Ich habe vor Augen, dass die Unterschiedlichkeit der Bewohner und Bewohnerinnen als Reichtum gesehen wird. Und dass alle sich gleichermaßen verantwortlich fühlen, die Stadt zu gestalten.
Ich habe vor Augen, dass in dieser Stadt des Friedens kein Mensch abgewertet wird,
dass der Minirock genauso dazu gehört wie das Kopftuch,
dass das Kinderlachen laut ist,
dass Bäume gepflanzt werden und Blumen wild ausgesät.
Und auch die Rentnerinnen können gut leben in ihr.
Ich habe vor Augen, dass in dieser Stadt fröhliche Gottesdienste gefeiert
und nachdenkliche Gebete gesprochen werden,
dass lebhaft gestritten wird - aber immer mit Respekt -,
und dass alle um die Schatten der Vergangenheit wissen
und diese als Auftrag begreifen, dass die Vergangenheit Vergangenheit bleibt.
Das Weinen hat in dieser Stadt genauso seinen Platz wie das Lachen.
Und niemand wird klein oder mundtot gemacht.
Frauen dürfen in dieser Stadt den Mund aufmachen
und gleichberechtigt mit den Männern leiten und führen.
III.
Für Jesaja ist es eine Vision, ein Bild der Zukunft. Und das ist es für mich auch.
Denn die Gegenwart sieht anders aus.
Aber ich möchte dieses Bild der Zukunft bereits jetzt leben.
Und ich sehe, dass diese Stadt der Zukunft auch immer wieder aufblitzt. Jetzt.
Das macht mir Mut.
Es macht mir Mut, dass wir mittlerweile fast(!) selbstverständlich Bürgermeisterinnen, Unternehmerinnen, Professorinnen, Rektorinnen, Leiterinnen von Kulturhäusern und Kinos und Theologinnen in unserer Stadt haben.
Es ärgert mich, wenn in der Öffentlichkeit immer noch die Schuhe von Frauen wichtiger sind, als das, was sie sagen. Aber es macht mir Mut, dass wir dafür sensibler geworden sind und es nicht mehr einfach hinnehmen.
Es trifft mich persönlich, wenn in der Medienwelt ein einseitiges Bild von mir gezeichnet wird und sogar gewünscht wird, ich solle diese Stadt verlassen. Aber es macht mir Mut, dass der Widerspruch dazu laut und deutlich vernehmbar war, von Frauen und Männern dieser Stadt.
Es macht mich wütend, wenn das Thema „Gleichberechtigung“ instrumentalisiert wird für die Angst vor Flüchtlingen und vor dem Islam. Aber es macht mir Mut, dass sich so viele Menschen, Männer und Frauen, in unserer Stadt davon nicht beirren lassen. Stattdessen treffen sie sich im Weltcafé oder im Flüchtlingschor oder begleiten die Neuangekommenden auf die Ämter, organisieren Sprachkurse und Kinderbetreuung oder eine Hausaufgabenhilfe.
Es macht mir Sorge, dass die Schatten der Vergangenheit uns wieder einholen wollen und das rechte Gedankengut immer mehr in der bürgerlichen Mitte ankommt. Aber es macht mir Mut, dass viele von uns - und darunter viele Frauen! - dagegen halten, indem sie entlarven, diskutieren, öffentlich reden und auch demonstrieren. Es dürften ruhig noch mehr sein. Und wir Frauen sollten besonders wachsam sein, denn wir wissen, was es bedeutet, wenn Menschen in wertvoll und wertlos eingeteilt werden.
IV.
Gehet ein durch die Tore! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt!
Jerusalem - Von dieser Stadt geht der Frieden aus.
Ein Bild der zukünftigen Stadt.
Und als Theologin weiß ich auch, dass diese Stadt für uns Menschen nicht einfach machbar ist.
Auch für uns Frauen nicht. Denn selbst wir sind nicht unfehlbar.
Aber wir können diese Stadt aufblitzen lassen.
Uns von ihr inspirieren lassen.
Indem wir selber gestalten und Verantwortung übernehmen.
Indem wir die Belange dieser Stadt in die Hand nehmen und uns nicht bremsen lassen.
Indem wir uns öffentlich äußern und uns für eine Kultur des gegenseitigen Respekts einsetzen.
Gott hat uns geschaffen als sein Ebenbild, Frauen wie Männer.
Und im christlichen Verständnis gehören wir alle zur Familie Gottes als seine Töchter und Söhne.
Von Jesus Christus her gibt es kein oben und unten, keine ist unwichtiger als die andere.
Und das können wir ruhig jetzt schon leben.
Da müssen wir nicht auf das himmlische Jerusalem warten.
Räumen wir die Steine weg, die uns den Weg zueinander behindern.
Frau Stadt braucht uns bereits jetzt.
Machen wir sie sichtbar, diese Stadt der Zukunft - dort, wo wir sind.
(21. Oktober 2016)
Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg.
Machet Bahn! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Siehe, Gott lässt es hören bis an die Enden der Erde:
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! (...)
Dich wird man nennen „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“ (Jes 62,10-12)
Die Stadt ist eine Frau!
Sie wird nicht nur bewohnt von Frauen, sie ist eine Frau.
Zumindest wenn es nach dem Propheten Jesaja geht.
Jerusalem - Stadt des Friedens, des Schaloms.
Tochter Zion. Braut Gottes. Königin und geachtete Mutter.
Eine schöne Frau ist sie.
Gezeichnet vom Leben, Leid erprobt, aber letztlich geliebt und vor allem standhaft.
Die Stadt der Zukunft. Die Stadt, die attraktiv ist.
Denn zu ihr strömen die Völker und niemand hat Angst vor diesem Strömen.
Von dieser Stadt geht der Frieden aus.
II.
Gehet ein durch die Tore! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Mich fasziniert dieses Bild.
Und eine Stadt, in der ich als Frau lebe, soll genauso sein.
Eine Stadt mit offenen Toren und Türen,
wo Menschen willkommen sind
und die Steine weggeräumt sind, die uns hindern, dass wir aufeinander zugehen.
Ich denke weiter
und habe Frauen und Männer vor Augen, die einander zuhören und ausreden lassen.
Die sich über Fremde freuen und sie mitgestalten lassen.
Die aufeinander achten und gemeinsam dafür sorgen, dass es allen gut geht
und nicht nur denen, die immer schon das Sagen haben.
Ich habe vor Augen, dass die Unterschiedlichkeit der Bewohner und Bewohnerinnen als Reichtum gesehen wird. Und dass alle sich gleichermaßen verantwortlich fühlen, die Stadt zu gestalten.
Ich habe vor Augen, dass in dieser Stadt des Friedens kein Mensch abgewertet wird,
dass der Minirock genauso dazu gehört wie das Kopftuch,
dass das Kinderlachen laut ist,
dass Bäume gepflanzt werden und Blumen wild ausgesät.
Und auch die Rentnerinnen können gut leben in ihr.
Ich habe vor Augen, dass in dieser Stadt fröhliche Gottesdienste gefeiert
und nachdenkliche Gebete gesprochen werden,
dass lebhaft gestritten wird - aber immer mit Respekt -,
und dass alle um die Schatten der Vergangenheit wissen
und diese als Auftrag begreifen, dass die Vergangenheit Vergangenheit bleibt.
Das Weinen hat in dieser Stadt genauso seinen Platz wie das Lachen.
Und niemand wird klein oder mundtot gemacht.
Frauen dürfen in dieser Stadt den Mund aufmachen
und gleichberechtigt mit den Männern leiten und führen.
III.
Für Jesaja ist es eine Vision, ein Bild der Zukunft. Und das ist es für mich auch.
Denn die Gegenwart sieht anders aus.
Aber ich möchte dieses Bild der Zukunft bereits jetzt leben.
Und ich sehe, dass diese Stadt der Zukunft auch immer wieder aufblitzt. Jetzt.
Das macht mir Mut.
Es macht mir Mut, dass wir mittlerweile fast(!) selbstverständlich Bürgermeisterinnen, Unternehmerinnen, Professorinnen, Rektorinnen, Leiterinnen von Kulturhäusern und Kinos und Theologinnen in unserer Stadt haben.
Es ärgert mich, wenn in der Öffentlichkeit immer noch die Schuhe von Frauen wichtiger sind, als das, was sie sagen. Aber es macht mir Mut, dass wir dafür sensibler geworden sind und es nicht mehr einfach hinnehmen.
Es trifft mich persönlich, wenn in der Medienwelt ein einseitiges Bild von mir gezeichnet wird und sogar gewünscht wird, ich solle diese Stadt verlassen. Aber es macht mir Mut, dass der Widerspruch dazu laut und deutlich vernehmbar war, von Frauen und Männern dieser Stadt.
Es macht mich wütend, wenn das Thema „Gleichberechtigung“ instrumentalisiert wird für die Angst vor Flüchtlingen und vor dem Islam. Aber es macht mir Mut, dass sich so viele Menschen, Männer und Frauen, in unserer Stadt davon nicht beirren lassen. Stattdessen treffen sie sich im Weltcafé oder im Flüchtlingschor oder begleiten die Neuangekommenden auf die Ämter, organisieren Sprachkurse und Kinderbetreuung oder eine Hausaufgabenhilfe.
Es macht mir Sorge, dass die Schatten der Vergangenheit uns wieder einholen wollen und das rechte Gedankengut immer mehr in der bürgerlichen Mitte ankommt. Aber es macht mir Mut, dass viele von uns - und darunter viele Frauen! - dagegen halten, indem sie entlarven, diskutieren, öffentlich reden und auch demonstrieren. Es dürften ruhig noch mehr sein. Und wir Frauen sollten besonders wachsam sein, denn wir wissen, was es bedeutet, wenn Menschen in wertvoll und wertlos eingeteilt werden.
IV.
Gehet ein durch die Tore! Machet Bahn! Räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt!
Jerusalem - Von dieser Stadt geht der Frieden aus.
Ein Bild der zukünftigen Stadt.
Und als Theologin weiß ich auch, dass diese Stadt für uns Menschen nicht einfach machbar ist.
Auch für uns Frauen nicht. Denn selbst wir sind nicht unfehlbar.
Aber wir können diese Stadt aufblitzen lassen.
Uns von ihr inspirieren lassen.
Indem wir selber gestalten und Verantwortung übernehmen.
Indem wir die Belange dieser Stadt in die Hand nehmen und uns nicht bremsen lassen.
Indem wir uns öffentlich äußern und uns für eine Kultur des gegenseitigen Respekts einsetzen.
Gott hat uns geschaffen als sein Ebenbild, Frauen wie Männer.
Und im christlichen Verständnis gehören wir alle zur Familie Gottes als seine Töchter und Söhne.
Von Jesus Christus her gibt es kein oben und unten, keine ist unwichtiger als die andere.
Und das können wir ruhig jetzt schon leben.
Da müssen wir nicht auf das himmlische Jerusalem warten.
Räumen wir die Steine weg, die uns den Weg zueinander behindern.
Frau Stadt braucht uns bereits jetzt.
Machen wir sie sichtbar, diese Stadt der Zukunft - dort, wo wir sind.
(21. Oktober 2016)
Sonntag, 2. Oktober 2016
Der (Alb)Traum vom perfekten Menschen
Predigt zu Römer 3,21-30
mit Bachkantate "Es ist das Heil uns kommen her" und Abendmahl
und anlässlich 70 Jahre Motettenchor
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt, offenbart,
bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott,
die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen,
die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied:
sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt
als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit,
indem er die Sünden vergibt,
die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld,
um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen,
dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den,
der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.
Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird
ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.
Oder ist Gott allein der Gott der Juden?
Ist er nicht auch der Gott der Heiden?
Ja gewiss, auch der Heiden.
Denn es ist der eine Gott,
der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
I.
Der Traum vom perfekten Menschen.
Ein uralter Traum. So alt wie die Menschheit.
Brangelina - das perfekte Paar, das sogar einen Namen für seine Perfektion trug.
Die perfekte Musikerin, wo nie ein Ton falsch ist.
Der perfekte Politiker, der jede Entscheidung richtig trifft
und natürlich keine Drogen nimmt.
Die perfekte Athletin, die jedes Jahr neue Rekorde schafft - ohne Doping.
Der perfekte Pfarrer, der immer Zeit hat.
Der perfekte Urlaub, wo immer die Sonne scheint.
Das perfekte Kind, das lauter Einsen nach Hause bringt.
Der perfekte Chef, der immer geduldig ist.
Die perfekte Christin, deren Glaube endlos ist.
Der perfekte Flüchtling, der dankbar lächelnd alles erträgt.
Natürlich wissen wir, dass es keinen perfekten Menschen gibt.
Wir wissen sogar, dass der Traum vom perfekten Menschen gefährlich ist.
Denn wir wollen Menschen aus Fleisch und Blut sein.
Aber wir können von diesem Albtraum des perfekten Menschen nicht lassen.
Selbst Paulus nicht, wenn er vom Mangel spricht.
Der alte Traum von Perfektion.
Und das Wissen, das Leiden, nie gut genug zu sein, nie perfekt sein zu können.
Dahinter und davor alte Fragen, die immer noch neu sind: (1)
Wie kriege ich mein Leben so hin, dass es gelingt?
Was kann ich machen, dass sie mich wieder liebt?
Was kann ich tun, damit die Angst vergeht?
Ich habe viel gelernt.
Aber wie schaffe ich das Examen, das Abitur, den Realschulabschluss?
Was muss ich machen, damit ich eine Lehrstelle bekomme?
Was stellen wir an, damit wir – und nicht die anderen – die Wohnung bekommen?
Und hoffentlich halte ich durch.
Ja, ich muss durchhalten, damit der Chef merkt, dass ich unverzichtbar bin.
Besser sein als die anderen.
Schneller. Stabiler. Schlanker. Klüger. Lauter. Bedeutender...
II.
Die Qual bleibt.
Auf Knien nach Lourdes oder gar Compostela wallfahren heilt nicht.
30 Rosen nehmen nicht das schlechte Gewissen. Die Qual bleibt.
Martin Luther hat sich selbst bestraft.
Meinte, sich die Liebe Gottes verdienen zu müssen.
Er hat sogar nachts auf der Holzpritsche seine einzige Wolldecke weggelegt,
weil er dachte, das gefällt Gott.
Unter uns gibt es viele, die sich selbst bestrafen.
Die immer mehr leisten wollen. Immer schöner sein. Immer fitter.
Und sie sind unglücklich, wenn sie versagen.
Und wie sie sich beurteilen, so urteilen sie auch über andere.
Hat der das auch verdient?
Das Geschäft mit der Angst ist hochmodern.
Wir sind süchtig danach, Menschen einzuteilen,
ob sie es verdient haben dazu zugehören.
Zum Staat. Zum Land. Zu den Gläubigen.
Zu den Gewinnern. Zu den Reichen.
Zu den Begabten. Zu den Schönen. Zu den Schlanken.
Wir sind süchtig danach, wahrgenommen zu werden.
Gesehen zu werden. Damit wir dazugehören.
Damit wir es verdienen, dazu zugehören.
III.
Aber das brauchen wir nicht.
Wir brauchen es nicht zu verdienen,
weil wir schon längst dazu gehören.
Zu Gott. Zu dem, was das Leben ausmacht.
Paulus sagt das so:
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Ohne Verdienst.
Du musst nicht perfekt sein.
So wie du bist, bist du toll. Liebenswert. Unendlich wertvoll.
So wie du bist, gehörst du zu Gott.
So und nicht anders gehörst du zur Welt.
Du musst dich nicht quälen und verbiegen.
Und andere musst du auch nicht quälen und verbiegen.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Die Werk, die helfen nimmermehr,
Sie mögen nicht behüten. Der Glaub sieht Jesum Christum an,
Der hat g‘nug für uns all getan,
Er ist der Mittler worden. (2)
IV.
Jesus ist ans Kreuz gegangen.
Dort, wo die Opfer sind. Die Looser.
Dort, wo die Untauglichen und die Ausgestoßenen hingehören.
Dort, wo Verkrümmungen sichtbar werden, auch die inneren.
Dort, wo du nichts bist. Wo keiner hinsieht. Wo niemand wichtig ist.
Wo die Flucht nicht mehr weitergeht.
Wo die Grenzen des Lebens sind.
Dorthin ist Jesus gegangen.
Und mit ihm Gott. In ihm Gott.
Und dort findet er dich.
Er sieht dich an und sieht auch das, was du selber nicht ansehen magst.
Er sieht dich mit Liebe an.
Kein Kontrollblick, ob du tauglich bist.
Kein kritischer Blick, ob du fromm genug bist,
oder klug genug, oder schön genug.
Nein, der Blick des Liebenden.
Der Blick eines Gottes, der dich an seinen Tisch einlädt.
Der sich dazu setzt und sich freut, dass du da bist.
Der dich nicht ausfragt, der dir aber zuhört.
Ob sichs anließ, als wollt er nicht,
Lass dich es nicht erschrecken;
Denn wo er ist am besten mit,
Da will ers nicht entdecken. Sein Wort lass dir gewisser sein,
Und ob dein Herz spräch lauter Nein,
So lass doch dir nicht grauen. (3)
V.
An diesem Tisch mit Gott kannst du aufrecht sitzen.
Nichts, was dich krumm macht.
Oder klein. Ganz und gar du.
Und dann öffnest du deine Augen
und entdeckst noch andere, die auch mit am Tisch sitzen.
Genauso geliebte Gottes Kinder.
Sie sind so ganz anders. Aber sie gehören dazu, wie du.
Eure Töne kommen zusammen, wie in einem Chor.
Und weil du unter Gottes Blick ein anderer werden kannst,
siehst du auch die anderen anders an.
Du liebst nicht, um Gott zu gefallen.
Aber weil du Gott gefällst, kannst du lieben.
Und die Liebe, die dich umfängt, willst du weitergeben.
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Du musst nicht perfekt sein. Du musst Gott nicht gefallen.
Und du musst nicht um den besten Platz am Tisch kämpfen.
Denn da sitzt du schon.
Und darum kannst du dich auch über die anderen am Tisch freuen.
Und du singst mit ihnen, weil die Musik grenzenlos ist.
Du baust mit ihnen den Tisch größer,
damit da noch mehr dran sitzen können.
Auch die, die eine andere Sprache sprechen.
Oder die gerade erst angekommen sind.
Auch die mit den zerlumpten Kleidern
und die mit den bösen Träumen.
Auch die, die nichts vorzuweisen haben,
noch nicht mal einen Pass.
VI.
Und weil du weißt, dass sie Kinder Gottes sind wie du, setzt du dich für sie ein.
Du lässt nicht zu, dass sie beschimpft werden,
oder dass man sie schlägt, oder ihre Heime in Brand steckt.
Und du lässt nicht zu, dass in unserem Land Menschen aussortiert werden.
(Weil sie vielleicht nicht "deutsch" genug sind)
Denn Gott kennt keine Nation und keine Hautfarbe und keine Religion.
Bei Gott ist niemand wichtiger oder besser oder wahrer als der andere.
Wer das Gegenteil denkt, hat Gott nicht verstanden.
Denn:
Es ist der eine Gott, der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
Du musst nicht perfekt sein. Und die anderen auch nicht.
Aber zusammen könnt ihr lieben.
Zusammen könnt ihr singen und himmlische Musik machen.
70 Jahre oder noch länger.
Zusammen könnt ihr essen und reden und euch ansehen.
Zusammen könnt ihr streiten und versöhnen
und ringen um das, was die Welt und unser Land braucht.
Zusammen könnt ihr euch einsetzen
für die, die noch keinen Platz am Tisch haben.
Oder im Land. Oder in den Herzen.
Alles das geht, weil du nicht perfekt bist.
Gott ist es, der dich versöhnt - auch mit dir selber.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Und das ist, was zählt.
Amen.
(1) Folgender Abschnitt enthält Anregungen von Gerhard Engelsberger
(2) aus der Bachkantate, Teil 1
(3) aus der Bachkantate, Teil 7
mit Bachkantate "Es ist das Heil uns kommen her" und Abendmahl
und anlässlich 70 Jahre Motettenchor
gehalten am 2.10.2016 in der Stadtkirche Pforzheim
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt, offenbart,
bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott,
die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen,
die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied:
sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt
als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit,
indem er die Sünden vergibt,
die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld,
um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen,
dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den,
der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.
Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird
ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.
Oder ist Gott allein der Gott der Juden?
Ist er nicht auch der Gott der Heiden?
Ja gewiss, auch der Heiden.
Denn es ist der eine Gott,
der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
I.
Der Traum vom perfekten Menschen.
Ein uralter Traum. So alt wie die Menschheit.
Brangelina - das perfekte Paar, das sogar einen Namen für seine Perfektion trug.
Die perfekte Musikerin, wo nie ein Ton falsch ist.
Der perfekte Politiker, der jede Entscheidung richtig trifft
und natürlich keine Drogen nimmt.
Die perfekte Athletin, die jedes Jahr neue Rekorde schafft - ohne Doping.
Der perfekte Pfarrer, der immer Zeit hat.
Der perfekte Urlaub, wo immer die Sonne scheint.
Das perfekte Kind, das lauter Einsen nach Hause bringt.
Der perfekte Chef, der immer geduldig ist.
Die perfekte Christin, deren Glaube endlos ist.
Der perfekte Flüchtling, der dankbar lächelnd alles erträgt.
Natürlich wissen wir, dass es keinen perfekten Menschen gibt.
Wir wissen sogar, dass der Traum vom perfekten Menschen gefährlich ist.
Denn wir wollen Menschen aus Fleisch und Blut sein.
Aber wir können von diesem Albtraum des perfekten Menschen nicht lassen.
Selbst Paulus nicht, wenn er vom Mangel spricht.
Der alte Traum von Perfektion.
Und das Wissen, das Leiden, nie gut genug zu sein, nie perfekt sein zu können.
Dahinter und davor alte Fragen, die immer noch neu sind: (1)
Wie kriege ich mein Leben so hin, dass es gelingt?
Was kann ich machen, dass sie mich wieder liebt?
Was kann ich tun, damit die Angst vergeht?
Ich habe viel gelernt.
Aber wie schaffe ich das Examen, das Abitur, den Realschulabschluss?
Was muss ich machen, damit ich eine Lehrstelle bekomme?
Was stellen wir an, damit wir – und nicht die anderen – die Wohnung bekommen?
Und hoffentlich halte ich durch.
Ja, ich muss durchhalten, damit der Chef merkt, dass ich unverzichtbar bin.
Besser sein als die anderen.
Schneller. Stabiler. Schlanker. Klüger. Lauter. Bedeutender...
II.
Die Qual bleibt.
Auf Knien nach Lourdes oder gar Compostela wallfahren heilt nicht.
30 Rosen nehmen nicht das schlechte Gewissen. Die Qual bleibt.
Martin Luther hat sich selbst bestraft.
Meinte, sich die Liebe Gottes verdienen zu müssen.
Er hat sogar nachts auf der Holzpritsche seine einzige Wolldecke weggelegt,
weil er dachte, das gefällt Gott.
Unter uns gibt es viele, die sich selbst bestrafen.
Die immer mehr leisten wollen. Immer schöner sein. Immer fitter.
Und sie sind unglücklich, wenn sie versagen.
Und wie sie sich beurteilen, so urteilen sie auch über andere.
Hat der das auch verdient?
Das Geschäft mit der Angst ist hochmodern.
Wir sind süchtig danach, Menschen einzuteilen,
ob sie es verdient haben dazu zugehören.
Zum Staat. Zum Land. Zu den Gläubigen.
Zu den Gewinnern. Zu den Reichen.
Zu den Begabten. Zu den Schönen. Zu den Schlanken.
Wir sind süchtig danach, wahrgenommen zu werden.
Gesehen zu werden. Damit wir dazugehören.
Damit wir es verdienen, dazu zugehören.
III.
Aber das brauchen wir nicht.
Wir brauchen es nicht zu verdienen,
weil wir schon längst dazu gehören.
Zu Gott. Zu dem, was das Leben ausmacht.
Paulus sagt das so:
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Ohne Verdienst.
Du musst nicht perfekt sein.
So wie du bist, bist du toll. Liebenswert. Unendlich wertvoll.
So wie du bist, gehörst du zu Gott.
So und nicht anders gehörst du zur Welt.
Du musst dich nicht quälen und verbiegen.
Und andere musst du auch nicht quälen und verbiegen.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Die Werk, die helfen nimmermehr,
Sie mögen nicht behüten. Der Glaub sieht Jesum Christum an,
Der hat g‘nug für uns all getan,
Er ist der Mittler worden. (2)
IV.
Jesus ist ans Kreuz gegangen.
Dort, wo die Opfer sind. Die Looser.
Dort, wo die Untauglichen und die Ausgestoßenen hingehören.
Dort, wo Verkrümmungen sichtbar werden, auch die inneren.
Dort, wo du nichts bist. Wo keiner hinsieht. Wo niemand wichtig ist.
Wo die Flucht nicht mehr weitergeht.
Wo die Grenzen des Lebens sind.
Dorthin ist Jesus gegangen.
Und mit ihm Gott. In ihm Gott.
Und dort findet er dich.
Er sieht dich an und sieht auch das, was du selber nicht ansehen magst.
Er sieht dich mit Liebe an.
Kein Kontrollblick, ob du tauglich bist.
Kein kritischer Blick, ob du fromm genug bist,
oder klug genug, oder schön genug.
Nein, der Blick des Liebenden.
Der Blick eines Gottes, der dich an seinen Tisch einlädt.
Der sich dazu setzt und sich freut, dass du da bist.
Der dich nicht ausfragt, der dir aber zuhört.
Ob sichs anließ, als wollt er nicht,
Lass dich es nicht erschrecken;
Denn wo er ist am besten mit,
Da will ers nicht entdecken. Sein Wort lass dir gewisser sein,
Und ob dein Herz spräch lauter Nein,
So lass doch dir nicht grauen. (3)
V.
An diesem Tisch mit Gott kannst du aufrecht sitzen.
Nichts, was dich krumm macht.
Oder klein. Ganz und gar du.
Und dann öffnest du deine Augen
und entdeckst noch andere, die auch mit am Tisch sitzen.
Genauso geliebte Gottes Kinder.
Sie sind so ganz anders. Aber sie gehören dazu, wie du.
Eure Töne kommen zusammen, wie in einem Chor.
Und weil du unter Gottes Blick ein anderer werden kannst,
siehst du auch die anderen anders an.
Du liebst nicht, um Gott zu gefallen.
Aber weil du Gott gefällst, kannst du lieben.
Und die Liebe, die dich umfängt, willst du weitergeben.
Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.
Du musst nicht perfekt sein. Du musst Gott nicht gefallen.
Und du musst nicht um den besten Platz am Tisch kämpfen.
Denn da sitzt du schon.
Und darum kannst du dich auch über die anderen am Tisch freuen.
Und du singst mit ihnen, weil die Musik grenzenlos ist.
Du baust mit ihnen den Tisch größer,
damit da noch mehr dran sitzen können.
Auch die, die eine andere Sprache sprechen.
Oder die gerade erst angekommen sind.
Auch die mit den zerlumpten Kleidern
und die mit den bösen Träumen.
Auch die, die nichts vorzuweisen haben,
noch nicht mal einen Pass.
VI.
Und weil du weißt, dass sie Kinder Gottes sind wie du, setzt du dich für sie ein.
Du lässt nicht zu, dass sie beschimpft werden,
oder dass man sie schlägt, oder ihre Heime in Brand steckt.
Und du lässt nicht zu, dass in unserem Land Menschen aussortiert werden.
(Weil sie vielleicht nicht "deutsch" genug sind)
Denn Gott kennt keine Nation und keine Hautfarbe und keine Religion.
Bei Gott ist niemand wichtiger oder besser oder wahrer als der andere.
Wer das Gegenteil denkt, hat Gott nicht verstanden.
Denn:
Es ist der eine Gott, der gerecht macht die Juden aus dem Glauben
und die Heiden durch den Glauben.
Du musst nicht perfekt sein. Und die anderen auch nicht.
Aber zusammen könnt ihr lieben.
Zusammen könnt ihr singen und himmlische Musik machen.
70 Jahre oder noch länger.
Zusammen könnt ihr essen und reden und euch ansehen.
Zusammen könnt ihr streiten und versöhnen
und ringen um das, was die Welt und unser Land braucht.
Zusammen könnt ihr euch einsetzen
für die, die noch keinen Platz am Tisch haben.
Oder im Land. Oder in den Herzen.
Alles das geht, weil du nicht perfekt bist.
Gott ist es, der dich versöhnt - auch mit dir selber.
Es ist das Heil uns kommen her
Von Gnad und lauter Güte.
Und das ist, was zählt.
Amen.
(1) Folgender Abschnitt enthält Anregungen von Gerhard Engelsberger
(2) aus der Bachkantate, Teil 1
(3) aus der Bachkantate, Teil 7
Sonntag, 25. September 2016
An den Tischen vom Café Himmelreich
(Predigt zum Römerbrief 14,17-19 - gehalten am 25.9.2016, Ort: Altstadtkiche Pforzheim)
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig
und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
I.
Im Café Himmelreich ist was los. (1)
Der Kuchen sieht richtig lecker aus.
Kaffeegeruch strömt durch die Kirche.
Leider kann man dann nicht draußen sitzen.
Es wird langsam zu kalt.
Aber im Anbau neben der Kirche ist ja auch Platz.
Die Mitarbeiterinnen haben die Tische liebevoll gedeckt.
Und diesmal kommen noch ein paar mehr als letzte Woche.
Ob auch die alte Dame von der Straße dahinten kommen wird?
Bisher hat sie sich noch nicht so richtig getraut, jedenfalls nicht alleine.
Vielleicht müsste man sie mal abholen?
Und hoffentlich kommt mal die eine Familie mit den 3 Kindern.
Kinderlachen tut den alten Menschen gut.
Und schön, wenn auch zwei oder drei vom Kappelhof (2) da sind.
Und kommen vielleicht sogar zum Essen nächsten Sonntag.
Wenn es warm ist, stoppen auch mal Radfahrer, und trinken einen Kaffee.
Sie schauen dann in die Kirche hinein.
Locker geht es dann zu - fast wie im Urlaub.
Dabei haben nicht gerade wenige ihr „Päckle“ zu tragen.
Ob es die Familie ist, wo der Vater immer noch arbeitslos ist,
oder die alte Dame, die sich nicht mehr aus dem Haus traut.
Oder der alte Mann, der sich Sorgen um seine Tochter macht.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
II.
Wenn die Vesperkiche im Januar los geht, ist die Stadtkirche rappelvoll. (3)
Kohl und Kartoffeln, Nudeln und Hackfleisch, Reis und Geschnetzeltes -
Kaffee und Apfelkuchen,
Tische mit Schach und Mensch-ärgere-dich-nicht und Malstiften,
in der Sakristei wartet ein Arzt auf den Besuch
und ab und zu kommt auch eine Friseurin.
Jeden Mittag kommen sie:
die alten Frauen, die einsamen Männer, die jungen Familien -
Menschen, deren Heizung zuhause abgedreht wurde,
weil sie sie nicht mehr bezahlen können.
Menschen, die nicht alleine essen mögen.
Menschen, die wissen, dass sie hier akzeptiert werden,
auch wenn ihr Mantel etwas schäbig aussieht,
oder sie immer noch fremd sind.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
III.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
Also machen wir das Café Himmelreich wieder zu?
Und die Vesperkirche und das Essen nächsten Sonntag brauchen wir auch nicht?
Paulus,
vielleicht kennst du noch nicht die Erzählung von Jesus,
wie er Zachäus vom Baum herunter holt und mit ihm isst und trinkt.
Und am Ende sagt er: „Diesem Haus ist Heil widerfahren.“
Oder wie er vom zurückkehrenden Sohn erzählt,
und der bekommt erstmal ein richtiges Festmahl serviert.
„Lasst uns essen und fröhlich sein!“ ruft der Vater und nimmt seinen Sohn in den Arm.
5000 Menschen hören Jesus nicht nur zu, sondern werden auch satt bei ihm.
„Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,
Und selbst wenn du die Worte von Jesus noch nicht kennst, so kennst du doch Jesaja.
Und der verspricht ein Freudenmahl, das Gott mit allen Völkern halten wird.
Ein fettes Mahl wird es geben!
Und du, Paulus, sagst:
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!
Schau genau hin, sagt Paulus.
Essen und Trinken sind gut. Ja, sogar heilsam.
Aber in der Gemeinde von Rom gibt es Streit.
Da gibt es Gemeindeglieder, die auf Nummer Sicher gehen
und sich an die jüdischen Speisevorschriften halten wollen.
Fleisch, das aus dubiosen Quellen kommt, wollen sie lieber nicht anrühren.
Und es gibt andere Gemeindeglieder,
die diese Nummer Sicher nicht mehr brauchen.
Wir können alles essen, sagen sie.
Und natürlich ist der Ärger vorprogrammiert, wenn es ans gemeinsame Essen geht.
Die einen wollen sich von den anderen nicht bevormunden lassen.
Sie finden das lächerlich, dass die anderen es so genau nehmen.
Die anderen ärgern sich über die Laschen.
„Ungläubig“ sagen sie zu denen.
IV.
Mich erinnert das an die immer wiederkehrende Kopftuchdebatte.
Den einen ist wichtig, dass sie ihren Glauben ernstnehmen.
Sie sind überzeugt, dass das Kopftuchtragen dazu gehört.
(das gibt es übrigens auch unter Christinnen!)
Die anderen finden das lächerlich.
Und sie wundern sich über solche strengen Vorschriften,
und dass Frauen sie auch noch freiwillig befolgen.
Oder der Streit beim Abendmahl: Wein oder Traubensaft?
Für die einen geht das gar nicht, dass ein Abendmahl ohne Wein stattfindet.
Die anderen verstehen das nicht.
Weil es in ihren Augen doch viel wichtiger ist,
dass möglichst alle teilnehmen können, auch Kinder und Alkoholkranke.
Kopftuch oder kein Kopftuch?
Wein oder Saft?
Korrektes Fleisch oder egal?
Allzu leicht bleiben wir bei solchen Fragen hängen.
Allzu leicht verlieren wir das Eigentliche aus dem Blick.
Nämlich, dass wir gemeinsam unterwegs sind.
Dass wir gemeinsam die Welt gestalten.
Dass wir zusammen leben, zusammen feiern, zusammen essen wollen.
Und keiner sollte das Gefühl haben, nicht mehr dazuzugehören,
nur weil er anders tickt.
Oder weil sie anders aussieht, anders spricht, anders glaubt.
Christus hat Mauern eingerissen.
Auch die Mauern der vermeintlichen Wahrheit.
Wir dürfen keine neuen bauen.
Auch nicht zwischen uns.
V.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast: Es ist nicht egal, was du isst.
Aber der, dem es egal ist, ist trotzdem dein Bruder.
Was sagt denn die Liebe dazu?
Die ist wichtiger,
wichtiger als dein Rechthaben,
also verurteile ihn nicht, sondern überlasse das Urteil Gott.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast: Es ist egal, was du isst.
Weil Christus dich frei gemacht hat.
Aber die, der es nicht egal ist, ist deine Schwester.
Was sagt denn die Liebe dazu?
Die ist wichtiger, also mach dich nicht lächerlich über deine Schwester.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast, und ganz korrekt glaubst.
Aber die Liebe ist wichtiger, als deine Rechthaberei.
Es ist wichtiger, dass du im anderen, in der anderen
die Schwester, den Bruder siehst.
Es geht nicht um dich, sondern um euch beide.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig
und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
Achtung! Das ist nicht Friede, Freude, ohne Eierkuchen.
Sondern harte Arbeit.
Denn keiner soll seine eigene Sichtweise verleugnen.
Und dann muss auch mal gestritten werden:
Auf wen muss am meisten Rücksicht genommen werden?
Wer kann sich am wenigsten wehren?
Und wer spielt die Rolle des Benachteiligten besonders perfekt?
(das gibt es ja auch immer wieder...)
Genau hinschauen - auch heftiges Ringen um den richtigen Weg -
das bleibt dir alles nicht erspart.
Doch verzichte darauf, unbedingt gewinnen zu müssen.
Schau vielmehr darauf, was gut ist für alle.
Dann hast du das Reich Gottes im Blick.
VI.
Und am Ende steht dann wirklich eine Festtafel
und an der können alle sitzen.
Der Heilige Geist hat sie schließlich doch zusammengebracht.
Die Safttrinker und die Weintrinker,
die Fleischesser und die Vegetarier,
die Kopftuchträgerinnen und die mit den offenen Haaren.
Auch die, die Angst vor Flüchtlingen haben oder vor Veränderung.
Und alle merken sie, dass es nicht darauf ankommt, wer Recht hat
und was auf dem Tisch steht und was den Kopf bedeckt.
Jeder ist willkommen.
Denn es kommt auf den an, der sie an den Tisch gebracht hat.
Es kommt auf Gott an.
Der Gott, der mit seinem Volk durch die Wüste zieht
und ins Exil geht, in die Fremde.
Der Gott, der die Rechthaber stolpern lässt
und selbst sogar den Dreck eines Stalles nicht scheut.
Der Gott, der die Bettler und Zukurzgekommenen von den Straßen und Zäunen in sein Haus lädt.
Dieser Gott lädt ein, der über Gute und Böse die Sonne aufgehen lässt.
Auch über Fromme und Nicht-so-fromme und über Christen und Muslime.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Das Café Himmelreich darf seine Tore öffnen.
Und nächsten Sonntag wird es hier nach dem Gottesdienst ein Essen geben.
Und das ist auch gut so.
Kaffee und leckere Kuchen, schön gedeckte Tische.
Aber so wichtig es ist, dass alles schön und lecker ist.
Das Reich Gottes ist mehr.
Das Reich Gottes ist dort, wo jeder spürt:
ich bin ein Kind Gottes.
Hier darf ich sein.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
es ist mehr als Essen und Trinken.
Es fängt da an,
wo die Mitarbeiterinnen sich mit an den Tisch setzen.
Es fängt da an, wo der alte Mann mit den Sorgen um seine Tochter nicht mehr allein ist.
Wo man darüber nachdenkt, wie der Vater eine neue Arbeit bekommt.
Und die Kopftuchträgerin vom Flüchtlingsheim darf das Kopftuch aufbehalten,
wenn ihr danach ist.
Keiner wird draußen gelassen. Die Türen stehen offen!
Ja, da fängt das Reich Gottes an.
Da sitzt man zusammen,
hört sich dann zu,
man streitet und tröstet und stärkt.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
aber am gemeinsamen Tisch fangen wir an,
das Reich Gottes zu bauen -
miteinander und so wie es gerade geht.
Und der Heilige Geist weht kräftig über die Tische.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(1) Das "Café Himmelreich" ist ein Projekt der Altstadtgemeinde in Pforzheim, das seit knapp 1,5 Jahren besteht und ein Bestandteil für die Entwicklung zu einer Diakoniekirche ist.
(2) Der "Kappelhof" ist eine Behinderteneinrichtung der Caritas in unmittelbarer Nähe zur Altstadtkirche.
(3) Die Vesperkirche wird ökumenisch getragen, ehrenamtlich geleitet und findet jährlich von Mitte Januar bis Mitte Februar in der benachbarten großen Stadtkirche in Pforzheim statt.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig
und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
I.
Im Café Himmelreich ist was los. (1)
Der Kuchen sieht richtig lecker aus.
Kaffeegeruch strömt durch die Kirche.
Leider kann man dann nicht draußen sitzen.
Es wird langsam zu kalt.
Aber im Anbau neben der Kirche ist ja auch Platz.
Die Mitarbeiterinnen haben die Tische liebevoll gedeckt.
Und diesmal kommen noch ein paar mehr als letzte Woche.
Ob auch die alte Dame von der Straße dahinten kommen wird?
Bisher hat sie sich noch nicht so richtig getraut, jedenfalls nicht alleine.
Vielleicht müsste man sie mal abholen?
Und hoffentlich kommt mal die eine Familie mit den 3 Kindern.
Kinderlachen tut den alten Menschen gut.
Und schön, wenn auch zwei oder drei vom Kappelhof (2) da sind.
Und kommen vielleicht sogar zum Essen nächsten Sonntag.
Wenn es warm ist, stoppen auch mal Radfahrer, und trinken einen Kaffee.
Sie schauen dann in die Kirche hinein.
Locker geht es dann zu - fast wie im Urlaub.
Dabei haben nicht gerade wenige ihr „Päckle“ zu tragen.
Ob es die Familie ist, wo der Vater immer noch arbeitslos ist,
oder die alte Dame, die sich nicht mehr aus dem Haus traut.
Oder der alte Mann, der sich Sorgen um seine Tochter macht.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
II.
Wenn die Vesperkiche im Januar los geht, ist die Stadtkirche rappelvoll. (3)
Kohl und Kartoffeln, Nudeln und Hackfleisch, Reis und Geschnetzeltes -
Kaffee und Apfelkuchen,
Tische mit Schach und Mensch-ärgere-dich-nicht und Malstiften,
in der Sakristei wartet ein Arzt auf den Besuch
und ab und zu kommt auch eine Friseurin.
Jeden Mittag kommen sie:
die alten Frauen, die einsamen Männer, die jungen Familien -
Menschen, deren Heizung zuhause abgedreht wurde,
weil sie sie nicht mehr bezahlen können.
Menschen, die nicht alleine essen mögen.
Menschen, die wissen, dass sie hier akzeptiert werden,
auch wenn ihr Mantel etwas schäbig aussieht,
oder sie immer noch fremd sind.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
III.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
Also machen wir das Café Himmelreich wieder zu?
Und die Vesperkirche und das Essen nächsten Sonntag brauchen wir auch nicht?
Paulus,
vielleicht kennst du noch nicht die Erzählung von Jesus,
wie er Zachäus vom Baum herunter holt und mit ihm isst und trinkt.
Und am Ende sagt er: „Diesem Haus ist Heil widerfahren.“
Oder wie er vom zurückkehrenden Sohn erzählt,
und der bekommt erstmal ein richtiges Festmahl serviert.
„Lasst uns essen und fröhlich sein!“ ruft der Vater und nimmt seinen Sohn in den Arm.
5000 Menschen hören Jesus nicht nur zu, sondern werden auch satt bei ihm.
„Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,
die zu Tisch sitzen werden im Reiche Gottes“. (Lukas 13,29)
Und selbst wenn du die Worte von Jesus noch nicht kennst, so kennst du doch Jesaja.
Und der verspricht ein Freudenmahl, das Gott mit allen Völkern halten wird.
Ein fettes Mahl wird es geben!
Und du, Paulus, sagst:
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!
Schau genau hin, sagt Paulus.
Essen und Trinken sind gut. Ja, sogar heilsam.
Aber in der Gemeinde von Rom gibt es Streit.
Da gibt es Gemeindeglieder, die auf Nummer Sicher gehen
und sich an die jüdischen Speisevorschriften halten wollen.
Fleisch, das aus dubiosen Quellen kommt, wollen sie lieber nicht anrühren.
Und es gibt andere Gemeindeglieder,
die diese Nummer Sicher nicht mehr brauchen.
Wir können alles essen, sagen sie.
Und natürlich ist der Ärger vorprogrammiert, wenn es ans gemeinsame Essen geht.
Die einen wollen sich von den anderen nicht bevormunden lassen.
Sie finden das lächerlich, dass die anderen es so genau nehmen.
Die anderen ärgern sich über die Laschen.
„Ungläubig“ sagen sie zu denen.
IV.
Mich erinnert das an die immer wiederkehrende Kopftuchdebatte.
Den einen ist wichtig, dass sie ihren Glauben ernstnehmen.
Sie sind überzeugt, dass das Kopftuchtragen dazu gehört.
(das gibt es übrigens auch unter Christinnen!)
Die anderen finden das lächerlich.
Und sie wundern sich über solche strengen Vorschriften,
und dass Frauen sie auch noch freiwillig befolgen.
Oder der Streit beim Abendmahl: Wein oder Traubensaft?
Für die einen geht das gar nicht, dass ein Abendmahl ohne Wein stattfindet.
Die anderen verstehen das nicht.
Weil es in ihren Augen doch viel wichtiger ist,
dass möglichst alle teilnehmen können, auch Kinder und Alkoholkranke.
Kopftuch oder kein Kopftuch?
Wein oder Saft?
Korrektes Fleisch oder egal?
Allzu leicht bleiben wir bei solchen Fragen hängen.
Allzu leicht verlieren wir das Eigentliche aus dem Blick.
Nämlich, dass wir gemeinsam unterwegs sind.
Dass wir gemeinsam die Welt gestalten.
Dass wir zusammen leben, zusammen feiern, zusammen essen wollen.
Und keiner sollte das Gefühl haben, nicht mehr dazuzugehören,
nur weil er anders tickt.
Oder weil sie anders aussieht, anders spricht, anders glaubt.
Christus hat Mauern eingerissen.
Auch die Mauern der vermeintlichen Wahrheit.
Wir dürfen keine neuen bauen.
Auch nicht zwischen uns.
V.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast: Es ist nicht egal, was du isst.
Aber der, dem es egal ist, ist trotzdem dein Bruder.
Was sagt denn die Liebe dazu?
Die ist wichtiger,
wichtiger als dein Rechthaben,
also verurteile ihn nicht, sondern überlasse das Urteil Gott.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast: Es ist egal, was du isst.
Weil Christus dich frei gemacht hat.
Aber die, der es nicht egal ist, ist deine Schwester.
Was sagt denn die Liebe dazu?
Die ist wichtiger, also mach dich nicht lächerlich über deine Schwester.
Paulus sagt:
Mag sein, dass du Recht hast, und ganz korrekt glaubst.
Aber die Liebe ist wichtiger, als deine Rechthaberei.
Es ist wichtiger, dass du im anderen, in der anderen
die Schwester, den Bruder siehst.
Es geht nicht um dich, sondern um euch beide.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig
und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
Achtung! Das ist nicht Friede, Freude, ohne Eierkuchen.
Sondern harte Arbeit.
Denn keiner soll seine eigene Sichtweise verleugnen.
Und dann muss auch mal gestritten werden:
Auf wen muss am meisten Rücksicht genommen werden?
Wer kann sich am wenigsten wehren?
Und wer spielt die Rolle des Benachteiligten besonders perfekt?
(das gibt es ja auch immer wieder...)
Genau hinschauen - auch heftiges Ringen um den richtigen Weg -
das bleibt dir alles nicht erspart.
Doch verzichte darauf, unbedingt gewinnen zu müssen.
Schau vielmehr darauf, was gut ist für alle.
Dann hast du das Reich Gottes im Blick.
VI.
Und am Ende steht dann wirklich eine Festtafel
und an der können alle sitzen.
Der Heilige Geist hat sie schließlich doch zusammengebracht.
Die Safttrinker und die Weintrinker,
die Fleischesser und die Vegetarier,
die Kopftuchträgerinnen und die mit den offenen Haaren.
Auch die, die Angst vor Flüchtlingen haben oder vor Veränderung.
Und alle merken sie, dass es nicht darauf ankommt, wer Recht hat
und was auf dem Tisch steht und was den Kopf bedeckt.
Jeder ist willkommen.
Denn es kommt auf den an, der sie an den Tisch gebracht hat.
Es kommt auf Gott an.
Der Gott, der mit seinem Volk durch die Wüste zieht
und ins Exil geht, in die Fremde.
Der Gott, der die Rechthaber stolpern lässt
und selbst sogar den Dreck eines Stalles nicht scheut.
Der Gott, der die Bettler und Zukurzgekommenen von den Straßen und Zäunen in sein Haus lädt.
Dieser Gott lädt ein, der über Gute und Böse die Sonne aufgehen lässt.
Auch über Fromme und Nicht-so-fromme und über Christen und Muslime.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede
und Freude in dem Heiligen Geist.
Das Café Himmelreich darf seine Tore öffnen.
Und nächsten Sonntag wird es hier nach dem Gottesdienst ein Essen geben.
Und das ist auch gut so.
Kaffee und leckere Kuchen, schön gedeckte Tische.
Aber so wichtig es ist, dass alles schön und lecker ist.
Das Reich Gottes ist mehr.
Das Reich Gottes ist dort, wo jeder spürt:
ich bin ein Kind Gottes.
Hier darf ich sein.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
es ist mehr als Essen und Trinken.
Es fängt da an,
wo die Mitarbeiterinnen sich mit an den Tisch setzen.
Es fängt da an, wo der alte Mann mit den Sorgen um seine Tochter nicht mehr allein ist.
Wo man darüber nachdenkt, wie der Vater eine neue Arbeit bekommt.
Und die Kopftuchträgerin vom Flüchtlingsheim darf das Kopftuch aufbehalten,
wenn ihr danach ist.
Keiner wird draußen gelassen. Die Türen stehen offen!
Ja, da fängt das Reich Gottes an.
Da sitzt man zusammen,
hört sich dann zu,
man streitet und tröstet und stärkt.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
aber am gemeinsamen Tisch fangen wir an,
das Reich Gottes zu bauen -
miteinander und so wie es gerade geht.
Und der Heilige Geist weht kräftig über die Tische.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(1) Das "Café Himmelreich" ist ein Projekt der Altstadtgemeinde in Pforzheim, das seit knapp 1,5 Jahren besteht und ein Bestandteil für die Entwicklung zu einer Diakoniekirche ist.
(2) Der "Kappelhof" ist eine Behinderteneinrichtung der Caritas in unmittelbarer Nähe zur Altstadtkirche.
(3) Die Vesperkirche wird ökumenisch getragen, ehrenamtlich geleitet und findet jährlich von Mitte Januar bis Mitte Februar in der benachbarten großen Stadtkirche in Pforzheim statt.
Sonntag, 11. September 2016
Meinen Hass bekommt ihr nicht - Predigt gegen den Geist der Furcht
Predigt zu 2.Timotheus 1,7-10 - gehalten in der Stadtkirche in Pforzheim
I.
Jeden Mittwoch treffen sich geflüchtete und einheimische Menschen im Weltcafé.
Hier in Pforzheim am Schlossberg.
Ehrenamtliche und Ratsuchende.
Deutschsprechende und Deutschlernende.
Auch an der Kegelbahn unter der Matthäuskirche kommen junge Erwachsene zusammen:
welche, die hier geboren sind, und welche aus Syrien oder aus dem Irak.
Jeden Freitag. Einfach so. Reden. Spielen. Sich begegnen.
Auch nach Ansbach und Würzburg. Auch nach Nizza und Paris.
Nicht nur auch - gerade deshalb.
Und obwohl sich der Geist der Furcht ausbreitet und alles beherrschen will.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht...
II.
Es liegt am Wesen des Angst-Geistes, dass er die Oberhand haben will.
Man kann mit dem Geist der Furcht Wahlen gewinnen,
Menschen jagen, Zivilisten bombardieren
und dafür sorgen, dass aus einem „Wir schaffen das“ ein „Merkel muss weg“ wird.
Der Geist der Furcht war schon seit jeher geeignet,
Menschen so sehr einzuschüchtern, dass sie auf billige Parolen hereinfallen.
Im Mittelalter war es die Angst vor der Hölle und vor dem Teufel.
Im dritten Reich war es die Angst vor den Juden und den Bolschewiken,
im kalten Krieg die Angst vor dem Kommunismus
oder auf der anderen Seite vor dem Kapitalismus.
Man jagte Hexen und Waldenser und Täufer,
Juden und Homosexuelle,
Kommunisten und Mauerflüchtlinge.
Seit 9/11 vor 15 Jahren wird Angst gegen den Islam geschürt,
und seit 2 Jahren wieder Angst gegen Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Hunger fliehen.
Dieser Geist wirft sämtliche Menschlichkeit oder Nächstenliebe über Bord.
Fliehende Menschen sollen wieder selektiert werden
zwischen kultureigener und kulturfremder Herkunft. (1)
Der Geist der Furcht hat gerade richtig viel Auftrieb und sorgt für Kälte.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht....
III.
Furcht zu haben ist auch nicht nur falsch.
Denn das, was mich kaputt machen kann, ist ja gefährlich.
Der Tod ist beängstigend.
Gewalt macht Angst.
Krieg und Terror, blinder Hass - das ist alles zum Fürchten.
Aber ich will mich nicht von dieser Furcht beherrschen lassen.
Irgendwann fängt die Furcht an, mein Denken zu benebeln.
Der Moment, wo Liebe und Besonnenheit keinen Platz mehr haben,
Und der Punkt, wo die Furcht mich kraftlos macht - mutlos - ideenlos...
IV. (2)
Anfang 2. Jahrhundert.
Timotheus und seine Gemeindeglieder sind besorgt.
Wem sollen sie noch glauben?
Paulus ist schon lange tot.
Immer wieder kommen neue Lehrer in die Gemeinde.
Und sorgen für große Unruhe.
Droht vielleicht sogar eine Spaltung der Gemeinde?
Außerdem bekommt die Gemeinde immer mehr Schwierigkeiten.
Sie fallen auf.
Je mehr Menschen sich zu ihnen bekennen,
und je mehr ihr Glaube öffentlich wird,
desto mehr müssen sie um ihre Sicherheit fürchten.
Droht uns das gleiche Schicksal wie Paulus?
Und sie halten sich fest an den Worten aus einem Brief,
den sie von einem Schüler von Paulus bekommen haben:
V.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn
noch meiner, der ich sein Gefangener bin,
sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf,
nicht nach unsern Werken,
sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade,
die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus:
Er hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
(2.Timotheus 1,7-10)
VI. (3)
Keine Furcht, sondern: Kraft, Liebe, Besonnenheit!
Beschenkt mit Gottes Geist - seit es mich gibt.
Und dieser Geist ist nicht irgendeiner
und schon gar keiner, der mich und andere das Fürchten lehrt.
Aber er ist eine Kraft, die mich bewegt.
Mich durchpustet und die Furcht aus unseren Herzen bläst.
Dieser Geist krempelt mich um.
Öffnet mir neue Perspektiven. Lässt mich hinstehen.
Lässt mich nicht nur Risiken, sondern auch die Möglichkeiten sehen,
doch ohne einfach blind drauflos zu fliegen.
Gott schenkt mir und dir mit seinem Geist
einen Denkraum ohne Angst.
Dieser Geist ist Liebe.
Ohne Liebe wird die Kraft blind
und verliert das Menschliche aus den Augen.
Liebe beginnt mit dem Hinsehen,
hin zu dem einzelnen Gesicht, das dich fragend anschaut.
Von dort aus sehen auch die großen Zahlen und Tabellen, die uns Angst machen, anders aus.
Liebe setzt sich dann fort
mit den kleinen, liebevollen Geschichten, die wir erzählen sollten,
Und damit, dass wir aufeinander zu gehen.
Und dieser Geist ist Besonnenheit.
Liebe kann blind machen.
Da braucht sie Besonnenheit, die sieht, die aufpasst, die hinschaut.
Nüchtern schauen, was jetzt der Fall ist.
Zahlen und Tabellen besonnen lesen und deuten.
Unaufgeregt zur Kenntnis nehmen, was jetzt zu tun ist.
Auch erkennen, dass das wir noch einen steinigen Weg vor uns haben.
Und deshalb den langen Atem einer liebevollen Besonnenheit brauchen.
VII.
Ein besonnener Mensch unserer Tage ist für mich Antoine Leiris.
Er hat seine Frau beim Anschlag im November 2015 in Paris verloren.
Er ist kein religiöser Mensch. Aber er schreibt:
„Es hätte auch ein Verkehrsrowdy sein können, der zu spät gebremst hätte,
ein Tumor, der ein bisschen bösartiger gewesen wäre als die anderen
oder eine Atombombe – entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist.
Die Waffen, die Kugeln die Gewalt,
all das ist nur Kulisse für die Szene, die sich eigentlich abspielt: ihr Fehlen.
(…) Wenn man einen Schuldigen zur Hand hat,
jemanden, auf den man seinen Zorn richten kann,
dann ist das wie eine halb offene Tür,
eine Möglichkeit, seinem Leid auszuweichen.
Und je abscheulicher das Verbrechen,
desto idealer der Schuldige,
desto legitimer der Hass. (4)
Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen.
Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt;
auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten,
derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.
Ihr wollt, dass ich Angst habe,
dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte,
dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere.
Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel. (...)
Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf,
diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu,
aber er wird von kurzer Dauer sein. (...)
Wir sind zwei, mein Sohn und ich,
aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde.
Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern,
ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht.
Er ist gerade mal 17 Monate alt;
er wird seinen Brei essen wie jeden Tag,
dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag
und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen,
indem er glücklich und frei ist.
Denn nein, meinen Hass bekommt ihr nicht und den meines Sohnes auch nicht. (5)
VIII.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
Der Geist Gottes ist bereits da.
Du musst ihn nicht erarbeiten.
Die Macht des Todes ist gebrochen.
Der Tod meldet sich mit seinem Geist der Furcht zwar immer wieder zurück.
Aber gib ihm nicht den Raum, den er beansprucht.
Sondern gib Raum dem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Ich muss sterben, dichtet Dorothe Sölle,
aber das ist auch alles, was ich für den Tod tun werde.
Darum taufen wir Kinder und Erwachsene. (6)
Darum feiern wir Gottesdienst und singen wir Loblieder.
Darum nehmen wir Fremde auf
und lassen uns nicht verrückt machen vom Geist der Furcht.
Darum schaffen wir das auch, mit Liebe dem Hass zu begegnen.
Der Geist hilft uns dabei.
IX.
Als Mitte der 60er Jahre das Politbüro der DDR versucht hat,
aufmüpfige Stimmen zum Schweigen zu bringen,
schrieb Wolf Biermann ein Gedicht mit dem Titel „Ermutigung“.
Du lass dich nicht verhärten - singt er.
Du lass dich nicht verbittern - ruft er.
Du lass dich nicht erschrecken.
Und in der letzten Strophe:
Wir woll‘n es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
wir woll‘n das allen zeigen
dann wissen sie Bescheid.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
Amen.
(1) So zur Zeit die Forderung der CSU (siehe z.B. http://www.sueddeutsche.de/politik/bayern-csu-will-vorrang-fuer-zuwanderer-aus-christlich-abendlaendischem-kulturkreis-1.3153027)
(2) Für die Anregungen zu folgendem Abschnitt Danke an Sina Kaiser
(3) Danke an Silke Wolfrum und Juliane Rumpel für einige Formulierungen im folgenden Abschnitt
(4) aus Antoine Leiris, Meinen Hass bekommt ihr nicht, S.34-36
(5) ebd., S.59-61
(6) Vor der Predigt wurde ein kleines Mädchen getauft.
I.
Jeden Mittwoch treffen sich geflüchtete und einheimische Menschen im Weltcafé.
Hier in Pforzheim am Schlossberg.
Ehrenamtliche und Ratsuchende.
Deutschsprechende und Deutschlernende.
Auch an der Kegelbahn unter der Matthäuskirche kommen junge Erwachsene zusammen:
welche, die hier geboren sind, und welche aus Syrien oder aus dem Irak.
Jeden Freitag. Einfach so. Reden. Spielen. Sich begegnen.
Auch nach Ansbach und Würzburg. Auch nach Nizza und Paris.
Nicht nur auch - gerade deshalb.
Und obwohl sich der Geist der Furcht ausbreitet und alles beherrschen will.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht...
II.
Es liegt am Wesen des Angst-Geistes, dass er die Oberhand haben will.
Man kann mit dem Geist der Furcht Wahlen gewinnen,
Menschen jagen, Zivilisten bombardieren
und dafür sorgen, dass aus einem „Wir schaffen das“ ein „Merkel muss weg“ wird.
Der Geist der Furcht war schon seit jeher geeignet,
Menschen so sehr einzuschüchtern, dass sie auf billige Parolen hereinfallen.
Im Mittelalter war es die Angst vor der Hölle und vor dem Teufel.
Im dritten Reich war es die Angst vor den Juden und den Bolschewiken,
im kalten Krieg die Angst vor dem Kommunismus
oder auf der anderen Seite vor dem Kapitalismus.
Man jagte Hexen und Waldenser und Täufer,
Juden und Homosexuelle,
Kommunisten und Mauerflüchtlinge.
Seit 9/11 vor 15 Jahren wird Angst gegen den Islam geschürt,
und seit 2 Jahren wieder Angst gegen Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Hunger fliehen.
Dieser Geist wirft sämtliche Menschlichkeit oder Nächstenliebe über Bord.
Fliehende Menschen sollen wieder selektiert werden
zwischen kultureigener und kulturfremder Herkunft. (1)
Der Geist der Furcht hat gerade richtig viel Auftrieb und sorgt für Kälte.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht....
III.
Furcht zu haben ist auch nicht nur falsch.
Denn das, was mich kaputt machen kann, ist ja gefährlich.
Der Tod ist beängstigend.
Gewalt macht Angst.
Krieg und Terror, blinder Hass - das ist alles zum Fürchten.
Aber ich will mich nicht von dieser Furcht beherrschen lassen.
Irgendwann fängt die Furcht an, mein Denken zu benebeln.
Der Moment, wo Liebe und Besonnenheit keinen Platz mehr haben,
Und der Punkt, wo die Furcht mich kraftlos macht - mutlos - ideenlos...
IV. (2)
Anfang 2. Jahrhundert.
Timotheus und seine Gemeindeglieder sind besorgt.
Wem sollen sie noch glauben?
Paulus ist schon lange tot.
Immer wieder kommen neue Lehrer in die Gemeinde.
Und sorgen für große Unruhe.
Droht vielleicht sogar eine Spaltung der Gemeinde?
Außerdem bekommt die Gemeinde immer mehr Schwierigkeiten.
Sie fallen auf.
Je mehr Menschen sich zu ihnen bekennen,
und je mehr ihr Glaube öffentlich wird,
desto mehr müssen sie um ihre Sicherheit fürchten.
Droht uns das gleiche Schicksal wie Paulus?
Und sie halten sich fest an den Worten aus einem Brief,
den sie von einem Schüler von Paulus bekommen haben:
V.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn
noch meiner, der ich sein Gefangener bin,
sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf,
nicht nach unsern Werken,
sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade,
die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus:
Er hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
(2.Timotheus 1,7-10)
VI. (3)
Keine Furcht, sondern: Kraft, Liebe, Besonnenheit!
Beschenkt mit Gottes Geist - seit es mich gibt.
Und dieser Geist ist nicht irgendeiner
und schon gar keiner, der mich und andere das Fürchten lehrt.
Aber er ist eine Kraft, die mich bewegt.
Mich durchpustet und die Furcht aus unseren Herzen bläst.
Dieser Geist krempelt mich um.
Öffnet mir neue Perspektiven. Lässt mich hinstehen.
Lässt mich nicht nur Risiken, sondern auch die Möglichkeiten sehen,
doch ohne einfach blind drauflos zu fliegen.
Gott schenkt mir und dir mit seinem Geist
einen Denkraum ohne Angst.
Dieser Geist ist Liebe.
Ohne Liebe wird die Kraft blind
und verliert das Menschliche aus den Augen.
Liebe beginnt mit dem Hinsehen,
hin zu dem einzelnen Gesicht, das dich fragend anschaut.
Von dort aus sehen auch die großen Zahlen und Tabellen, die uns Angst machen, anders aus.
Liebe setzt sich dann fort
mit den kleinen, liebevollen Geschichten, die wir erzählen sollten,
Und damit, dass wir aufeinander zu gehen.
Und dieser Geist ist Besonnenheit.
Liebe kann blind machen.
Da braucht sie Besonnenheit, die sieht, die aufpasst, die hinschaut.
Nüchtern schauen, was jetzt der Fall ist.
Zahlen und Tabellen besonnen lesen und deuten.
Unaufgeregt zur Kenntnis nehmen, was jetzt zu tun ist.
Auch erkennen, dass das wir noch einen steinigen Weg vor uns haben.
Und deshalb den langen Atem einer liebevollen Besonnenheit brauchen.
VII.
Ein besonnener Mensch unserer Tage ist für mich Antoine Leiris.
Er hat seine Frau beim Anschlag im November 2015 in Paris verloren.
Er ist kein religiöser Mensch. Aber er schreibt:
„Es hätte auch ein Verkehrsrowdy sein können, der zu spät gebremst hätte,
ein Tumor, der ein bisschen bösartiger gewesen wäre als die anderen
oder eine Atombombe – entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist.
Die Waffen, die Kugeln die Gewalt,
all das ist nur Kulisse für die Szene, die sich eigentlich abspielt: ihr Fehlen.
(…) Wenn man einen Schuldigen zur Hand hat,
jemanden, auf den man seinen Zorn richten kann,
dann ist das wie eine halb offene Tür,
eine Möglichkeit, seinem Leid auszuweichen.
Und je abscheulicher das Verbrechen,
desto idealer der Schuldige,
desto legitimer der Hass. (4)
Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen.
Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt;
auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten,
derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.
Ihr wollt, dass ich Angst habe,
dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte,
dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere.
Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel. (...)
Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf,
diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu,
aber er wird von kurzer Dauer sein. (...)
Wir sind zwei, mein Sohn und ich,
aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde.
Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern,
ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht.
Er ist gerade mal 17 Monate alt;
er wird seinen Brei essen wie jeden Tag,
dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag
und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen,
indem er glücklich und frei ist.
Denn nein, meinen Hass bekommt ihr nicht und den meines Sohnes auch nicht. (5)
VIII.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
Der Geist Gottes ist bereits da.
Du musst ihn nicht erarbeiten.
Die Macht des Todes ist gebrochen.
Der Tod meldet sich mit seinem Geist der Furcht zwar immer wieder zurück.
Aber gib ihm nicht den Raum, den er beansprucht.
Sondern gib Raum dem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Ich muss sterben, dichtet Dorothe Sölle,
aber das ist auch alles, was ich für den Tod tun werde.
Darum taufen wir Kinder und Erwachsene. (6)
Darum feiern wir Gottesdienst und singen wir Loblieder.
Darum nehmen wir Fremde auf
und lassen uns nicht verrückt machen vom Geist der Furcht.
Darum schaffen wir das auch, mit Liebe dem Hass zu begegnen.
Der Geist hilft uns dabei.
IX.
Als Mitte der 60er Jahre das Politbüro der DDR versucht hat,
aufmüpfige Stimmen zum Schweigen zu bringen,
schrieb Wolf Biermann ein Gedicht mit dem Titel „Ermutigung“.
Du lass dich nicht verhärten - singt er.
Du lass dich nicht verbittern - ruft er.
Du lass dich nicht erschrecken.
Und in der letzten Strophe:
Wir woll‘n es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
wir woll‘n das allen zeigen
dann wissen sie Bescheid.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
Amen.
(1) So zur Zeit die Forderung der CSU (siehe z.B. http://www.sueddeutsche.de/politik/bayern-csu-will-vorrang-fuer-zuwanderer-aus-christlich-abendlaendischem-kulturkreis-1.3153027)
(2) Für die Anregungen zu folgendem Abschnitt Danke an Sina Kaiser
(3) Danke an Silke Wolfrum und Juliane Rumpel für einige Formulierungen im folgenden Abschnitt
(4) aus Antoine Leiris, Meinen Hass bekommt ihr nicht, S.34-36
(5) ebd., S.59-61
(6) Vor der Predigt wurde ein kleines Mädchen getauft.
Samstag, 13. August 2016
Wäre ich gegangen? Notwendige Begegnungen zwischen Verfolgern und Verfolgten
Predigt zu Apostelgeschichte 9,1-20
Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn
und drohte ihnen mit Gefängnis und Hinrichtung.
Er ging zum Obersten Priester
und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus.
Dort wollte er die Anhänger des neuen Weges aufspüren.
Er wollte sie, Männer wie Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen.
Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt,
umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel.
Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme, die zu ihm sagte:
»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?«
Er fragte: »Wer bist du, Herr?«
Die Stimme antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt.
Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.«
Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache.
Sie hörten zwar die Stimme, doch sie sahen niemand.
Saulus erhob sich vom Boden.
Er öffnete die Augen, aber er konnte nichts sehen.
Seine Begleiter nahmen ihn an der Hand und führten ihn nach Damaskus.
Drei Tage lang war Saulus blind.
Er aß nichts und trank nichts.
In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias.
Dem erschien der Herr und sprach ihn an: »Hananias!«
Hananias antwortete: »Hier bin ich, Herr!«
Der Herr sagte: »Steh auf! Geh in die Gerade Straße
und frage im Haus von Judas nach Saulus aus Tarsus.
Sieh doch! Er ist dort und betet.
In einer Erscheinung hat er einen Mann namens Hananias gesehen.
Der kam zu ihm und legte ihm die Hände auf, damit er wieder sehen konnte.«
Hananias antwortete:
»Herr, ich habe schon viel von diesem Mann gehört.
Er hat deinen Heiligen in Jerusalem viel Böses angetan.
Und jetzt ist er mit einer Vollmacht von den führenden Priestern hierhergekommen.
Er soll alle festnehmen, die deinen Namen anrufen.«
Aber der Herr sagte zu ihm: »Geh nur hin!
Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug gewählt.
Er soll meinen Namen bekannt machen –
vor den Heiden und ihren Königen wie vor dem Volk Israel.
Ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss, weil er sich zu mir bekennt.«
Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in das Haus.
Er legte Saulus die Hände auf und sagte:
»Saul, Bruder, der Herr hat mich gesandt –
Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist.
Du sollst wieder sehen können und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.«
Sofort fiel es Saulus wie Schuppen von den Augen und er konnte wieder sehen.
Er stand auf und ließ sich taufen.
Dann aß er etwas und kam wieder zu Kräften.
Danach verbrachte Saulus einige Zeit bei den Jüngern in Damaskus.
Er verlor keine Zeit und verkündete in den Synagogen:
»Jesus ist der Sohn Gottes.«
---------------
I.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.
Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias weiß, was das für einer ist, dieser Saulus.
Der die Christen verfolgt.
Die Anhänger des neuen Wegs, wie sie auch genannt werden.
Der sich alle Vollmachten holt, damit er gegen sie vorgehen kann.
Der sogar deswegen nach Damaskus gekommen ist,
den weiten Weg von Jerusalem nicht gescheut hat.
Saulus - einer, der nicht akzeptieren kann,
dass die Jesus-Anhänger einen anderen Weg gehen.
Einer, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Wobei er sich wohl seine Hände nicht selber schmutzig macht.
Ausgerechnet zu dem soll Hananias gehen.
In das selbe Haus. In den selben Raum.
Ihm gegenüber treten. Ihm nahe kommen. Ihn segnen.
Ihm ein Bruder werden.
Und nach langem Zögern tut er es.
Hätte ich das auch gekonnt?
II.
Immerhin, Saulus ist aus der Bahn geworfen.
Er kann nichts sehen.
Abhängig von seinen Begleitern.
Ja, er liegt förmlich am Boden.
3 Tage lang geht das schon so.
3 Tage außer Gefecht gesetzt.
Was macht das mit einem Macher wie Saulus?
Ob er an Jona denkt?
Der wurde vom Fisch verschluckt, wo er auch nichts sehen konnte.
Wo ihm nur noch das Beten blieb. Sonst nichts.
Jona war auf dem falschen Weg.
Der Fisch hat ihn auf den richtigen gespuckt.
Und trotzdem hat er noch nicht wirklich verstanden, was Gott von ihm wollte.
Versteht Saulus, was Gott von ihm will?
III.
Gestoppt im vollen Lauf.
Ausgebremst zum Stillstand.
Eine Freundin von mir brach sich beide Arme bei einem Fahrradunfall.
Wochenlang war sie abhängig.
Konnte kaum etwas alleine machen. Selbst das Anziehen ging nicht.
Jetzt, sagt sie, im Nachhinein, war das eine wichtige Zeit für sie.
Zu merken: ich kann nicht alles selber machen.
Ich MUSS auch gar nicht alles tun.
Es hängt nicht von mir alleine ab, ob etwas gelingt oder nicht.
Sich Hilfe holen. Andere bitten. Zugeben, dass etwas nicht geht.
Alles das hat sie üben können.
Und jetzt erinnert sie sich daran,
wenn die Gefahr besteht, dass sie wieder alles alleine machen will.
Wieder auf's falsche Pferd gesetzt.
IV.
Ist es das, was mit Saulus passiert?
Oder ist das noch zu harmlos?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ja, Saulus war ein Verfolger.
Hat Andersgläubige verfolgt, und damit Jesus selbst.
Er war ein Fundamentalist.
Von der reinen Lehre durfte niemand abweichen.
Wer es doch tat, schadete der Glaubensgemeinschaft.
Aber er setzte damit auf‘s falsche Pferd.
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Warum verfolgst du, dass ich die Liebe über alles stelle?
Warum verfolgst du, dass sie sogar wichtiger ist als jedes Gebot?
Warum verfolgst du, dass auch die Nicht-so-frommen einen Platz bei Gott haben?
Warum verfolgst du, dass Gott auch die Ungläubigen liebt?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Du denkst, dass die Christen den jüdischen Glauben verraten?
Dabei sind sie doch Juden, wie ich es auch bin.
Du willst deinen Glauben retten, indem du anderes Denken nicht zu lässt?
Wie ängstlich musst du sein?
Und ich weiß: damit stehst du nicht allein da!
V.
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ihr Christen, warum habt ihr mich verfolgt,
als ihr die Juden vertrieben, verbrannt, vergast habt?
Ihr IS-Terroristen, warum verfolgt ihr die Jesiden,
und die Christen und die Muslime, die euren Weg nicht gehen wollen
- und damit mich?
Ihr Schlächter von Boko Haram, warum verfolgt ihr mich?
Ihr Attentäter von St.Etienne, warum verfolgt ihr mich
und tötet einen Priester?
Du Breivik-Anhänger, warum verfolgst du mich
und erschießt 10 Menschen in München?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Kann denn die einzige Lösung nur der Tod der Verfolger sein?
Seid ihr Verfolger nur dann zu stoppen, wenn wir euch töten?
Und wenn wir euch hassen, wie ihr uns hasst?
Mir kommt das Grauen, wenn ich auf manche Internetseiten gehe,
von denen sich auch einige christlich nennen.
Hass gegen Muslime. Hass gegen Homosexuelle.
Hass gegen Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Hass gegen Geflüchtete.
Und dann wünsche ich mir, dass dieser Hass gestoppt wird,
wie bei Saulus. Der Hass der Verfolger, der Hass der Hassenden.
Herunter vom hohen Ross, außer Gefecht gesetzt, abhängig, ruhig gestellt, nachdenken, beten.
VI.
Und dann, ja, dann soll auch ein Hananias kommen,
ihnen zum Bruder werden,
die Hände auf legen und sie ihren Weg neu sehen lassen.
Gott lässt sie dann auch sehen, dass es für ihren Hass keinen Grund gibt
und für ihre Angst auch nicht.
Gott befreit sie dann von ihrem fanatischen Alles-im-Griff-haben-wollen.
Er zeigt ihnen, wie sie lieben können, weil sie selber geliebt sind.
Er lässt sie neu auf die Welt schauen:
eine Welt, die schön genug und vielfältig genug ist, um sie zu erhalten.
Ja, so wie bei Saulus.
Saulus hat das Recht, ein anderer zu werden.
Er bleibt derselbe und ist doch anders als vorher.
Aber er ist ein befreiter Saulus.
Ein zur Liebe befreiter Bruder Saul,
der nicht mehr alles im Griff haben muss,
der weiß, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist.
VII.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Werde ihm zum Bruder, zur Schwester.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.
Und für euch beide beginnt ein neuer Weg.
Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias traut sich.
Ermutigt von Jesus, der sich seinen Feinden auslieferte.
Am Ende sehen sie beide. Sehen sich neu. Sehen Gott neu. (Danke an Philipp Rottach)
Ich bin froh, dass Hananias das geschafft hat.
Sonst wüssten wir vielleicht immer noch nicht von Jesus.
Ich weiß zwar nicht, ob ich das schaffe, was Hananias getan hat.
Aber ich weiß, dass jeder und jede das Recht hat,
eine andere, ein anderer zu werden.
Auch der Mensch, der mir Angst macht.
Und ich - und du auch.
Jeder hat das Recht, neu gesehen zu werden und selber neu zu sehen.
Ich hoffe, dass Jesus auch mich stoppt, wo es nötig ist, wenn ich wie Saulus bin.
Damit ich zur Besinnung komme, bete, höre, befreit werde.
Ich hoffe, dass dann ein Hananias da ist,
der mir die Hand auflegt und mich die Welt neu sehen lässt.
Und ich bete um die Kraft, aufzustehen wie Hananias,
Brüder und Schwestern neu zu erkennen -
und dem Hass mit Liebe zu begegnen, ja, mit Liebe und Mut.
Amen.
Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn
und drohte ihnen mit Gefängnis und Hinrichtung.
Er ging zum Obersten Priester
und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus.
Dort wollte er die Anhänger des neuen Weges aufspüren.
Er wollte sie, Männer wie Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen.
Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt,
umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel.
Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme, die zu ihm sagte:
»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?«
Er fragte: »Wer bist du, Herr?«
Die Stimme antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt.
Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.«
Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache.
Sie hörten zwar die Stimme, doch sie sahen niemand.
Saulus erhob sich vom Boden.
Er öffnete die Augen, aber er konnte nichts sehen.
Seine Begleiter nahmen ihn an der Hand und führten ihn nach Damaskus.
Drei Tage lang war Saulus blind.
Er aß nichts und trank nichts.
In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias.
Dem erschien der Herr und sprach ihn an: »Hananias!«
Hananias antwortete: »Hier bin ich, Herr!«
Der Herr sagte: »Steh auf! Geh in die Gerade Straße
und frage im Haus von Judas nach Saulus aus Tarsus.
Sieh doch! Er ist dort und betet.
In einer Erscheinung hat er einen Mann namens Hananias gesehen.
Der kam zu ihm und legte ihm die Hände auf, damit er wieder sehen konnte.«
Hananias antwortete:
»Herr, ich habe schon viel von diesem Mann gehört.
Er hat deinen Heiligen in Jerusalem viel Böses angetan.
Und jetzt ist er mit einer Vollmacht von den führenden Priestern hierhergekommen.
Er soll alle festnehmen, die deinen Namen anrufen.«
Aber der Herr sagte zu ihm: »Geh nur hin!
Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug gewählt.
Er soll meinen Namen bekannt machen –
vor den Heiden und ihren Königen wie vor dem Volk Israel.
Ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss, weil er sich zu mir bekennt.«
Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in das Haus.
Er legte Saulus die Hände auf und sagte:
»Saul, Bruder, der Herr hat mich gesandt –
Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist.
Du sollst wieder sehen können und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.«
Sofort fiel es Saulus wie Schuppen von den Augen und er konnte wieder sehen.
Er stand auf und ließ sich taufen.
Dann aß er etwas und kam wieder zu Kräften.
Danach verbrachte Saulus einige Zeit bei den Jüngern in Damaskus.
Er verlor keine Zeit und verkündete in den Synagogen:
»Jesus ist der Sohn Gottes.«
---------------
I.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.
Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias weiß, was das für einer ist, dieser Saulus.
Der die Christen verfolgt.
Die Anhänger des neuen Wegs, wie sie auch genannt werden.
Der sich alle Vollmachten holt, damit er gegen sie vorgehen kann.
Der sogar deswegen nach Damaskus gekommen ist,
den weiten Weg von Jerusalem nicht gescheut hat.
Saulus - einer, der nicht akzeptieren kann,
dass die Jesus-Anhänger einen anderen Weg gehen.
Einer, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Wobei er sich wohl seine Hände nicht selber schmutzig macht.
Ausgerechnet zu dem soll Hananias gehen.
In das selbe Haus. In den selben Raum.
Ihm gegenüber treten. Ihm nahe kommen. Ihn segnen.
Ihm ein Bruder werden.
Und nach langem Zögern tut er es.
Hätte ich das auch gekonnt?
II.
Immerhin, Saulus ist aus der Bahn geworfen.
Er kann nichts sehen.
Abhängig von seinen Begleitern.
Ja, er liegt förmlich am Boden.
3 Tage lang geht das schon so.
3 Tage außer Gefecht gesetzt.
Was macht das mit einem Macher wie Saulus?
Ob er an Jona denkt?
Der wurde vom Fisch verschluckt, wo er auch nichts sehen konnte.
Wo ihm nur noch das Beten blieb. Sonst nichts.
Jona war auf dem falschen Weg.
Der Fisch hat ihn auf den richtigen gespuckt.
Und trotzdem hat er noch nicht wirklich verstanden, was Gott von ihm wollte.
Versteht Saulus, was Gott von ihm will?
III.
Gestoppt im vollen Lauf.
Ausgebremst zum Stillstand.
Eine Freundin von mir brach sich beide Arme bei einem Fahrradunfall.
Wochenlang war sie abhängig.
Konnte kaum etwas alleine machen. Selbst das Anziehen ging nicht.
Jetzt, sagt sie, im Nachhinein, war das eine wichtige Zeit für sie.
Zu merken: ich kann nicht alles selber machen.
Ich MUSS auch gar nicht alles tun.
Es hängt nicht von mir alleine ab, ob etwas gelingt oder nicht.
Sich Hilfe holen. Andere bitten. Zugeben, dass etwas nicht geht.
Alles das hat sie üben können.
Und jetzt erinnert sie sich daran,
wenn die Gefahr besteht, dass sie wieder alles alleine machen will.
Wieder auf's falsche Pferd gesetzt.
IV.
Ist es das, was mit Saulus passiert?
Oder ist das noch zu harmlos?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ja, Saulus war ein Verfolger.
Hat Andersgläubige verfolgt, und damit Jesus selbst.
Er war ein Fundamentalist.
Von der reinen Lehre durfte niemand abweichen.
Wer es doch tat, schadete der Glaubensgemeinschaft.
Aber er setzte damit auf‘s falsche Pferd.
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Warum verfolgst du, dass ich die Liebe über alles stelle?
Warum verfolgst du, dass sie sogar wichtiger ist als jedes Gebot?
Warum verfolgst du, dass auch die Nicht-so-frommen einen Platz bei Gott haben?
Warum verfolgst du, dass Gott auch die Ungläubigen liebt?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Du denkst, dass die Christen den jüdischen Glauben verraten?
Dabei sind sie doch Juden, wie ich es auch bin.
Du willst deinen Glauben retten, indem du anderes Denken nicht zu lässt?
Wie ängstlich musst du sein?
Und ich weiß: damit stehst du nicht allein da!
V.
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ihr Christen, warum habt ihr mich verfolgt,
als ihr die Juden vertrieben, verbrannt, vergast habt?
Ihr IS-Terroristen, warum verfolgt ihr die Jesiden,
und die Christen und die Muslime, die euren Weg nicht gehen wollen
- und damit mich?
Ihr Schlächter von Boko Haram, warum verfolgt ihr mich?
Ihr Attentäter von St.Etienne, warum verfolgt ihr mich
und tötet einen Priester?
Du Breivik-Anhänger, warum verfolgst du mich
und erschießt 10 Menschen in München?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Kann denn die einzige Lösung nur der Tod der Verfolger sein?
Seid ihr Verfolger nur dann zu stoppen, wenn wir euch töten?
Und wenn wir euch hassen, wie ihr uns hasst?
Mir kommt das Grauen, wenn ich auf manche Internetseiten gehe,
von denen sich auch einige christlich nennen.
Hass gegen Muslime. Hass gegen Homosexuelle.
Hass gegen Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Hass gegen Geflüchtete.
Und dann wünsche ich mir, dass dieser Hass gestoppt wird,
wie bei Saulus. Der Hass der Verfolger, der Hass der Hassenden.
Herunter vom hohen Ross, außer Gefecht gesetzt, abhängig, ruhig gestellt, nachdenken, beten.
VI.
Und dann, ja, dann soll auch ein Hananias kommen,
ihnen zum Bruder werden,
die Hände auf legen und sie ihren Weg neu sehen lassen.
Gott lässt sie dann auch sehen, dass es für ihren Hass keinen Grund gibt
und für ihre Angst auch nicht.
Gott befreit sie dann von ihrem fanatischen Alles-im-Griff-haben-wollen.
Er zeigt ihnen, wie sie lieben können, weil sie selber geliebt sind.
Er lässt sie neu auf die Welt schauen:
eine Welt, die schön genug und vielfältig genug ist, um sie zu erhalten.
Ja, so wie bei Saulus.
Saulus hat das Recht, ein anderer zu werden.
Er bleibt derselbe und ist doch anders als vorher.
Aber er ist ein befreiter Saulus.
Ein zur Liebe befreiter Bruder Saul,
der nicht mehr alles im Griff haben muss,
der weiß, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist.
VII.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Werde ihm zum Bruder, zur Schwester.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.
Und für euch beide beginnt ein neuer Weg.
Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias traut sich.
Ermutigt von Jesus, der sich seinen Feinden auslieferte.
Am Ende sehen sie beide. Sehen sich neu. Sehen Gott neu. (Danke an Philipp Rottach)
Ich bin froh, dass Hananias das geschafft hat.
Sonst wüssten wir vielleicht immer noch nicht von Jesus.
Ich weiß zwar nicht, ob ich das schaffe, was Hananias getan hat.
Aber ich weiß, dass jeder und jede das Recht hat,
eine andere, ein anderer zu werden.
Auch der Mensch, der mir Angst macht.
Und ich - und du auch.
Jeder hat das Recht, neu gesehen zu werden und selber neu zu sehen.
Ich hoffe, dass Jesus auch mich stoppt, wo es nötig ist, wenn ich wie Saulus bin.
Damit ich zur Besinnung komme, bete, höre, befreit werde.
Ich hoffe, dass dann ein Hananias da ist,
der mir die Hand auflegt und mich die Welt neu sehen lässt.
Und ich bete um die Kraft, aufzustehen wie Hananias,
Brüder und Schwestern neu zu erkennen -
und dem Hass mit Liebe zu begegnen, ja, mit Liebe und Mut.
Amen.
Sonntag, 17. April 2016
Wunderbare Leichtigkeit des Seins: tanzende Töne, Jesus mittendrin und die Liebe in der Welt
Predigt zu 1.Joh 5,1-4
(Mit Anklängen an das wunderbares Stück "Wie im Himmel" vom Pforzheimer Stadttheater und Dank an Bettina Schlauraff für ein paar Gedanken)
Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.
Denn jeder, der Gott zum Vater hat,
besiegt die Welt.
Dabei ist es unser Glaube,
mit dem wir diesen Sieg über die Welt erringen.
I.
Es ist nicht schwer, sagt Daniel.
Daniel, der Meisterdirigent, steht vor dem Dorfchor.
Gestern im Theater.
Er zweifelt, ob das geht mit denen.
Sie zweifeln, ob das geht mit ihm.
Aber nun sind sie da.
Und suchen den Himmel.
Suchen Töne, die schon längst da sind.
Wollen himmlische Töne finden.
Klingen lassen.
Es ist nicht schwer, sagt Daniel trotzdem.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr seid.
II.
Es ist nicht schwer,
schreibt einer in einem Rundschreiben,
den wir Johannesbrief nennen.
Es ist nicht schwer,
die richtigen,
die himmlischen Töne zu finden.
Die Töne klingen zu lassen, dass ihr zu Gott gehört.
Dass ihr zu Jesus Christus gehört.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind
und die euch zueinander führen.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr von Gott her seid.
Es ist nicht schwer,
schreibt er, nennen wir ihn Johannes.
Schreibt für Menschen,
die nicht mehr wissen, wo sie hingehören.
An Männer und Frauen, die sich fremd fühlen,
in einer Umgebung, wo ihr Glaube nicht Fuß fasst.
Sie wollen mit dieser Welt nichts zu tun haben,
halten sich raus,
schotten sich ab,
ziehen sich zurück.
Jesus ist in meinem Herzen.
Das genügt. Mehr brauche ich nicht.
Und die Welt kann mir gestohlen bleiben.
III.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Das denkt Daniel, als er in sein Heimatdorf zurück kehrt.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Auch ich ertappe mich bei diesem Gedanken.
Da werden Gruselgeschichten erzählt von Flüchtlingen.
So wie im Januar von Lisa, die angeblich vergewaltigt wurde.
Und diese Lügengeschichte treibt 700 Menschen auf unseren Marktplatz.
Und sie treibt Tausende in die Arme der AFD.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Lasst mich in Ruhe damit. Ich will es nicht mehr hören.
Das denke ich dann.
Du auch?
Da führt ein übergroßes Haushaltsdefizit in Pforzheim vielleicht dazu,
dass ausgerechnet bei den Armen und Bedürftigen gespart werden muss.
Dabei hat Pforzheim die dritthöchste Millionärsdichte in Deutschland.
Das ist doch verrückt.
Ach, lasst mich in Ruhe damit.
Das denke ich dann. Will es nicht wirklich hören.
Weil es mir Angst macht.
Die Welt soll mir doch gestohlen bleiben.
Der erneute Krankenhausbesuch der Freundin.
Die Aussichten stehen schlecht.
Die Chemo hat sie schwach gemacht.
Die hin und her geschobenen Millionen wegen der WM in Deutschland.
Oder die Arbeiter in Katar, die wegen der zukünftigen WM in Löchern hausen.
Die Kinder am Zaun von Idomeni.
Die fragwürdigen Ergebnisse mit Istanbul.
Ich will es nicht mehr hören.
Tür zu.
Schotten dicht.
Bettdecke über den Kopf.
Oder eine Liebesschnulze auf DVD anschauen.
Oder wie Daniel der Welt entfliehen.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
IV.
Aber auf Dauer geht das nicht.
Sagt Johannes.
Und das weiß ich auch.
Die Welt kann mir nicht gestohlen bleiben.
Denn ich bin ein Teil von ihr.
Ich gehöre zu ihr.
So wie ich zu Gott gehöre.
Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Jesus ist keine Idee, kein Gedanke.
Jesus ist ein richtiger Mensch.
Und nur so ist er der Messias.
Einer, der mittendrin ist.
Mittendrin in diesem Chaos,
und dort, wo es ganz ordentlich zu geht.
Unter der Bettdecke
und in der Küche, wo das Geschirr immer noch schmutzig herumsteht.
Jesus ist mittendrin,
wo Alte weinen,
und Junge tanzen
und Liebende sich umarmen.
Jesus zieht sich auch mal zurück,
in die Wüste oder auf ein Boot oder einen Berg.
Und heute würde er vielleicht auch mal eine Liebesschnulze sehen
und mit Daniel in das Heimatdorf zurückkehren.
Warum auch nicht?
Aber dann geht er wieder in die Welt,
und ist ganz und gar da.
Sie bleibt ihm nicht gestohlen.
Und er verdammt sie nicht.
Denn sie ist es, die seine Liebe braucht.
Sie ist es, die ihn hören muss.
Ihn und seine Töne der Liebe.
Die Töne der Freiheit und der Leichtigkeit.
Die Töne des Friedens.
Gottes Töne.
V.
Und so wie die Welt zu Gott gehört,
gehörst auch du zu Gott.
Und die Welt gehört zu dir.
Diese schwierige, anstrengende
und doch auch so bezaubernde Welt.
Du machst die Tür zu,
oder steigst auf ein Boot
oder du gehst in die Wüste.
Die Welt gehört trotzdem zu dir.
Und du zu ihr.
So wie Daniel zum Dorf gehört.
Und das Dorf zu ihm.
Und beide sind Teil der Welt.
Wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Du kannst die Welt nicht in Stich lassen,
nicht links liegen lassen.
Sie kann dir nicht egal sein.
Denn sie braucht Gottes Liebe.
Die unglaubliche Leichtigkeit seiner Liebe.
Die hohen Töne und die tiefen Töne,
die Sopranstimmen und die Bassstimmen,
die Stimmen dazwischen auch, Alt und Tenor.
Die krächzenden Stimmen und die glockenhellen.
Alle diese Stimmen, die von Gottes Liebe singen,
die Welt braucht sie.
Sie braucht dich.
So wie du bist mit deinen Brüchen und Narben,
mit allem, was du mitbringst.
VI.
Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.
Es ist nicht schwer.
Denn du trägst Gott im Herzen,
diesen Gott,
wo du die bist, die du bist,
und der, der du sein willst.
Diesen Gott, der dir Flügel verleiht.
Seine Liebe trägst du mit dir
und behältst sie nicht für dich.
Das geht nicht.
Denn sie drängt hinaus.
Sie drängt dich hinaus.
Dort, wo die anderen sind mit ihren Brüchen und Narben.
Dort, wo du einfach das tust, was ansteht.
Das, was du kannst.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Und du machst deine Augen auf
und öffnest deine Ohren
und dein Herz.
Und dann lächelst du der gestressten Verkäuferin zu,
oder du schreibst einen Brief für einen Gefolterten,
oder du besuchst einen, der Angst hat vor den Flüchtlingen,
oder du widersprichst dem Hetzer im Bus,
der an Fremden kein gutes Haar lässt.
Du kümmerst dich um die,
die dein solidarisches Herz brauchen,
und deine Stimme.
Die Töne der Liebe statt Schreie der Angst.
Das sind die Gebote.
Unsere Welt braucht dich,
sie braucht diese unglaubliche Leichtigkeit des Seins.
Es ist nicht schwer,
sagt Johannes.
Wir ahnen,
es ist nicht immer leicht.
Aber mit Gottes Liebe in deinem Herzen geht es leichter.
Sie ist stärker als das, was dir entgegen steht,
stärker als deine Vergeblichkeiten und deine Schwächen,
stärker sogar als deine Sterblichkeit,
stärker als die Tür, die du schließen willst.
VII.
Es ist nicht schwer.
In Indien, bei unserer Partnerkirche,
habe ich diese Leichtigkeit gespürt.
Wo traurige Kinder wieder lachen können,
Kinder, die von der Welt ausgeschlossen werden.
Sie lachen wieder,
weil sie von unseren Schwester und Brüdern zu hören und spüren bekommen,
wie wertvoll sie sind.
Ich habe diese Leichtigkeit der Liebe gespürt,
als sich so viele von euch für mich eingesetzt haben:
ihr habt mir Briefe geschrieben,
mir gute Worte gesagt,
und auch anderen das gesagt.
Ihr habt mir gezeigt,
dass ich vor Lügengeschichten keine Angst haben muss.
Ich spüre diese Leichtigkeit,
wenn ich unsere Chöre hier höre.
Diese hohen und tiefen Töne der Freiheit und des Friedens.
Sie berühren mich im Herzen.
Durch sie spüre ich, wie großartig und wunderschön diese Welt ist.
Und auch Daniel, der Meisterdirigent, hat sie gespürt,
die Leichtigkeit der Liebe.
Und die Dorfbewohner auch.
Wie im Himmel kommen sie zusammen.
So wie sie sind.
Mit ihren Brüchen und Narben und Ängsten.
Sie öffnen ihre Herzen füreinander,
schützen sich,
stärken sich,
singen zusammen.
Und entdecken Neuland.
Eine wunderbare Leichtigkeit von neuen, himmlischen Tönen.
Und sie überwinden, was sie eingeengt hat.
Mit ihrer Liebe.
Mit Gottes Liebe.
VIII.
Es ist nicht schwer,
die Liebe zu leben,
weil wir zu Gott gehören,
sagt Johannes.
Es ist nicht schwer,
die Töne der Liebe zu singen,
denn sie sind da,
sagt Daniel.
Es ist nicht schwer,
Liebe zu geben,
weil wir geliebt sind,
sagen die indischen Geschwister.
Es ist nicht schwer,
sagen viele von euch.
Und so sage auch ich mir selbst und dir:
es ist nicht schwer.
Ich darf die sein, die ich bin,
und du auch.
Gottes Welt braucht meine und deine Liebe.
Wir leben sie
und tanzen sie
und zeigen sie,
singen sie
und widersprechen durch sie.
Und das tun wir
mit Gottes wunderbarer Leichtigkeit des Seins
Sie ist in uns.
Jetzt und allezeit.
Amen.
(Mit Anklängen an das wunderbares Stück "Wie im Himmel" vom Pforzheimer Stadttheater und Dank an Bettina Schlauraff für ein paar Gedanken)
Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.
Denn jeder, der Gott zum Vater hat,
besiegt die Welt.
Dabei ist es unser Glaube,
mit dem wir diesen Sieg über die Welt erringen.
I.
Es ist nicht schwer, sagt Daniel.
Daniel, der Meisterdirigent, steht vor dem Dorfchor.
Gestern im Theater.
Er zweifelt, ob das geht mit denen.
Sie zweifeln, ob das geht mit ihm.
Aber nun sind sie da.
Und suchen den Himmel.
Suchen Töne, die schon längst da sind.
Wollen himmlische Töne finden.
Klingen lassen.
Es ist nicht schwer, sagt Daniel trotzdem.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr seid.
II.
Es ist nicht schwer,
schreibt einer in einem Rundschreiben,
den wir Johannesbrief nennen.
Es ist nicht schwer,
die richtigen,
die himmlischen Töne zu finden.
Die Töne klingen zu lassen, dass ihr zu Gott gehört.
Dass ihr zu Jesus Christus gehört.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind
und die euch zueinander führen.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr von Gott her seid.
Es ist nicht schwer,
schreibt er, nennen wir ihn Johannes.
Schreibt für Menschen,
die nicht mehr wissen, wo sie hingehören.
An Männer und Frauen, die sich fremd fühlen,
in einer Umgebung, wo ihr Glaube nicht Fuß fasst.
Sie wollen mit dieser Welt nichts zu tun haben,
halten sich raus,
schotten sich ab,
ziehen sich zurück.
Jesus ist in meinem Herzen.
Das genügt. Mehr brauche ich nicht.
Und die Welt kann mir gestohlen bleiben.
III.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Das denkt Daniel, als er in sein Heimatdorf zurück kehrt.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Auch ich ertappe mich bei diesem Gedanken.
Da werden Gruselgeschichten erzählt von Flüchtlingen.
So wie im Januar von Lisa, die angeblich vergewaltigt wurde.
Und diese Lügengeschichte treibt 700 Menschen auf unseren Marktplatz.
Und sie treibt Tausende in die Arme der AFD.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Lasst mich in Ruhe damit. Ich will es nicht mehr hören.
Das denke ich dann.
Du auch?
Da führt ein übergroßes Haushaltsdefizit in Pforzheim vielleicht dazu,
dass ausgerechnet bei den Armen und Bedürftigen gespart werden muss.
Dabei hat Pforzheim die dritthöchste Millionärsdichte in Deutschland.
Das ist doch verrückt.
Ach, lasst mich in Ruhe damit.
Das denke ich dann. Will es nicht wirklich hören.
Weil es mir Angst macht.
Die Welt soll mir doch gestohlen bleiben.
Der erneute Krankenhausbesuch der Freundin.
Die Aussichten stehen schlecht.
Die Chemo hat sie schwach gemacht.
Die hin und her geschobenen Millionen wegen der WM in Deutschland.
Oder die Arbeiter in Katar, die wegen der zukünftigen WM in Löchern hausen.
Die Kinder am Zaun von Idomeni.
Die fragwürdigen Ergebnisse mit Istanbul.
Ich will es nicht mehr hören.
Tür zu.
Schotten dicht.
Bettdecke über den Kopf.
Oder eine Liebesschnulze auf DVD anschauen.
Oder wie Daniel der Welt entfliehen.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
IV.
Aber auf Dauer geht das nicht.
Sagt Johannes.
Und das weiß ich auch.
Die Welt kann mir nicht gestohlen bleiben.
Denn ich bin ein Teil von ihr.
Ich gehöre zu ihr.
So wie ich zu Gott gehöre.
Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Jesus ist keine Idee, kein Gedanke.
Jesus ist ein richtiger Mensch.
Und nur so ist er der Messias.
Einer, der mittendrin ist.
Mittendrin in diesem Chaos,
und dort, wo es ganz ordentlich zu geht.
Unter der Bettdecke
und in der Küche, wo das Geschirr immer noch schmutzig herumsteht.
Jesus ist mittendrin,
wo Alte weinen,
und Junge tanzen
und Liebende sich umarmen.
Jesus zieht sich auch mal zurück,
in die Wüste oder auf ein Boot oder einen Berg.
Und heute würde er vielleicht auch mal eine Liebesschnulze sehen
und mit Daniel in das Heimatdorf zurückkehren.
Warum auch nicht?
Aber dann geht er wieder in die Welt,
und ist ganz und gar da.
Sie bleibt ihm nicht gestohlen.
Und er verdammt sie nicht.
Denn sie ist es, die seine Liebe braucht.
Sie ist es, die ihn hören muss.
Ihn und seine Töne der Liebe.
Die Töne der Freiheit und der Leichtigkeit.
Die Töne des Friedens.
Gottes Töne.
V.
Und so wie die Welt zu Gott gehört,
gehörst auch du zu Gott.
Und die Welt gehört zu dir.
Diese schwierige, anstrengende
und doch auch so bezaubernde Welt.
Du machst die Tür zu,
oder steigst auf ein Boot
oder du gehst in die Wüste.
Die Welt gehört trotzdem zu dir.
Und du zu ihr.
So wie Daniel zum Dorf gehört.
Und das Dorf zu ihm.
Und beide sind Teil der Welt.
Wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.
Du kannst die Welt nicht in Stich lassen,
nicht links liegen lassen.
Sie kann dir nicht egal sein.
Denn sie braucht Gottes Liebe.
Die unglaubliche Leichtigkeit seiner Liebe.
Die hohen Töne und die tiefen Töne,
die Sopranstimmen und die Bassstimmen,
die Stimmen dazwischen auch, Alt und Tenor.
Die krächzenden Stimmen und die glockenhellen.
Alle diese Stimmen, die von Gottes Liebe singen,
die Welt braucht sie.
Sie braucht dich.
So wie du bist mit deinen Brüchen und Narben,
mit allem, was du mitbringst.
VI.
Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.
Es ist nicht schwer.
Denn du trägst Gott im Herzen,
diesen Gott,
wo du die bist, die du bist,
und der, der du sein willst.
Diesen Gott, der dir Flügel verleiht.
Seine Liebe trägst du mit dir
und behältst sie nicht für dich.
Das geht nicht.
Denn sie drängt hinaus.
Sie drängt dich hinaus.
Dort, wo die anderen sind mit ihren Brüchen und Narben.
Dort, wo du einfach das tust, was ansteht.
Das, was du kannst.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Und du machst deine Augen auf
und öffnest deine Ohren
und dein Herz.
Und dann lächelst du der gestressten Verkäuferin zu,
oder du schreibst einen Brief für einen Gefolterten,
oder du besuchst einen, der Angst hat vor den Flüchtlingen,
oder du widersprichst dem Hetzer im Bus,
der an Fremden kein gutes Haar lässt.
Du kümmerst dich um die,
die dein solidarisches Herz brauchen,
und deine Stimme.
Die Töne der Liebe statt Schreie der Angst.
Das sind die Gebote.
Unsere Welt braucht dich,
sie braucht diese unglaubliche Leichtigkeit des Seins.
Es ist nicht schwer,
sagt Johannes.
Wir ahnen,
es ist nicht immer leicht.
Aber mit Gottes Liebe in deinem Herzen geht es leichter.
Sie ist stärker als das, was dir entgegen steht,
stärker als deine Vergeblichkeiten und deine Schwächen,
stärker sogar als deine Sterblichkeit,
stärker als die Tür, die du schließen willst.
VII.
Es ist nicht schwer.
In Indien, bei unserer Partnerkirche,
habe ich diese Leichtigkeit gespürt.
Wo traurige Kinder wieder lachen können,
Kinder, die von der Welt ausgeschlossen werden.
Sie lachen wieder,
weil sie von unseren Schwester und Brüdern zu hören und spüren bekommen,
wie wertvoll sie sind.
Ich habe diese Leichtigkeit der Liebe gespürt,
als sich so viele von euch für mich eingesetzt haben:
ihr habt mir Briefe geschrieben,
mir gute Worte gesagt,
und auch anderen das gesagt.
Ihr habt mir gezeigt,
dass ich vor Lügengeschichten keine Angst haben muss.
Ich spüre diese Leichtigkeit,
wenn ich unsere Chöre hier höre.
Diese hohen und tiefen Töne der Freiheit und des Friedens.
Sie berühren mich im Herzen.
Durch sie spüre ich, wie großartig und wunderschön diese Welt ist.
Und auch Daniel, der Meisterdirigent, hat sie gespürt,
die Leichtigkeit der Liebe.
Und die Dorfbewohner auch.
Wie im Himmel kommen sie zusammen.
So wie sie sind.
Mit ihren Brüchen und Narben und Ängsten.
Sie öffnen ihre Herzen füreinander,
schützen sich,
stärken sich,
singen zusammen.
Und entdecken Neuland.
Eine wunderbare Leichtigkeit von neuen, himmlischen Tönen.
Und sie überwinden, was sie eingeengt hat.
Mit ihrer Liebe.
Mit Gottes Liebe.
VIII.
Es ist nicht schwer,
die Liebe zu leben,
weil wir zu Gott gehören,
sagt Johannes.
Es ist nicht schwer,
die Töne der Liebe zu singen,
denn sie sind da,
sagt Daniel.
Es ist nicht schwer,
Liebe zu geben,
weil wir geliebt sind,
sagen die indischen Geschwister.
Es ist nicht schwer,
sagen viele von euch.
Und so sage auch ich mir selbst und dir:
es ist nicht schwer.
Ich darf die sein, die ich bin,
und du auch.
Gottes Welt braucht meine und deine Liebe.
Wir leben sie
und tanzen sie
und zeigen sie,
singen sie
und widersprechen durch sie.
Und das tun wir
mit Gottes wunderbarer Leichtigkeit des Seins
Sie ist in uns.
Jetzt und allezeit.
Amen.
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