Text zum Predigt-Slam in Heidelberg "Maria, ihm schmeckt's" am 3.2.2018
I.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit Thymian und Rotwein und gutem Brot.
Ich will die Schneeflocken mit der Zunge fangen
(heute sind welche gefallen!)
Und Ingwertee trinken will ich.
Mag nicht jeder.
Ich aber liebe seine Schärfe,
auch wenn Schärfe kein Geschmack ist, sondern ein Schmerz.
Ja, ich will auch Schmerz schmecken.
Den Schmerz der verlorenen Momente, die ich nicht mehr zurückholen kann.
Den Schmerz, wenn der Sohn in den Flieger steigt und weit weit weg geht.
Und wenn ich mich schäme für Worte, die ich gesagt habe.
Auch der Schmerz der Wut, wenn Menschen abgeschoben werden
- ist gerade wieder passiert.
Ich will diese Schmerzen schmecken, Maria.
Wut wie Chilis, die überall brennen.
Ohnmacht wie versalzene Kartoffeln oder angebrannter Milchreis.
Und Sehnsucht. Wie Schokolade mit Salz-Kristallen.
Widersprüche, die ich kaum aushalte.
Aber was wäre das Leben ohne sie?
II.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit dir.
Komm raus aus der Küche.
Wir trinken den besten Capuccino der Stadt im Casa del Caffe.
Wir setzen uns den Pussy-Hat auf
und verweigern das Recht auf Belästigung.
Und wir predigen - predigen, was das Zeug hält.
Du und ich und die anderen Frauen hier.
Lass uns neue Worte erfinden, Maria.
Worte, die nach Thymian und Rotwein und Brot schmecken.
Und nach Schokolade.
Worte, die den Schmerz nachfühlen.
Und raus wollen. Raus müssen.
Ja, und wir lassen uns den Mund nicht verbieten.
Komm, Maria, komm raus aus der Küche.
Lass uns auf die alte Brücke gehen und ins Wasser spucken.
Lass uns Erdbeeren in flüssige Schokolade tauchen.
Lass uns mit Kübra Liebe organisieren
und mit Birgit geistvolle Papierflieger vom Hochhaus werfen.
Mit Nadja gehören wir zu den Sinners and Saints
Mit Antje wehren wir uns gegen jede Vereinnahmung
und schmecken zusammen den Streit.
Scharf wie Ingwer.
Denn da sind ja auch noch die,
die uns nur in der Küche sehen wollen,
Oder auf der Kühlerhaube.
Und mit schwarz-rot-goldenen Machoträumen von Bikinis faseln.
Komm, wir stören ihre Träume.
Und versalzen ihnen die Suppe.
III.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Und mir die Zunge dabei verbrennen, wenn es sein muss.
Ich will das Leben riechen und tasten
und sehen und hören.
Trinken, essen,
tätowieren, lackieren, markieren.
Kneifen, kitzeln und fest zu packen.
Ich will einen riesigen Schluck Leben trinken
und ihn laut schlürfen.
Gott hat mir voll eingeschenkt.
Und dann will ich im Gras liegen.
Im Neckar schwimmen
Im Schnee einen Engel zaubern.
Will mit dem Enkel auf dem Marktplatz tanzen.
Und die Falten der Alten nachzeichnen.
IV.
Ja, ich will das Leben schmecken, Maria.
Mit dir und den anderen Frauen.
Und mit den Männern auch.
Ich will es salzig wie den Schweiß auf der Haut.
Und wie die Tränen.
Das Bittere will ich schmecken, weil das Leben so kostbar ist.
Ich will es nicht einfach nur herunterschlucken.
Des Lebens Säure -
Sie zieht mir alles zusammen.
Bis in die Fingerspitzen will ich sie spüren.
Und ich will die Süße des Lebens:
Den Kuss.
Den zarten Kuss.
Will die Hand, die mich streichelt.
Den Blick, der mich rot werden lässt.
Und meinen Mund trocken macht.
V.
Ich will das Leben schmecken, Maria,
Und schützen.
Vor denen, die es klein machen.
Und ihm die Würde rauben.
Ich will mit dir die Niedrigen erheben
und wir machen das Leben so groß,
dass niemand mehr dran vorbei kommt.
Oder sich sonst daran verschluckt.
Komm, Maria, komm raus aus der Küche.
Und nimm die Löffel mit.
Die mit Honig und Thymian.
Nimm das Brot mit und den Wein.
Und die Schokolade auch.
Wir gehen raus damit.
Auf die Straße.
Wir schmecken das Leben dort, wo es ist.
Und wo die anderen sind. Und Jesus auch.
Und auch die, die es noch nicht schmecken,
das Leben.
Wir organisieren Liebe,
zeichnen die Falten der Alten nach.
Und tanzen mit unseren Enkeln.
Wir fangen Schneeflocken mit der Zunge
Und wir trinken Ingwertee.
Ich liebe seine Schärfe,
(auch wenn sie kein Geschmack ist, sondern ein Schmerz.)
VI.
Ich will das Leben schmecken, Maria.
Jetzt.
Sonntag, 4. Februar 2018
Sonntag, 28. Januar 2018
Ellenbogen ablegen
Predigt zu Jeremia 9, 22 -23
So spricht der Herr:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.
I. (1)
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.
Wie ist das?
Hältst Du Dich für klug?
Oder stark? Reich? Oder Weise?
Vielleicht bist du es.
Mühelos durch die Schule und das Leben gegangen bisher.
Oder bei Sportfesten immer Ehrenurkunden.
Oder bist Du weise?
Naja, denkst du, vielleicht ein bisschen,
aber das würdest du nicht laut sagen vielleicht.
Aber irgendwie sollen die anderen das doch auch merken.
Auf jedenfall sollen die das Gute sehen.
Nicht das, was dir das Leben schwer macht.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
II.
Die Zeitgenossen Jeremias halten sich für stark und weise.
Und für reich genug, um eine Belagerung ihrer Stadt zu überstehen.
Jeremia ist deswegen sauer.
Sie kapieren es immer noch nicht, denkt er.
Sie, die Weisen und Starken und Reichen von Jerusalem.
Gott steht auf unserer Seite, rufen sie.
Wir sind klüger als unsere Gegner.
Besser. Stärker. Du wirst sehen.
Ihr irrt - ruft ihnen Jeremia zu.
Und er packt sich ein Joch um den Hals und läuft damit durch die Straßen.
Seht, ruft er. So sieht es doch schon längst aus.
Ihr haltet euch für was Besseres.
Dabei liegt ihr doch schon längst am Boden.
Und ihr überseht, wo ihr das Recht mit Füßen tretet
Und nur noch das Recht des Stärkeren gilt.
Und darauf seid ihr auch noch stolz.
Aber wer nur noch daran denkt, wie er Profit aus der Not schlagen kann,
wie er am besten da steht und eine gute Figur macht,
wer sich mit Säbelrasseln aufplustert,
der ist nicht weise und stark,
sondern macht sich und den anderen was vor.
Und das könnte nach hinten los gehen…
III.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Heute verkauft man Panzer an Kriegstreiber, und hält sich für klug und stark.
Prahlt mit Nuklearraketen
oder ist stolz auf den großen roten Knopf, auf den man jederzeit drücken könnte.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute weiß man schon bei der ersten Schlagzeile,
wer der Messerstecher ist und dass der gar nicht hierher gehört.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute fühlt man sich stark und unantastbar,
wenn man einen gutbezahlten Job hat,
Eine gute Versicherung.
Und man treibt viel Sport und isst gesund und so.
Und dann kann einem nichts mehr passieren.
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.
IV.
Aber das ist nicht weise und stark.
Weise und stark ist:
Ich weiß um meine Grenzen.
Weise und stark ist zu wissen:
ich mach Fehler.
Ich kann nicht alles.
Und weiß nicht alles.
Ich enttäusche jemanden.
Oder sage etwas Verletztendes.
Alles das passiert. Dir und mir.
Aber das macht mich nicht weniger wertvoll.
Es macht mich auch nicht weniger weise und stark und reich.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
V.
Uns ist viel zu wichtig, wie wir vor den anderen da stehen.
Sicher, auch ich will, dass man mich wahrnimmt und nicht übersieht.
Anerkennung. Wertschätzung.
Das ist wichtig. Lebenswichtig sogar.
Schon der erste Blick der Mutter oder des Vaters, der sagt:
Du bist wunderschön. Du bist großartig. Ich liebe dich.
Aber für diesen Blick musste ich nichts tun,
Weder besonders stark noch weise sein noch reich.
Einfach ich.
Aber weil der liebende Blick da ist, da war,
Konnte ich wachsen und mich entfalten.
Durfte ich klüger werden und stärker
und besondere Fähigkeiten entdecken.
Vieles habe ich mir erarbeitet. Klar.
Aber die Anlage dazu kommt nicht von mir.
Die ist mir geschenkt. In die Wiege gelegt von Gott.
Es genügt, dass ich das sehe, was mir geschenkt ist. Und Gott.
Und die Menschen, die mich lieb haben, die sehen das auch.
Darum muss ich nicht mehr dazu tun.
Und muss nicht perfekt sein.
Und mich dessen schon gar nicht rühmen.
Als ob ich das alles alleine gemacht hätte.
VI.
Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.
Es könnte so entlastend sein.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er schaut mich mit liebenden Augen an,
Und vor ihm muss ich nicht so tun als ob.
Matthäus, der Zöllner, von dem wir vorhin hörten, (2)
Der hat vielleicht gedacht,
dass er nur mit viel Geld und Gerissenheit einen Platz an der Sonne bekommt.
Er hat den Ellenbogenkampf der Gesellschaft perfekt beherrscht.
Doch dann kommt Jesus.
Sieht ihn an. Und nimmt ihn mit.
Einfach so. Ohne zu fragen, ob er auch gut genug ist.
Oder klug genug.
Und dieser Jesus sitzt mit ihm am Tisch und isst und trinkt mit ihm,
Und Matthäus gehört einfach dazu.
Muss sich nicht verstellen.
Kann die Ellenbogen ablegen.
Und der sein, wie ihn Gott geschaffen hat.
Ein wertvoller Mensch.
Der seine Begabungen nicht mehr für sein Prestige braucht
oder für seine Stellung.
Sondern sie für die einsetzt, die ihn brauchen.
VII.
Es könnte so entlastend sein.
Wenn wir einfach ehrlich miteinander sind.
Wenn wir uns nichts mehr vormachen.
Und auch Fehler und Schwächen zeigen.
In der Gemeinde können wir das üben.
Und uns zeigen, wie wir sind.
Weil wir so, wie wir sind, geliebt sind
Vom Herrn, der Barmherzigkeit und Recht und Gerechtigkeit übt.
Und auch da "draußen", in der Welt, brauchen wir das nicht mehr,
Das sich-zur-Schau-stellen und das So-als-ob.
In unseren Partnerschaften und in den Familien.
Auf der Straße. Und am Arbeitsplatz. Und im Supermarkt.
Ja, ich wünsche mir eine fehlerfreundliche Welt.
Dass wir zu unseren Schattenseiten stehen, auch in der Geschichte.
Dass wir keine Schlussstrich-Diskussion brauchen,
sondern dazu stehen, was unsere Vorfahren getan haben.
Ich wünsche mir, dass wir unseren Politikern auch zugestehen,
dass sie Fehler machen dürfen.
Barmherzigkeit auch ihnen gegenüber.
Und allen, die Verantwortung tragen.
Aber ich wünsche mir auch, dass sie nicht so tun,
als ob sie keine Fehler machen würden.
Dass sie zugeben, nicht weiser und stärker und besser zu sein als die anderen.
VIII.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er macht mich klug und stark und reich an allem, was ich weitergeben kann.
Säbelrasseln,
Gut da stehen,
Andere in Schubladen stecken,
Besser und klüger und stärker sein als die anderen.
Das alles hab ich nicht nötig. Und du nicht.
Denn da ist einer, der schaut mich an. Und dich.
Mit Liebe und Barmherzigkeit.
(1) Danke, Elisabeth Rabe-Winnen, für die Worte zu diesem Abschnitt
(2) Matthäus 9, 9 - 13
So spricht der Herr:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.
I. (1)
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.
Wie ist das?
Hältst Du Dich für klug?
Oder stark? Reich? Oder Weise?
Vielleicht bist du es.
Mühelos durch die Schule und das Leben gegangen bisher.
Oder bei Sportfesten immer Ehrenurkunden.
Oder bist Du weise?
Naja, denkst du, vielleicht ein bisschen,
aber das würdest du nicht laut sagen vielleicht.
Aber irgendwie sollen die anderen das doch auch merken.
Auf jedenfall sollen die das Gute sehen.
Nicht das, was dir das Leben schwer macht.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
II.
Die Zeitgenossen Jeremias halten sich für stark und weise.
Und für reich genug, um eine Belagerung ihrer Stadt zu überstehen.
Jeremia ist deswegen sauer.
Sie kapieren es immer noch nicht, denkt er.
Sie, die Weisen und Starken und Reichen von Jerusalem.
Gott steht auf unserer Seite, rufen sie.
Wir sind klüger als unsere Gegner.
Besser. Stärker. Du wirst sehen.
Ihr irrt - ruft ihnen Jeremia zu.
Und er packt sich ein Joch um den Hals und läuft damit durch die Straßen.
Seht, ruft er. So sieht es doch schon längst aus.
Ihr haltet euch für was Besseres.
Dabei liegt ihr doch schon längst am Boden.
Und ihr überseht, wo ihr das Recht mit Füßen tretet
Und nur noch das Recht des Stärkeren gilt.
Und darauf seid ihr auch noch stolz.
Aber wer nur noch daran denkt, wie er Profit aus der Not schlagen kann,
wie er am besten da steht und eine gute Figur macht,
wer sich mit Säbelrasseln aufplustert,
der ist nicht weise und stark,
sondern macht sich und den anderen was vor.
Und das könnte nach hinten los gehen…
III.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Heute verkauft man Panzer an Kriegstreiber, und hält sich für klug und stark.
Prahlt mit Nuklearraketen
oder ist stolz auf den großen roten Knopf, auf den man jederzeit drücken könnte.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute weiß man schon bei der ersten Schlagzeile,
wer der Messerstecher ist und dass der gar nicht hierher gehört.
Aber das ist nicht weise und stark.
Heute fühlt man sich stark und unantastbar,
wenn man einen gutbezahlten Job hat,
Eine gute Versicherung.
Und man treibt viel Sport und isst gesund und so.
Und dann kann einem nichts mehr passieren.
Klug. Klüger.
Stark. Stärker. Sein.
Reich. Reicher.
Weise. Weiser sein.
IV.
Aber das ist nicht weise und stark.
Weise und stark ist:
Ich weiß um meine Grenzen.
Weise und stark ist zu wissen:
ich mach Fehler.
Ich kann nicht alles.
Und weiß nicht alles.
Ich enttäusche jemanden.
Oder sage etwas Verletztendes.
Alles das passiert. Dir und mir.
Aber das macht mich nicht weniger wertvoll.
Es macht mich auch nicht weniger weise und stark und reich.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
V.
Uns ist viel zu wichtig, wie wir vor den anderen da stehen.
Sicher, auch ich will, dass man mich wahrnimmt und nicht übersieht.
Anerkennung. Wertschätzung.
Das ist wichtig. Lebenswichtig sogar.
Schon der erste Blick der Mutter oder des Vaters, der sagt:
Du bist wunderschön. Du bist großartig. Ich liebe dich.
Aber für diesen Blick musste ich nichts tun,
Weder besonders stark noch weise sein noch reich.
Einfach ich.
Aber weil der liebende Blick da ist, da war,
Konnte ich wachsen und mich entfalten.
Durfte ich klüger werden und stärker
und besondere Fähigkeiten entdecken.
Vieles habe ich mir erarbeitet. Klar.
Aber die Anlage dazu kommt nicht von mir.
Die ist mir geschenkt. In die Wiege gelegt von Gott.
Es genügt, dass ich das sehe, was mir geschenkt ist. Und Gott.
Und die Menschen, die mich lieb haben, die sehen das auch.
Darum muss ich nicht mehr dazu tun.
Und muss nicht perfekt sein.
Und mich dessen schon gar nicht rühmen.
Als ob ich das alles alleine gemacht hätte.
VI.
Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei
und mich kenne, dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr.
Es könnte so entlastend sein.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er schaut mich mit liebenden Augen an,
Und vor ihm muss ich nicht so tun als ob.
Matthäus, der Zöllner, von dem wir vorhin hörten, (2)
Der hat vielleicht gedacht,
dass er nur mit viel Geld und Gerissenheit einen Platz an der Sonne bekommt.
Er hat den Ellenbogenkampf der Gesellschaft perfekt beherrscht.
Doch dann kommt Jesus.
Sieht ihn an. Und nimmt ihn mit.
Einfach so. Ohne zu fragen, ob er auch gut genug ist.
Oder klug genug.
Und dieser Jesus sitzt mit ihm am Tisch und isst und trinkt mit ihm,
Und Matthäus gehört einfach dazu.
Muss sich nicht verstellen.
Kann die Ellenbogen ablegen.
Und der sein, wie ihn Gott geschaffen hat.
Ein wertvoller Mensch.
Der seine Begabungen nicht mehr für sein Prestige braucht
oder für seine Stellung.
Sondern sie für die einsetzt, die ihn brauchen.
VII.
Es könnte so entlastend sein.
Wenn wir einfach ehrlich miteinander sind.
Wenn wir uns nichts mehr vormachen.
Und auch Fehler und Schwächen zeigen.
In der Gemeinde können wir das üben.
Und uns zeigen, wie wir sind.
Weil wir so, wie wir sind, geliebt sind
Vom Herrn, der Barmherzigkeit und Recht und Gerechtigkeit übt.
Und auch da "draußen", in der Welt, brauchen wir das nicht mehr,
Das sich-zur-Schau-stellen und das So-als-ob.
In unseren Partnerschaften und in den Familien.
Auf der Straße. Und am Arbeitsplatz. Und im Supermarkt.
Ja, ich wünsche mir eine fehlerfreundliche Welt.
Dass wir zu unseren Schattenseiten stehen, auch in der Geschichte.
Dass wir keine Schlussstrich-Diskussion brauchen,
sondern dazu stehen, was unsere Vorfahren getan haben.
Ich wünsche mir, dass wir unseren Politikern auch zugestehen,
dass sie Fehler machen dürfen.
Barmherzigkeit auch ihnen gegenüber.
Und allen, die Verantwortung tragen.
Aber ich wünsche mir auch, dass sie nicht so tun,
als ob sie keine Fehler machen würden.
Dass sie zugeben, nicht weiser und stärker und besser zu sein als die anderen.
VIII.
Der Herr, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt,
der weiß, wie ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.
Er macht mich klug und stark und reich an allem, was ich weitergeben kann.
Säbelrasseln,
Gut da stehen,
Andere in Schubladen stecken,
Besser und klüger und stärker sein als die anderen.
Das alles hab ich nicht nötig. Und du nicht.
Denn da ist einer, der schaut mich an. Und dich.
Mit Liebe und Barmherzigkeit.
(1) Danke, Elisabeth Rabe-Winnen, für die Worte zu diesem Abschnitt
(2) Matthäus 9, 9 - 13
Sonntag, 24. Dezember 2017
Risse heilen und zuhause sein
Predigt zu Heiligabend 2017
(zu Hesekiel 37,24-28)
I.
Wohnen will ich bei dir.
Spricht der Ewige.
Und er steht vor meiner Tür.
Ich will bei dir einziehen, sagt er.
Ein Dach über den Kopf.
Ein Bett wäre gut. Mit einer Decke und einem Kissen.
Ich weiß, ich hab dich nicht gefragt.
Und ich sehe dir an, dass du noch nicht weißt, was du davon halten sollst.
Du hast noch das Geschirrtuch in der Hand.
Und schaust etwas überrascht.
Dein Blick schweift durch deine Wohnung.
Aufgeräumt hast du auch nicht.
Aber glaube mir. Das macht nichts.
Ja, ich will bei dir wohnen, sagt er. Heute nacht.
Und nicht nur für ein paar Tage.
Dein ganzes Leben lang und mehr.
Und ich weiß, dass bei dir Platz genug ist.
In deinem Herzen.
II.
Wohnen will ich bei dir.
Ich setze mich an deinen Tisch.
Du holst 2 Gläser und schaust mal eben, was du da hast.
Tee oder Wein. Ach, einfach Wasser tut es auch.
Komm, setz dich und erzähl von dir.
Erzähl mir davon, wie du jeden Tag auf das Geräusch vom Schlüssel gewartet hast.
Früh am Abend.
Dann bist du zur Tür gerannt und hast dich in die Arme von deiner Mutter geworfen.
Endlich war sie wieder zuhause. Nach einen langen Arbeitstag.
Müde sah sie aus. Aber auch glücklich dich zu sehen.
Ich war übrigens dabei. Aber ich glaube, du hast das nicht wirklich gemerkt.
Erzähl mir, wie ihr Sonntags in Barmbek zum Bahnhof gerannt seid,
um zum Onkel nach Othmarschen zu fahren - ans andere Ende der Stadt.
Lachend und außer Atem habt ihr euch in Sitze geschmissen.
Dann die Skatkarten rausgeholt und die 45 Minuten Skat gespielt.
Du, dein Bruder und deine Mutter.
Du hast dich darauf gefreut, viel mehr als auf das Essen beim Onkel.
Fast wie ein Zuhause, diese Bummelstrecke quer durch Hamburg
Ich bin immer mitgefahren. Und bin da übrigens auch gerne.
Erzähl mir davon, dass es dir nicht schnell genug gehen konnte,
von Zuhause wegzuziehen.
Und du hast dich so geschämt deswegen.
Denn es ist doch dein Zuhause gewesen.
Aber irgendwann war es an der Zeit, dass du gehen musstest.
Trotzdem bleibt da dieses „Ich habe etwas verloren-Gefühl“.
Ein haarfeiner Riss in der Seele.
Erzähle mir davon, dass du keine Lust hattest,
wieder in das alte Zuhause in Barmbek zu fahren.
Selbst an Weihnachten nicht.
Es war dir zu eng geworden.
Und in die alte Rolle wolltest du auch nicht mehr schlüpfen.
Und doch:
der Geruch in der Küche, der nach Zimt und Rotkohl und Kaffee,
der machte auch dein Herz wieder warm.
Und ja, erzähle mir davon,
wie du 8 Stunden mit dem Zug durch die Bundesrepublik gefahren bist,
um dich von deiner Mutter zu verabschieden.
Vom Bodensee nach Hamburg.
Die längsten 8 Stunden deines Lebens.
Du wusstest nicht, ob sie noch so lange warten konnte.
Und dann warst du bei ihr. Bruder und Schwester auch.
Und ich war auch da.
Und sie atmete noch
und war doch schon längst auf dem Weg in ein ganz anderes Zuhause.
Ja, sie durfte gehen.
Aber doch ist da was verloren für dich.
Ein Zuhause weniger.
Ein Riss in der Seele mehr.
III.
(Hesekiel 37, 24 - 28:
Mein Knecht David soll ihr König sein
und der einzige Hirte für sie alle.
Und sie sollen wandeln in meinen Rechten
und meine Gebote halten und danach tun.
Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen,
das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe,
in dem eure Väter gewohnt haben.
Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer,
und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.
Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen,
der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein.
Und ich will sie erhalten und mehren,
und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.
Meine Wohnung soll unter ihnen sein,
und ich will ihr Gott sein,
und sie sollen mein Volk sein,
damit auch die Völker erfahren,
dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht,
wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
IV.
Wohnen will ich bei dir,
du mit deinen Rissen in der Seele und der Wärme im Herzen.
Ich komme zu dir und bin einfach da, sagt er.
Da, wo du lebst und liebst, weinst und lachst.
Du bist mein Zuhause. Ein anderes will ich nicht.
Und ich zeichne die Risse in deiner Seele nach und füge sie zusammen.
Sie werden immer sichtbar sein. Sie gehören ja zu dir.
Aber sie tun nur noch manchmal weh.
V.
Meine Wohnung bist du.
Ich wohne dort, wo es Risse gibt und Kratzer.
Und auch wo ein Mensch nicht weiter weiß.
Ich wohne in einem Stall mit lauter Tieren.
Dort komme ich zur Welt.
Bei einer jungen Frau und einem Mann, die im Niemandsland gelandet sind.
Und die flüchten müssen in ein anderes Niemandsland.
Und da sind noch andere dabei, die nichts zu sagen haben.
Die machen einfach nur ihre Arbeit auf dem Feld.
Und die Risse in ihrer Seele haben sie mitgebracht.
Ja, und hier im Stall mit dem Paar und dem Kind und den Tieren,
da spüren sie:
Sie sind mir so wichtig und so lieb, dass ich hier bin und hier wohne.
In diesem Stückchen Leben bin ich.
Im Atem der Tiere, die das Kind wärmen.
Und in der Liebe, die dieses Kind geschaffen hat.
VI.
Wohnen will ich bei dir.
Und dir erzählen von den anderen, wo ich auch wohne.
Von deiner Freundin, die sich von ihrem Mann getrennt hat, weil es nicht mehr ging.
Die Risse in ihrer Seele sind sehr groß.
Von Shawkat, der seine Familie nun kommen lassen kann,
aber dringend eine Wohnung sucht, damit sie auch alle Platz haben.
Und von den verzweifelten Flüchtlingen,
die in Libyen festsitzen und wie Sklaven gehalten werden.
Und wie sie Wärme deines Herzens brauchen.
VII.
Es sind zu viele Risse in der Welt.
Sie gehören geheilt.
Und danach sehnst du dich.
Nach Frieden und Geheilt sein.
Danach, dass alle ein Zuhause haben.
Und dass niemand heimatlos ist, auch nicht im Herzen.
Dieses Kind im Stall macht einen Anfang.
Es bringt die zusammen, die zerrissen sind:
Die Hirten und die Knechte und die Könige. Die Frau und den Mann.
Die Heimatlosen und die Angekommenen.
Ja, in diesem Anfang ist alles da.
Der Frieden, das Heilsein, alles das ist ganz klein da und ganz schwach.
Aber es ist da. Und es geht nicht wieder weg.
Es bleibt. Selbst der Tod kann es nicht vertreiben.
VIII.
Mein Kind.
Ich sitze an deinem Tisch, du hast das Geschirrtuch immer noch in der Hand.
Die Risse in deiner Seele - die betrachten wir beide liebevoll.
Wir zünden für sie eine Kerze an.
Sie feiern mit uns.
Das Heilwerden.
Das Wohnen in der Welt.
Wir sind beide daheim. Gott und Kind Gottes.
In dir sind wir zuhause.
Wir horchen auf den Schlüssel im Schloss,
wir spielen Skat in der Bummelbahn,
wir trauern zusammen.
Und wir wissen, dass das Zuhause da ist, wo die Risse wieder geheilt werden.
Auch heute abend.
Amen.
(zu Hesekiel 37,24-28)
I.
Wohnen will ich bei dir.
Spricht der Ewige.
Und er steht vor meiner Tür.
Ich will bei dir einziehen, sagt er.
Ein Dach über den Kopf.
Ein Bett wäre gut. Mit einer Decke und einem Kissen.
Ich weiß, ich hab dich nicht gefragt.
Und ich sehe dir an, dass du noch nicht weißt, was du davon halten sollst.
Du hast noch das Geschirrtuch in der Hand.
Und schaust etwas überrascht.
Dein Blick schweift durch deine Wohnung.
Aufgeräumt hast du auch nicht.
Aber glaube mir. Das macht nichts.
Ja, ich will bei dir wohnen, sagt er. Heute nacht.
Und nicht nur für ein paar Tage.
Dein ganzes Leben lang und mehr.
Und ich weiß, dass bei dir Platz genug ist.
In deinem Herzen.
II.
Wohnen will ich bei dir.
Ich setze mich an deinen Tisch.
Du holst 2 Gläser und schaust mal eben, was du da hast.
Tee oder Wein. Ach, einfach Wasser tut es auch.
Komm, setz dich und erzähl von dir.
Erzähl mir davon, wie du jeden Tag auf das Geräusch vom Schlüssel gewartet hast.
Früh am Abend.
Dann bist du zur Tür gerannt und hast dich in die Arme von deiner Mutter geworfen.
Endlich war sie wieder zuhause. Nach einen langen Arbeitstag.
Müde sah sie aus. Aber auch glücklich dich zu sehen.
Ich war übrigens dabei. Aber ich glaube, du hast das nicht wirklich gemerkt.
Erzähl mir, wie ihr Sonntags in Barmbek zum Bahnhof gerannt seid,
um zum Onkel nach Othmarschen zu fahren - ans andere Ende der Stadt.
Lachend und außer Atem habt ihr euch in Sitze geschmissen.
Dann die Skatkarten rausgeholt und die 45 Minuten Skat gespielt.
Du, dein Bruder und deine Mutter.
Du hast dich darauf gefreut, viel mehr als auf das Essen beim Onkel.
Fast wie ein Zuhause, diese Bummelstrecke quer durch Hamburg
Ich bin immer mitgefahren. Und bin da übrigens auch gerne.
Erzähl mir davon, dass es dir nicht schnell genug gehen konnte,
von Zuhause wegzuziehen.
Und du hast dich so geschämt deswegen.
Denn es ist doch dein Zuhause gewesen.
Aber irgendwann war es an der Zeit, dass du gehen musstest.
Trotzdem bleibt da dieses „Ich habe etwas verloren-Gefühl“.
Ein haarfeiner Riss in der Seele.
Erzähle mir davon, dass du keine Lust hattest,
wieder in das alte Zuhause in Barmbek zu fahren.
Selbst an Weihnachten nicht.
Es war dir zu eng geworden.
Und in die alte Rolle wolltest du auch nicht mehr schlüpfen.
Und doch:
der Geruch in der Küche, der nach Zimt und Rotkohl und Kaffee,
der machte auch dein Herz wieder warm.
Und ja, erzähle mir davon,
wie du 8 Stunden mit dem Zug durch die Bundesrepublik gefahren bist,
um dich von deiner Mutter zu verabschieden.
Vom Bodensee nach Hamburg.
Die längsten 8 Stunden deines Lebens.
Du wusstest nicht, ob sie noch so lange warten konnte.
Und dann warst du bei ihr. Bruder und Schwester auch.
Und ich war auch da.
Und sie atmete noch
und war doch schon längst auf dem Weg in ein ganz anderes Zuhause.
Ja, sie durfte gehen.
Aber doch ist da was verloren für dich.
Ein Zuhause weniger.
Ein Riss in der Seele mehr.
III.
(Hesekiel 37, 24 - 28:
Mein Knecht David soll ihr König sein
und der einzige Hirte für sie alle.
Und sie sollen wandeln in meinen Rechten
und meine Gebote halten und danach tun.
Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen,
das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe,
in dem eure Väter gewohnt haben.
Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer,
und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.
Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen,
der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein.
Und ich will sie erhalten und mehren,
und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.
Meine Wohnung soll unter ihnen sein,
und ich will ihr Gott sein,
und sie sollen mein Volk sein,
damit auch die Völker erfahren,
dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht,
wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
IV.
Wohnen will ich bei dir,
du mit deinen Rissen in der Seele und der Wärme im Herzen.
Ich komme zu dir und bin einfach da, sagt er.
Da, wo du lebst und liebst, weinst und lachst.
Du bist mein Zuhause. Ein anderes will ich nicht.
Und ich zeichne die Risse in deiner Seele nach und füge sie zusammen.
Sie werden immer sichtbar sein. Sie gehören ja zu dir.
Aber sie tun nur noch manchmal weh.
V.
Meine Wohnung bist du.
Ich wohne dort, wo es Risse gibt und Kratzer.
Und auch wo ein Mensch nicht weiter weiß.
Ich wohne in einem Stall mit lauter Tieren.
Dort komme ich zur Welt.
Bei einer jungen Frau und einem Mann, die im Niemandsland gelandet sind.
Und die flüchten müssen in ein anderes Niemandsland.
Und da sind noch andere dabei, die nichts zu sagen haben.
Die machen einfach nur ihre Arbeit auf dem Feld.
Und die Risse in ihrer Seele haben sie mitgebracht.
Ja, und hier im Stall mit dem Paar und dem Kind und den Tieren,
da spüren sie:
Sie sind mir so wichtig und so lieb, dass ich hier bin und hier wohne.
In diesem Stückchen Leben bin ich.
Im Atem der Tiere, die das Kind wärmen.
Und in der Liebe, die dieses Kind geschaffen hat.
VI.
Wohnen will ich bei dir.
Und dir erzählen von den anderen, wo ich auch wohne.
Von deiner Freundin, die sich von ihrem Mann getrennt hat, weil es nicht mehr ging.
Die Risse in ihrer Seele sind sehr groß.
Von Shawkat, der seine Familie nun kommen lassen kann,
aber dringend eine Wohnung sucht, damit sie auch alle Platz haben.
Und von den verzweifelten Flüchtlingen,
die in Libyen festsitzen und wie Sklaven gehalten werden.
Und wie sie Wärme deines Herzens brauchen.
VII.
Es sind zu viele Risse in der Welt.
Sie gehören geheilt.
Und danach sehnst du dich.
Nach Frieden und Geheilt sein.
Danach, dass alle ein Zuhause haben.
Und dass niemand heimatlos ist, auch nicht im Herzen.
Dieses Kind im Stall macht einen Anfang.
Es bringt die zusammen, die zerrissen sind:
Die Hirten und die Knechte und die Könige. Die Frau und den Mann.
Die Heimatlosen und die Angekommenen.
Ja, in diesem Anfang ist alles da.
Der Frieden, das Heilsein, alles das ist ganz klein da und ganz schwach.
Aber es ist da. Und es geht nicht wieder weg.
Es bleibt. Selbst der Tod kann es nicht vertreiben.
VIII.
Mein Kind.
Ich sitze an deinem Tisch, du hast das Geschirrtuch immer noch in der Hand.
Die Risse in deiner Seele - die betrachten wir beide liebevoll.
Wir zünden für sie eine Kerze an.
Sie feiern mit uns.
Das Heilwerden.
Das Wohnen in der Welt.
Wir sind beide daheim. Gott und Kind Gottes.
In dir sind wir zuhause.
Wir horchen auf den Schlüssel im Schloss,
wir spielen Skat in der Bummelbahn,
wir trauern zusammen.
Und wir wissen, dass das Zuhause da ist, wo die Risse wieder geheilt werden.
Auch heute abend.
Amen.
Mittwoch, 29. November 2017
Kirche muss unterbrechen
Rede im Haus der Begegnung, Ulm (27.11.2017)
(auf Einladung der Verantwortlichen für dieses Haus habe ich diesen Vortrag gehalten im Rahmen eines Symposions, das die Überlegungen zum Umbau des Hauses begleiten soll. Für mich war das ein willkommener Anlass über die Aufgabe des Unterbrechens nachzudenken. Ich bin damit noch lange nicht fertig...)
1.
Unterbrechen - das ist die Aufgabe der Kirche.
Unterbrechen.
Mehr nicht?
Ich finde das schon sehr viel.
Wenn wir es ernstnehmen. Und damit ernst machen.
Unterbrechen als Aufgabe der Kirche -
auf diese Idee hat mich mein Landesbischof gebracht.
Mit einer Bibelarbeit zu einer Szene, von der nicht ganz klar ist,
ob sie ursprünglich zum Johannesevangelium gehörte oder nicht,
die dennoch aber nicht mehr wegzudenken ist.
Es geht um Jesus und die Ehebrecherin.
Sie befindet sich im 8.Kapitel:
Jesus befindet sich im Tempel und lehrt.
Aufgebracht bringt eine Gruppe von Schriftgelehrten und Pharisäern eine Frau mit,
ich vermute mal, dass sie nicht freiwillig mitgekommen ist.
Sie bauen sich vor Jesus auf und sagen:
diese Frau hat Ehebruch begangen.
Nach dem Gesetz muss sie gesteinigt werden. Was sagst du?
Jesus bückt sich und schreibt mit dem Finger auf die Erde.
Die zornigen Männer reden weiter auf ihn ein.
Er richtet sich auf und spricht dann den berühmten Satz:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
Dann bückt er sich wieder, schreibt weiter auf die Erde.
Die aufgebrachte Menge geht weg.
Zurück bleiben Jesus und die Frau.
Er richtet sich wieder auf,
fragt, wo die anderen sind und ob einer sie verdammt habe.
Sie verneint.
Und Jesus sagt: dann verdamme ich dich auch nicht.
Geh und sündige nicht mehr.
2.
Jesus unterbricht.
Mitten in der sehr aufgeheizten Stimmung
bückt er sich nieder und schreibt und schweigt.
Eigentlich kann Jesus gar keine richtige Antwort geben.
Er kann nur falsch antworten.
Sagt er: nein, die Frau soll nicht gesteinigt werden,
stellt er sich auf die Seite von Gesetzesbrechern.
Sagt er: ja, sie soll gesteinigt werden,
widerspricht er allem, was er bis dahin gepredigt und gelebt hat.
Jesus sitzt zwischen allen Stühlen.
Und unterbricht.
Er geht nicht einfach weg, taucht nicht einfach ab.
Aber er gibt die Mitte frei, indem er sich bückt.
Dadurch sehen sich die Aufgebrachten auf einmal in die Augen.
Und eine Pause entsteht.
Eine Pause zum Nachdenken.
Durchdenken. Atmen. Und weiterdenken.
Tun die Aufgebrachten das? Nachdenken?
Vielleicht noch nicht sofort.
Vermutlich sind sie erstmal nur perplex. Und überrascht.
Doch Jesus nutzt die entstandene Pause für einen einzigen Satz.
Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.
Er spielt den Ball zurück.
Die Umstehenden sollen sich nicht nur gegenseitig sehen,
sondern auch auf sich selbst.
Die berühmten 3 Finger, die zurückweisen,
wenn ich mit dem Finger auf andere zeige.
Jesus nötigt die Aufgebrachten zum Wechsel der Perspektive.
Ihr seid aufgebracht.
Ihr seht nur noch schwarz oder weiß
und merkt zugleich, dass das der Wirklichkeit nicht gerecht wird.
Nun sucht ihr eine einfache Antwort.
Schaut einmal mit anderen Augen auf die Sache.
Und dann merkt ihr: es gibt keine einfache Antwort.
Und dann unterbricht Jesus nochmal.
Bückt sich wieder herunter und schreibt und schweigt weiter.
Die Mitte ist wieder frei.
Raum zum Nachdenken und Weiterdenken.
Doch diesmal kommt Bewegung in die Sache.
Die aufgebrachten Männer merken,
dass sie gefangen waren im Schwarz-oder-Weiß,
im Richtig-oder-Falsch -
und Hauptsache, wir machen alles richtig
und lassen uns nichts zu schulden kommen.
In diesem ganzen waren sie so gefangen,
dass sie das Mensch sein vergessen hatten.
Auch ihr eigenes Mensch sein.
Das ist nämlich genauso wenig sündenfrei wie das der Ehebrecherin.
Ja, Jesus hat Raum geschaffen durch seine Unterbrechung.
Und es kam Bewegung in die Sache.
Heilsame Bewegung.
Denn auch die Ehebrecherin kann einen neuen Weg gehen.
3.
Unterbrechung - die brauchen wir.
Nötiger denn je.
Arbeiten, Termine, Besprechungen.
Nachrichten rund um die Uhr und aus allen Ecken der Welt.
Terroranschläge. Vulkanausbrüche. Überschwemmungen.
Dax-Kurs. Aktien. Flüchtlinge im Mittelmeer. Scheiternde Koalitionsverhandlngen.
An Sonntagen besondere Verkaufsaktionen. Black Friday auch in Deutschland.
Mails und WhatsApp und ein dringender Gesprächstermin.
Perfekt wollen wir sein. Keine Fehler machen.
Und wir als Kirche machen da mit.
Ich auch.
Die Verwaltung meines Kirchenbezirks ist hoffnungslos überlastet.
Die Pfarrer und Pfarrerinnen
und Gemeindediakone und -diakoninnen
wissen nicht mehr, wie sie ihre Arbeit bewältigen sollen.
Und wir spiegeln damit nur wieder,
wie es den meisten Menschen in Deutschland geht.
Ich kenne eigentlich kaum jemanden,
der - wenn er eine Arbeit hat - nicht mehr hinterher kommt.
Die einzigen Unterbrechungen, die wir uns erlauben, sind Urlaub
oder Krankheit.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Populismus ist das Schüren von Ängsten.
Ein Horrorszenario wird ans andere gereiht.
So bleibt die Luft weg.
Und man meint, einfachen Parolen hinterherrennen zu können.
Fake-News nähren die Angst.
Die Like-Klicks und Clickbaits feuern noch zusätzlich an.
Das Karussell des Populismus dreht sich immer schneller.
Und die, die nicht mitmachen, stehen hilflos vor diesem Karussell
und wissen nicht, wie sie es stoppen können.
Wer weiß es schon wirklich?
Auslachen? Ein Mahnmal im Nachbargarten eines Höcke aufbauen?
Mit Rechten reden? Ignorieren? Ernstnehmen?
Alles das kursiert in den Köpfen derer,
die dem Populismus, besonders dem Rechtspopulismus nicht auf den Leim gehen.
Sie möchten dem Rad in die Speichen greifen (Bonhoeffer),
das Karussell anhalten.
Aber es macht auch sie schwindlig.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Pforzheim, wo ich lebe, hat ein enormes Haushaltsdefizit.
Die Gemeinderäte wissen nicht, wie sie es bewältigen können.
Es gibt einen neuen Oberbürgermeister.
Gewählt von vielen, die Pforzheim vor allem als bürgerliche Stadt sehen.
Und so sind die ersten Maßnahmen für Ordnung und Sicherheit da
und für 30 Minuten freies Parken in der Innenstadt.
Dafür wurde er gewählt.
Aber was ist mit den Kindern, die unter Armut leiden?
Über 20% sollen es in Pforzheim sein.
Ja, und der Gedenktag für die Zerstörung der Stadt am Ende des 2.Weltkriegs
soll wieder still werden.
Kein Protest gegen die Instrumentalisierung,
die durch Rechtsextreme auf dem Wartberg stattfindet,
soll die Ruhe stören.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Nötiger denn je.
.... (Jazz-Musik)
4.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Den Raum zum Nachdenken und Weiterdenken.
Den Blickwechsel zwischen denen auf der anderen Seite und mir.
Wir brauchen einen Freiraum,
der entsteht, weil einer in den Sand schreibt.
Der uns eine Pause verschafft
und uns irritiert
und fragend stehen lässt.
Ja, stehen und mal nicht rennen.
Oder meinetwegen auch mal aufs Sofa setzen.
Auf jeden Fall Halt machen.
Stopp. Still sein. Nachdenken.
Steine weglegen.
Neue Wege denken. Neues schmecken. Neues malen.
Neues schreiben.
Oder sogar das Neue unterbrechen.
Gott ist die Unterbrechung.
Er unterbricht die Woche am 7.Tag
und hält das Meer auf, damit es die Israeliten in Ruhe lässt.
Er zieht dem Mose die Schuhe aus
und hält ihn eine halbe Ewigkeit auf dem Sinai fest,
damit er die 10 Gebote in Stein hauen kann.
Gott begegnet dem Elia als sanftes Säuseln
und durchbricht damit den Lärm.
Gott kommt als ein Kind in den Stall
und unterbricht die Nacht.
Ein junges lediges schwangeres Mädchen singt von der großen Unterbrechung des Lebens.
Und ihr Sohn wird die Barmherzigen und Traurigen und Sanftmütigen selig preisen -
ausgerechnet die.
Ja, ein leidender, mitleidender Gott...
Er -
Tritt an die Seite der Gebrochenen.
Und lässt seine Liebe gewinnen.
Gott ist die Unterbrechung.
Er unterbricht alles, was Menschen bricht,
und schafft neue Räume und Dimensionen und Wege.
5.
Ich will, dass wir uns davon inspirieren lassen.
Dass wir es wie Jesus machen und -
- unterbrechen.
Was könnte dann geschehen?
Wenn wir uns und andere unterbrechen und uns unterbrechen lassen?
Das sind keine rhetorischen Fragen, auf die ich schon längst eine Antwort habe.
Diese Fragen unterbrechen mich selber in meinen Selbstverständlichkeiten
und ich würde gerne darüber mit Ihnen nachdenken.
Und nicht sofort daran denken müssen,
ob das vernünftig, effektiv, zukunftsweisend oder theologisch richtig ist.
Und ob es gut für Ihre Überlegungen für das Haus der Begegnung ist.
6.
Denken wir doch gemeinsam darüber nach:
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Und uns unterbrechen lassen?
Wenn wir also tun, was Jesus tut.
Vielleicht wären wir dann nicht mehr so perfekt, aber menschlicher.
Wir würden auch unseren Schwächen und Fehlern ihren Raum geben,
weil sie zu uns gehören und uns so unverwechselbar machen.
Und wir würden endlich Gottes Gnade ernstnehmen.
Vielleicht würden wir uns mehr und ernsthafter mit Modellen beschäftigen,
die die Arbeit menschenfreundlicher gestalten
und in denen niemand sich verbiegen muss, um anderen zu gefallen.
Und wir könnten diese Modelle ausprobieren - gerade in der Kirche.
Und davon dürfen auch einige scheitern.
Oder wir würden einfach nur nichts tun.
Einen Raum mit Sand befüllen, uns hinhocken und in diesen Sand schreiben.
Worte, die mit einer Handbewegung weggewischt werden
und dennoch wichtig sind.
....
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Vielleicht würden wir Räume schaffen für die Opfer von Populismus und Gewalt.
Die Fremden, die Aufrechten, die Widerständigen, die Andersgläubigen.
Für sie.
Wir würden sie beherbergen, ihnen zuhören
und sie ins Zentrum rücken und nicht die Täter.
Und wir würden eine sehr bunte Gegenwelt erdenken -
eine Gegenwelt zu den ganzen Horrorszenarien,
säkulare Zukunftsforscher einladen
und darüber nachdenken,
wie wir diese Gegenwelt Wirklichkeit werden lassen.
In dieser Welt wäre Platz für all die Sinners and Saints (Nadia Bolz-Weber),
die wir sonst so leicht ausschließen und mit Steinen bewerfen.
....
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Vielleicht würden wir aufhören, uns in unserer bürgerlichen Nische wohlzufühlen.
Vielleicht wären Sicherheit und Ordnung nicht mehr so wichtig,
aber stattdessen Kreativität und Phantasie und durchaus auch mal etwas Chaos.
Die Steine aus der Hand legen.
Und dafür bunte Papierflieger in die Hand nehmen oder Graffitispraydosen.
Mal Rapper und Punker zu Wort kommen lassen, auch hier.
Und statt eines entweder-oder ein Und proklamieren -
und wenigstens in unseren kirchlichen Räumen das auch leben.
Kann sein, dass wir dann noch lauter und unbequemer werden
für die, die sich nicht stören lassen wollen.
Und wir nennen das, was unrecht ist und den Frieden kaputt macht, beim Namen.
Wahrscheinlich würden wir damit auch einige verärgern, bestimmt sogar viele.
Aber vielleicht muss das dann so sein?
Vielleicht?
....
7.
Vielleicht ist das alles auch gar nicht so neu.
Nein, ist es nicht.
Mir fallen viele heilsame Unterbrechungen ein, die es schon gibt:
die Atelierkirchen zum Beispiel.
Oder das House of One in Berlin
oder in Pforzheim das Sonntagscafé mit Flüchtlingen und Studierenden,
die jetzt anfangen, zusammen Musik zu machen.
Das ist nicht alles neu.
Aber bisher sind es nur (nur?) Nischen der Unterbrechung.
Wichtig, ermutigend, inspirierend.
Wie können wir diese Nischen öffnen?
Oder muss vielleicht noch nicht mal das sein?
Jede Unterbrechung ordnet die Wirklichkeit neu.
Wenn der Raum zum Nachdenken und Weiterdenken größer wird
und den Blick freigibt auf die anderen und auf mich.
Und das möchte ich ermöglichen -
und ich möchte, dass meine Kirche das ermöglicht.
Ich möchte, dass meine Kirche unterbricht.
Mich. Die Aufgebrachten. Die Bequemen. Die Ängstlichen.
Und ganz besonders die, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben
und damit andere klein machen.
Ja, auch die soll meine Kirche unterbrechen.
8.
Ich will, dass wir unterbrechen.
Ordnen wir die Wirklichkeit neu.
Unterbrechen wir, wo es nur noch schwarz oder weiß gibt.
Ja oder nein. Oder gut und böse.
Unterbrechen wir,
wo unterschieden wird zwischen „die gehören dazu“ und „die nicht“.
Greifen wir dem Rad in die Speichen, wo Menschen ausgeschlossen werden.
Fragen wir, wo die Antworten allzu schnell kommen
und keine Rücksicht auf Minderheiten nehmen.
Fragen wir - denn auch das ist Unterbrechung.
Unterbrechen wir, indem wir auch mal unhöflich sind
und bei allzu geschliffenen Sätzen lachen.
Sagen wir laut, dass der Kaiser nackt ist und keine Kleider anhat,
auch wenn er es behauptet.
Und unterbrechen wir die Spirale des „Das ist nun mal so“
oder des „Das geht nicht anders“.
Es geht fast immer anders.
(und dieses Anders darf auch Spaß machen)
Wir brauchen die Unterbrechung.
Wir brauchen den freien Raum.
Und wir brauchen einen, der sich bückt
und in den Sand schreibt.
Der unseren Blick auf die Welt verändert,
uns mit in die Welt nimmt
und die Steine aus der Hand.
Und darum unterbreche ich nun zum letzten Mal meine Rede.
Sie hat genug Worte und ist noch lange nicht zu Ende.
Aber denken wir doch nun gemeinsam darüber nach:
Was könnte geschehen, wenn wir es wie Jesus machen:
Wir unterbrechen und wir lassen uns unterbrechen. Was dann?
(auf Einladung der Verantwortlichen für dieses Haus habe ich diesen Vortrag gehalten im Rahmen eines Symposions, das die Überlegungen zum Umbau des Hauses begleiten soll. Für mich war das ein willkommener Anlass über die Aufgabe des Unterbrechens nachzudenken. Ich bin damit noch lange nicht fertig...)
1.
Unterbrechen - das ist die Aufgabe der Kirche.
Unterbrechen.
Mehr nicht?
Ich finde das schon sehr viel.
Wenn wir es ernstnehmen. Und damit ernst machen.
Unterbrechen als Aufgabe der Kirche -
auf diese Idee hat mich mein Landesbischof gebracht.
Mit einer Bibelarbeit zu einer Szene, von der nicht ganz klar ist,
ob sie ursprünglich zum Johannesevangelium gehörte oder nicht,
die dennoch aber nicht mehr wegzudenken ist.
Es geht um Jesus und die Ehebrecherin.
Sie befindet sich im 8.Kapitel:
Jesus befindet sich im Tempel und lehrt.
Aufgebracht bringt eine Gruppe von Schriftgelehrten und Pharisäern eine Frau mit,
ich vermute mal, dass sie nicht freiwillig mitgekommen ist.
Sie bauen sich vor Jesus auf und sagen:
diese Frau hat Ehebruch begangen.
Nach dem Gesetz muss sie gesteinigt werden. Was sagst du?
Jesus bückt sich und schreibt mit dem Finger auf die Erde.
Die zornigen Männer reden weiter auf ihn ein.
Er richtet sich auf und spricht dann den berühmten Satz:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
Dann bückt er sich wieder, schreibt weiter auf die Erde.
Die aufgebrachte Menge geht weg.
Zurück bleiben Jesus und die Frau.
Er richtet sich wieder auf,
fragt, wo die anderen sind und ob einer sie verdammt habe.
Sie verneint.
Und Jesus sagt: dann verdamme ich dich auch nicht.
Geh und sündige nicht mehr.
2.
Jesus unterbricht.
Mitten in der sehr aufgeheizten Stimmung
bückt er sich nieder und schreibt und schweigt.
Eigentlich kann Jesus gar keine richtige Antwort geben.
Er kann nur falsch antworten.
Sagt er: nein, die Frau soll nicht gesteinigt werden,
stellt er sich auf die Seite von Gesetzesbrechern.
Sagt er: ja, sie soll gesteinigt werden,
widerspricht er allem, was er bis dahin gepredigt und gelebt hat.
Jesus sitzt zwischen allen Stühlen.
Und unterbricht.
Er geht nicht einfach weg, taucht nicht einfach ab.
Aber er gibt die Mitte frei, indem er sich bückt.
Dadurch sehen sich die Aufgebrachten auf einmal in die Augen.
Und eine Pause entsteht.
Eine Pause zum Nachdenken.
Durchdenken. Atmen. Und weiterdenken.
Tun die Aufgebrachten das? Nachdenken?
Vielleicht noch nicht sofort.
Vermutlich sind sie erstmal nur perplex. Und überrascht.
Doch Jesus nutzt die entstandene Pause für einen einzigen Satz.
Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.
Er spielt den Ball zurück.
Die Umstehenden sollen sich nicht nur gegenseitig sehen,
sondern auch auf sich selbst.
Die berühmten 3 Finger, die zurückweisen,
wenn ich mit dem Finger auf andere zeige.
Jesus nötigt die Aufgebrachten zum Wechsel der Perspektive.
Ihr seid aufgebracht.
Ihr seht nur noch schwarz oder weiß
und merkt zugleich, dass das der Wirklichkeit nicht gerecht wird.
Nun sucht ihr eine einfache Antwort.
Schaut einmal mit anderen Augen auf die Sache.
Und dann merkt ihr: es gibt keine einfache Antwort.
Und dann unterbricht Jesus nochmal.
Bückt sich wieder herunter und schreibt und schweigt weiter.
Die Mitte ist wieder frei.
Raum zum Nachdenken und Weiterdenken.
Doch diesmal kommt Bewegung in die Sache.
Die aufgebrachten Männer merken,
dass sie gefangen waren im Schwarz-oder-Weiß,
im Richtig-oder-Falsch -
und Hauptsache, wir machen alles richtig
und lassen uns nichts zu schulden kommen.
In diesem ganzen waren sie so gefangen,
dass sie das Mensch sein vergessen hatten.
Auch ihr eigenes Mensch sein.
Das ist nämlich genauso wenig sündenfrei wie das der Ehebrecherin.
Ja, Jesus hat Raum geschaffen durch seine Unterbrechung.
Und es kam Bewegung in die Sache.
Heilsame Bewegung.
Denn auch die Ehebrecherin kann einen neuen Weg gehen.
3.
Unterbrechung - die brauchen wir.
Nötiger denn je.
Arbeiten, Termine, Besprechungen.
Nachrichten rund um die Uhr und aus allen Ecken der Welt.
Terroranschläge. Vulkanausbrüche. Überschwemmungen.
Dax-Kurs. Aktien. Flüchtlinge im Mittelmeer. Scheiternde Koalitionsverhandlngen.
An Sonntagen besondere Verkaufsaktionen. Black Friday auch in Deutschland.
Mails und WhatsApp und ein dringender Gesprächstermin.
Perfekt wollen wir sein. Keine Fehler machen.
Und wir als Kirche machen da mit.
Ich auch.
Die Verwaltung meines Kirchenbezirks ist hoffnungslos überlastet.
Die Pfarrer und Pfarrerinnen
und Gemeindediakone und -diakoninnen
wissen nicht mehr, wie sie ihre Arbeit bewältigen sollen.
Und wir spiegeln damit nur wieder,
wie es den meisten Menschen in Deutschland geht.
Ich kenne eigentlich kaum jemanden,
der - wenn er eine Arbeit hat - nicht mehr hinterher kommt.
Die einzigen Unterbrechungen, die wir uns erlauben, sind Urlaub
oder Krankheit.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Populismus ist das Schüren von Ängsten.
Ein Horrorszenario wird ans andere gereiht.
So bleibt die Luft weg.
Und man meint, einfachen Parolen hinterherrennen zu können.
Fake-News nähren die Angst.
Die Like-Klicks und Clickbaits feuern noch zusätzlich an.
Das Karussell des Populismus dreht sich immer schneller.
Und die, die nicht mitmachen, stehen hilflos vor diesem Karussell
und wissen nicht, wie sie es stoppen können.
Wer weiß es schon wirklich?
Auslachen? Ein Mahnmal im Nachbargarten eines Höcke aufbauen?
Mit Rechten reden? Ignorieren? Ernstnehmen?
Alles das kursiert in den Köpfen derer,
die dem Populismus, besonders dem Rechtspopulismus nicht auf den Leim gehen.
Sie möchten dem Rad in die Speichen greifen (Bonhoeffer),
das Karussell anhalten.
Aber es macht auch sie schwindlig.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Pforzheim, wo ich lebe, hat ein enormes Haushaltsdefizit.
Die Gemeinderäte wissen nicht, wie sie es bewältigen können.
Es gibt einen neuen Oberbürgermeister.
Gewählt von vielen, die Pforzheim vor allem als bürgerliche Stadt sehen.
Und so sind die ersten Maßnahmen für Ordnung und Sicherheit da
und für 30 Minuten freies Parken in der Innenstadt.
Dafür wurde er gewählt.
Aber was ist mit den Kindern, die unter Armut leiden?
Über 20% sollen es in Pforzheim sein.
Ja, und der Gedenktag für die Zerstörung der Stadt am Ende des 2.Weltkriegs
soll wieder still werden.
Kein Protest gegen die Instrumentalisierung,
die durch Rechtsextreme auf dem Wartberg stattfindet,
soll die Ruhe stören.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Nötiger denn je.
.... (Jazz-Musik)
4.
Wir brauchen die Unterbrechung.
Den Raum zum Nachdenken und Weiterdenken.
Den Blickwechsel zwischen denen auf der anderen Seite und mir.
Wir brauchen einen Freiraum,
der entsteht, weil einer in den Sand schreibt.
Der uns eine Pause verschafft
und uns irritiert
und fragend stehen lässt.
Ja, stehen und mal nicht rennen.
Oder meinetwegen auch mal aufs Sofa setzen.
Auf jeden Fall Halt machen.
Stopp. Still sein. Nachdenken.
Steine weglegen.
Neue Wege denken. Neues schmecken. Neues malen.
Neues schreiben.
Oder sogar das Neue unterbrechen.
Gott ist die Unterbrechung.
Er unterbricht die Woche am 7.Tag
und hält das Meer auf, damit es die Israeliten in Ruhe lässt.
Er zieht dem Mose die Schuhe aus
und hält ihn eine halbe Ewigkeit auf dem Sinai fest,
damit er die 10 Gebote in Stein hauen kann.
Gott begegnet dem Elia als sanftes Säuseln
und durchbricht damit den Lärm.
Gott kommt als ein Kind in den Stall
und unterbricht die Nacht.
Ein junges lediges schwangeres Mädchen singt von der großen Unterbrechung des Lebens.
Und ihr Sohn wird die Barmherzigen und Traurigen und Sanftmütigen selig preisen -
ausgerechnet die.
Ja, ein leidender, mitleidender Gott...
Er -
Tritt an die Seite der Gebrochenen.
Und lässt seine Liebe gewinnen.
Gott ist die Unterbrechung.
Er unterbricht alles, was Menschen bricht,
und schafft neue Räume und Dimensionen und Wege.
5.
Ich will, dass wir uns davon inspirieren lassen.
Dass wir es wie Jesus machen und -
- unterbrechen.
Was könnte dann geschehen?
Wenn wir uns und andere unterbrechen und uns unterbrechen lassen?
Das sind keine rhetorischen Fragen, auf die ich schon längst eine Antwort habe.
Diese Fragen unterbrechen mich selber in meinen Selbstverständlichkeiten
und ich würde gerne darüber mit Ihnen nachdenken.
Und nicht sofort daran denken müssen,
ob das vernünftig, effektiv, zukunftsweisend oder theologisch richtig ist.
Und ob es gut für Ihre Überlegungen für das Haus der Begegnung ist.
6.
Denken wir doch gemeinsam darüber nach:
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Und uns unterbrechen lassen?
Wenn wir also tun, was Jesus tut.
Vielleicht wären wir dann nicht mehr so perfekt, aber menschlicher.
Wir würden auch unseren Schwächen und Fehlern ihren Raum geben,
weil sie zu uns gehören und uns so unverwechselbar machen.
Und wir würden endlich Gottes Gnade ernstnehmen.
Vielleicht würden wir uns mehr und ernsthafter mit Modellen beschäftigen,
die die Arbeit menschenfreundlicher gestalten
und in denen niemand sich verbiegen muss, um anderen zu gefallen.
Und wir könnten diese Modelle ausprobieren - gerade in der Kirche.
Und davon dürfen auch einige scheitern.
Oder wir würden einfach nur nichts tun.
Einen Raum mit Sand befüllen, uns hinhocken und in diesen Sand schreiben.
Worte, die mit einer Handbewegung weggewischt werden
und dennoch wichtig sind.
....
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Vielleicht würden wir Räume schaffen für die Opfer von Populismus und Gewalt.
Die Fremden, die Aufrechten, die Widerständigen, die Andersgläubigen.
Für sie.
Wir würden sie beherbergen, ihnen zuhören
und sie ins Zentrum rücken und nicht die Täter.
Und wir würden eine sehr bunte Gegenwelt erdenken -
eine Gegenwelt zu den ganzen Horrorszenarien,
säkulare Zukunftsforscher einladen
und darüber nachdenken,
wie wir diese Gegenwelt Wirklichkeit werden lassen.
In dieser Welt wäre Platz für all die Sinners and Saints (Nadia Bolz-Weber),
die wir sonst so leicht ausschließen und mit Steinen bewerfen.
....
Was könnte geschehen, wenn wir unterbrechen?
Vielleicht würden wir aufhören, uns in unserer bürgerlichen Nische wohlzufühlen.
Vielleicht wären Sicherheit und Ordnung nicht mehr so wichtig,
aber stattdessen Kreativität und Phantasie und durchaus auch mal etwas Chaos.
Die Steine aus der Hand legen.
Und dafür bunte Papierflieger in die Hand nehmen oder Graffitispraydosen.
Mal Rapper und Punker zu Wort kommen lassen, auch hier.
Und statt eines entweder-oder ein Und proklamieren -
und wenigstens in unseren kirchlichen Räumen das auch leben.
Kann sein, dass wir dann noch lauter und unbequemer werden
für die, die sich nicht stören lassen wollen.
Und wir nennen das, was unrecht ist und den Frieden kaputt macht, beim Namen.
Wahrscheinlich würden wir damit auch einige verärgern, bestimmt sogar viele.
Aber vielleicht muss das dann so sein?
Vielleicht?
....
7.
Vielleicht ist das alles auch gar nicht so neu.
Nein, ist es nicht.
Mir fallen viele heilsame Unterbrechungen ein, die es schon gibt:
die Atelierkirchen zum Beispiel.
Oder das House of One in Berlin
oder in Pforzheim das Sonntagscafé mit Flüchtlingen und Studierenden,
die jetzt anfangen, zusammen Musik zu machen.
Das ist nicht alles neu.
Aber bisher sind es nur (nur?) Nischen der Unterbrechung.
Wichtig, ermutigend, inspirierend.
Wie können wir diese Nischen öffnen?
Oder muss vielleicht noch nicht mal das sein?
Jede Unterbrechung ordnet die Wirklichkeit neu.
Wenn der Raum zum Nachdenken und Weiterdenken größer wird
und den Blick freigibt auf die anderen und auf mich.
Und das möchte ich ermöglichen -
und ich möchte, dass meine Kirche das ermöglicht.
Ich möchte, dass meine Kirche unterbricht.
Mich. Die Aufgebrachten. Die Bequemen. Die Ängstlichen.
Und ganz besonders die, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben
und damit andere klein machen.
Ja, auch die soll meine Kirche unterbrechen.
8.
Ich will, dass wir unterbrechen.
Ordnen wir die Wirklichkeit neu.
Unterbrechen wir, wo es nur noch schwarz oder weiß gibt.
Ja oder nein. Oder gut und böse.
Unterbrechen wir,
wo unterschieden wird zwischen „die gehören dazu“ und „die nicht“.
Greifen wir dem Rad in die Speichen, wo Menschen ausgeschlossen werden.
Fragen wir, wo die Antworten allzu schnell kommen
und keine Rücksicht auf Minderheiten nehmen.
Fragen wir - denn auch das ist Unterbrechung.
Unterbrechen wir, indem wir auch mal unhöflich sind
und bei allzu geschliffenen Sätzen lachen.
Sagen wir laut, dass der Kaiser nackt ist und keine Kleider anhat,
auch wenn er es behauptet.
Und unterbrechen wir die Spirale des „Das ist nun mal so“
oder des „Das geht nicht anders“.
Es geht fast immer anders.
(und dieses Anders darf auch Spaß machen)
Wir brauchen die Unterbrechung.
Wir brauchen den freien Raum.
Und wir brauchen einen, der sich bückt
und in den Sand schreibt.
Der unseren Blick auf die Welt verändert,
uns mit in die Welt nimmt
und die Steine aus der Hand.
Und darum unterbreche ich nun zum letzten Mal meine Rede.
Sie hat genug Worte und ist noch lange nicht zu Ende.
Aber denken wir doch nun gemeinsam darüber nach:
Was könnte geschehen, wenn wir es wie Jesus machen:
Wir unterbrechen und wir lassen uns unterbrechen. Was dann?
Sonntag, 19. November 2017
Ausbrechen aus dem "Ich kann nicht anders"
Von einem mutigen Mädchen, einem ehrlichen Wissenschaftler und einem klugen Verwalter
Predigt zu Lukas 16,1-8 - gehalten am 19.11.2017 in Mühlhausen
Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter;
der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.
Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm:
Was höre ich da von dir?
Gib Rechenschaft über deine Verwaltung;
denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
Da sprach der Verwalter bei sich selbst:
Was soll ich tun?
Mein Herr nimmt mir das Amt;
graben kann ich nicht,
auch schäme ich mich zu betteln.
Ich weiß, was ich tun will,
damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen,
wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich,
und sprach zu dem ersten:
Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Der sprach: Hundert Fass Öl.
Und er sprach zu ihm:
Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
Danach sprach er zu dem zweiten:
Du aber, wie viel bist du schuldig?
Der sprach: Hundert Sack Weizen.
Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter,
weil er klug gehandelt hatte.
Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger
als die Kinder des Lichts.
I.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Der dumme Spruch in der Whatsapp-Gruppe war schnell geschrieben.
Diese fette Kuh, wer will die schon anfassen? Eklig.
Nadja hatte sofort ein schlechtes Gewissen.
Aber wenn ich nicht mitmache, bin ich draußen.
Und bevor es noch mich erwischt?
Am nächsten Tag konnte sie ihrer Tischnachbarin nicht in die Augen sehen.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Der junge Soldat bekam die Waffe in die Hand gedrückt und schoss.
Alte. Kinder. Frauen. Männer. Juden und Jüdinnen im tiefen Osten Europas.
Und in der Nacht dann die Albträume. Das Gewissen plagte.
Aber bloß nicht darüber reden.
Am nächsten Tag ging es weiter.
Schnell noch einen Brief an die Familie zuhause schreiben.
Er vermisste seine kleine Tochter sehr.
II.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Eine 15jährige Dresdnerin sah das nicht so.
Emilia heißt sie. Kind dieser Welt.
Ich KANN anders. Und HABE die Wahl.
Emilia ertrug es nicht mehr, dass ihre Klassenkameraden antisemitische Sprüche klopften.
Über den Tod von Millionen ermordeten Juden machten die sich lustig.
Hört auf, schrieb sie in der Whatsapp-Gruppe.
Aber keiner hörte auf. Und die Lehrer schritten nicht ein.
Also nutzte sie ihre gesetzlichen Möglichkeiten.
Sie zeigte ihre Mitschüler an.
Ich KANN anders. Es ist noch nicht zu spät.
Ich will mir noch in die Augen schauen können.
Doch sie zahlt ihren Preis. Der Shitstorm ist unbeschreiblich.
Denunziantin! Petze! Das sind noch die harmlosesten Beschimpfungen.
Und ich bin sicher, dass sie auch in der Klasse nun einen schlechten Stand hat.
War es das wert?
Haben sich ihr dennoch Häuser geöffnet? Und Herzen?
III.
Du HAST eine Wahl. Du KANNST anders.
Und es gibt kein Zuspät.
Jedenfalls nicht bei Jesus.
Jesus sitzt im im Haus eines Pharisäers.
Seine Freunde und Freundinnen sind bei ihm.
Vom Verlorenen erzählt er,
von einem entlaufenen Schaf;
von einem Sohn, den es in die Ferne zog;
von ein paar Groschen, die eine Witwe verlegt hatte.
Ja, sie sind Kinder dieser Welt, machen Fehler und bauen Mist.
Aber sie machen auch viel gut. Und das ist viel wichtiger.
Und dann erzählt er von einem Verwalter, auch einem Kind dieser Welt.
Auch er hat Mist gebaut und wird deswegen von seinem Chef einbestellt.
Alles ist vorbei. Denkt er.
Das weiß ich genau.
Was mach’ ich denn jetzt?
IV.
Normalerweise würde ein Mann in seiner Lage die Fehler noch schnell ausmerzen.
Bilanzen fälschen. Aus dem Minus ein Plus machen.
Oder die Schuld auf andere schieben.
Auf die Schuldner, die ihn angeblich übers Ohr gehauen hätten.
Oder die Untergebenen, die falsch rechneten.
Oder die Regierung, die mit ihren hohen Steuern zum Betrug zwingt.
Ja, normal ist es, am Ende doch selbst noch gut da zu stehen.
Ich konnte nicht anders.
Die anderen sind schuld.
Ich bin nur mitgelaufen.
Diese Sätze kenne ich von mir nur zu gut.
Auch aus der Geschichte.
V.
Gott sei Dank hält sich Jesus nicht daran, was normal ist.
Du kannst nicht anders, gibt es nicht bei ihm.
Doch, du kannst. Und du darfst.
Das Verlorene musst du nicht verloren geben.
Du bist nicht festgelegt auf deine Vergangenheit.
Und auf das, was die anderen von dir erwarten, auch nicht.
Du kannst ausbrechen.
Und wenn es erst im letzten Moment ist.
Oder im vorletzten.
VI.
Soll ich weitermachen, fragte Rainer Moormann seine Frau.
Vor 10 Jahren war das,
da wies Moormann schon ein Jahr lang auf ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem im Forschungszentrum Jülich hin.
Die Kugelhaufenreaktoren sind nicht sicher genug:
Ein Leck im Reaktor würde ausreichen,
damit der radioaktive Staub im Innenraum des Reaktors austritt.
Moormanns Kollegen und Vorgesetzte hielten seine Warnungen für Quatsch.
Doch er stocherte weiter und erneuerte seine Vorwürfe
Dafür zahlte er einen hohen Preis:
Kollegen bezeichneten Moormann als verrückt,
seine Arbeitsgruppe wurde aufgelöst,
im Büro saß er plötzlich allein.
Der promovierte Chemiker wurde von einer Stelle auf die andere geschoben.
Als sein Arbeitgeber ihn schließlich fallen ließ,
informierte er die Öffentlichkeit.
Drei Jahre später gab das Forschungszentrum Jülich schließlich bekannt,
die Forschung an den Kugelhaufenreaktoren einzustellen.
Zu dem Zeitpunkt arbeitete Moormann schon nicht mehr in Jülich,
Er war im vorgezogenen Ruhestand.
Durch den vorzeitigen Ruhestand habe er einige Hundert Euro weniger an Rente.
"Aber das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss", sagt Moormann.
Er kann sich wieder in die Augen schauen.
VII.
Du KANNST noch anders. Du hast die Wahl.
Du kannst deiner Tischnachbarin sagen, dass es dir Leid tut,
was du geschrieben hast.
Und in der Whatsappgruppe,
dass es nicht in Ordnung ist, sowas zu schreiben.
Es kostet Überwindung.
Ja. Und wie.
Vielleicht zahlst du auch den Preis wie Emilia.
Aber du kannst dir wieder in die Augen schauen,
wenn du in den Spiegel blickst.
Und deiner Nachbarin auch.
Und es GAB die Soldaten im 2.Weltkrieg,
die nicht auf Zivilisten geschossen haben.
Ja, es gab sie.
Es gab die Befehlsverweigerer, die nicht alles mitgemacht haben.
Sie haben alles riskiert und wurden beschimpft.
Oder degradiert. Oder schlimmer.
Und wenn heute immer noch behauptet wird,
dass man ja nicht anders konnte,
dann schlägt man gerade diesen Soldaten, die anders konnten,
nochmal mitten ins Gesicht.
VIII.
Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl.
Du, Kind des Lichts. Lerne von den Kindern der Welt.
Lerne vom klugen Verwalter.
Denn der macht im entscheidenden Moment nicht das,
was man so normalerweise macht.
Er tilgt nicht die eigenen Schuldscheine, sondern die der anderen.
Er nutzt seine Möglichkeiten, um den Spieß umzudrehen.
Er zahlt den Preis und trägt die Konsequenzen
Seine Weste ist auf einmal nicht weiß geworden.
Die Schmutzspuren sind noch da.
Aber er ist ausgebrochen aus der Logik des „Ich kann nicht anders“.
Er hält sich nicht an das „Normalerweise“.
Das eine Schaf wird gesucht.
Der verlorene Sohn wird mit offenen Armen empfangen.
Und der skrupellose Verwalter halbiert die Schulden der anderen.
IX.
Du KANNST anders. Du Kind des Lichts.
Denn Jesus ist anders.
Er sucht das Verlorene.
Jesus wirft die Schuldscheine sogar weg.
Und wird dafür dann beschuldigt:
Das ist viel zu freigiebig und viel zu „für alle“!*
Ja, Jesus ist anders.
Kommt aus dem Licht und stellt alles auf den Kopf.
Und plötzlich stehst du vor ihm.
Er nimmt dich in den Arm, auch wenn du nach Schweinemist und Schweiß stinkst.
Und er öffnet die Tür für dich zur Hütte bei Gott.*
Du setzt dich mit ihm an den Tisch.
Emilia und die Soldaten, die nicht geschossen haben, sitzen auch schon da.
Die Kinder dieser Welt.
Und die, die nicht anders konnten
Oder meinten, nicht anders zu können,
die holt ihr dann noch an den Tisch.
Du willst vielleicht nicht, dass sie auch da sind.
Denn normalerweise gehören sie nicht mehr dazu.
Aber Jesus ist anders.
Jesus hält sich nicht an das Normale.
Jesus nimmt sie in seine Arme.
So wie dich.
Amen.
*) diese Formulierung habe ich von Andrea Kuhla
Predigt zu Lukas 16,1-8 - gehalten am 19.11.2017 in Mühlhausen
Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter;
der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.
Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm:
Was höre ich da von dir?
Gib Rechenschaft über deine Verwaltung;
denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
Da sprach der Verwalter bei sich selbst:
Was soll ich tun?
Mein Herr nimmt mir das Amt;
graben kann ich nicht,
auch schäme ich mich zu betteln.
Ich weiß, was ich tun will,
damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen,
wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich,
und sprach zu dem ersten:
Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Der sprach: Hundert Fass Öl.
Und er sprach zu ihm:
Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
Danach sprach er zu dem zweiten:
Du aber, wie viel bist du schuldig?
Der sprach: Hundert Sack Weizen.
Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter,
weil er klug gehandelt hatte.
Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger
als die Kinder des Lichts.
I.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Der dumme Spruch in der Whatsapp-Gruppe war schnell geschrieben.
Diese fette Kuh, wer will die schon anfassen? Eklig.
Nadja hatte sofort ein schlechtes Gewissen.
Aber wenn ich nicht mitmache, bin ich draußen.
Und bevor es noch mich erwischt?
Am nächsten Tag konnte sie ihrer Tischnachbarin nicht in die Augen sehen.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Der junge Soldat bekam die Waffe in die Hand gedrückt und schoss.
Alte. Kinder. Frauen. Männer. Juden und Jüdinnen im tiefen Osten Europas.
Und in der Nacht dann die Albträume. Das Gewissen plagte.
Aber bloß nicht darüber reden.
Am nächsten Tag ging es weiter.
Schnell noch einen Brief an die Familie zuhause schreiben.
Er vermisste seine kleine Tochter sehr.
II.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht anders.
Eine 15jährige Dresdnerin sah das nicht so.
Emilia heißt sie. Kind dieser Welt.
Ich KANN anders. Und HABE die Wahl.
Emilia ertrug es nicht mehr, dass ihre Klassenkameraden antisemitische Sprüche klopften.
Über den Tod von Millionen ermordeten Juden machten die sich lustig.
Hört auf, schrieb sie in der Whatsapp-Gruppe.
Aber keiner hörte auf. Und die Lehrer schritten nicht ein.
Also nutzte sie ihre gesetzlichen Möglichkeiten.
Sie zeigte ihre Mitschüler an.
Ich KANN anders. Es ist noch nicht zu spät.
Ich will mir noch in die Augen schauen können.
Doch sie zahlt ihren Preis. Der Shitstorm ist unbeschreiblich.
Denunziantin! Petze! Das sind noch die harmlosesten Beschimpfungen.
Und ich bin sicher, dass sie auch in der Klasse nun einen schlechten Stand hat.
War es das wert?
Haben sich ihr dennoch Häuser geöffnet? Und Herzen?
III.
Du HAST eine Wahl. Du KANNST anders.
Und es gibt kein Zuspät.
Jedenfalls nicht bei Jesus.
Jesus sitzt im im Haus eines Pharisäers.
Seine Freunde und Freundinnen sind bei ihm.
Vom Verlorenen erzählt er,
von einem entlaufenen Schaf;
von einem Sohn, den es in die Ferne zog;
von ein paar Groschen, die eine Witwe verlegt hatte.
Ja, sie sind Kinder dieser Welt, machen Fehler und bauen Mist.
Aber sie machen auch viel gut. Und das ist viel wichtiger.
Und dann erzählt er von einem Verwalter, auch einem Kind dieser Welt.
Auch er hat Mist gebaut und wird deswegen von seinem Chef einbestellt.
Alles ist vorbei. Denkt er.
Das weiß ich genau.
Was mach’ ich denn jetzt?
IV.
Normalerweise würde ein Mann in seiner Lage die Fehler noch schnell ausmerzen.
Bilanzen fälschen. Aus dem Minus ein Plus machen.
Oder die Schuld auf andere schieben.
Auf die Schuldner, die ihn angeblich übers Ohr gehauen hätten.
Oder die Untergebenen, die falsch rechneten.
Oder die Regierung, die mit ihren hohen Steuern zum Betrug zwingt.
Ja, normal ist es, am Ende doch selbst noch gut da zu stehen.
Ich konnte nicht anders.
Die anderen sind schuld.
Ich bin nur mitgelaufen.
Diese Sätze kenne ich von mir nur zu gut.
Auch aus der Geschichte.
V.
Gott sei Dank hält sich Jesus nicht daran, was normal ist.
Du kannst nicht anders, gibt es nicht bei ihm.
Doch, du kannst. Und du darfst.
Das Verlorene musst du nicht verloren geben.
Du bist nicht festgelegt auf deine Vergangenheit.
Und auf das, was die anderen von dir erwarten, auch nicht.
Du kannst ausbrechen.
Und wenn es erst im letzten Moment ist.
Oder im vorletzten.
VI.
Soll ich weitermachen, fragte Rainer Moormann seine Frau.
Vor 10 Jahren war das,
da wies Moormann schon ein Jahr lang auf ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem im Forschungszentrum Jülich hin.
Die Kugelhaufenreaktoren sind nicht sicher genug:
Ein Leck im Reaktor würde ausreichen,
damit der radioaktive Staub im Innenraum des Reaktors austritt.
Moormanns Kollegen und Vorgesetzte hielten seine Warnungen für Quatsch.
Doch er stocherte weiter und erneuerte seine Vorwürfe
Dafür zahlte er einen hohen Preis:
Kollegen bezeichneten Moormann als verrückt,
seine Arbeitsgruppe wurde aufgelöst,
im Büro saß er plötzlich allein.
Der promovierte Chemiker wurde von einer Stelle auf die andere geschoben.
Als sein Arbeitgeber ihn schließlich fallen ließ,
informierte er die Öffentlichkeit.
Drei Jahre später gab das Forschungszentrum Jülich schließlich bekannt,
die Forschung an den Kugelhaufenreaktoren einzustellen.
Zu dem Zeitpunkt arbeitete Moormann schon nicht mehr in Jülich,
Er war im vorgezogenen Ruhestand.
Durch den vorzeitigen Ruhestand habe er einige Hundert Euro weniger an Rente.
"Aber das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss", sagt Moormann.
Er kann sich wieder in die Augen schauen.
VII.
Du KANNST noch anders. Du hast die Wahl.
Du kannst deiner Tischnachbarin sagen, dass es dir Leid tut,
was du geschrieben hast.
Und in der Whatsappgruppe,
dass es nicht in Ordnung ist, sowas zu schreiben.
Es kostet Überwindung.
Ja. Und wie.
Vielleicht zahlst du auch den Preis wie Emilia.
Aber du kannst dir wieder in die Augen schauen,
wenn du in den Spiegel blickst.
Und deiner Nachbarin auch.
Und es GAB die Soldaten im 2.Weltkrieg,
die nicht auf Zivilisten geschossen haben.
Ja, es gab sie.
Es gab die Befehlsverweigerer, die nicht alles mitgemacht haben.
Sie haben alles riskiert und wurden beschimpft.
Oder degradiert. Oder schlimmer.
Und wenn heute immer noch behauptet wird,
dass man ja nicht anders konnte,
dann schlägt man gerade diesen Soldaten, die anders konnten,
nochmal mitten ins Gesicht.
VIII.
Du KANNST auch anders. Du hast die Wahl.
Du, Kind des Lichts. Lerne von den Kindern der Welt.
Lerne vom klugen Verwalter.
Denn der macht im entscheidenden Moment nicht das,
was man so normalerweise macht.
Er tilgt nicht die eigenen Schuldscheine, sondern die der anderen.
Er nutzt seine Möglichkeiten, um den Spieß umzudrehen.
Er zahlt den Preis und trägt die Konsequenzen
Seine Weste ist auf einmal nicht weiß geworden.
Die Schmutzspuren sind noch da.
Aber er ist ausgebrochen aus der Logik des „Ich kann nicht anders“.
Er hält sich nicht an das „Normalerweise“.
Das eine Schaf wird gesucht.
Der verlorene Sohn wird mit offenen Armen empfangen.
Und der skrupellose Verwalter halbiert die Schulden der anderen.
IX.
Du KANNST anders. Du Kind des Lichts.
Denn Jesus ist anders.
Er sucht das Verlorene.
Jesus wirft die Schuldscheine sogar weg.
Und wird dafür dann beschuldigt:
Das ist viel zu freigiebig und viel zu „für alle“!*
Ja, Jesus ist anders.
Kommt aus dem Licht und stellt alles auf den Kopf.
Und plötzlich stehst du vor ihm.
Er nimmt dich in den Arm, auch wenn du nach Schweinemist und Schweiß stinkst.
Und er öffnet die Tür für dich zur Hütte bei Gott.*
Du setzt dich mit ihm an den Tisch.
Emilia und die Soldaten, die nicht geschossen haben, sitzen auch schon da.
Die Kinder dieser Welt.
Und die, die nicht anders konnten
Oder meinten, nicht anders zu können,
die holt ihr dann noch an den Tisch.
Du willst vielleicht nicht, dass sie auch da sind.
Denn normalerweise gehören sie nicht mehr dazu.
Aber Jesus ist anders.
Jesus hält sich nicht an das Normale.
Jesus nimmt sie in seine Arme.
So wie dich.
Amen.
*) diese Formulierung habe ich von Andrea Kuhla
Sonntag, 12. November 2017
Du wirst sehen, was zurückkommt.
Liebe und tu Gutes statt wegzuschauen oder in Schubladen zu denken ....
Predigt zu Lukas 6,27-38 - gehalten am 12. November 2017 in der Stadtkirche Pforzheim
Ich sage euch, die ihr zuhört:
Liebt eure Feinde;
tut wohl denen, die euch hassen;
segnet, die euch verfluchen;
bittet für die, die euch beleidigen.
Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar;
und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht.
Wer dich bittet, dem gib;
und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück.
Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!
Und wenn ihr liebt, die euch lieben,
welchen Dank habt ihr davon?
Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen.
Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut,
welchen Dank habt ihr davon?
Das tun die Sünder auch.
Und wenn ihr denen leiht,
von denen ihr etwas zu bekommen hofft,
welchen Dank habt ihr davon?
Auch Sünder leihen Sündern,
damit sie das Gleiche zurückbekommen.
Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes
und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen.
So wird euer Lohn groß sein,
und ihr werdet Kinder des Höchsten sein;
denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
I.
Sie schauten weg.
Sie zogen die Vorhänge zu.
Oder gingen einfach vorbei.
Damals -
als das Wort Jude auf das Schaufenster des Zigarrengeschäfts geschmiert wurde.
Als die Scheiben zu Bruch gingen und der Inhaber verprügelt wurde.
Und ins Gefängnis kam.
Sie schauten weg. Oder machten sogar mit.
Und gingen hinterher an die Kasse des Zigarrengeschäfts und plünderten sie.
Die Juden wurden zu Feinden erklärt.
Entmenschlicht. Entwürdigt.
Und sie machten mit.
Unsere Vorfahren.
Denn es waren ja die Feinde.
Volksverräter.
Welche, die dem Volk schadeten.
So wurden die Juden benannt. Und so glaubte man es.
Warum sich um ihretwillen in Gefahr bringen?
Es gab auch andere.
Die brachten sich in Gefahr.
Haben trotzdem in den Läden eingekauft.
Gingen trotzdem zum jüdischen Arzt.
Und halfen ihren Nachbarn das Land zu verlassen.
Es gab sie.
Sie weigerten sich,
in ihren jüdischen Nachbarn Feinde zu sehen.
Sie folgten Jesus und machten darum nicht mit.
Durchbrachen die Regel. Aber es waren zu wenig.
II.
Mach nicht mit, sagt Jesus.
Mach nicht mit, wenn es um Hass und Gewalt geht.
Mach nicht mit, wo Menschen zu Unmenschen werden.
Steig aus dieser Spirale aus.
Mach es anders.
Liebe und tu Gutes.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
III.
Jesus sagt aber noch mehr.
Liebe, auch wenn der andere wirklich dein Feind ist.
Liebe, auch wenn er dich hasst und dir Böses will.
Schlage nicht zurück, auch wenn er dich schlägt.
Schütze dein Eigentum nicht, auch wenn er es dir wegnimmt.
Ja, das ist schwer. Richtig schwer.
Und darum schaffen das auch nur wenige.
Der Probst von Coventry zum Beispiel.
Als seine Kathedrale von deutschen Piloten zerbombt wurde,
ging Probst Howard in die Ruine
und fügte aus großen Zimmermannsnägeln ein Kreuz.
Wir werden nicht hassen,
sagte er in seiner BBC-Ansprache zu Weihnachten.
„Mit Christus, der heute in unseren Herzen wiedergeboren wurde, versuchen wir
- so schwer es auch sein mag -
alle Gedanken an Rache zu verbannen.“
Probst Howard machte nicht mit.
Er - der Brite - verurteilte die britischen Bombenangriffe.
Und knüpfte Kontakte zu deutschen Brüdern und Schwestern.
Die tragen bis heute.
Wir sehen das an unserem Nagelkreuz hier. (1)
Mach nicht mit.
Mach es anders.
Liebe und tu Gutes.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
IV.
Mach es anders.
Es fängt im Kopf an. Und im Herz.
Aber wo hört es auf?
Für Jesus noch nicht mal am Kreuz.
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.
Liebe pur.
Für alle, die ihn hassen.
Und ihm weh tun.
Und ihn töten.
Ich weiß nicht, ob ich das könnte.
(.....)
V.
Vermutlich könnte ich das nicht.
Aber ich will im Kopf und im Herzen damit anfangen.
Ich will aussteigen aus dem Schubladendenken.
Will Menschen nicht einteilen in brauchbar und unbrauchbar.
Ich will nicht hören auf die,
die mir Angst vor Fremden machen
und sie mir zu Feinden erklären.
Ich will auch nicht auf die hören,
die davor warnen, großzügig zu sein.
Ich will meinen Mantel teilen wie St. Martin.
Will mein Misstrauen wegpacken
und möglichst nicht mehr hervorholen,
wenn eine Bettlerin was von mir will.
Natürlich weiß ich auch, dass es Drückerbanden gibt.
Und dass ich mit ein paar Cent nicht die Welt rette.
Aber ich könnte mich ja auch zu ihr setzen
und mir ihr reden.
Oder ich kaufe ihr einen Kaffee.
Liebe und tu Gutes. Warte nicht auf Dank.
Mach es anders.
VI.
Christa und Hans, Christian und Mirzeta, Peter und Nicola,
sie und viele andere tun genau das,
wenn sie Flüchtlinge begleiten.
Mit ihnen Formulare ausfüllen,
Wohnung suchen, zum Gericht gehen,
Mit ihnen weinen oder lachen und mit dem Deutsch helfen.
Sie sind mit Kopf und Herz dabei.
Und wenn hier im Januar die Vesperkirche startet, (2)
passiert auch genau das:
Die Helfenden reißen ihre inneren Schubladen auf
und lassen sie offen.
Sie putzen und organisieren und verteilen
und setzen sich zu den Gästen.
Es ist harte Arbeit.
Aber bei ihnen allen,
ob die in der Flüchtlingsarbeit
und denen in der Vesperkirche,
Bei allen fängt es an mit dem Herzenssatz:
Wir lieben und wir tun Gutes.
Sie alle hätten auch was anderes zu tun.
Alle könnten sagen:
der oder die hat das gar nicht verdient.
Oder: vielleicht sind die sogar selber schuld?
Aber sie machen es anders.
Geben ihre Zeit und manche auch viel Geld.
VII.
Vor 79 Jahren wurden hier in Pforzheim wie überall in Deutschland
die jüdischen Geschäfte und die Synagoge zerstört.
Seit 3 Jahren laden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Nichtjuden ein.
Ausgerechnet an diesem Tag, am 10.November.
Nachfahren der damaligen Täter laden sie ein.
Auch ich darf dabei sein -
obwohl meine Vorfahren Juden gehasst haben.
Nach der Gedenkfeier auf dem Platz der Synagoge
essen wir zusammen.
Trinken. Reden. Lachen. Und staunen.
Wir wissen um die Kostbarkeit dieses Augenblicks.
Dass wir keine Feinde mehr sind, sondern Freunde.
Sie, unsere jüdischen Geschwister tun genau das,
was Jesus sagt:
Sie tun wohl denen, die sie gehasst haben;
segnen, die sie verflucht haben.
Sie sind die Kinder des Höchsten.
VIII.
So weit gehen wir noch nicht mal in der Vesperkirche
und nicht mit den Flüchtlingen.
Denn die, denen wir hier helfen, sind nicht unsere Feinde.
Und sie hassen uns nicht
und verfluchen und beleidigen uns nicht.
Aber das, was viele von uns da tun, ist der Anfang.
Ganz klein und ganz einfach und vor allem im Herzen.
Liebe und tu Gutes.
Lass dich nicht aufhalten.
Lass dir nicht einreden, das sei unvernünftig.
Liebe und tu Gutes.
Ja, da fängt es an.
Und da hört es noch lange nicht auf.
Aber es verändert die Welt.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
Amen.
(1) Seit 2005 gehört die Stadtkirche zur Nagelkreuzgemeinschaft. Nähere Infos: http://www.nagelkreuzzentrum-pforzheim.de/
(2) Die Vesperkirche ist ein ökumenisches Projekt, ehrenamtlich getragen, und findet jedes Jahr von Mitte Januar bis Mitte Februar in der Stadtkirche statt.
Predigt zu Lukas 6,27-38 - gehalten am 12. November 2017 in der Stadtkirche Pforzheim
Ich sage euch, die ihr zuhört:
Liebt eure Feinde;
tut wohl denen, die euch hassen;
segnet, die euch verfluchen;
bittet für die, die euch beleidigen.
Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar;
und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht.
Wer dich bittet, dem gib;
und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück.
Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!
Und wenn ihr liebt, die euch lieben,
welchen Dank habt ihr davon?
Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen.
Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut,
welchen Dank habt ihr davon?
Das tun die Sünder auch.
Und wenn ihr denen leiht,
von denen ihr etwas zu bekommen hofft,
welchen Dank habt ihr davon?
Auch Sünder leihen Sündern,
damit sie das Gleiche zurückbekommen.
Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes
und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen.
So wird euer Lohn groß sein,
und ihr werdet Kinder des Höchsten sein;
denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
I.
Sie schauten weg.
Sie zogen die Vorhänge zu.
Oder gingen einfach vorbei.
Damals -
als das Wort Jude auf das Schaufenster des Zigarrengeschäfts geschmiert wurde.
Als die Scheiben zu Bruch gingen und der Inhaber verprügelt wurde.
Und ins Gefängnis kam.
Sie schauten weg. Oder machten sogar mit.
Und gingen hinterher an die Kasse des Zigarrengeschäfts und plünderten sie.
Die Juden wurden zu Feinden erklärt.
Entmenschlicht. Entwürdigt.
Und sie machten mit.
Unsere Vorfahren.
Denn es waren ja die Feinde.
Volksverräter.
Welche, die dem Volk schadeten.
So wurden die Juden benannt. Und so glaubte man es.
Warum sich um ihretwillen in Gefahr bringen?
Es gab auch andere.
Die brachten sich in Gefahr.
Haben trotzdem in den Läden eingekauft.
Gingen trotzdem zum jüdischen Arzt.
Und halfen ihren Nachbarn das Land zu verlassen.
Es gab sie.
Sie weigerten sich,
in ihren jüdischen Nachbarn Feinde zu sehen.
Sie folgten Jesus und machten darum nicht mit.
Durchbrachen die Regel. Aber es waren zu wenig.
II.
Mach nicht mit, sagt Jesus.
Mach nicht mit, wenn es um Hass und Gewalt geht.
Mach nicht mit, wo Menschen zu Unmenschen werden.
Steig aus dieser Spirale aus.
Mach es anders.
Liebe und tu Gutes.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
III.
Jesus sagt aber noch mehr.
Liebe, auch wenn der andere wirklich dein Feind ist.
Liebe, auch wenn er dich hasst und dir Böses will.
Schlage nicht zurück, auch wenn er dich schlägt.
Schütze dein Eigentum nicht, auch wenn er es dir wegnimmt.
Ja, das ist schwer. Richtig schwer.
Und darum schaffen das auch nur wenige.
Der Probst von Coventry zum Beispiel.
Als seine Kathedrale von deutschen Piloten zerbombt wurde,
ging Probst Howard in die Ruine
und fügte aus großen Zimmermannsnägeln ein Kreuz.
Wir werden nicht hassen,
sagte er in seiner BBC-Ansprache zu Weihnachten.
„Mit Christus, der heute in unseren Herzen wiedergeboren wurde, versuchen wir
- so schwer es auch sein mag -
alle Gedanken an Rache zu verbannen.“
Probst Howard machte nicht mit.
Er - der Brite - verurteilte die britischen Bombenangriffe.
Und knüpfte Kontakte zu deutschen Brüdern und Schwestern.
Die tragen bis heute.
Wir sehen das an unserem Nagelkreuz hier. (1)
Mach nicht mit.
Mach es anders.
Liebe und tu Gutes.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
IV.
Mach es anders.
Es fängt im Kopf an. Und im Herz.
Aber wo hört es auf?
Für Jesus noch nicht mal am Kreuz.
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.
Liebe pur.
Für alle, die ihn hassen.
Und ihm weh tun.
Und ihn töten.
Ich weiß nicht, ob ich das könnte.
(.....)
V.
Vermutlich könnte ich das nicht.
Aber ich will im Kopf und im Herzen damit anfangen.
Ich will aussteigen aus dem Schubladendenken.
Will Menschen nicht einteilen in brauchbar und unbrauchbar.
Ich will nicht hören auf die,
die mir Angst vor Fremden machen
und sie mir zu Feinden erklären.
Ich will auch nicht auf die hören,
die davor warnen, großzügig zu sein.
Ich will meinen Mantel teilen wie St. Martin.
Will mein Misstrauen wegpacken
und möglichst nicht mehr hervorholen,
wenn eine Bettlerin was von mir will.
Natürlich weiß ich auch, dass es Drückerbanden gibt.
Und dass ich mit ein paar Cent nicht die Welt rette.
Aber ich könnte mich ja auch zu ihr setzen
und mir ihr reden.
Oder ich kaufe ihr einen Kaffee.
Liebe und tu Gutes. Warte nicht auf Dank.
Mach es anders.
VI.
Christa und Hans, Christian und Mirzeta, Peter und Nicola,
sie und viele andere tun genau das,
wenn sie Flüchtlinge begleiten.
Mit ihnen Formulare ausfüllen,
Wohnung suchen, zum Gericht gehen,
Mit ihnen weinen oder lachen und mit dem Deutsch helfen.
Sie sind mit Kopf und Herz dabei.
Und wenn hier im Januar die Vesperkirche startet, (2)
passiert auch genau das:
Die Helfenden reißen ihre inneren Schubladen auf
und lassen sie offen.
Sie putzen und organisieren und verteilen
und setzen sich zu den Gästen.
Es ist harte Arbeit.
Aber bei ihnen allen,
ob die in der Flüchtlingsarbeit
und denen in der Vesperkirche,
Bei allen fängt es an mit dem Herzenssatz:
Wir lieben und wir tun Gutes.
Sie alle hätten auch was anderes zu tun.
Alle könnten sagen:
der oder die hat das gar nicht verdient.
Oder: vielleicht sind die sogar selber schuld?
Aber sie machen es anders.
Geben ihre Zeit und manche auch viel Geld.
VII.
Vor 79 Jahren wurden hier in Pforzheim wie überall in Deutschland
die jüdischen Geschäfte und die Synagoge zerstört.
Seit 3 Jahren laden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Nichtjuden ein.
Ausgerechnet an diesem Tag, am 10.November.
Nachfahren der damaligen Täter laden sie ein.
Auch ich darf dabei sein -
obwohl meine Vorfahren Juden gehasst haben.
Nach der Gedenkfeier auf dem Platz der Synagoge
essen wir zusammen.
Trinken. Reden. Lachen. Und staunen.
Wir wissen um die Kostbarkeit dieses Augenblicks.
Dass wir keine Feinde mehr sind, sondern Freunde.
Sie, unsere jüdischen Geschwister tun genau das,
was Jesus sagt:
Sie tun wohl denen, die sie gehasst haben;
segnen, die sie verflucht haben.
Sie sind die Kinder des Höchsten.
VIII.
So weit gehen wir noch nicht mal in der Vesperkirche
und nicht mit den Flüchtlingen.
Denn die, denen wir hier helfen, sind nicht unsere Feinde.
Und sie hassen uns nicht
und verfluchen und beleidigen uns nicht.
Aber das, was viele von uns da tun, ist der Anfang.
Ganz klein und ganz einfach und vor allem im Herzen.
Liebe und tu Gutes.
Lass dich nicht aufhalten.
Lass dir nicht einreden, das sei unvernünftig.
Liebe und tu Gutes.
Ja, da fängt es an.
Und da hört es noch lange nicht auf.
Aber es verändert die Welt.
Und du wirst sehen, was zurück kommt.
Amen.
(1) Seit 2005 gehört die Stadtkirche zur Nagelkreuzgemeinschaft. Nähere Infos: http://www.nagelkreuzzentrum-pforzheim.de/
(2) Die Vesperkirche ist ein ökumenisches Projekt, ehrenamtlich getragen, und findet jedes Jahr von Mitte Januar bis Mitte Februar in der Stadtkirche statt.
Dienstag, 31. Oktober 2017
Entgegenstellen - mit einem Wörtlein
Predigt zum Reformationsfest 2017 (zu Matthäus 4,1-8)
gehalten in Altdorf bei Nürnberg
I.
Mach dich frei.
Lege die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Er macht sich auf,
der Theologieprofessor Dr. Martinus Luther,
Mönch und Wissenschaftler,
Allen Mut nimmt er zusammen.
Bringt seine 95 Thesen unters Volk.
Die von der Freiheit vom Ablass
und vom Gehorsamszwang gegen den Papst.
Ja, er macht sich frei
und sagt den Dämonen seiner Zeit den Kampf an.
Stellt sich ihnen in den Weg.
Richtet das Wort gegen den Fürsten der Welt,
der ihn klein machen will.
Und dich und mich auch.
Da gibt es viele Fürsten, die ihm helfen und denen er hilft.
Aber auch Fürsten, die ihn mundtot machen wollen.
Der eigentliche Fürst ist aber ein ganz anderer.
Das Böse.
Der Teufel.
Der Fürst dieser Welt.
Ein Wörtlein kann ihn fällen.
II.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt,
damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3):
»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt
und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12):
»Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben;
und sie werden dich auf den Händen tragen,
damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16):
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm:
Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan!
Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13):
»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel.
Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.
III.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.
Denn du bist frei.
Ein freies Gotteskind - in den Spuren von Jesus.
Du bist frei und doch gebunden.
Denn du lebst nicht auf einer Insel,
sondern hier, wo das Leben tobt.
Und der Tod.
Wo der Wind pfeift und die Kürbisse zu Fratzen werden.
Der frisch getaufte Jesus setzt sich dem Leben aus.
Es ist schwer zu ertragen:
dieses Leben voll mit Sturm und Fratzen und Tod.
Es ist schwer zu ertragen, dass die Kinder in Jemen an Cholera sterben.
Und die junge Nachbarin an Leukämie.
Oder dass die nigerianischen Mädchen von Boko Haram Bombengürtel umgebunden kriegen.
Dein Leben geht weiter,
aber wenigstens für die anderen willst du einen,
der Steine zu Brot machen kann
und dem allen ein Ende.
Der mit dem Finger schnippt
und alle Lebensprobleme einfach auflöst.
Du versuchst ihn zu bestechen -
durch Ablassbriefe oder besonders fromme Gebete.
Ja, du willst einen, der endlich mal seine Macht durchsetzt.
Und der tut, was du willst.
Und was das sogenannte Volk will, auch.
Du sehnst dich danach, dass endlich alles richtig ist.
Richtig läuft.
Kein Sand im Getriebe mehr.
Ja, so sollte Gott sein, wenn du das schon selber nicht kannst.
IV.
Aber so ist der Jesus-Gott nicht.
Er ist so frei, dass er auf alles verzichtet,
was ihn zu einem Gott machen würde, wie du ihn haben willst.
Er verzichtet auf Besitz,
auf Heldendemonstration
und vor allem verzichtet er auf Macht.
Er lässt sich nicht instrumentalisieren für die Bedürfnisse -
noch nicht mal für die eigenen.
Und ja, das ist die größte Versuchung:
Dass du deine eigenen Bedürfnisse auf Gott überträgst:
Er soll erledigen, was du nicht kannst.
Er soll bestrafen und herrschen und Macht ausüben.
Er soll dafür sorgen, dass alle so sind wie du.
Und so machst du ihn harmlos
oder zum tyrannischen Götzen.
Mit intensiven und besonders bibelfesten Gebeten lässt er sich einfangen,
denkst du.
So wie vor 500 Jahren die Ablässe oder das Verbrennen von Ketzern.
Ein Gott, der Opfer braucht.
Die größte Versuchung:
Gott könnte dein Ebenbild sein. Statt umgekehrt.
V.
Leg die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich dem Fürsten der Welt entgegen.
Du kannst die Dämonen, die dich plagen, in die Wüste schicken.
Aber du kommst nicht darum herum:
Deine Wüste ist in dir.
Dort, wo du nicht mehr weiter weißt.
Wo es so gnadenlos zugeht,
Und du dein eigener Staatsanwalt wirst.
Wo kein Schnipser die Steine zu Brot verwandeln kann.
Da ist deine Wüste.
VI.
Stelle dich ihm entgegen.
Schaue dem Teufel ins Gesicht.
Er spielt mit deiner Angst und den Ängsten dieser Welt.
Er treibt dich in den Perfektionswahn.
Das macht dich krank. Und unbarmherzig.
Mauern lässt er dich bauen, damit du dich sicherer fühlst.
Aber du fühlst dich nicht sicherer.
Er macht aus einzelnen Menschen eine Masse.
Wie damals vor 80 Jahren.
Und so wird heute aus Flüchtlingen eine Flutwelle.
Und selbst Luther, der es doch besser wissen musste,
hetzte gnadenlos und erbarmungslos gegen Juden und Bauern.
Der Diabolos, der Spalter ist auch bei Luther sehr erfolgreich gewesen.
Und uns spaltet er zwischen Einheimischen und Zuwanderern,
zwischen Christen und Muslimen und Juden.
Ja, das alles ist teuflisch.
Mittendrin steckst du.
Wozu Menschen fähig sind, weißt du -
aus dem Geschichtsbuch.
Aus der Tagesschau.
Und vielleicht von dir selbst.
Aber da sind Hände, die deine Fesseln lösen.
Arme, die dich umfangen.
Und die Welt auch.
Und Augen, die dich nicht mustern, sondern in dein Herz schauen.
Bis es ruhig wird. Und fest.
VII.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.
Mit dem Wörtlein der Gnade.
Es mag so harmlos klingen.
Aber es ist es nicht.
Denn als uneheliches Kind hätte es mich in den 60er Jahren nicht geben dürfen.
Aber es gab mich.
Und die Welt schaute kritisch.
Was soll aus diesem Kind schon werden?
Schüchtern. Mit einer überforderten Mutter.
Aber da war dieses Wort:
Lass dir nicht einreden, du seist weniger wert als die anderen.
Du bist ein Kind Gottes.
Wort der Gnade.
Und wenn mir heute Menschen einreden wollen,
ich dürfe nichts sagen,
weil eine Kirchenfrau nicht politisch reden darf -
Dann ist da dieses Wort:
Du bist ein Kind Gottes.
Mit der Gabe zu Reden.
Also tu es.
Hab keine Angst.
Wort der Gnade.
Und wenn Menschen behaupten,
euer Dekan dürfe keinen Muslim einladen*,
dann ist da dieses Wort:
Beide sind Kinder Gottes, die einander begegnen.
Und das ist gut so und richtig.
Wort der Gnade.
Und wenn ich die Gnadenlosigkeit unserer Politik sehe,
die erklärt ein Land voller Tretminen und Terroranschlägen zum sicheren Land,
und schickt die Flüchtlinge dorthin zurück -
dann ist da dieses Wort:
Es sind Kinder Gottes - wie du.
Stell dich an ihre Seite.
Wort der Gnade.
VIII.
Du bist ein Gotteskind.
Und du bleibst es.
Du musst nicht anders sein als du bist.
Nicht besser, nicht perfekter.
Nicht klüger und nicht schöner.
Und du brauchst weder dir noch Gott was vor zu machen.
Aber du bist ein freier Mensch.
Stell dich dem Teufel entgegen, so gut es geht.
Ein Wörtlein genügt.
Probier es aus.
Gnade.
Das ist das Wörtlein.
Freie Gnade in einer unfreien gnadenlosen Welt.
Gnade - ein Wörtlein, das den Fürsten der Welt fällt.
Und dich frei macht.
Die Gnade sieht die Welt mit anderen Augen und umarmt sie.
Sie schickt dir Engel, die dir dienen.
Und sie richtet dich auf, wie nur sie es kann.
Weil sie dich nicht verurteilt, sondern liebt.
Mit einem Wörtlein.
Amen.
* Zum Reformationstag 2016 hatte Dekan Jörg Breu den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek für einen Vortrag in die St.Laurentius-Kirche in Altdorf eingeladen. Dafür wurde er u.a. vom 3. Bürgermeister beschimpft und erhielt anonyme Morddrohungen.
gehalten in Altdorf bei Nürnberg
I.
Mach dich frei.
Lege die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Er macht sich auf,
der Theologieprofessor Dr. Martinus Luther,
Mönch und Wissenschaftler,
Allen Mut nimmt er zusammen.
Bringt seine 95 Thesen unters Volk.
Die von der Freiheit vom Ablass
und vom Gehorsamszwang gegen den Papst.
Ja, er macht sich frei
und sagt den Dämonen seiner Zeit den Kampf an.
Stellt sich ihnen in den Weg.
Richtet das Wort gegen den Fürsten der Welt,
der ihn klein machen will.
Und dich und mich auch.
Da gibt es viele Fürsten, die ihm helfen und denen er hilft.
Aber auch Fürsten, die ihn mundtot machen wollen.
Der eigentliche Fürst ist aber ein ganz anderer.
Das Böse.
Der Teufel.
Der Fürst dieser Welt.
Ein Wörtlein kann ihn fällen.
II.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt,
damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3):
»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt
und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm:
Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12):
»Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben;
und sie werden dich auf den Händen tragen,
damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16):
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm:
Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan!
Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13):
»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel.
Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.
III.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.
Denn du bist frei.
Ein freies Gotteskind - in den Spuren von Jesus.
Du bist frei und doch gebunden.
Denn du lebst nicht auf einer Insel,
sondern hier, wo das Leben tobt.
Und der Tod.
Wo der Wind pfeift und die Kürbisse zu Fratzen werden.
Der frisch getaufte Jesus setzt sich dem Leben aus.
Es ist schwer zu ertragen:
dieses Leben voll mit Sturm und Fratzen und Tod.
Es ist schwer zu ertragen, dass die Kinder in Jemen an Cholera sterben.
Und die junge Nachbarin an Leukämie.
Oder dass die nigerianischen Mädchen von Boko Haram Bombengürtel umgebunden kriegen.
Dein Leben geht weiter,
aber wenigstens für die anderen willst du einen,
der Steine zu Brot machen kann
und dem allen ein Ende.
Der mit dem Finger schnippt
und alle Lebensprobleme einfach auflöst.
Du versuchst ihn zu bestechen -
durch Ablassbriefe oder besonders fromme Gebete.
Ja, du willst einen, der endlich mal seine Macht durchsetzt.
Und der tut, was du willst.
Und was das sogenannte Volk will, auch.
Du sehnst dich danach, dass endlich alles richtig ist.
Richtig läuft.
Kein Sand im Getriebe mehr.
Ja, so sollte Gott sein, wenn du das schon selber nicht kannst.
IV.
Aber so ist der Jesus-Gott nicht.
Er ist so frei, dass er auf alles verzichtet,
was ihn zu einem Gott machen würde, wie du ihn haben willst.
Er verzichtet auf Besitz,
auf Heldendemonstration
und vor allem verzichtet er auf Macht.
Er lässt sich nicht instrumentalisieren für die Bedürfnisse -
noch nicht mal für die eigenen.
Und ja, das ist die größte Versuchung:
Dass du deine eigenen Bedürfnisse auf Gott überträgst:
Er soll erledigen, was du nicht kannst.
Er soll bestrafen und herrschen und Macht ausüben.
Er soll dafür sorgen, dass alle so sind wie du.
Und so machst du ihn harmlos
oder zum tyrannischen Götzen.
Mit intensiven und besonders bibelfesten Gebeten lässt er sich einfangen,
denkst du.
So wie vor 500 Jahren die Ablässe oder das Verbrennen von Ketzern.
Ein Gott, der Opfer braucht.
Die größte Versuchung:
Gott könnte dein Ebenbild sein. Statt umgekehrt.
V.
Leg die Zwänge ab und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich dem Fürsten der Welt entgegen.
Du kannst die Dämonen, die dich plagen, in die Wüste schicken.
Aber du kommst nicht darum herum:
Deine Wüste ist in dir.
Dort, wo du nicht mehr weiter weißt.
Wo es so gnadenlos zugeht,
Und du dein eigener Staatsanwalt wirst.
Wo kein Schnipser die Steine zu Brot verwandeln kann.
Da ist deine Wüste.
VI.
Stelle dich ihm entgegen.
Schaue dem Teufel ins Gesicht.
Er spielt mit deiner Angst und den Ängsten dieser Welt.
Er treibt dich in den Perfektionswahn.
Das macht dich krank. Und unbarmherzig.
Mauern lässt er dich bauen, damit du dich sicherer fühlst.
Aber du fühlst dich nicht sicherer.
Er macht aus einzelnen Menschen eine Masse.
Wie damals vor 80 Jahren.
Und so wird heute aus Flüchtlingen eine Flutwelle.
Und selbst Luther, der es doch besser wissen musste,
hetzte gnadenlos und erbarmungslos gegen Juden und Bauern.
Der Diabolos, der Spalter ist auch bei Luther sehr erfolgreich gewesen.
Und uns spaltet er zwischen Einheimischen und Zuwanderern,
zwischen Christen und Muslimen und Juden.
Ja, das alles ist teuflisch.
Mittendrin steckst du.
Wozu Menschen fähig sind, weißt du -
aus dem Geschichtsbuch.
Aus der Tagesschau.
Und vielleicht von dir selbst.
Aber da sind Hände, die deine Fesseln lösen.
Arme, die dich umfangen.
Und die Welt auch.
Und Augen, die dich nicht mustern, sondern in dein Herz schauen.
Bis es ruhig wird. Und fest.
VII.
Mach dich frei und tu, was du tun musst.
Lass dich nicht einschüchtern.
Lass dir nicht den Mund verbieten.
Mach dich auf.
Und stelle dich ihm entgegen.
Mit dem Wörtlein der Gnade.
Es mag so harmlos klingen.
Aber es ist es nicht.
Denn als uneheliches Kind hätte es mich in den 60er Jahren nicht geben dürfen.
Aber es gab mich.
Und die Welt schaute kritisch.
Was soll aus diesem Kind schon werden?
Schüchtern. Mit einer überforderten Mutter.
Aber da war dieses Wort:
Lass dir nicht einreden, du seist weniger wert als die anderen.
Du bist ein Kind Gottes.
Wort der Gnade.
Und wenn mir heute Menschen einreden wollen,
ich dürfe nichts sagen,
weil eine Kirchenfrau nicht politisch reden darf -
Dann ist da dieses Wort:
Du bist ein Kind Gottes.
Mit der Gabe zu Reden.
Also tu es.
Hab keine Angst.
Wort der Gnade.
Und wenn Menschen behaupten,
euer Dekan dürfe keinen Muslim einladen*,
dann ist da dieses Wort:
Beide sind Kinder Gottes, die einander begegnen.
Und das ist gut so und richtig.
Wort der Gnade.
Und wenn ich die Gnadenlosigkeit unserer Politik sehe,
die erklärt ein Land voller Tretminen und Terroranschlägen zum sicheren Land,
und schickt die Flüchtlinge dorthin zurück -
dann ist da dieses Wort:
Es sind Kinder Gottes - wie du.
Stell dich an ihre Seite.
Wort der Gnade.
VIII.
Du bist ein Gotteskind.
Und du bleibst es.
Du musst nicht anders sein als du bist.
Nicht besser, nicht perfekter.
Nicht klüger und nicht schöner.
Und du brauchst weder dir noch Gott was vor zu machen.
Aber du bist ein freier Mensch.
Stell dich dem Teufel entgegen, so gut es geht.
Ein Wörtlein genügt.
Probier es aus.
Gnade.
Das ist das Wörtlein.
Freie Gnade in einer unfreien gnadenlosen Welt.
Gnade - ein Wörtlein, das den Fürsten der Welt fällt.
Und dich frei macht.
Die Gnade sieht die Welt mit anderen Augen und umarmt sie.
Sie schickt dir Engel, die dir dienen.
Und sie richtet dich auf, wie nur sie es kann.
Weil sie dich nicht verurteilt, sondern liebt.
Mit einem Wörtlein.
Amen.
* Zum Reformationstag 2016 hatte Dekan Jörg Breu den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek für einen Vortrag in die St.Laurentius-Kirche in Altdorf eingeladen. Dafür wurde er u.a. vom 3. Bürgermeister beschimpft und erhielt anonyme Morddrohungen.
Sonntag, 24. September 2017
Ich will... - und auch nicht
Predigt zu Lukas 18,28-30
(Diese Predigt am Tag der Bundestagswahl 2017 teilt im Wesentlichen Worte von Annegret Zander und teilweise von Jörg Breu und Finn Bird*. Ich bin allen dreien und der Community vom Zentrum für evangelische Predigtkultur sehr dankbar für das gemeinschaftliche Ringen um die richtigen Worte zur richtigen Zeit.)
I.
Einmal stand ein junger Mann vor Jesus.
Mit Schule und Ausbildung fertig,
am Anfang des Berufslebens.
Von den Eltern hat er viel mitbekommen,
um sich ein gutes Leben aufbauen zu können.
Jetzt steht er da:
Neugieriges Suchen in den Augen,
das Herz voller Tatendrang und Eifer.
Allen Mut hat er zusammen genommen,
als er Jesus anspricht:
„Hier bin ich. Sag mir, was muss ich tun,
um das ewige Leben zu erhalten?“
Jesus schaut ihn an - ein Blick voller Liebe.
Und dann kommt die Aufforderung:
„Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach.“
Das Herz des jungen Mannes schreit lautlos auf.
„Alles verkaufen – das kann ich nicht.
Das schaff ich nicht. Nein!“
Der junge Mann geht traurig weg.
Und auch Jesus schaut ihm traurig nach.
Dann kommt da noch der Satz mit dem Kamel,
das eher durch ein Nadelöhr geht,
als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme.
Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
II.
Die Jünger waren da klar.
So erzählt Lukas: (Lk 18, 28-30)
Da sagte Petrus zu Jesus:
»Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen
und sind dir nachgefolgt.“
Jesus antwortete ihnen:
»Amen, das sage ich euch:
Jeder, der für das Reich Gottes etwas zurückgelassen hat
– Haus, Ehefrau, Geschwister, Eltern oder Kinder –,
wird dafür ein Vielfaches neu bekommen –
schon jetzt in dieser Zeit –
und das ewige Leben dann, wenn Gottes Reich kommt.«
III.
Jesus nachfolgen - so ganz und gar,
ist das das Richtige für dich und für mich?
Ich wäge ab, überlege hin und her.
Kann ich das? Will ich das? Will ich das so?
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Nein. Ich gebe zu, das ist nicht meins.
Ich will keine Jüngerin sein.
Ich will nicht das Haus verlassen,
die sichere Wohnung, meine Familie nicht,
auch wenn es oft genug schwierig ist.
Ich will auch nicht mein kleines Leben aufgeben,
das es gut mit mir meint.
Ich will nicht heraustreten aus dem, was mir vertraut ist,
meine Arbeit nicht vergessen,
nicht das Geld abgeben, das Monat für Monat mein Konto
und mein Sicherheitsgefühl füllt.
Ich will es nicht, und ich will es auch nicht verharmlosen.
Denn viele Menschen sind gezwungen, alles zu verlassen.
Und dann kann ich doch nicht so tun,
als sei das ganz leicht.
IV.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Ja, denke ich
Ich will eine Jüngerin sein.
Will wissen, wo es langgeht, wem ich folgen soll,
will mein Kreuzchen gesetzt haben, ein für alle Mal.
Die ganz große Wahl,
dieses wahnsinnige Leben in völliger Freiheit,
mit dem wunderbarsten Menschen, mit Jesus,
mit dieser Liebe, die überhaupt keine Scheu kennt -
Weder vor Menschen noch vor allem Fremden noch vor Schmerz.
Ich will raus, raus aus dem Alltagstrott,
diesen ganzen Mist nicht mehr sehen und nicht mehr lesen,
diese unzähligen Mails und Artikel und Debatten und Talkshows.
Ja, ich will raus und mitgehen mit ihm,
will verrückte Freunde haben,
mit unwahrscheinlichen Menschen am Tisch sitzen
und essen und über das Reich Gottes reden.
V.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Aber dann – nein.
Ich will doch keine Jüngerin sein.
Ich will nicht nur mit einem Paar Sandalen durch den Staub tappen.
In der Tasche nichts als Hoffnung.
Ich will nicht an Türen klopfen, um Brot bitten
und in harte Augen sehen und Verständnislosigkeit schmecken.
Da ist nichts Romantisches und Freies dabei.
Ich will nicht das große Elend sehen,
die Menschenmassen in Not,
5000 und mehr, die sich um uns drängen,
die hungern und dürsten und Heimat suchen.
Die in Jemen und die im Mittelmeer und die in Myanmar.
Und die 500 im Dortmunder Hochhauskomplex,
die über Nacht keine Wohnung mehr haben.
Ich will nicht fragen „Was sollen wir tun?“
Und mich dann so verantwortlich fühlen,
dass es mich lähmt, weil es zu viel ist.
VI.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch - ich sage: Ja!
Ich will eine Jüngerin sein,
will Heimatlosen Heimat geben,
will Brot teilen und Fische braten,
will sehen wie alle, 5000 und mehr, wirklich alle satt werden, mehr als satt.
Ich will sehen wie die Teepflücker in Indien gerecht bezahlt werden
und die Kinder statt in Kobalt-Minen für unsere Smartphones zu schuften
lieber zur Schule gehen.
Ich will Gerechtigkeit erleben, die jeden Menschen sieht.
In der sich nicht nur Leistung lohnt,
sondern jeder Mensch als Kind Gottes gesehen wird -
wertvoll, mit Gaben und Grenzen und so wie er ist.
Und ich will auch heute bei der Wahl Jüngerin sein
und die wählen, die lieber teilen und helfen wollen statt aussperren.
VII.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Nein, ich... nein, ich will es nicht.
Ich will kein weltfremdes Zeug hören oder sagen müssen:
über Salz das nicht salzt und Salomos Seide
und „ach! seht die Vögel unter dem Himmel“
und dass niemand sich Sorgen machen muss.
Denn ich habe nun mal Sorge um unsere Welt.
Die lässt sich spalten von Demagogen und Populisten.
Und ich fürchte mich vor ihnen.
Kann ich dann überhaupt eine Jüngerin sein - so voller Sorge?
VIII.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch. Ja.
Ich will eine Jüngerin sein,
Herr, hilf mir! rufen und gerettet werden. Sofort.
Und muss nicht mehr einsam warten,
ob da mal eine Antwort kommt auf einen Hilferuf oder ein Gebet.
Ich werde mich dann nicht länger einsam fühlen
mit Glaubensgeschwistern, die gar keine sein wollen.
Von denen manche lieber hassen als lieben,
lieber ausgrenzen als einladen.
Ich will wie Petrus den Propheten eine Hütte bauen auf dem Berg,
ein bisschen näher bei Gott sein als die Anderen,
die Kraft spüren, Eins sein mit Jesus.
IX.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und dann wieder: Nein.
Ich will nicht durch die Hölle gehen,
die Trauer nicht erleiden,wenn die Hoffnung gestorben ist.
Ich will nicht beschimpft werden als Gutmensch, nur weil ich Jesus folge.
Ich will nicht, dass mich menschenverachtende Wahlplakate anwidern.
Ich will ein dickes Fell
und manchmal will ich, dass es mir egal ist, wenn der Hass sich Bahn bricht.
Weil ich das nicht aushalte.
Und als Jüngerin könnte mich das nicht kalt lassen.
X.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch: Ich will eine Jüngerin sein.
Ich will Wunder sehen und tun.
Will Tote erwecken.
Ich will Dämonen aus Menschenseelen fortjagen,
damit die Angst aufhört und die Traurigkeit.
Will die Alpträume von Krieg und Terror im See ersäufen.
Ich will Spucke in Augen schmieren,
damit Blinde wieder sehen und Menschen die Wahrheit erkennen.
Damit Verblendeten die Augen aufgehen und sie den Hass sehen
und die Drohung hinter den Buchstaben „AfD“.
Ich will wie Jesus sagen „seht hier:
Der Weg des Todes und der Weg des Lebens“.
XI.
Ich bin so hin und her gerissen.
Will Jüngerin sein - ganz und gar -
und will es doch wieder nicht.
Petrus: was macht dich so sicher?
Hattet ihr es leichter damals?
War die Welt unkomplizierter als unsere?
Wart ihr so arm, dass es einfach war, zu gehen?
Und zu verlassen?
Ich hätte so viel zu verlassen.
Will ich deine Jüngerin sein, Jesus? Kann ich das?
Vielleicht…
Oder doch nein?
Oder…
Doch! Ich will es.
Ich will deine Jüngerin sein.
Ja!
Aber, Jesus,
ich könnte dabei wirklich deine Hilfe gebrauchen.
Heute ganz besonders.
Amen.
*) Darum habe ich auch lange überlegt, ob ich diese Predigt überhaupt veröffentlichen soll. Ich habe mich dann doch dafür entschieden, weil ich diese Worte einfach zu wichtig und zu gut finde, als dass sie heute morgen "nur" gehört wurden. Nochmal großes Danke an Annegret Zander, Jörg Breu und Finn Bird!
(Diese Predigt am Tag der Bundestagswahl 2017 teilt im Wesentlichen Worte von Annegret Zander und teilweise von Jörg Breu und Finn Bird*. Ich bin allen dreien und der Community vom Zentrum für evangelische Predigtkultur sehr dankbar für das gemeinschaftliche Ringen um die richtigen Worte zur richtigen Zeit.)
I.
Einmal stand ein junger Mann vor Jesus.
Mit Schule und Ausbildung fertig,
am Anfang des Berufslebens.
Von den Eltern hat er viel mitbekommen,
um sich ein gutes Leben aufbauen zu können.
Jetzt steht er da:
Neugieriges Suchen in den Augen,
das Herz voller Tatendrang und Eifer.
Allen Mut hat er zusammen genommen,
als er Jesus anspricht:
„Hier bin ich. Sag mir, was muss ich tun,
um das ewige Leben zu erhalten?“
Jesus schaut ihn an - ein Blick voller Liebe.
Und dann kommt die Aufforderung:
„Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach.“
Das Herz des jungen Mannes schreit lautlos auf.
„Alles verkaufen – das kann ich nicht.
Das schaff ich nicht. Nein!“
Der junge Mann geht traurig weg.
Und auch Jesus schaut ihm traurig nach.
Dann kommt da noch der Satz mit dem Kamel,
das eher durch ein Nadelöhr geht,
als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme.
Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
II.
Die Jünger waren da klar.
So erzählt Lukas: (Lk 18, 28-30)
Da sagte Petrus zu Jesus:
»Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen
und sind dir nachgefolgt.“
Jesus antwortete ihnen:
»Amen, das sage ich euch:
Jeder, der für das Reich Gottes etwas zurückgelassen hat
– Haus, Ehefrau, Geschwister, Eltern oder Kinder –,
wird dafür ein Vielfaches neu bekommen –
schon jetzt in dieser Zeit –
und das ewige Leben dann, wenn Gottes Reich kommt.«
III.
Jesus nachfolgen - so ganz und gar,
ist das das Richtige für dich und für mich?
Ich wäge ab, überlege hin und her.
Kann ich das? Will ich das? Will ich das so?
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Nein. Ich gebe zu, das ist nicht meins.
Ich will keine Jüngerin sein.
Ich will nicht das Haus verlassen,
die sichere Wohnung, meine Familie nicht,
auch wenn es oft genug schwierig ist.
Ich will auch nicht mein kleines Leben aufgeben,
das es gut mit mir meint.
Ich will nicht heraustreten aus dem, was mir vertraut ist,
meine Arbeit nicht vergessen,
nicht das Geld abgeben, das Monat für Monat mein Konto
und mein Sicherheitsgefühl füllt.
Ich will es nicht, und ich will es auch nicht verharmlosen.
Denn viele Menschen sind gezwungen, alles zu verlassen.
Und dann kann ich doch nicht so tun,
als sei das ganz leicht.
IV.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Ja, denke ich
Ich will eine Jüngerin sein.
Will wissen, wo es langgeht, wem ich folgen soll,
will mein Kreuzchen gesetzt haben, ein für alle Mal.
Die ganz große Wahl,
dieses wahnsinnige Leben in völliger Freiheit,
mit dem wunderbarsten Menschen, mit Jesus,
mit dieser Liebe, die überhaupt keine Scheu kennt -
Weder vor Menschen noch vor allem Fremden noch vor Schmerz.
Ich will raus, raus aus dem Alltagstrott,
diesen ganzen Mist nicht mehr sehen und nicht mehr lesen,
diese unzähligen Mails und Artikel und Debatten und Talkshows.
Ja, ich will raus und mitgehen mit ihm,
will verrückte Freunde haben,
mit unwahrscheinlichen Menschen am Tisch sitzen
und essen und über das Reich Gottes reden.
V.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Aber dann – nein.
Ich will doch keine Jüngerin sein.
Ich will nicht nur mit einem Paar Sandalen durch den Staub tappen.
In der Tasche nichts als Hoffnung.
Ich will nicht an Türen klopfen, um Brot bitten
und in harte Augen sehen und Verständnislosigkeit schmecken.
Da ist nichts Romantisches und Freies dabei.
Ich will nicht das große Elend sehen,
die Menschenmassen in Not,
5000 und mehr, die sich um uns drängen,
die hungern und dürsten und Heimat suchen.
Die in Jemen und die im Mittelmeer und die in Myanmar.
Und die 500 im Dortmunder Hochhauskomplex,
die über Nacht keine Wohnung mehr haben.
Ich will nicht fragen „Was sollen wir tun?“
Und mich dann so verantwortlich fühlen,
dass es mich lähmt, weil es zu viel ist.
VI.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch - ich sage: Ja!
Ich will eine Jüngerin sein,
will Heimatlosen Heimat geben,
will Brot teilen und Fische braten,
will sehen wie alle, 5000 und mehr, wirklich alle satt werden, mehr als satt.
Ich will sehen wie die Teepflücker in Indien gerecht bezahlt werden
und die Kinder statt in Kobalt-Minen für unsere Smartphones zu schuften
lieber zur Schule gehen.
Ich will Gerechtigkeit erleben, die jeden Menschen sieht.
In der sich nicht nur Leistung lohnt,
sondern jeder Mensch als Kind Gottes gesehen wird -
wertvoll, mit Gaben und Grenzen und so wie er ist.
Und ich will auch heute bei der Wahl Jüngerin sein
und die wählen, die lieber teilen und helfen wollen statt aussperren.
VII.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Nein, ich... nein, ich will es nicht.
Ich will kein weltfremdes Zeug hören oder sagen müssen:
über Salz das nicht salzt und Salomos Seide
und „ach! seht die Vögel unter dem Himmel“
und dass niemand sich Sorgen machen muss.
Denn ich habe nun mal Sorge um unsere Welt.
Die lässt sich spalten von Demagogen und Populisten.
Und ich fürchte mich vor ihnen.
Kann ich dann überhaupt eine Jüngerin sein - so voller Sorge?
VIII.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch. Ja.
Ich will eine Jüngerin sein,
Herr, hilf mir! rufen und gerettet werden. Sofort.
Und muss nicht mehr einsam warten,
ob da mal eine Antwort kommt auf einen Hilferuf oder ein Gebet.
Ich werde mich dann nicht länger einsam fühlen
mit Glaubensgeschwistern, die gar keine sein wollen.
Von denen manche lieber hassen als lieben,
lieber ausgrenzen als einladen.
Ich will wie Petrus den Propheten eine Hütte bauen auf dem Berg,
ein bisschen näher bei Gott sein als die Anderen,
die Kraft spüren, Eins sein mit Jesus.
IX.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und dann wieder: Nein.
Ich will nicht durch die Hölle gehen,
die Trauer nicht erleiden,wenn die Hoffnung gestorben ist.
Ich will nicht beschimpft werden als Gutmensch, nur weil ich Jesus folge.
Ich will nicht, dass mich menschenverachtende Wahlplakate anwidern.
Ich will ein dickes Fell
und manchmal will ich, dass es mir egal ist, wenn der Hass sich Bahn bricht.
Weil ich das nicht aushalte.
Und als Jüngerin könnte mich das nicht kalt lassen.
X.
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
Und doch: Ich will eine Jüngerin sein.
Ich will Wunder sehen und tun.
Will Tote erwecken.
Ich will Dämonen aus Menschenseelen fortjagen,
damit die Angst aufhört und die Traurigkeit.
Will die Alpträume von Krieg und Terror im See ersäufen.
Ich will Spucke in Augen schmieren,
damit Blinde wieder sehen und Menschen die Wahrheit erkennen.
Damit Verblendeten die Augen aufgehen und sie den Hass sehen
und die Drohung hinter den Buchstaben „AfD“.
Ich will wie Jesus sagen „seht hier:
Der Weg des Todes und der Weg des Lebens“.
XI.
Ich bin so hin und her gerissen.
Will Jüngerin sein - ganz und gar -
und will es doch wieder nicht.
Petrus: was macht dich so sicher?
Hattet ihr es leichter damals?
War die Welt unkomplizierter als unsere?
Wart ihr so arm, dass es einfach war, zu gehen?
Und zu verlassen?
Ich hätte so viel zu verlassen.
Will ich deine Jüngerin sein, Jesus? Kann ich das?
Vielleicht…
Oder doch nein?
Oder…
Doch! Ich will es.
Ich will deine Jüngerin sein.
Ja!
Aber, Jesus,
ich könnte dabei wirklich deine Hilfe gebrauchen.
Heute ganz besonders.
Amen.
*) Darum habe ich auch lange überlegt, ob ich diese Predigt überhaupt veröffentlichen soll. Ich habe mich dann doch dafür entschieden, weil ich diese Worte einfach zu wichtig und zu gut finde, als dass sie heute morgen "nur" gehört wurden. Nochmal großes Danke an Annegret Zander, Jörg Breu und Finn Bird!
Sonntag, 6. August 2017
Es könnte alles ganz anders sein
Wenn Schwerter zu Pflugscharen werden - Predigt zu Jesaja 2, 1-5
(Mit Dank an Claudia Stell, Rainer Claus, Michael Greßler und Kathrin Oxen für ihre Impulse, die mich sehr inspiriert haben)
I.
Es könnte alles ganz anders sein.
Anfang der 80er Jahre.
Großes Säbelrasseln zwischen den Supermächten in Ost und West.
In der damaligen DDR wurde das Schulfach „Wehrerziehung“ eingeführt.
Und zur gleichen Zeit in den Kirchen aus West und Ost die Friedendekade.
In Westdeutschland große Friedensdemos -
Blockaden vor Mutlangen und Sitzwachen in Heidelberg.
In Ostdeutschland musste man subtiler vorgehen:
Schwerter zu Pflugscharen - einst von den Sowjets vor das UNO-Gebäude gestellt.
Nun als Protestzeichen gegen die Wehrerziehung und das Säbelrasseln,
aufgenäht auf Jacken, denn Aufkleber waren verboten.
Aufnäher aus Vliesstoff fielen unter „Textveredelung“.
Vielen Jugendlichen wurde dann allerdings der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“
aus den Anoraks herausgeschnitten.
Als könnte man den Protest minimalinvasiv entfernen.
Als würde das irgendetwas verändern.
„Ich habe damals für uns alle die Aufnäher angenäht
und dann unsere Jacken extra schön ordentlich so in die Garderobe gehängt,
dass alle „Schwerter zu Pflugscharen“ nebeneinander hingen“
berichtet eine der Jugendlichen von damals.
Ausprobieren, was geht. Wie weit man gehen kann.
Und zum Kirchentag in Wittenberg 1983
stellte sich der Kunstschmied Stefan Nau in den Hof des Lutherhauses
und tat es: schmiedete ein Schwert um.
II.
Es könnte alles ganz anders sein.
Wer hätte damals gedacht,
dass 6 Jahre später tatsächlich alles ganz anders wurde.
An einem Montag im Oktober.
70.000 Menschen mit Kerzen in den Händen zogen durch die Innenstadt von Leipzig.
„Wenn man eine Kerze trägt, braucht man beide Hände.
Man muss das Licht behüten, vor dem Auslöschen schützen“
erinnerte sich Christian Führer, der Pfarrer der Nikolaikirche.
Und die Friedensgebete schwappten auf die Straße.
Die Waffen waren bereit und doch schoss niemand.
„Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet.
Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“
Soll einer vom Zentralkomitee-Mitglied gesagt haben.
Einen Monat später fiel die Mauer,
III.
Es könnte alles ganz anders sein.
Nach dem Fall der Mauer war die Hoffnung groß:
Der kalte Krieg hat sich endgültig erledigt, hoffte man.
Die großen Mächte der Welt haben doch nun verstanden,
dass ein Krieg mit den heutigen Waffen für alle tödlich wäre
- für alle.
Es wurden Abrüstungsvereinbarungen getroffen -
die nährten die Hoffnung.
Weiter gehen mit dem Frieden. Nicht aufhören.
Aber es wurde nicht anders. Nicht wirklich.
Kriege gibt es immer noch, durch Internet sichtbarer denn je.
Kleine und große Mächte rüsten wieder auf,
in einigen Ländern sind Menschen an der Macht,
die sind so Macht- oder Geldversessen,
dass sie vor nichts zurückscheuen.
Nordkorea droht mit Bomben
und kein Mensch weiß genau, ob es Atombomben sind, die dann fliegen.
Da werden in der Türkei wahllos Menschen verhaftet,
nur weil sie eventuell etwas gesagt haben könnten, dass….
In den USA führt ein Mensch die amerikanische Hire and Fire Mentalität ad absurdum,
so sehr, dass es eigentlich schon eine großartige Realsatire sein könnte,
wenn es sich bei demjenigen nicht um einen der mächtigsten Menschen der Welt handeln würde.
Der kann fast ganz alleine entscheiden, ob der berüchtigte rote Knopf gedrückt wird...
Ach, ich mag’s mir gar nicht weiter vorstellen...
Und ausgerechnet in Jerusalem toben blutige Kämpfe,
um den heiligsten Ort auf Erden, den Tempelberg,
Fast ein Krieg.
Angst beherrscht die Politik.
Nur eine falsche Geste hat den nächsten Terroranschlag zur Folge.
Es müsste alles ganz anders sein….
IV.
Dies ist das Wort,
das Jesaja, der Sohn des Amoz,
schaute über Juda und Jerusalem.
Es wird auf der Rückseite der Tage
der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen,
höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben,
und alle Heiden werden herzulaufen,
und viele Völker werden hingehen und sagen:
Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn,
zum Hause des Gottes Jakobs,
dass er uns lehre seine Wege
und wir wandeln auf seinen Steigen!
Denn von Zion wird Weisung ausgehen
und des Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Nationen
und zurechtweisen viele Völker.
Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen
und ihre Spieße zu Sicheln.
Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob,
lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
V.
Es könnte alles ganz anders sein.
Der Prophet wirft ein Blick auf die „Rückseite der Tage“,
wie es dort wörtlich heißt.
Zion, der umkämpfte und von Feinden belagerte Berg:
Ausgerechnet er wird zum Berg des Friedens.
Nicht mehr kämpfen, sondern lernen werden die Menschen,
die dort hinkommen.
Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Sie lernen den Frieden.
Es anders machen.
Nicht mehr dieselben Fehler tun.
Lernen aus dem, was geschehen ist.
Der Prophet ist kein Naivling, auch wenn er träumt.
Er sieht weiter, tiefer,
auf die Rückseite dessen, was wir gewohnt sind, zu sehen.
Der Prophet schaut das, was möglich wäre
und vor allem, was nötig ist.
Ja, er ist Realist durch und durch
und weiß: Kriege bringen nur Zerstörung und keine Heilung.
Kriege bringen kein friedliches Zusammenleben.
Das sehen wir in Syrien, Afghanstan, im Irak und in Jemen
Vor der Allmacht der Gewalt zu kapitulieren, ist gegen Gott.
Und darum sind auch Waffenlieferungen
- ob klein oder groß - absurd
und vielleicht sogar sowas wie Gotteslästerung.
VI.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob,
lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein, darum macht es anders.
Malala, das pakistanische Schulmädchen macht es anders.
Sie wurde von den Taliban in den Kopf geschossen,
weil sie ihr Recht auf Bildung wahrnehmen wollte.
Sie überlebte und kämpft seither für das Recht auf Bildung.
Vor allem ein Satz von ihr ist um die Welt gegangen:
„Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern“.
Also fangen wir mal damit an.
Keine Waffenexporte mehr, sondern Stiftexporte.
Schwerter zu Schreibstiften und Büchern.
VII.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein.
Die Polizei in Stuttgart macht es anders.
Ein Dienstgebäude wurde mit Hassparolen beschmiert.
Statt nun alles zu säubern,
luden der Polizeidirektor und sein Team
bunt gemischte Menschen aller Altersstufen des benachbarten Mehrgenerationenhauses
zum Foto-Posing ein.
So wurde aus dem schwarzen, rund eineinhalb Quadratmeter bedeckenden Schriftzug "A.C.A.B."
ein Symbol für "All Colours Are Beautiful" (Alle Farben sind schön).
Mach Spaß statt Hass - so lautete das Motto.
Zwar sieht die Polizei das immer noch als zu verfolgende Sachbeschädigung an.
Und ich denke kreativer wäre es, die Sprayer einfach nur auszulachen.
Aber immerhin hat sie aus Hass etwas Schönes, Buntes, Offenes gemacht.
Schwerter zu bunten Wänden.
Es anders machen. Es geht.
VIII.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein.
Viele Jugendliche in unserem Kirchenbezirk machen es anders.
Sie lassen sich ausbilden zu Friedensstiftern und -stifterinnen.
Lernen, wie sie Konflikte beilegen können,
Wie sie die Menschen wieder ins Gespräch bringen.
Lernen, sensibel zu sein für Gewalt im Kleinen.
Und so weiter.
Den Frieden lernen.
Es geht. Es geht ganz anders.
IX.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Jetzt, nicht erst morgen.
Schwerter zu Pflugscharen.
Fang schon mal an.
Mit deinen Gedanken und Worten, mit deiner kleinen Welt.
Es könnte alles ganz anders sein.
Hassworte zu Liebeserklärungen,
„fake news“ zu „good news“,
Kasernen zu Wohnungen und Werkstätten,
Kriegsschiffe zu Rettungskreuzern,
Bauen und Pflanzen statt Bomben,
Landminen zu Bleistiftminen,
Tee trinken anstatt in Angst versinken,
Mit Feinden essen gehen
und gemeinsam auf die Welt schauen.
Und zum eigenen, ganz eigenen inneren Berg Zion gehen.
Auf die Rückseite, wo alles anders aussieht.
Dir fällt bestimmt noch mehr ein oder…?
Und mir bestimmt auch.
Es könnte jedenfalls ganz anders sein.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(Mit Dank an Claudia Stell, Rainer Claus, Michael Greßler und Kathrin Oxen für ihre Impulse, die mich sehr inspiriert haben)
I.
Es könnte alles ganz anders sein.
Anfang der 80er Jahre.
Großes Säbelrasseln zwischen den Supermächten in Ost und West.
In der damaligen DDR wurde das Schulfach „Wehrerziehung“ eingeführt.
Und zur gleichen Zeit in den Kirchen aus West und Ost die Friedendekade.
In Westdeutschland große Friedensdemos -
Blockaden vor Mutlangen und Sitzwachen in Heidelberg.
In Ostdeutschland musste man subtiler vorgehen:
Schwerter zu Pflugscharen - einst von den Sowjets vor das UNO-Gebäude gestellt.
Nun als Protestzeichen gegen die Wehrerziehung und das Säbelrasseln,
aufgenäht auf Jacken, denn Aufkleber waren verboten.
Aufnäher aus Vliesstoff fielen unter „Textveredelung“.
Vielen Jugendlichen wurde dann allerdings der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“
aus den Anoraks herausgeschnitten.
Als könnte man den Protest minimalinvasiv entfernen.
Als würde das irgendetwas verändern.
„Ich habe damals für uns alle die Aufnäher angenäht
und dann unsere Jacken extra schön ordentlich so in die Garderobe gehängt,
dass alle „Schwerter zu Pflugscharen“ nebeneinander hingen“
berichtet eine der Jugendlichen von damals.
Ausprobieren, was geht. Wie weit man gehen kann.
Und zum Kirchentag in Wittenberg 1983
stellte sich der Kunstschmied Stefan Nau in den Hof des Lutherhauses
und tat es: schmiedete ein Schwert um.
II.
Es könnte alles ganz anders sein.
Wer hätte damals gedacht,
dass 6 Jahre später tatsächlich alles ganz anders wurde.
An einem Montag im Oktober.
70.000 Menschen mit Kerzen in den Händen zogen durch die Innenstadt von Leipzig.
„Wenn man eine Kerze trägt, braucht man beide Hände.
Man muss das Licht behüten, vor dem Auslöschen schützen“
erinnerte sich Christian Führer, der Pfarrer der Nikolaikirche.
Und die Friedensgebete schwappten auf die Straße.
Die Waffen waren bereit und doch schoss niemand.
„Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet.
Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“
Soll einer vom Zentralkomitee-Mitglied gesagt haben.
Einen Monat später fiel die Mauer,
III.
Es könnte alles ganz anders sein.
Nach dem Fall der Mauer war die Hoffnung groß:
Der kalte Krieg hat sich endgültig erledigt, hoffte man.
Die großen Mächte der Welt haben doch nun verstanden,
dass ein Krieg mit den heutigen Waffen für alle tödlich wäre
- für alle.
Es wurden Abrüstungsvereinbarungen getroffen -
die nährten die Hoffnung.
Weiter gehen mit dem Frieden. Nicht aufhören.
Aber es wurde nicht anders. Nicht wirklich.
Kriege gibt es immer noch, durch Internet sichtbarer denn je.
Kleine und große Mächte rüsten wieder auf,
in einigen Ländern sind Menschen an der Macht,
die sind so Macht- oder Geldversessen,
dass sie vor nichts zurückscheuen.
Nordkorea droht mit Bomben
und kein Mensch weiß genau, ob es Atombomben sind, die dann fliegen.
Da werden in der Türkei wahllos Menschen verhaftet,
nur weil sie eventuell etwas gesagt haben könnten, dass….
In den USA führt ein Mensch die amerikanische Hire and Fire Mentalität ad absurdum,
so sehr, dass es eigentlich schon eine großartige Realsatire sein könnte,
wenn es sich bei demjenigen nicht um einen der mächtigsten Menschen der Welt handeln würde.
Der kann fast ganz alleine entscheiden, ob der berüchtigte rote Knopf gedrückt wird...
Ach, ich mag’s mir gar nicht weiter vorstellen...
Und ausgerechnet in Jerusalem toben blutige Kämpfe,
um den heiligsten Ort auf Erden, den Tempelberg,
Fast ein Krieg.
Angst beherrscht die Politik.
Nur eine falsche Geste hat den nächsten Terroranschlag zur Folge.
Es müsste alles ganz anders sein….
IV.
Dies ist das Wort,
das Jesaja, der Sohn des Amoz,
schaute über Juda und Jerusalem.
Es wird auf der Rückseite der Tage
der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen,
höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben,
und alle Heiden werden herzulaufen,
und viele Völker werden hingehen und sagen:
Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn,
zum Hause des Gottes Jakobs,
dass er uns lehre seine Wege
und wir wandeln auf seinen Steigen!
Denn von Zion wird Weisung ausgehen
und des Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Nationen
und zurechtweisen viele Völker.
Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen
und ihre Spieße zu Sicheln.
Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob,
lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
V.
Es könnte alles ganz anders sein.
Der Prophet wirft ein Blick auf die „Rückseite der Tage“,
wie es dort wörtlich heißt.
Zion, der umkämpfte und von Feinden belagerte Berg:
Ausgerechnet er wird zum Berg des Friedens.
Nicht mehr kämpfen, sondern lernen werden die Menschen,
die dort hinkommen.
Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Sie lernen den Frieden.
Es anders machen.
Nicht mehr dieselben Fehler tun.
Lernen aus dem, was geschehen ist.
Der Prophet ist kein Naivling, auch wenn er träumt.
Er sieht weiter, tiefer,
auf die Rückseite dessen, was wir gewohnt sind, zu sehen.
Der Prophet schaut das, was möglich wäre
und vor allem, was nötig ist.
Ja, er ist Realist durch und durch
und weiß: Kriege bringen nur Zerstörung und keine Heilung.
Kriege bringen kein friedliches Zusammenleben.
Das sehen wir in Syrien, Afghanstan, im Irak und in Jemen
Vor der Allmacht der Gewalt zu kapitulieren, ist gegen Gott.
Und darum sind auch Waffenlieferungen
- ob klein oder groß - absurd
und vielleicht sogar sowas wie Gotteslästerung.
VI.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob,
lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein, darum macht es anders.
Malala, das pakistanische Schulmädchen macht es anders.
Sie wurde von den Taliban in den Kopf geschossen,
weil sie ihr Recht auf Bildung wahrnehmen wollte.
Sie überlebte und kämpft seither für das Recht auf Bildung.
Vor allem ein Satz von ihr ist um die Welt gegangen:
„Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern“.
Also fangen wir mal damit an.
Keine Waffenexporte mehr, sondern Stiftexporte.
Schwerter zu Schreibstiften und Büchern.
VII.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein.
Die Polizei in Stuttgart macht es anders.
Ein Dienstgebäude wurde mit Hassparolen beschmiert.
Statt nun alles zu säubern,
luden der Polizeidirektor und sein Team
bunt gemischte Menschen aller Altersstufen des benachbarten Mehrgenerationenhauses
zum Foto-Posing ein.
So wurde aus dem schwarzen, rund eineinhalb Quadratmeter bedeckenden Schriftzug "A.C.A.B."
ein Symbol für "All Colours Are Beautiful" (Alle Farben sind schön).
Mach Spaß statt Hass - so lautete das Motto.
Zwar sieht die Polizei das immer noch als zu verfolgende Sachbeschädigung an.
Und ich denke kreativer wäre es, die Sprayer einfach nur auszulachen.
Aber immerhin hat sie aus Hass etwas Schönes, Buntes, Offenes gemacht.
Schwerter zu bunten Wänden.
Es anders machen. Es geht.
VIII.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Es könnte alles ganz anders sein.
Viele Jugendliche in unserem Kirchenbezirk machen es anders.
Sie lassen sich ausbilden zu Friedensstiftern und -stifterinnen.
Lernen, wie sie Konflikte beilegen können,
Wie sie die Menschen wieder ins Gespräch bringen.
Lernen, sensibel zu sein für Gewalt im Kleinen.
Und so weiter.
Den Frieden lernen.
Es geht. Es geht ganz anders.
IX.
Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Jetzt, nicht erst morgen.
Schwerter zu Pflugscharen.
Fang schon mal an.
Mit deinen Gedanken und Worten, mit deiner kleinen Welt.
Es könnte alles ganz anders sein.
Hassworte zu Liebeserklärungen,
„fake news“ zu „good news“,
Kasernen zu Wohnungen und Werkstätten,
Kriegsschiffe zu Rettungskreuzern,
Bauen und Pflanzen statt Bomben,
Landminen zu Bleistiftminen,
Tee trinken anstatt in Angst versinken,
Mit Feinden essen gehen
und gemeinsam auf die Welt schauen.
Und zum eigenen, ganz eigenen inneren Berg Zion gehen.
Auf die Rückseite, wo alles anders aussieht.
Dir fällt bestimmt noch mehr ein oder…?
Und mir bestimmt auch.
Es könnte jedenfalls ganz anders sein.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Sonntag, 23. Juli 2017
Keine Hindernisse mehr...
...sondern Leben, das zu dir gehört.
Oder:
Was haben ein äthiopischer Finanzminister, ein deutscher Sozialarbeiter, ein syrischer Balletttänzer gemeinsam?
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 - 39 - gehalten in der Stadtkirche am 23.7.2017
26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach:
Steh auf und geh nach Süden auf die Straße,
die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin.
Und siehe, ein Mann aus Äthiopien,
ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake,
der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister,
war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen
und las den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus:
Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las,
und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?
Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8):
»Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird,
und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt,
so tut er seinen Mund nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben.
Wer kann seine Nachkommen aufzählen?
Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach:
Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das,
von sich selber oder von jemand anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf
und fing mit diesem Schriftwort an
und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer:
Siehe, da ist Wasser;
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
38 Und er ließ den Wagen halten
und beide stiegen in das Wasser hinab,
Philippus und der Kämmerer,
und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen,
entrückte der Geist des Herrn den Philippus
und der Kämmerer sah ihn nicht mehr;
er zog aber seine Straße fröhlich.
I.
Hakki ließ sich am Freitag taufen.
Im Garten vom Lukaszentrum.
Hakki hat türkische Eltern
und ist in Mönchengladbach geboren.
Religion spielte keine Rolle in seinem Leben.
Als er 11 Jahre alt war, zogen sie wieder in die Türkei.
Aber seine Heimat blieb Deutschland.
Dorthin kehrte er zurück als er 20 Jahre war.
Wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Suchte nach dem Sinn.
Sehnte sich nach einem Willkommen.
Und wurde Sozialarbeiter.
Hakki heiratete
und fing schließlich bei der Diakonie an.
Den christlichen Glauben hat er schon vor ein paar Jahren kennengelernt.
Doch hier sind nun Menschen, die ihn willkommen heißen.
Die freuen sich, dass er da ist.
Sie zeigen: du bist uns wichtig. Und wir brauchen dich.
Und dann stellte er die Frage:
Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?
Und der Diakoniepfarrer sagte:
Niemand hindert dich.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu uns. Und vor allem zu Gott.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und Hakki feierte ein fröhliches Fest in Pforzheim.
II.
Ahmad Joudeh ist ein syrischer Tänzer. (1)
Tanzen ist unmännlich, schrie ihn sein Vater an.
Trotzdem fing er an mit Ballett.
Mit dem Krieg kamen die Terroristen.
Sie verbrennen Tänzer.
Doch Ahmad tätowierte sich in den Nacken „Dance or die“
Und er tanzte auf den Dächern der Häuser.
Und im Theater von Palmyra
Er wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Dann wurde das Holländische Nationalballett auf ihn aufmerksam,
Was hindert uns, dass du bei uns tanzt?
Niemand und nichts.
Sie besorgten ihm ein Visum
Und holten ihn nach Amsterdam.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Keine Hindernisse mehr.
Und so tanzt Ahmad fröhlich auf den Bühnen von Holland.
III.
Keine Hindernisse mehr.
Denn du bist ein wunderbarer Mensch.
Ein Kind Gottes.
Du Fremder mit dunkler Haut.
Du kommst aus Äthiopien und fährst durch die Wüste.
Du bist in Jerusalem gewesen und hast Gott gesucht.
Mag sein, dass du in deinem Land was zählst.
Aber hier nicht.
Die was zu sagen haben, zeigen dir:
du gehörst nicht dazu.
Du Andersgläubiger.
Und noch schlimmer:
Eunuch. Kein richtiger Mann mehr.
Eher queer.
Auf jeden Fall sexuelle Minderheit.
Mit dir redet man hier nicht.
Du, Mensch im Wagen.
Suchender und Lesender.
Doch dann kommt Philippus dazu.
Einfach so. Wie vom Himmel gesandt.
Er - ein Fremder für dich - spricht mit dir.
Nimmt dich ernst.
Hört dir zu.
Fragt nicht, woher du kommst
und was du glaubst und wer du bist.
Teilt dich nicht in Schubladen ein.
Will nur, dass du verstehst, was du liest.
Damit du das Leben lebst, das zu dir gehört.
Nicht mehr abhängig vom Wohlwollen der anderen.
Sondern als freies Gotteskind.
IV.
Keine Hemmungen mehr, Fremder.
Philippus will, dass du fragst und suchst und forscht.
Und ja: Der Gottesknecht fasziniert dich.
Das Schaf, das zur Schlachtung geführt wird
und stumm bleibt.
Vielleicht rührt dich das an:
Das Ausgeliefertsein?
Das Ausgelacht werden.
Dass er angespuckt wird.
Und genauso wenig dazu gehört wie du,
sondern immer fremd bleibt.
Und dann erzählt dir Philippus von Jesus.
Erzählt er dir davon,
dass er ebenfalls ein Ausgestoßener war?
Draußen vor den Toren Jerusalems starb er wie ein Verbrecher.
Ihn spuckten sie an und riefen:
Du gehörst nicht zu uns.
Und schon gar nicht zu Gott.
Du bist ein Fremder.
Und wirst immer ein Fremder bleiben.
Anders als wir.
Und den Armen und Schwachen viel zu nah.
Aber Gott hat diesen Verstoßenen zu sich geholt.
Hat sich zu ihm bekannt:
Das ist mein geliebter Sohn.
Er gehört zu mir.
Und ich zu ihm.
Nichts gibt es, was ihn daran hindert, mein Kind zu sein.
Und niemand hindert mich daran, dass ich ihn liebe.
Hat dir Philippus das erzählt?
V.
Jedenfalls gibt es für dich kein Halten mehr.
Du siehst Wasser:
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
Denn das hast du nun verstanden:
Du gehörst dazu.
Du Andersgläubiger.
Du queerer Mensch.
Suchender. Zweifelnder. Ausgestoßener.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu Gott. Zu Jesus. Zur Liebe. Zu uns.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und du ziehst fröhlich deine Straße.
VI.
Ich bin sicher:
für Philippus gab es am Anfang große Hindernisse.
Die im Kopf:
Kann ich mich einfach zu einem Fremden dazu setzen?
Und einfach so taufen, nur weil er mich darum bittet?
Woher weiß ich denn, ob der wirklich glaubt?
Und ich denke an meine Scheu,
an der Bushaltestelle die Frau im Niqab anzusprechen.
Die versteht mich doch sowieso nicht.
Und ich will ja auch nicht aufdringlich sein.
Und überhaupt: die denkt ja auch ganz anders als ich.
Wir finden bestimmt kein Gesprächsthema.
Manchmal traue ich mich doch.
Vor allem wenn Kinder dabei sind.
Dann fällt das leichter.
Ich kann fragen, wie alt sie sind.
Und wir lächeln uns zu, die Frau und ich.
Zwei vorsichtige scheue Gotteskinder.
Was hindert uns, miteinander zu reden?
Die Hindernisse im Kopf:
Die Bilder von eifernden Islamisten.
Die Sprache, die ich nicht verstehe.
Fremde Gerüche.
Misstrauische Gesichter.
Und ich kann es ihnen nicht verdenken:
Denn wer heißt sie schon wirklich willkommen?
Aber die Schranke in meinem Kopf ist da.
Auch gegenüber Deutschen, die anders ticken als ich.
VII.
Und dann -
ja, dann sehne ich mich nach einem Engel,
der mich wie Philippus einfach zu Anderen schickt.
Und mir die Scheu nimmt.
Und das Misstrauen und die Angst.
Ich will sein wie Philippus
und im Anderen ein Gotteskind sehen,
Egal woher es kommt und was es glaubt.
Ich will mich bereit halten für überraschende Begegnungen.
Offen sein für den Beginn einer Freundschaft,
auch wenn der Anfang quer liegt.
Ich sehne mich nach so einem Engel für unsere Kirche.
Für uns hier.
Dass wir nicht fragen,
ob jemand genug glaubt oder bibelfest genug ist.
Sondern dass wir einfach neugierig sind füreinander.
Dass wir Fremde und Neue unter uns wirklich willkommen heißen.
Ihre Fragen hören und unsere Fragen
und gemeinsam nach Antworten suchen.
Unseren unterschiedlichen Sehnsüchten nachspüren.
Ich will, dass wir auch mal etwas Verrücktes wagen.
Philippus war ziemlich verrückt,
einfach da in die Wüste zu gehen.
Aber die Liebe braucht solche Menschen.
Mutige und freie Menschen,
die andere ihre Straße ziehen lassen.
Und fröhliche Menschen, die ihre Straße ziehen.
VIII.
Hakki hat sich am Freitag taufen lassen.
Es war ein fröhliches Fest.
Alle haben sich mit ihm gefreut.
Und seinen Worten gelauscht. (2)
Wo er von Fehlern sprach, die er machen will, um aus ihnen zu lernen.
Und Gutes säen, um später Gutes zu ernten.
Alles tun, weil er kann - und nicht muss.
Worte eines freien fröhlichen Gotteskindes,
das dazu gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Ahmad verzaubert mit seinem Tanz die Menschen.
Er ist ein Gotteskind: frei und endlich in Sicherheit.
Lebt das Leben, das vielen nicht passte,
aber zu ihm gehört.
Mutig und verrückt und fröhlich.
Nation und Religion spielen keine Rolle.
Keine Hindernisse mehr.
Und du:
Du begibst dich auf den Weg
wie Philippus und der Äthiopier.
Begleitet von einem Engel, der dir Mut macht.
Wer weiß, wer zu dir in deinen Wagen steigt.
Wer weiß, zu wem du dich in dessen Wagen setzt.
Wer weiß, wem du an der Bushaltestelle begegnest.
Es könnte ein Gotteskind sein.
Ein suchendes, ein fragendes oder ein antwortendes.
Und wenn du dich dann fragst:
Was hindert mich?
Was hindert’s, das Leben zu leben, das zu mir gehört?
Was hindert mich, dem anderen dasselbe zu gönnen?
Dann tust du es - du lebst und liebst und gönnst.
Denn du gehörst zu Gott.
Keine Hindernisse mehr -
mit dem Frieden, welcher höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(1) ein sehr berührender Film-Spot: https://www.facebook.com/fusionmedianetwork/videos/2035042753188359/?hc_ref=ARSggXUujLylGyey1bxbSqrjn1bmqpX_f_UAkkatjLV9VlfYSVtObNndmsGgyEUl_fc&pnref=story
(2) die hat er sich von Julia Engelmann geliehen, aber so vorgetragen, dass sie wirklich zu seinen Worten wurden - sehr berührend.
Oder:
Was haben ein äthiopischer Finanzminister, ein deutscher Sozialarbeiter, ein syrischer Balletttänzer gemeinsam?
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 - 39 - gehalten in der Stadtkirche am 23.7.2017
26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach:
Steh auf und geh nach Süden auf die Straße,
die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin.
Und siehe, ein Mann aus Äthiopien,
ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake,
der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister,
war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen
und las den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus:
Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las,
und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?
Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8):
»Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird,
und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt,
so tut er seinen Mund nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben.
Wer kann seine Nachkommen aufzählen?
Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach:
Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das,
von sich selber oder von jemand anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf
und fing mit diesem Schriftwort an
und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer:
Siehe, da ist Wasser;
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
38 Und er ließ den Wagen halten
und beide stiegen in das Wasser hinab,
Philippus und der Kämmerer,
und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen,
entrückte der Geist des Herrn den Philippus
und der Kämmerer sah ihn nicht mehr;
er zog aber seine Straße fröhlich.
I.
Hakki ließ sich am Freitag taufen.
Im Garten vom Lukaszentrum.
Hakki hat türkische Eltern
und ist in Mönchengladbach geboren.
Religion spielte keine Rolle in seinem Leben.
Als er 11 Jahre alt war, zogen sie wieder in die Türkei.
Aber seine Heimat blieb Deutschland.
Dorthin kehrte er zurück als er 20 Jahre war.
Wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Suchte nach dem Sinn.
Sehnte sich nach einem Willkommen.
Und wurde Sozialarbeiter.
Hakki heiratete
und fing schließlich bei der Diakonie an.
Den christlichen Glauben hat er schon vor ein paar Jahren kennengelernt.
Doch hier sind nun Menschen, die ihn willkommen heißen.
Die freuen sich, dass er da ist.
Sie zeigen: du bist uns wichtig. Und wir brauchen dich.
Und dann stellte er die Frage:
Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?
Und der Diakoniepfarrer sagte:
Niemand hindert dich.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu uns. Und vor allem zu Gott.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und Hakki feierte ein fröhliches Fest in Pforzheim.
II.
Ahmad Joudeh ist ein syrischer Tänzer. (1)
Tanzen ist unmännlich, schrie ihn sein Vater an.
Trotzdem fing er an mit Ballett.
Mit dem Krieg kamen die Terroristen.
Sie verbrennen Tänzer.
Doch Ahmad tätowierte sich in den Nacken „Dance or die“
Und er tanzte auf den Dächern der Häuser.
Und im Theater von Palmyra
Er wollte sein Leben leben, das zu ihm gehört.
Dann wurde das Holländische Nationalballett auf ihn aufmerksam,
Was hindert uns, dass du bei uns tanzt?
Niemand und nichts.
Sie besorgten ihm ein Visum
Und holten ihn nach Amsterdam.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Keine Hindernisse mehr.
Und so tanzt Ahmad fröhlich auf den Bühnen von Holland.
III.
Keine Hindernisse mehr.
Denn du bist ein wunderbarer Mensch.
Ein Kind Gottes.
Du Fremder mit dunkler Haut.
Du kommst aus Äthiopien und fährst durch die Wüste.
Du bist in Jerusalem gewesen und hast Gott gesucht.
Mag sein, dass du in deinem Land was zählst.
Aber hier nicht.
Die was zu sagen haben, zeigen dir:
du gehörst nicht dazu.
Du Andersgläubiger.
Und noch schlimmer:
Eunuch. Kein richtiger Mann mehr.
Eher queer.
Auf jeden Fall sexuelle Minderheit.
Mit dir redet man hier nicht.
Du, Mensch im Wagen.
Suchender und Lesender.
Doch dann kommt Philippus dazu.
Einfach so. Wie vom Himmel gesandt.
Er - ein Fremder für dich - spricht mit dir.
Nimmt dich ernst.
Hört dir zu.
Fragt nicht, woher du kommst
und was du glaubst und wer du bist.
Teilt dich nicht in Schubladen ein.
Will nur, dass du verstehst, was du liest.
Damit du das Leben lebst, das zu dir gehört.
Nicht mehr abhängig vom Wohlwollen der anderen.
Sondern als freies Gotteskind.
IV.
Keine Hemmungen mehr, Fremder.
Philippus will, dass du fragst und suchst und forscht.
Und ja: Der Gottesknecht fasziniert dich.
Das Schaf, das zur Schlachtung geführt wird
und stumm bleibt.
Vielleicht rührt dich das an:
Das Ausgeliefertsein?
Das Ausgelacht werden.
Dass er angespuckt wird.
Und genauso wenig dazu gehört wie du,
sondern immer fremd bleibt.
Und dann erzählt dir Philippus von Jesus.
Erzählt er dir davon,
dass er ebenfalls ein Ausgestoßener war?
Draußen vor den Toren Jerusalems starb er wie ein Verbrecher.
Ihn spuckten sie an und riefen:
Du gehörst nicht zu uns.
Und schon gar nicht zu Gott.
Du bist ein Fremder.
Und wirst immer ein Fremder bleiben.
Anders als wir.
Und den Armen und Schwachen viel zu nah.
Aber Gott hat diesen Verstoßenen zu sich geholt.
Hat sich zu ihm bekannt:
Das ist mein geliebter Sohn.
Er gehört zu mir.
Und ich zu ihm.
Nichts gibt es, was ihn daran hindert, mein Kind zu sein.
Und niemand hindert mich daran, dass ich ihn liebe.
Hat dir Philippus das erzählt?
V.
Jedenfalls gibt es für dich kein Halten mehr.
Du siehst Wasser:
was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
Denn das hast du nun verstanden:
Du gehörst dazu.
Du Andersgläubiger.
Du queerer Mensch.
Suchender. Zweifelnder. Ausgestoßener.
Du bist ein wunderbarer Mensch und gehörst dazu.
Zu Gott. Zu Jesus. Zur Liebe. Zu uns.
Lebe dein Leben, das zu dir gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Und du ziehst fröhlich deine Straße.
VI.
Ich bin sicher:
für Philippus gab es am Anfang große Hindernisse.
Die im Kopf:
Kann ich mich einfach zu einem Fremden dazu setzen?
Und einfach so taufen, nur weil er mich darum bittet?
Woher weiß ich denn, ob der wirklich glaubt?
Und ich denke an meine Scheu,
an der Bushaltestelle die Frau im Niqab anzusprechen.
Die versteht mich doch sowieso nicht.
Und ich will ja auch nicht aufdringlich sein.
Und überhaupt: die denkt ja auch ganz anders als ich.
Wir finden bestimmt kein Gesprächsthema.
Manchmal traue ich mich doch.
Vor allem wenn Kinder dabei sind.
Dann fällt das leichter.
Ich kann fragen, wie alt sie sind.
Und wir lächeln uns zu, die Frau und ich.
Zwei vorsichtige scheue Gotteskinder.
Was hindert uns, miteinander zu reden?
Die Hindernisse im Kopf:
Die Bilder von eifernden Islamisten.
Die Sprache, die ich nicht verstehe.
Fremde Gerüche.
Misstrauische Gesichter.
Und ich kann es ihnen nicht verdenken:
Denn wer heißt sie schon wirklich willkommen?
Aber die Schranke in meinem Kopf ist da.
Auch gegenüber Deutschen, die anders ticken als ich.
VII.
Und dann -
ja, dann sehne ich mich nach einem Engel,
der mich wie Philippus einfach zu Anderen schickt.
Und mir die Scheu nimmt.
Und das Misstrauen und die Angst.
Ich will sein wie Philippus
und im Anderen ein Gotteskind sehen,
Egal woher es kommt und was es glaubt.
Ich will mich bereit halten für überraschende Begegnungen.
Offen sein für den Beginn einer Freundschaft,
auch wenn der Anfang quer liegt.
Ich sehne mich nach so einem Engel für unsere Kirche.
Für uns hier.
Dass wir nicht fragen,
ob jemand genug glaubt oder bibelfest genug ist.
Sondern dass wir einfach neugierig sind füreinander.
Dass wir Fremde und Neue unter uns wirklich willkommen heißen.
Ihre Fragen hören und unsere Fragen
und gemeinsam nach Antworten suchen.
Unseren unterschiedlichen Sehnsüchten nachspüren.
Ich will, dass wir auch mal etwas Verrücktes wagen.
Philippus war ziemlich verrückt,
einfach da in die Wüste zu gehen.
Aber die Liebe braucht solche Menschen.
Mutige und freie Menschen,
die andere ihre Straße ziehen lassen.
Und fröhliche Menschen, die ihre Straße ziehen.
VIII.
Hakki hat sich am Freitag taufen lassen.
Es war ein fröhliches Fest.
Alle haben sich mit ihm gefreut.
Und seinen Worten gelauscht. (2)
Wo er von Fehlern sprach, die er machen will, um aus ihnen zu lernen.
Und Gutes säen, um später Gutes zu ernten.
Alles tun, weil er kann - und nicht muss.
Worte eines freien fröhlichen Gotteskindes,
das dazu gehört.
Keine Hindernisse mehr.
Ahmad verzaubert mit seinem Tanz die Menschen.
Er ist ein Gotteskind: frei und endlich in Sicherheit.
Lebt das Leben, das vielen nicht passte,
aber zu ihm gehört.
Mutig und verrückt und fröhlich.
Nation und Religion spielen keine Rolle.
Keine Hindernisse mehr.
Und du:
Du begibst dich auf den Weg
wie Philippus und der Äthiopier.
Begleitet von einem Engel, der dir Mut macht.
Wer weiß, wer zu dir in deinen Wagen steigt.
Wer weiß, zu wem du dich in dessen Wagen setzt.
Wer weiß, wem du an der Bushaltestelle begegnest.
Es könnte ein Gotteskind sein.
Ein suchendes, ein fragendes oder ein antwortendes.
Und wenn du dich dann fragst:
Was hindert mich?
Was hindert’s, das Leben zu leben, das zu mir gehört?
Was hindert mich, dem anderen dasselbe zu gönnen?
Dann tust du es - du lebst und liebst und gönnst.
Denn du gehörst zu Gott.
Keine Hindernisse mehr -
mit dem Frieden, welcher höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(1) ein sehr berührender Film-Spot: https://www.facebook.com/fusionmedianetwork/videos/2035042753188359/?hc_ref=ARSggXUujLylGyey1bxbSqrjn1bmqpX_f_UAkkatjLV9VlfYSVtObNndmsGgyEUl_fc&pnref=story
(2) die hat er sich von Julia Engelmann geliehen, aber so vorgetragen, dass sie wirklich zu seinen Worten wurden - sehr berührend.
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