Kurzpredigt anlässlich des Goldstadtjubiläums 9.7.2017
(zur Info: Die Stadt Pforzheim feiert 250 Jahre Schmuckindustrie. Heute haben wir im Stadtgarten einen ökumenischen Openair-Gottesdienst unter dem Titel "mehr als Gold" gefeiert. Die Predigt bestand aus 3 Teilen auf 3 Menschen verteilt: 1.Teil meine Kollegin Heike Reisner-Baral zu Vision der "goldenen Stadt", 2.Teil meines katholischen Kollegen Bernhard Ihle zum "goldenen Kalb" und der 3.Teil ist die Predigt hier.
Was viele Menschen im aktuellen Tagesgeschehen beschäftigt, sind die Gewaltexzesse in Hamburg angesichts des G20-Gipfels vom 6.-8.7. Es war mir nicht möglich, diese Ereignisse auszublenden - und so war ich dankbar für den Predigteinfall "Königin von Saba".)
I.
Gold, die Königin unter den Metallen.
Es rostet nicht, es läuft nicht an.
Gold bleibt immer Gold.
Gold ist ewig und zeitlos.
Und darum ist es so kostbar, so königlich.
Gilt immer noch als stabile Währung, auch wenn sein Preis steigt oder fällt.
Die Gefahr ist groß, dass wir es anbeten.
II.
Die 3 Weisen aus dem Morgenland haben es anders gemacht.
Sie kommen nach Bethlehem - mit Gold im Gepäck.
Gelehrte wichtige Männer,
empfangen vom König Herodes persönlich.
Sie betreten eine Notunterkunft,
wo sich ein neugeborenes Kind befindet
Mit seinen müden Eltern.
Dieses Kind ist klein, unbedeutend - noch.
Es hat Hunger wie alle Babys.
Es trinkt und schläft und macht in die Windel.
Es raubt seinen Eltern den Schlaf und hat eine ungewisse Zukunft.
Nichts besonderes.
Aber ausgerechnet ihm erweisen sie die Ehre und schenken ihm Gold.
Gold ist nichts zum anbeten, sondern zum Verschenken.
Denn dieses Kind ist Gold wert,
Es ist so gar mehr wert als Gold.
Es ist das Gotteskind.
III.
Die Königin von Saba hat auch ihr Gold verschenkt.
Dafür ist sie extra nach Jerusalem gekommen.
Zu König Salomo.
Mit Gold im Gepäck.
Ein Gipfeltreffen
zwischen der einen und der anderen Welt.
Zwischen Staatsoberhäuptern.
Die Königin von Saba kam, um zuzuhören und wahrzunehmen.
Und auch Salomo wird ihre Sicht auf die Dinge interessiert haben.
Wie ihre Völker über dieses Treffen dachten,
wissen wir nicht.
Und das Recht auf Demonstrieren gab es noch nicht.
Und es konnte darum auch noch nicht missbraucht werden.
Aber schon damals galt:
lieber miteinander reden, als übereinander.
Lieber gemeinsam am Tisch sitzen als Kriege führen.
Lieber teilen als wegnehmen.
Uns so gibt die Königin von Saba dem Salomo Gold,
jede Menge Gold.
Nicht weil er es gebraucht hätte, er war ja reich,
Aber sie ehrt ihn damit.
Sie zeigt, wie sehr sie ihn respektiert.
Dass er Gold wert ist.
Nun war er ja ein berühmter weiser Mann.
Kein Wunder, dass er respektiert wird. So denken wir.
Aber Respekt hat jeder Mensch verdient.
Jeder Mensch ist kostbar wie Gold.
Ein Gotteskind.
IV.
Auch du bist Gold wert.
Und mehr als das.
Keiner darf dir sagen, dass du nichts wert seist.
Du bist keine graue Masse, sondern Gotteskind.
Und dasselbe gilt für deine Kollegin.
Und für den Hausmeister.
Es gilt für den Polizisten,
der sich in Hamburg beschimpfen lassen musste
und um sein Leben fürchtete.
Es gilt für die Regierungschefs und -chefinnen genauso
wie für die Müllmänner,
die heute wieder im Schanzenviertel unterwegs sind.
Es gilt für die Männer, Frauen und Kinder,
die für mehr Gerechtigkeit demonstrierten.
Und es gilt sogar für die Gewalttätigen.
Selbst sie sind mit Respekt zu behandeln,
selbst wenn sie ihn missbrauchen.
Respekt heißt: ich sehe im anderen ein Kind Gottes,
Einen Menschen, der Gold wert ist und mehr als das.
Ich darf mit ihm streiten. Ich muss es vielleicht sogar.
Denn lieber miteinander reden als übereinander.
Und vielleicht muss dieses Gotteskind sogar ins Gefängnis
für das, was es getan hat.
Aber, wehe, ich fang an, ihm seinen Wert abzusprechen,
Dann komme ich in Teufels Küche.
Dort sitzen nämlich die Menschenverächter dieser Welt.
V.
Gold ist die Königin unter den Metallen.
Und jeder Mensch ist Gold wert.
Mehr als Gold.
Wenn wir so leben, sieht die Welt anders aus.
Keine graue Masse, sondern buntgoldene Gotteskinder.
Nicht in Teufels Küche, sondern an Gottes Tisch.
Wie die Königin von Saba bei Salomo
und die 3 Weisen im Stall.
Selbst die bisher respektlos waren, finden ihren Platz
und begegnen dir ganz neu. Auf Augenhöhe.
Ja, in so einer Welt ist es gar nicht schwer zu schenken,
sich zu verschenken.
Mein Gold, dein Gold -
das ist der Respekt für die Gotteskinder der Welt.
Für jedes Leben, das unseren Einsatz braucht.
Unser Gold behalten wir nicht für uns.
Sondern verschenken es wie die Königin von Saba
und die 3 Weisen.
Mit dem Segen Gottes,
Und der ist viel mehr als Gold.
Amen.
Sonntag, 9. Juli 2017
Sonntag, 2. Juli 2017
Grund zum Feiern
Predigt zu Lukas 15,1-10
Alle Zolleinnehmer und andere Menschen,
die ein Leben voller Schuld führten,
kamen zu Jesus,
um ihm zuzuhören.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich darüber.
Sie sagten:
»Mit solchen Menschen gibt er sich ab
und isst sogar mit ihnen!«
Da erzählte ihnen Jesus dieses Gleichnis:
»Stellt euch vor:
Einer von euch hat hundert Schafe
und verliert eines davon.
Wird er dann nicht die neunundneunzig Schafe
in der Steppe zurücklassen
und das verlorene Schaf suchen,
bis er es findet?
Und wenn er es gefunden hat,
nimmt er es voller Freude auf seine Schultern
und trägt es nach Hause.
Er ruft seine Freunde und Nachbarn zusammen
und sagt zu ihnen:
›Freut euch mit mir!
Ich habe das Schaf wiedergefunden,
das ich verloren hatte.‹
Das sage ich euch:
Genauso freut sich Gott im Himmel
über einen mit Schuld beladenen Menschen,
der sein Leben ändert.
Er freut sich mehr als über neunundneunzig Gerechte,
die es nicht nötig haben,
ihr Leben zu ändern.«
»Oder stellt euch vor:
Eine Frau besitzt zehn Silbermünzen.
Wenn sie eine davon verliert:
Wird sie da nicht eine Öllampe anzünden,
das Haus fegen
und in allen Ecken suchen,
bis sie das Geldstück findet?
Und wenn sie es gefunden hat,
ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen
und sagt:
›Freut euch mit mir!
Ich habe die Silbermünze wiedergefunden,
die ich verloren hatte.‹
Das sage ich euch:
Genauso freuen sich die Engel Gottes
über einen mit Schuld beladenen Menschen,
der sein Leben ändert.«
I.
Stell dir vor:
Ein blöder Streit um Geld hat euch auseinandergebracht.
Dich und deine Cousine.
Ihr wart mal wie Zwillingsschwestern.
Deine Mutter war für euch beide da.
Ihr gehörtet zusammen. Ihr habt euch alles erzählt.
Zu ihr konntest du gehen, als du todtraurig warst
Und zu dir ist sie gekommen, als ihr Sohn einen Anfall hatte.
Aber dann der Streit ums Geld.
Um das Erbe der Großeltern.
Mit ihr will ich nichts mehr zu tun haben,
sagst du mit Wuttränen in den Augen.
Und sie gibt sich schnippisch: Ich brauch dich auch gar nicht.
Doch dann der Tod deiner Mutter. Ihrer Pflegemutter.
Ihr trefft euch am Grab.
Seht euch an.
Und dann die Umarmung.
Die Tränen fließen, aber der Mund lächelt.
Ihr wollt euch gar nicht mehr loslassen.
Der Kuchen schmeckt so richtig gut.
Stell dir vor: ihr habt euch verloren.
Ihr habt euch nicht gesucht.
Aber ihr habt euch wiedergefunden.
Ein Grund zum Feiern.
II.
Stell dir vor:
Da ist ein Christ, der glaubt, dass nur noch rechte Politik unser Land retten kann.
Grenzen dicht. Islam raus. Schmarotzer weg.
Eine Kultur in einer Nation.
Kein Kulturmix mehr, sondern endlich klare Verhältnisse.
Deutschland den Deutschen.
Doch dann sucht er dich.
Oder hat er dich schon gefunden?
Er nimmt Kontakt mit dir auf.
Will mit dir reden -
er findet, dass du auf das falsche Pferd setzt mit deiner Fremdenliebe.
Er will dir die Augen öffnen
und schickt dir lauter schreckliches Videos von Islamisten und Terroristen.
Und du denkst:
Ich habe ihn nicht gesucht.
Und gefunden hat er eher mich.
Aber er ist der Verlorene.
Und so suchst du nach einem Weg, ihn zurück zu bringen.
Ihr trefft euch sogar.
Aber ihr kommt nicht zueinander. Nicht wirklich.
Und die Türen sind wieder zu.
Stell dir vor: Ihr habt euch gefunden.
Und verloren.
Kein Grund zum Feiern.
III.
Stell dir vor:
da ist Jesus.
Der macht die Türen auf.
Der geht raus.
Der geht zu denen, die man nicht besucht.
Die abgeschoben werden sollen.
Sie haben vielleicht keinen richtigen Pass.
Gehören nicht dazu
mit ihrer Sprache, ihrer Kleidung, ihrer Religion.
Jesus geht raus.
Er geht auch zu denen, denen ihr Pass ganz wichtig ist.
Die sich von ihrer Angst treiben lassen
und deshalb Mauern um sich herum bauen.
Jesus geht raus.
Zu denen, die im Internet Hasskommentare schreiben.
#Hatespeech.
Die die Angst der anderen ausnutzen.
Und dich und mich als Gutmenschen beschimpfen.
Jesus geht dorthin,
zu den Abgeschobenen und Ängstlichen und Hassenden.
Zu denen, die sich verloren haben
und nicht mehr wissen, wo sie hingehören.
IV.
Stell dir vor:
Jesus sucht sie.
Im Gefängnis und im Internet.
In der Kirche, im Polittalk
und im Bundestag.
Stell dir vor:
er findet sie.
Holt sie zu sich - an seinen Tisch.
Da ist Brot und Wein und Käse und Fallafel und Erdbeerquark.
Und alle trinken aus demselben Kelch.
Jesus nimmt seine Gäste in den Arm
und auf ihren hatespeech antwortet er mit lovespeech.
Er holt die Streetdancer dazu, die letztens im Bahnhof waren.
Die lassen den Saal beben.
Stell dir vor:
Jesus sucht die Verlorenen, die niemand sonst wirklich sucht.
Die, die sich selbst verloren haben.
Er findet sie. Und sie finden ihn.
Und sie feiern, weil sie allen Grund dazu haben.
V.
Denn sie gehören alle dazu.
Selbst wenn sie sich selber ausschließen.
Sie gehören dazu und brauchen ihren Hass und ihre Angst nicht mehr.
Auch die, von denen die anderen sagen, dass sie nicht dazu gehören.
In den Augen Gottes sind sie alle unendlich wertvoll.
Gott gibt sie nicht auf. Niemals.
Er geht bis an den Rand des Abgrunds, um das eine Schaf einzusammeln.
Sie kehrt das Unterste nach Oben, um den einen Groschen zu finden.
Gott sucht.
Nach denen, die sich verloren haben.
Geht ihnen nach und gibt sie nicht auf.
Gott geht sogar ans Kreuz, damit niemand mehr ohne ihn ist.
VI.
Stell dir vor:
die anderen sind sauer.
Die, die immer schon dabei sind.
Womöglich findet der Schäfer das eine Schaf wichtiger als uns?
Aber es ist doch selber schuld, wenn es sich von uns entfernt.
Was ist es auch so leichtsinnig?
Muss es sein, dass der Schäfer dem hinterher geht?
Wir sind doch auch noch da!
Ich will diese Fragen nicht einfach abtun.
Denn wenn die Kraft begrenzt ist oder kein Geld da ist,
dann muss man sich vielleicht entscheiden, um wen man sich zuerst kümmert.
Aber der Schäfer weiß ja, dass es seinen 99 Schafen gut geht.
Dass sie sich zu helfen wissen.
Sie brauchen ihn gerade nicht.
Und sie wissen genau:
wenn mir das mal passiert, dass ich mich verloren habe,
dann sucht er auch nach mir.
VII.
Aber es passiert eben auch,
dass die 99 dem einen Schaf einfach nicht gönnen,
dazu zu gehören.
Der daheim gebliebene Sohn, der Ältere,
will das Fest für seinen zurückgekehrten Bruder nicht mitfeiern (1).
Der hat das nicht verdient.
So wie deine Cousine.
Die hatte das auch nicht verdient.
Und wir feiern den Gottesdienst wie wir ihn gewohnt sind.
Denn da kommen die, die wir kennen und die dazu gehören.
Wir kennen uns. Uns gefällt es.
Müssen wir in den Bahnhof gehen und mit Streetdancern Gottesdienst feiern? (2)
Die kommen doch sowieso nicht hierher in die Kirche.
Die Kirche sollte eher die pflegen, die noch da sind.
So denken nicht wenige wie der daheimgebliebene Sohn.
Es gibt viele, die finden,
wir sollten uns eher um die 99% kümmern,
die schon immer in unserem Land gelebt haben.
Die Deutschen seien wichtiger als die Flüchtlinge.
Also bitte nicht so viel Aufwand für sie.
Es gibt viele, die finden es unnötig, ein Gesetz zu ändern
für die vielleicht 5 oder 6% Schwulen und Lesben,
Okay, sie wollen endlich genauso verheiratet sein, wie die Heterosexuellen.
Aber müssen wir für ein Schaf und eine Silbermünze so einen Aufwand treiben?
Ein Gesetz ändern.
Aufs Meer hinausfahren.
Schulen neu ausstatten. Suchen und Finden.
Muss das sein?
Und wenn ich dieses Schaf bin? (3)
VIII.
Ja, stell dir vor:
der Schäfer kommt zurück mit dem einen Schaf.
Er sieht die mürrischen Gesichter der anderen.
Und dann führt er sie alle auf eine neue Weide, wo es die leckersten Gräser gibt.
Feiert mit, sagt er,
setzt sich dazu und genießt die Sonne.
Stell dir vor:
der Vater nimmt den beleidigten Sohn in den Arm.
Und dann gehen sie gemeinsam zum Festessen.
Dort sieht er seinen zurückgekommenen Bruder.
Beide merken: wir sind Brüder.
Und hier sind wir zuhause.
Was auch sonst immer noch zwischen uns sein mag.
Und sie umarmen sich.
Wie du damals deine Cousine nach dem Streit.
Die Tränen fließen, aber der Mund lächelt.
Sie haben sich wie ihr nicht gesucht.
Aber sich vielleicht wiedergefunden.
Stell dir vor:
du gehst nachher zum Café Roland.
Dort treffen sich Christian und Oxana mit Flüchtlingen
aus dem Irak und dem Iran und aus Syrien,
und gemeinsam grillen sie.
Stell dir vor:
auf dem Weg dorthin triffst du den Christen,
der glaubt, dass nur noch rechte Politik unser Land retten kann.
Du nimmst ihn mit und gemeinsam setzt ihr euch zu den anderen.
Einer von den Iranern drückt ihm ein Bier in die Hand.
Falaffel und Erdbeerquark stehen auf dem Tisch.
Und gemeinsam versuchen sie, den Grill anzuwerfen.
Sie suchen sich.
Sie wissen noch nicht, ob sie sich trauen können.
Aber der Versuch ist es wert.
Und das schon ist ein Grund zum Feiern.
Und Jesus feiert mit.
Amen.
(1) Gleichnis von den verlorenen Söhnen (Lukas 15,11-32)
(2) Am Wochenende zuvor fand in der Eingangshalle des Hauptbahnhofs ein Gottesdienst mit jugendlichen Streetdancern statt.
(3) Danke für diesen Gedanken an Silke Wolfrum und Herbert Sperber
Alle Zolleinnehmer und andere Menschen,
die ein Leben voller Schuld führten,
kamen zu Jesus,
um ihm zuzuhören.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich darüber.
Sie sagten:
»Mit solchen Menschen gibt er sich ab
und isst sogar mit ihnen!«
Da erzählte ihnen Jesus dieses Gleichnis:
»Stellt euch vor:
Einer von euch hat hundert Schafe
und verliert eines davon.
Wird er dann nicht die neunundneunzig Schafe
in der Steppe zurücklassen
und das verlorene Schaf suchen,
bis er es findet?
Und wenn er es gefunden hat,
nimmt er es voller Freude auf seine Schultern
und trägt es nach Hause.
Er ruft seine Freunde und Nachbarn zusammen
und sagt zu ihnen:
›Freut euch mit mir!
Ich habe das Schaf wiedergefunden,
das ich verloren hatte.‹
Das sage ich euch:
Genauso freut sich Gott im Himmel
über einen mit Schuld beladenen Menschen,
der sein Leben ändert.
Er freut sich mehr als über neunundneunzig Gerechte,
die es nicht nötig haben,
ihr Leben zu ändern.«
»Oder stellt euch vor:
Eine Frau besitzt zehn Silbermünzen.
Wenn sie eine davon verliert:
Wird sie da nicht eine Öllampe anzünden,
das Haus fegen
und in allen Ecken suchen,
bis sie das Geldstück findet?
Und wenn sie es gefunden hat,
ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen
und sagt:
›Freut euch mit mir!
Ich habe die Silbermünze wiedergefunden,
die ich verloren hatte.‹
Das sage ich euch:
Genauso freuen sich die Engel Gottes
über einen mit Schuld beladenen Menschen,
der sein Leben ändert.«
I.
Stell dir vor:
Ein blöder Streit um Geld hat euch auseinandergebracht.
Dich und deine Cousine.
Ihr wart mal wie Zwillingsschwestern.
Deine Mutter war für euch beide da.
Ihr gehörtet zusammen. Ihr habt euch alles erzählt.
Zu ihr konntest du gehen, als du todtraurig warst
Und zu dir ist sie gekommen, als ihr Sohn einen Anfall hatte.
Aber dann der Streit ums Geld.
Um das Erbe der Großeltern.
Mit ihr will ich nichts mehr zu tun haben,
sagst du mit Wuttränen in den Augen.
Und sie gibt sich schnippisch: Ich brauch dich auch gar nicht.
Doch dann der Tod deiner Mutter. Ihrer Pflegemutter.
Ihr trefft euch am Grab.
Seht euch an.
Und dann die Umarmung.
Die Tränen fließen, aber der Mund lächelt.
Ihr wollt euch gar nicht mehr loslassen.
Der Kuchen schmeckt so richtig gut.
Stell dir vor: ihr habt euch verloren.
Ihr habt euch nicht gesucht.
Aber ihr habt euch wiedergefunden.
Ein Grund zum Feiern.
II.
Stell dir vor:
Da ist ein Christ, der glaubt, dass nur noch rechte Politik unser Land retten kann.
Grenzen dicht. Islam raus. Schmarotzer weg.
Eine Kultur in einer Nation.
Kein Kulturmix mehr, sondern endlich klare Verhältnisse.
Deutschland den Deutschen.
Doch dann sucht er dich.
Oder hat er dich schon gefunden?
Er nimmt Kontakt mit dir auf.
Will mit dir reden -
er findet, dass du auf das falsche Pferd setzt mit deiner Fremdenliebe.
Er will dir die Augen öffnen
und schickt dir lauter schreckliches Videos von Islamisten und Terroristen.
Und du denkst:
Ich habe ihn nicht gesucht.
Und gefunden hat er eher mich.
Aber er ist der Verlorene.
Und so suchst du nach einem Weg, ihn zurück zu bringen.
Ihr trefft euch sogar.
Aber ihr kommt nicht zueinander. Nicht wirklich.
Und die Türen sind wieder zu.
Stell dir vor: Ihr habt euch gefunden.
Und verloren.
Kein Grund zum Feiern.
III.
Stell dir vor:
da ist Jesus.
Der macht die Türen auf.
Der geht raus.
Der geht zu denen, die man nicht besucht.
Die abgeschoben werden sollen.
Sie haben vielleicht keinen richtigen Pass.
Gehören nicht dazu
mit ihrer Sprache, ihrer Kleidung, ihrer Religion.
Jesus geht raus.
Er geht auch zu denen, denen ihr Pass ganz wichtig ist.
Die sich von ihrer Angst treiben lassen
und deshalb Mauern um sich herum bauen.
Jesus geht raus.
Zu denen, die im Internet Hasskommentare schreiben.
#Hatespeech.
Die die Angst der anderen ausnutzen.
Und dich und mich als Gutmenschen beschimpfen.
Jesus geht dorthin,
zu den Abgeschobenen und Ängstlichen und Hassenden.
Zu denen, die sich verloren haben
und nicht mehr wissen, wo sie hingehören.
IV.
Stell dir vor:
Jesus sucht sie.
Im Gefängnis und im Internet.
In der Kirche, im Polittalk
und im Bundestag.
Stell dir vor:
er findet sie.
Holt sie zu sich - an seinen Tisch.
Da ist Brot und Wein und Käse und Fallafel und Erdbeerquark.
Und alle trinken aus demselben Kelch.
Jesus nimmt seine Gäste in den Arm
und auf ihren hatespeech antwortet er mit lovespeech.
Er holt die Streetdancer dazu, die letztens im Bahnhof waren.
Die lassen den Saal beben.
Stell dir vor:
Jesus sucht die Verlorenen, die niemand sonst wirklich sucht.
Die, die sich selbst verloren haben.
Er findet sie. Und sie finden ihn.
Und sie feiern, weil sie allen Grund dazu haben.
V.
Denn sie gehören alle dazu.
Selbst wenn sie sich selber ausschließen.
Sie gehören dazu und brauchen ihren Hass und ihre Angst nicht mehr.
Auch die, von denen die anderen sagen, dass sie nicht dazu gehören.
In den Augen Gottes sind sie alle unendlich wertvoll.
Gott gibt sie nicht auf. Niemals.
Er geht bis an den Rand des Abgrunds, um das eine Schaf einzusammeln.
Sie kehrt das Unterste nach Oben, um den einen Groschen zu finden.
Gott sucht.
Nach denen, die sich verloren haben.
Geht ihnen nach und gibt sie nicht auf.
Gott geht sogar ans Kreuz, damit niemand mehr ohne ihn ist.
VI.
Stell dir vor:
die anderen sind sauer.
Die, die immer schon dabei sind.
Womöglich findet der Schäfer das eine Schaf wichtiger als uns?
Aber es ist doch selber schuld, wenn es sich von uns entfernt.
Was ist es auch so leichtsinnig?
Muss es sein, dass der Schäfer dem hinterher geht?
Wir sind doch auch noch da!
Ich will diese Fragen nicht einfach abtun.
Denn wenn die Kraft begrenzt ist oder kein Geld da ist,
dann muss man sich vielleicht entscheiden, um wen man sich zuerst kümmert.
Aber der Schäfer weiß ja, dass es seinen 99 Schafen gut geht.
Dass sie sich zu helfen wissen.
Sie brauchen ihn gerade nicht.
Und sie wissen genau:
wenn mir das mal passiert, dass ich mich verloren habe,
dann sucht er auch nach mir.
VII.
Aber es passiert eben auch,
dass die 99 dem einen Schaf einfach nicht gönnen,
dazu zu gehören.
Der daheim gebliebene Sohn, der Ältere,
will das Fest für seinen zurückgekehrten Bruder nicht mitfeiern (1).
Der hat das nicht verdient.
So wie deine Cousine.
Die hatte das auch nicht verdient.
Und wir feiern den Gottesdienst wie wir ihn gewohnt sind.
Denn da kommen die, die wir kennen und die dazu gehören.
Wir kennen uns. Uns gefällt es.
Müssen wir in den Bahnhof gehen und mit Streetdancern Gottesdienst feiern? (2)
Die kommen doch sowieso nicht hierher in die Kirche.
Die Kirche sollte eher die pflegen, die noch da sind.
So denken nicht wenige wie der daheimgebliebene Sohn.
Es gibt viele, die finden,
wir sollten uns eher um die 99% kümmern,
die schon immer in unserem Land gelebt haben.
Die Deutschen seien wichtiger als die Flüchtlinge.
Also bitte nicht so viel Aufwand für sie.
Es gibt viele, die finden es unnötig, ein Gesetz zu ändern
für die vielleicht 5 oder 6% Schwulen und Lesben,
Okay, sie wollen endlich genauso verheiratet sein, wie die Heterosexuellen.
Aber müssen wir für ein Schaf und eine Silbermünze so einen Aufwand treiben?
Ein Gesetz ändern.
Aufs Meer hinausfahren.
Schulen neu ausstatten. Suchen und Finden.
Muss das sein?
Und wenn ich dieses Schaf bin? (3)
VIII.
Ja, stell dir vor:
der Schäfer kommt zurück mit dem einen Schaf.
Er sieht die mürrischen Gesichter der anderen.
Und dann führt er sie alle auf eine neue Weide, wo es die leckersten Gräser gibt.
Feiert mit, sagt er,
setzt sich dazu und genießt die Sonne.
Stell dir vor:
der Vater nimmt den beleidigten Sohn in den Arm.
Und dann gehen sie gemeinsam zum Festessen.
Dort sieht er seinen zurückgekommenen Bruder.
Beide merken: wir sind Brüder.
Und hier sind wir zuhause.
Was auch sonst immer noch zwischen uns sein mag.
Und sie umarmen sich.
Wie du damals deine Cousine nach dem Streit.
Die Tränen fließen, aber der Mund lächelt.
Sie haben sich wie ihr nicht gesucht.
Aber sich vielleicht wiedergefunden.
Stell dir vor:
du gehst nachher zum Café Roland.
Dort treffen sich Christian und Oxana mit Flüchtlingen
aus dem Irak und dem Iran und aus Syrien,
und gemeinsam grillen sie.
Stell dir vor:
auf dem Weg dorthin triffst du den Christen,
der glaubt, dass nur noch rechte Politik unser Land retten kann.
Du nimmst ihn mit und gemeinsam setzt ihr euch zu den anderen.
Einer von den Iranern drückt ihm ein Bier in die Hand.
Falaffel und Erdbeerquark stehen auf dem Tisch.
Und gemeinsam versuchen sie, den Grill anzuwerfen.
Sie suchen sich.
Sie wissen noch nicht, ob sie sich trauen können.
Aber der Versuch ist es wert.
Und das schon ist ein Grund zum Feiern.
Und Jesus feiert mit.
Amen.
(1) Gleichnis von den verlorenen Söhnen (Lukas 15,11-32)
(2) Am Wochenende zuvor fand in der Eingangshalle des Hauptbahnhofs ein Gottesdienst mit jugendlichen Streetdancern statt.
(3) Danke für diesen Gedanken an Silke Wolfrum und Herbert Sperber
Sonntag, 18. Juni 2017
Mit vollem Risiko
Predigt zu Johannes 5,39-47
I.
Ihr erforscht die Heiligen Schriften,
weil ihr meint, durch sie das ewige Leben zu erhalten.
Auch die sind meine Zeugen.
Aber ihr wollt euch mir nicht anschließen,
um das ewige Leben zu erhalten.
Ich bin nicht darauf aus,
dass Menschen mir Herrlichkeit zugestehen.
Außerdem habe ich euch durchschaut:
Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen,
und ihr lehnt mich ab.
Wenn aber irgendjemand anderes in seinem eigenen Namen kommt –
den nehmt ihr auf.
Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit, die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
Ihr braucht nicht zu denken,
dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Denn wenn ihr Mose wirklich glauben würdet,
dann würdet ihr auch mir glauben.
Denn er weist in der Heiligen Schrift auf mich hin.
Wenn ihr schon seinen Schriften nicht glaubt,
wie wollt ihr dann meinen Worten glauben?
II.
Jesus ist sauer. Richtig sauer.
Er hat auf diese Besserwisser keinen Bock mehr.
Sie gehen ihm gehörig auf den Keks -
diese „Ich weiß wie alles läuft und wer du bist“-Meckerer.
Ihre Lieblosigkeit und wie sie ständig Schriftstellen zitieren,
ihr Rechthabenwollen
alles das können sie sich an den Hut stecken.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Das wirft Jesus denen an den Kopf,
die sich Gott besonders nahe fühlen.
Die meinen zu wissen, wie Gott tickt.
Was Gott sagt. Und was Gott will.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Denn ihr haltet euch an toten Buchstaben
und an starren Regeln fest,
an vorgefertigten Meinungen
und ihr glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein.
Als ob das überhaupt möglich wäre,
die Wahrheit zu besitzen.
Nein,
diese „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.
III.
Ich kenne sie,
diese Stellenzitierer und Rechthaberinnen zur Genüge,
Sie „wissen, wie alles läuft“ und „zu laufen hat.“
Momentan sind wieder viele unterwegs.
Sie regen sich auf über eine Prälatin in Stuttgart,
die die Kirchen für schwule und lesbische Paare öffnen will.
Die paar Bibelzitate, die es zur Frage der Homosexualität geben könnte,
werden hervorgeholt
und der Prälatin um die Ohren geschlagen,
als ob sie die Bibel nicht kennen würde.
Wo bleibt da die Liebe?
Sie wird eingesperrt in ein Buch mit Goldrand und Buchstaben darin,
an denen darf nicht gerüttelt werden.
Und das alles im Namen Gottes.
Die Stellenzitierer und Rechthaberinnen haben protestiert,
als vor über 20 Jahren die evangelische Kirche Pforzheim
der Moschee einen Kronleuchter schenkte,
und sie regen sich heute darüber auf,
dass wir den Muslimen
einen gesegneten Ramadan wünschen.
Und wenn wir auf dem Marktplatz
ein multireligiöses Friedensgebet abhalten,
werden uns Bibelzitate an den Kopf geworfen.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh 14,6)
Da sei doch kein Platz für eine andere Religion.
Und kürzlich las ich in einem Leserbrief der PZ:
„Wir müssen den Islam zum Feind erklären“…
Was würde Jesus dazu sagen?
IV.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Jesus sagt das zu den Stellenzitierern um ihn herum.
Gerade hat er am Teich Bethesda einen Kranken geheilt,
der lag schon 38 Jahre dort.
Das ist für sie ein Skandal.
Weil es am Sabbat geschehen ist.
Weil sich Jesus über die Gebote hinweggesetzt hat.
Und dabei behauptet er auch noch,
das alles geschehe im Einklang mit Gott.
Was maßt er sich an?
Wie kann der nur?
Der weiß doch, was in den Heiligen Schriften steht.
Und doch hält er sich nicht daran.
Ist ihm das egal?
Und sie glauben zu wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Ein Gotteslästerer.
Ein Hochstapler.
Einer, der ignoriert, was ihnen heilig und wichtig ist.
Ganz bestimmt ist er kein Sohn Gottes.
Sie wissen, wie alles läuft
und wer er ist und wer er nicht ist.
V.
Ich erkenne mich in ihnen wieder.
Im Gegensatz zu ihnen gefällt mir zwar der Jesus,
der am Sabbat heilt, sehr gut.
Er entspricht dem Bild, das ich von ihm habe.
Dem Bild von dem Gott,
der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist zeigt:
er heilt, er schafft und nährt, er macht neu und liebt.
Er rettet, sucht, geht mit und tröstet.
Ja, so kenne ich Jesus.
So kenne ich Gott. Und so will ich ihn.
Aber dieser Jesus hier, der seine Gegner abkanzelt,
ist mir fremd.
Passt nicht in mein Bild.
Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit,
die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
Ihr braucht nicht zu denken,
dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Harte, wütende Worte.
Du sprichst von Liebe, Jesus,
aber hier schlägst du nur noch um dich?
Und ich möchte dir deine eigenen Worte vorhalten.
Liebt eure Feinde.
Bittet für die, die euch verfolgen.
Selig sind die Sanftmütigen.
Gilt das für dich nicht?
Und schließlich weiß ich auch:
diese Wutsätze von dir hatten eine schreckliche Wirkung.
Sie waren für viele der Beweis,
dass Juden die Feinde der Christen seien.
Und selbst Mose würde sich gegen sein Volk richten.
Man hat diese Worte gelesen, die Bibel zugeklappt,
und dann Häuser von Juden angezündet.
Man hat selber die Liebe zu Gott vergessen.
VI.
Dabei bist du, Jesus, ja nicht wütend auf die Juden,
sondern auf alle, die Gott in ein Bild pressen.
Die ihn einsperren in die Buchdeckel der Bibel.
Und in Paragraphen und Gebote und Vorschriften.
Vielleicht bist auch wütend auf mich,
wenn ich dich nur sanft haben will,
aber wehe, du kommst mir zu nah
und wirst mal unbequem.
Jedenfalls scheint es dich zu nerven,
wenn wir lieber auf Nummer „sicher“ gehen,
kein Risiko eingehen und nicht anecken wollen.
Du sagst:
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Liebe geht nicht ohne Risiko.
Die „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.
Ihr könnt nicht einfach ein paar Bibelstellen zitieren
und dann ist alles klar.
Denn ihr seid selber gefordert.
Ihr - mit Haut und Haaren
und allen Poren und ganzer Seele.
Setzt euch aus.
Setzt euch der Liebe aus.
Denn ihr seid Gotteskinder.
Kinder der Freiheit,
die ihre Stimme erheben
gegen die Stellenzitierer und Rechthaberinnen,
gegen die Angstmacher und Hasspredigerinnen,
die mit der großen und Gesetze sprengenden Liebe
nichts anfangen können.
Erhebt eure Stimme
für die, die 38 Jahre am Teich Bethesda auf ein heilendes Wort warten,
für die Frau, die gesteinigt werden soll,
weil ihr Lebensstil unmoralisch ist.
Sprecht für die,
die für ihre Liebe zueinander auch in der Kirche Raum brauchen.
Nehmt eure Geschwister vor der Lüge in Schutz,
auch wenn sie anders glauben als ihr.
Und sucht mit ihnen den Weg des Friedens.
Ihr seid Gottes Kinder.
Lasst nicht zu,
dass Menschenrechte gegen Sicherheitsbedürfnisse ausgespielt
oder ausgerechnet die integrierten Asylbewerber abgeschoben werden.
Ihr seid Gottes Kinder.
Teilt euer Brot, weicht den Schmerzen nicht aus.
Und hört nicht auf zu hoffen
auf die Liebe, die in euch allen ist.
VII.
Jesus, ich bekenne:
ich weiß nicht, wie alles läuft.
Ich muss immer wieder neu suchen.
Dich.
Du passt in kein Bild.
Ich suche nach deiner Liebe.
Nach dieser Liebe, die kein Risiko scheut.
Will mich von ihr treiben lassen.
Ich will deine Worte nicht einsperren,
um sie anderen um die Ohren zu schlagen.
Niemals.
Ich will sie hören.
Und weitersagen.
Und dann lieben.
Mit vollem Risiko.
Amen.
I.
Ihr erforscht die Heiligen Schriften,
weil ihr meint, durch sie das ewige Leben zu erhalten.
Auch die sind meine Zeugen.
Aber ihr wollt euch mir nicht anschließen,
um das ewige Leben zu erhalten.
Ich bin nicht darauf aus,
dass Menschen mir Herrlichkeit zugestehen.
Außerdem habe ich euch durchschaut:
Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen,
und ihr lehnt mich ab.
Wenn aber irgendjemand anderes in seinem eigenen Namen kommt –
den nehmt ihr auf.
Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit, die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
Ihr braucht nicht zu denken,
dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Denn wenn ihr Mose wirklich glauben würdet,
dann würdet ihr auch mir glauben.
Denn er weist in der Heiligen Schrift auf mich hin.
Wenn ihr schon seinen Schriften nicht glaubt,
wie wollt ihr dann meinen Worten glauben?
II.
Jesus ist sauer. Richtig sauer.
Er hat auf diese Besserwisser keinen Bock mehr.
Sie gehen ihm gehörig auf den Keks -
diese „Ich weiß wie alles läuft und wer du bist“-Meckerer.
Ihre Lieblosigkeit und wie sie ständig Schriftstellen zitieren,
ihr Rechthabenwollen
alles das können sie sich an den Hut stecken.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Das wirft Jesus denen an den Kopf,
die sich Gott besonders nahe fühlen.
Die meinen zu wissen, wie Gott tickt.
Was Gott sagt. Und was Gott will.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Denn ihr haltet euch an toten Buchstaben
und an starren Regeln fest,
an vorgefertigten Meinungen
und ihr glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein.
Als ob das überhaupt möglich wäre,
die Wahrheit zu besitzen.
Nein,
diese „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.
III.
Ich kenne sie,
diese Stellenzitierer und Rechthaberinnen zur Genüge,
Sie „wissen, wie alles läuft“ und „zu laufen hat.“
Momentan sind wieder viele unterwegs.
Sie regen sich auf über eine Prälatin in Stuttgart,
die die Kirchen für schwule und lesbische Paare öffnen will.
Die paar Bibelzitate, die es zur Frage der Homosexualität geben könnte,
werden hervorgeholt
und der Prälatin um die Ohren geschlagen,
als ob sie die Bibel nicht kennen würde.
Wo bleibt da die Liebe?
Sie wird eingesperrt in ein Buch mit Goldrand und Buchstaben darin,
an denen darf nicht gerüttelt werden.
Und das alles im Namen Gottes.
Die Stellenzitierer und Rechthaberinnen haben protestiert,
als vor über 20 Jahren die evangelische Kirche Pforzheim
der Moschee einen Kronleuchter schenkte,
und sie regen sich heute darüber auf,
dass wir den Muslimen
einen gesegneten Ramadan wünschen.
Und wenn wir auf dem Marktplatz
ein multireligiöses Friedensgebet abhalten,
werden uns Bibelzitate an den Kopf geworfen.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh 14,6)
Da sei doch kein Platz für eine andere Religion.
Und kürzlich las ich in einem Leserbrief der PZ:
„Wir müssen den Islam zum Feind erklären“…
Was würde Jesus dazu sagen?
IV.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Jesus sagt das zu den Stellenzitierern um ihn herum.
Gerade hat er am Teich Bethesda einen Kranken geheilt,
der lag schon 38 Jahre dort.
Das ist für sie ein Skandal.
Weil es am Sabbat geschehen ist.
Weil sich Jesus über die Gebote hinweggesetzt hat.
Und dabei behauptet er auch noch,
das alles geschehe im Einklang mit Gott.
Was maßt er sich an?
Wie kann der nur?
Der weiß doch, was in den Heiligen Schriften steht.
Und doch hält er sich nicht daran.
Ist ihm das egal?
Und sie glauben zu wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Ein Gotteslästerer.
Ein Hochstapler.
Einer, der ignoriert, was ihnen heilig und wichtig ist.
Ganz bestimmt ist er kein Sohn Gottes.
Sie wissen, wie alles läuft
und wer er ist und wer er nicht ist.
V.
Ich erkenne mich in ihnen wieder.
Im Gegensatz zu ihnen gefällt mir zwar der Jesus,
der am Sabbat heilt, sehr gut.
Er entspricht dem Bild, das ich von ihm habe.
Dem Bild von dem Gott,
der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist zeigt:
er heilt, er schafft und nährt, er macht neu und liebt.
Er rettet, sucht, geht mit und tröstet.
Ja, so kenne ich Jesus.
So kenne ich Gott. Und so will ich ihn.
Aber dieser Jesus hier, der seine Gegner abkanzelt,
ist mir fremd.
Passt nicht in mein Bild.
Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit,
die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
Ihr braucht nicht zu denken,
dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Harte, wütende Worte.
Du sprichst von Liebe, Jesus,
aber hier schlägst du nur noch um dich?
Und ich möchte dir deine eigenen Worte vorhalten.
Liebt eure Feinde.
Bittet für die, die euch verfolgen.
Selig sind die Sanftmütigen.
Gilt das für dich nicht?
Und schließlich weiß ich auch:
diese Wutsätze von dir hatten eine schreckliche Wirkung.
Sie waren für viele der Beweis,
dass Juden die Feinde der Christen seien.
Und selbst Mose würde sich gegen sein Volk richten.
Man hat diese Worte gelesen, die Bibel zugeklappt,
und dann Häuser von Juden angezündet.
Man hat selber die Liebe zu Gott vergessen.
VI.
Dabei bist du, Jesus, ja nicht wütend auf die Juden,
sondern auf alle, die Gott in ein Bild pressen.
Die ihn einsperren in die Buchdeckel der Bibel.
Und in Paragraphen und Gebote und Vorschriften.
Vielleicht bist auch wütend auf mich,
wenn ich dich nur sanft haben will,
aber wehe, du kommst mir zu nah
und wirst mal unbequem.
Jedenfalls scheint es dich zu nerven,
wenn wir lieber auf Nummer „sicher“ gehen,
kein Risiko eingehen und nicht anecken wollen.
Du sagst:
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Liebe geht nicht ohne Risiko.
Die „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.
Ihr könnt nicht einfach ein paar Bibelstellen zitieren
und dann ist alles klar.
Denn ihr seid selber gefordert.
Ihr - mit Haut und Haaren
und allen Poren und ganzer Seele.
Setzt euch aus.
Setzt euch der Liebe aus.
Denn ihr seid Gotteskinder.
Kinder der Freiheit,
die ihre Stimme erheben
gegen die Stellenzitierer und Rechthaberinnen,
gegen die Angstmacher und Hasspredigerinnen,
die mit der großen und Gesetze sprengenden Liebe
nichts anfangen können.
Erhebt eure Stimme
für die, die 38 Jahre am Teich Bethesda auf ein heilendes Wort warten,
für die Frau, die gesteinigt werden soll,
weil ihr Lebensstil unmoralisch ist.
Sprecht für die,
die für ihre Liebe zueinander auch in der Kirche Raum brauchen.
Nehmt eure Geschwister vor der Lüge in Schutz,
auch wenn sie anders glauben als ihr.
Und sucht mit ihnen den Weg des Friedens.
Ihr seid Gottes Kinder.
Lasst nicht zu,
dass Menschenrechte gegen Sicherheitsbedürfnisse ausgespielt
oder ausgerechnet die integrierten Asylbewerber abgeschoben werden.
Ihr seid Gottes Kinder.
Teilt euer Brot, weicht den Schmerzen nicht aus.
Und hört nicht auf zu hoffen
auf die Liebe, die in euch allen ist.
VII.
Jesus, ich bekenne:
ich weiß nicht, wie alles läuft.
Ich muss immer wieder neu suchen.
Dich.
Du passt in kein Bild.
Ich suche nach deiner Liebe.
Nach dieser Liebe, die kein Risiko scheut.
Will mich von ihr treiben lassen.
Ich will deine Worte nicht einsperren,
um sie anderen um die Ohren zu schlagen.
Niemals.
Ich will sie hören.
Und weitersagen.
Und dann lieben.
Mit vollem Risiko.
Amen.
Montag, 5. Juni 2017
Ein neuer Mitbewohner, der die Fenster aufreißt
Predigt zu Johannes 14, 23 bis 27
gehalten zu Pfingten in der Markuskirche in Pforzheim
I.
Begrüßt mit mir unseren Mitbewohner.
Gott, heiliger Geist, zieht bei dir ein und bei mir.
Er wohnt nun hier - bei uns.
Heute feiern wir sein Begrüßungsfest.
Herzlich Willkommen, Gott!
Herzlich willkommen in diesem Haus, in diesem Leben.
Willkommen heute -
an Pfingsten, dein Begrüßungsfest.
Du setzt die Welt ins Staunen und ziehst bei uns ein.
II.
Begrüßungsfest?
Hören wir auf Worte aus dem Johannesevangelium:
Jesus sprach: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
III.
Gott zieht bei den Jüngern und Jüngerinnen ein!
Und damit bei dir und bei mir.
Er ist kein Gast, den wir empfangen, bewirten,
an dessen Besuch wir uns freuen,
dann aber wieder tränenreichen Abschied nehmen müssen
und ihm lange nachwinken.
Gott ist kein vorübergehender Besuch,
wo wir hinterher nur ein paar Erinnerungsstücke aus den Ecken zusammensammeln.
Nein, Gott ist und bleibt da und füllt alle Ecken aus.
Der Himmel zieht auf die Erde.
Der Heilige Geist ist unser Mitbewohner geworden.
Kein Untermieter.
Kein befristeter Mietvertrag.
Nein, Hausbewohner.
Hier in der Markuskirche. Und drüben in der Thomaskirche.
Auf dem Wartbergturm.
Im Schwimmbad und im Bahnhof.
Und in den vielen Häusern und Wohnungen in Pforzheim
und rundherum auch.
In ganz besonders unseren Herzen.
Überall, wo Liebe gelebt wird.
Der Himmel hält Einzug in die bescheidenste Hütte.
IV.
Gott wohnt, wo man ihn einlässt - sagt Martin Buber.
Jesus sagt ähnlich:
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen.
Liebe und Liebe üben -
das ist die Basis für die Wohngemeinschaft mit Gott.
Und das offene Herz.
Gott wohnt, wo Liebe ist und gelebt wird.
Aber wo Liebe fehlt, kommt er auch.
Gott sei Dank.
Da vielleicht sogar erst recht?
Mit unserer Liebe ist es ja oft nicht weit her.
Und unser Herz ist auch nicht immer offen.
Wie bei den ängstlichen Jüngern in Jerusalem,
die sogar ihre Türen verrammelt hatten.
Der heilige Geist kommt einfach,
setzt sich funkensprühend auf deinen Kopf
und braucht keine besonders heiligen Räume.
Er öffnet einfach dein Herz.
Euer Herz erschrecke nicht.
Sagt Jesus.
Mach dir keine Sorge, ob du gut genug bist, damit Gott bei dir wohnt.
Klug genug, fromm genug, liebevoll genug, fleißig genug...
Du bist genug.
Sein Geist macht dich fähig zur Liebe.
Und ob du willst oder nicht:
Gottes Umzug ist schon längst im Gange.
Die Kartons stehen vor deiner Tür.
Und er zieht dir sogar hinterher,
auch wenn du aus der Wohnung mit ihm ausziehen willst.
Öffne deine Tür.
Und feiere mit ihm.
Koch Kaffee, backe Kuchen mit Erdbeeren,
stell die Sektgläser auf den Tisch
und lass die Korken knallen.
Und den jesidischen Nachbarn
und die alte Dame von nebenan
holst du noch dazu.
V.
Pfingsten, das Begrüßungsfest für den Heiligen Geist.
Gott zieht bei uns ein.
Er zieht in die Kirche ein
und sogar in das Haus, das ich selber bin.
Ist mir eigentlich wohl bei dem Gedanken?
Es ist schließlich kein vorübergehendes Zelten Gottes.
Ich habe jetzt einen Dauermitbewohner.
Und wie bei jeder WG zeigt der Mitbewohner Seiten an sich,
die mir vielleicht nicht so gefallen.
O Schreck! Jetzt fängt er an zu putzen.
Der Heilige Geist stellt die Möbel um.
Und entdeckt dabei,
was da im Laufe der Jahre kaputt gegangen ist.
Nimmt mir die Politur aus der Hand
und reibt stattdessen Balsam auf die Risse und Sprünge.
Er kratzt den falschen Lack ab.
Holt hinterm Sofa hervor,
was ich versteckt hatte
und meinte, längst vergessen zu haben.
Wie unbequem und lästig, dieser pfingstliche Hausbewohner!
Er wird doch nicht auch noch in den Keller gehen?
Ich weiß nicht, ob mir das recht ist.
Das Kaputte soll schön im Untergrund bleiben.
Ich hatte mich so gut eingerichtet mit all den Dingen,
über die ich nicht mehr reden will.
Von wegen, sagt mein neuer Mitbewohner.
Damit ist jetzt Schluss,
mit den Mauern und den verschlossenen Türen.
Es weht nun ein ganz neuer Wind.
Und dann reißt er auch noch die Fenster auf.
Aber wenn ich ehrlich bin, gefällt mir das,
Der frische Wind bringt vieles durcheinander,
bringt er mich auf neue Gedanken.
Und ich atme ganz neu.
VI.
Gottes Geist ist sehr dynamischer Hausbewohner.
Er lässt sich nicht einsperren.
Weder von Kirchenmauern noch von Gemeindegrenzen.
Nicht von Landesgrenzen oder Moralvorstellungen
und auch nicht von Terroristen*.
Ihre Anschläge wollen mir Angst machen und die Zäune hoch.
Aber Gottes Geistkraft lässt das nicht zu.
Meine Zäune und die Verriegelungen
- mühsam installiert -
interessieren ihn gar nicht.
Gottes Geist weht einfach
hier
und in den Unterkünften im Eutinger Tal,
im EMMA,
an der Hochschule und im Kindergarten.
Und ganz besonders gerne auf Spielplätzen
und beim Christopher-Street-Day.
Er weht überall. Auch dort, wo ich es nicht für möglich halte.
Auf dem Kirchentag saß ich auf einem Podium
zusammen mit Politikern und einem Politikwissenschaftler.
Der christliche Politikwissenschaftler
wollte die Botschaft Jesu auf das Privatleben reduzieren.
Sie sei vor allem für die "Individualethik" gedacht,
nicht für "politische Ethik".
Und ausgerechnet der linke ungläubige Politiker ließ die Geisttaube wieder frei:
Er könne mit der Bergpredigt sehr viel anfangen -
auch als gesellschaftliche Leitlinie.
Ein Flattern von Taubenflügeln war förmlich zu hören.
Ja, der Heilige Geist wehte da vieles durcheinander auf dem politischen Podium.
Und ich staune.
Auf dem Rückweg saß ich im Zug neben einem 93jährigen Physiker,
der erzählte mir von seinen Aktivitäten in den 50ern,
als sich in Göttingen 18 Atomphysiker weigerten,
an einer deutschen Atombombe zu bauen
- obwohl Adenauer das wollte.
Und damit stoppten sie gefährliche Entwicklungen in Deutschland.
Und dann erzählte er, wie sie damals gemeinsam den eisernen Vorhang ignorierten,
sie kamen einfach mit Physikern aus aller Welt zusammen
- auch mit denen aus dem Osten.
Botschafter des Friedens - wenn schon die anderen das nicht schafften.
Ja, der Heilige Geist weht auch in der Physik.
Ganz bestimmt dort besonders.
Und ich staune.
Gottes Geist lässt sich einfach nicht einsperren,
nicht von einem Adenauer und auch nicht von mir.
VII.
Gott zieht bei uns ein. Heute.
Und er bringt den Himmel mit.
Und da gehört dann auch Abschied nehmen dazu,
Abschied davon, alles festhalten zu wollen.
Abschied von dem Bedürfnis, dass da einer für mich entscheidet.
Und von der Angst, ich könnte zu sehr gefordert sein.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Du brauchst keine Angst zu haben,
dein Lebenshaus sei zu klein für Gott.
Oder es sei zu unordentlich.
Gott wird zum Einwohner in deinem Leben.
Er mag die Risse und die Fugen, die du verbergen willst.
Er bricht deine allzu engen Wohnverhältnisse auf
und lässt noch andere Menschen ein.
Er reißt die Türen und Fenster auf.
Der Sommer weht herein und wärmt deine Herzen und Füße.
Vielleicht bringt er auch einen Regenschauer mit.
Begrüße diesen Gottesgeist.
Stelle Kaffee und Erdbeerkuchen auf den Tisch.
Und die Sektgläser auch.
Und dann setzt ihr euch hin und habt es gut.
Himmel und Erde werden neu.
Nichts bleibt wie es ist.
Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Lied:
Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
Text: Lothar Teckemeyer
Melodie: Wolfgang Teichmann
* In der Nacht auf den Pfingstsonntag fand ein tödlicher Anschlag in der Londoner Innenstadt statt
gehalten zu Pfingten in der Markuskirche in Pforzheim
I.
Begrüßt mit mir unseren Mitbewohner.
Gott, heiliger Geist, zieht bei dir ein und bei mir.
Er wohnt nun hier - bei uns.
Heute feiern wir sein Begrüßungsfest.
Herzlich Willkommen, Gott!
Herzlich willkommen in diesem Haus, in diesem Leben.
Willkommen heute -
an Pfingsten, dein Begrüßungsfest.
Du setzt die Welt ins Staunen und ziehst bei uns ein.
II.
Begrüßungsfest?
Hören wir auf Worte aus dem Johannesevangelium:
Jesus sprach: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
III.
Gott zieht bei den Jüngern und Jüngerinnen ein!
Und damit bei dir und bei mir.
Er ist kein Gast, den wir empfangen, bewirten,
an dessen Besuch wir uns freuen,
dann aber wieder tränenreichen Abschied nehmen müssen
und ihm lange nachwinken.
Gott ist kein vorübergehender Besuch,
wo wir hinterher nur ein paar Erinnerungsstücke aus den Ecken zusammensammeln.
Nein, Gott ist und bleibt da und füllt alle Ecken aus.
Der Himmel zieht auf die Erde.
Der Heilige Geist ist unser Mitbewohner geworden.
Kein Untermieter.
Kein befristeter Mietvertrag.
Nein, Hausbewohner.
Hier in der Markuskirche. Und drüben in der Thomaskirche.
Auf dem Wartbergturm.
Im Schwimmbad und im Bahnhof.
Und in den vielen Häusern und Wohnungen in Pforzheim
und rundherum auch.
In ganz besonders unseren Herzen.
Überall, wo Liebe gelebt wird.
Der Himmel hält Einzug in die bescheidenste Hütte.
IV.
Gott wohnt, wo man ihn einlässt - sagt Martin Buber.
Jesus sagt ähnlich:
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen.
Liebe und Liebe üben -
das ist die Basis für die Wohngemeinschaft mit Gott.
Und das offene Herz.
Gott wohnt, wo Liebe ist und gelebt wird.
Aber wo Liebe fehlt, kommt er auch.
Gott sei Dank.
Da vielleicht sogar erst recht?
Mit unserer Liebe ist es ja oft nicht weit her.
Und unser Herz ist auch nicht immer offen.
Wie bei den ängstlichen Jüngern in Jerusalem,
die sogar ihre Türen verrammelt hatten.
Der heilige Geist kommt einfach,
setzt sich funkensprühend auf deinen Kopf
und braucht keine besonders heiligen Räume.
Er öffnet einfach dein Herz.
Euer Herz erschrecke nicht.
Sagt Jesus.
Mach dir keine Sorge, ob du gut genug bist, damit Gott bei dir wohnt.
Klug genug, fromm genug, liebevoll genug, fleißig genug...
Du bist genug.
Sein Geist macht dich fähig zur Liebe.
Und ob du willst oder nicht:
Gottes Umzug ist schon längst im Gange.
Die Kartons stehen vor deiner Tür.
Und er zieht dir sogar hinterher,
auch wenn du aus der Wohnung mit ihm ausziehen willst.
Öffne deine Tür.
Und feiere mit ihm.
Koch Kaffee, backe Kuchen mit Erdbeeren,
stell die Sektgläser auf den Tisch
und lass die Korken knallen.
Und den jesidischen Nachbarn
und die alte Dame von nebenan
holst du noch dazu.
V.
Pfingsten, das Begrüßungsfest für den Heiligen Geist.
Gott zieht bei uns ein.
Er zieht in die Kirche ein
und sogar in das Haus, das ich selber bin.
Ist mir eigentlich wohl bei dem Gedanken?
Es ist schließlich kein vorübergehendes Zelten Gottes.
Ich habe jetzt einen Dauermitbewohner.
Und wie bei jeder WG zeigt der Mitbewohner Seiten an sich,
die mir vielleicht nicht so gefallen.
O Schreck! Jetzt fängt er an zu putzen.
Der Heilige Geist stellt die Möbel um.
Und entdeckt dabei,
was da im Laufe der Jahre kaputt gegangen ist.
Nimmt mir die Politur aus der Hand
und reibt stattdessen Balsam auf die Risse und Sprünge.
Er kratzt den falschen Lack ab.
Holt hinterm Sofa hervor,
was ich versteckt hatte
und meinte, längst vergessen zu haben.
Wie unbequem und lästig, dieser pfingstliche Hausbewohner!
Er wird doch nicht auch noch in den Keller gehen?
Ich weiß nicht, ob mir das recht ist.
Das Kaputte soll schön im Untergrund bleiben.
Ich hatte mich so gut eingerichtet mit all den Dingen,
über die ich nicht mehr reden will.
Von wegen, sagt mein neuer Mitbewohner.
Damit ist jetzt Schluss,
mit den Mauern und den verschlossenen Türen.
Es weht nun ein ganz neuer Wind.
Und dann reißt er auch noch die Fenster auf.
Aber wenn ich ehrlich bin, gefällt mir das,
Der frische Wind bringt vieles durcheinander,
bringt er mich auf neue Gedanken.
Und ich atme ganz neu.
VI.
Gottes Geist ist sehr dynamischer Hausbewohner.
Er lässt sich nicht einsperren.
Weder von Kirchenmauern noch von Gemeindegrenzen.
Nicht von Landesgrenzen oder Moralvorstellungen
und auch nicht von Terroristen*.
Ihre Anschläge wollen mir Angst machen und die Zäune hoch.
Aber Gottes Geistkraft lässt das nicht zu.
Meine Zäune und die Verriegelungen
- mühsam installiert -
interessieren ihn gar nicht.
Gottes Geist weht einfach
hier
und in den Unterkünften im Eutinger Tal,
im EMMA,
an der Hochschule und im Kindergarten.
Und ganz besonders gerne auf Spielplätzen
und beim Christopher-Street-Day.
Er weht überall. Auch dort, wo ich es nicht für möglich halte.
Auf dem Kirchentag saß ich auf einem Podium
zusammen mit Politikern und einem Politikwissenschaftler.
Der christliche Politikwissenschaftler
wollte die Botschaft Jesu auf das Privatleben reduzieren.
Sie sei vor allem für die "Individualethik" gedacht,
nicht für "politische Ethik".
Und ausgerechnet der linke ungläubige Politiker ließ die Geisttaube wieder frei:
Er könne mit der Bergpredigt sehr viel anfangen -
auch als gesellschaftliche Leitlinie.
Ein Flattern von Taubenflügeln war förmlich zu hören.
Ja, der Heilige Geist wehte da vieles durcheinander auf dem politischen Podium.
Und ich staune.
Auf dem Rückweg saß ich im Zug neben einem 93jährigen Physiker,
der erzählte mir von seinen Aktivitäten in den 50ern,
als sich in Göttingen 18 Atomphysiker weigerten,
an einer deutschen Atombombe zu bauen
- obwohl Adenauer das wollte.
Und damit stoppten sie gefährliche Entwicklungen in Deutschland.
Und dann erzählte er, wie sie damals gemeinsam den eisernen Vorhang ignorierten,
sie kamen einfach mit Physikern aus aller Welt zusammen
- auch mit denen aus dem Osten.
Botschafter des Friedens - wenn schon die anderen das nicht schafften.
Ja, der Heilige Geist weht auch in der Physik.
Ganz bestimmt dort besonders.
Und ich staune.
Gottes Geist lässt sich einfach nicht einsperren,
nicht von einem Adenauer und auch nicht von mir.
VII.
Gott zieht bei uns ein. Heute.
Und er bringt den Himmel mit.
Und da gehört dann auch Abschied nehmen dazu,
Abschied davon, alles festhalten zu wollen.
Abschied von dem Bedürfnis, dass da einer für mich entscheidet.
Und von der Angst, ich könnte zu sehr gefordert sein.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Du brauchst keine Angst zu haben,
dein Lebenshaus sei zu klein für Gott.
Oder es sei zu unordentlich.
Gott wird zum Einwohner in deinem Leben.
Er mag die Risse und die Fugen, die du verbergen willst.
Er bricht deine allzu engen Wohnverhältnisse auf
und lässt noch andere Menschen ein.
Er reißt die Türen und Fenster auf.
Der Sommer weht herein und wärmt deine Herzen und Füße.
Vielleicht bringt er auch einen Regenschauer mit.
Begrüße diesen Gottesgeist.
Stelle Kaffee und Erdbeerkuchen auf den Tisch.
Und die Sektgläser auch.
Und dann setzt ihr euch hin und habt es gut.
Himmel und Erde werden neu.
Nichts bleibt wie es ist.
Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Lied:
1. Vorbei sind die Tränen, das Weinen, der Schmerz,
vorbei sind das Elend, der Hass und der Streit,
das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.
vorbei sind das Elend, der Hass und der Streit,
das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.
Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
2. Vorbei ist die Herrschsucht, die fressende Macht,
die drohenden Fäuste sind nicht mehr geballt,
das Neue ist da, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.
die drohenden Fäuste sind nicht mehr geballt,
das Neue ist da, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.
Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
3. Gott wohnt bei uns Menschen, die Zeit ist erfüllt.
Gott wischt ab die Tränen, er tröstet, er lacht.
Gott macht alles neu, gibt uns neue Kraft,
ist bei uns im Hier und im Jetzt.
Gott wischt ab die Tränen, er tröstet, er lacht.
Gott macht alles neu, gibt uns neue Kraft,
ist bei uns im Hier und im Jetzt.
Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
Text: Lothar Teckemeyer
Melodie: Wolfgang Teichmann
* In der Nacht auf den Pfingstsonntag fand ein tödlicher Anschlag in der Londoner Innenstadt statt
Sonntag, 7. Mai 2017
Fußball, Pfützen und die tanzende Weisheit
Predigt zu Sprüche 8, 22 - 36
(mit besonderem Dank an Florian Kunz für die Hauptanregung zum Gedicht von Kurt Marti und für ein paar Formulierungen, die ich übernommen habe (v.a. Abschnitt III und die erste Hälfte von VI)
I.
Finde das Leben, Mensch.
Finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Finde das Leben.
Lass dich von der Weisheit entführen.
Denn sie weiß, wo das Leben ist.
Und was es ist.
Denn von Anfang an war sie da.
In Urzeiten schon.
II.
In der Bibel lesen wir:
Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege,
ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her,
im Anfang, ehe die Erde war.
Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren,
als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
Ehe denn die Berge eingesenkt waren,
vor den Hügeln ward ich geboren,
als er die Erde noch nicht gemacht hatte
noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
Als er die Himmel bereitete, war ich da,
als er den Kreis zog über der Tiefe,
als er die Wolken droben mächtig machte,
als er stark machte die Quellen der Tiefe,
als er dem Meer seine Grenze setzte
und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl;
als er die Grundfesten der Erde legte,
da war ich beständig bei ihm;
ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
So hört nun auf mich, meine Söhne und Töchter!
Wohl denen, die meine Wege einhalten!
Hört die Zucht und werdet weise
und schlagt sie nicht in den Wind.
Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
dass er wache an meiner Tür täglich,
dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
Wer mich findet, der findet das Leben
und erlangt Wohlgefallen vom Herrn.
Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben;
alle, die mich hassen, lieben den Tod.
III.
Finde das Leben, Mensch.
Folge der Weisheit.
Sie war im Anfang da... und die Weisheit war bei Gott.
War schon da bevor irgendwas da war
Alles war noch eine große Leerstelle,
eine Klammer ohne Inhalt.
Da war sie schon da, die Weisheit.
Noch bevor das Licht anging,
bevor Himmel und Erde wurden, was sie sind,
bevor sich Worte bildeten in den Herzen der Menschen,
bevor das Leben Klänge und Farben bekam.
Sie war da, bevor es Busfahrkarten und Streuselkuchen gab,
Liebesgedichte und Papierschiffchen,
Sommerregen und Schneeflocken.
Sie war schon da.
Im Anfang war die Weisheit ...
und die Weisheit war ein Kind,
Gottes Kind, erstes Geschöpf, sein Liebling.
Trägt viele Namen: Chochma, Sophia, Sapientia.
Und Sophia, die Weisheit, spielt. Und Gott mit ihr.
Beide erschaffen Neues.
IV.
Kurt Marti (aus: Die gesellige Gottheit)
Sie spielte vor dem Erschaffer
umspielte, was er geschaffen,
und schlug,
leicht hüpfend von Einfall zu Einfall,
neue Erschaffungen vor:
Warum nicht einen anmutig gekurvten Raum?
Warum nicht Myriaden pfiffiger Moleküle
Warum nicht schleierwehende Wirbel, Gase?
Oder Materie, schwebend, fliegend, rotierend?
So sei es, lachte Gott,
denn alles ist möglich,
doch muß Ordnung ins Ganze -
durch Schwerkraft zum Beispiel.
Dazu aber wünschte Sophia sich ebensoviel Leichtigkeit.
Da ersann Gott die Zeit.
Und Sophia klatschte in die Hände.
Sophia tanzte,
leicht wie die Zeit,
zum wilden melodischen Urknall,
dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen,
Räume, Zukünfte, erste Vergangenheiten -
der kosmische Tanz,
das sich freudig ausdehnende All.
Fröhlich streckte Sophia Gott die Arme entgegen.
Und Gott tanzte mit.
V.
Gestern schoss die Weisheit ein Tor.
Das 2 zu 3 gegen Königsbach-Stein.
Sie umdribbelte zwei Gegenspieler
und zirkelte den Ball ins linke Eck.
Sie riss ihre Arme hoch und jubelte.
Und auf einmal waren alle anderen um sie herum
und freuten sich mit.
Auch Gott war dabei und jubelte laut.
Er spielt nicht gerne allein, sondern braucht Mitspieler.
Dich und mich.
Bei allem, was so entstehen soll.
Auch beim Fußball.
Die Weisheit liebt den Fußball.
Aber auch das Tanzen auf der Berlin-Klassenfahrt.
Leicht wie die Zeit mit Wirbeln und Bewegungen.
Mit einer Schwerkraft, die sie erdet.
Schaut nur genau hin.
Die Weisheit liebt es, mit Vollkaracho in Pfützen zu springen,
dass es nur so spritzt.
Noch mehr Spaß macht es mit anderen zusammen.
Gottes Weisheit ist gesellig.
Alle zusammen an den Händen -
zählen auf 1 - 2 - 3 und dann los.
Fast so schön wie der Urknall.
Der Schlamm sitzt dann überall, auch in den Haaren.
Und das ist es wert.
Die Weisheit liebt die Regenwürmer.
Wenn es geregnet hat, rennt sie schnell raus auf die Straße,
sammelt die Würmer auf, damit sie nicht überfahren werden.
Und sie staunt mit Gott darüber,
wie unterschiedlich kurz und lang so ein Regenwurm sein kann.
Und dass das Leben nicht nur leicht ist.
Die Weisheit baut leidenschaftlich gerne Sandburgen,
so nah wie möglich am Wasser,
damit es den Burggraben fluten kann.
Und am nächsten Morgen rennt die Weisheit hin
und schaut, ob die Burg noch da ist.
Vielleicht ist sie dann traurig, dass nur noch eine Ruine zu sehen ist.
Aber sie weiß, dass das eben so ist.
Die Zeit lässt sowas vergehen.
Erste Vergangenheiten werden sichtbar.
Nichts ist ewig, was wir erschaffen.
Aber die Weisheit erschafft weiter:
baut mit ihrem kleinen Bruder eine neue - noch schönere Burg.
Sammelt die Muscheln dafür und den Seetang.
Für das Spiel mit den Gezeiten.
VI.
Im Anfang war das Wort ... schreibt Johannes (1,1).
Der Logos, wie es im Griechischen heißt.
Logos, Sinn, Vernunft,
göttliche Weisheit und Inspiration.
Und darum wage ich mich weiter:
Im Anfang war die Weisheit,
und die Weisheit war bei Gott,
und Gott war die Weisheit.
Dieselbe war im Anfang bei Gott….
Und die Weisheit ward Fleisch
und wohnte unter uns, ...
Wird ein Mensch, wird ein Kind –
wie könnte es anders sein?
Die Weisheit liebt das, was da ist
und das was noch nicht da ist.
Sie heilt und tröstet, nimmt in den Arm und segnet.
Aus Erde und Speichel macht sie einen Brei.
Die Tische im Tempel wirft die Weisheit um.
Sie weint mit den Traurigen und lacht mit den Fröhlichen.
Mit Mirjam tanzt sie, deckt mit Marta den Tisch,
hört zu, was Maria sagt.
Und ist eins mit Gott.
Die Weisheit schreibt in den Sand.
Findet das Leben, ruft sie den Menschen zu.
Findet das Leben!
VII.
Liebe Weisheit,
komme zu mir. Erfülle mich.
Lehre mich tanzen und springen.
Ich will neugierig sein wie du.
Zeige mir die Wunder, die ich übersehe.
Lass mich staunen über den Regenwurm.
Schubse mich zum Marktplatz,
wo im Sprachenwirrwarr
die Kinder über die Wasserfontänen hüpfen.
Bewahre mich auch davor, abzustumpfen.
Ich will nicht denen auf den Leim gehen,
die es mit den Schwächsten nicht gut meinen
und die mit der Dummheit der Menschen spielen.
Gerade heute brauchen wir dich ganz besonders, Weisheit.*
Über die Toten lass mich weinen wie ein Kind.
Hilf mir, dass ich mich meiner Tränen nicht schäme.
Ich will sie sammeln im Krug und sie in Taten verwandeln.
In gute Taten. In einfache Taten.
Und auch in etwas Großes, wenn es nötig ist.
Liebe Weisheit, zeige mir, wie das geht.
Öffne mir die Räume des Lebens, die ich gestalten kann
- mit dir.
Ich will das Leben finden.
Mit dir, liebe Weisheit.
Ich finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Ich will das Leben tanzen und feiern.
Mit dir, Weisheit, denn du weißt, was das Leben ist.
Von Anfang an warst du da.
Amen.
*) Heute wird in Pforzheim der zukünftige Oberbürgermeister gewählt (und es verspricht, spannend zu werden). Außerdem finden heute die Stichwahlen zur französischen Präsidentschaft statt, die große Auswirkungen auf die Zukunft Europas haben.
(mit besonderem Dank an Florian Kunz für die Hauptanregung zum Gedicht von Kurt Marti und für ein paar Formulierungen, die ich übernommen habe (v.a. Abschnitt III und die erste Hälfte von VI)
I.
Finde das Leben, Mensch.
Finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Finde das Leben.
Lass dich von der Weisheit entführen.
Denn sie weiß, wo das Leben ist.
Und was es ist.
Denn von Anfang an war sie da.
In Urzeiten schon.
II.
In der Bibel lesen wir:
Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege,
ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her,
im Anfang, ehe die Erde war.
Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren,
als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
Ehe denn die Berge eingesenkt waren,
vor den Hügeln ward ich geboren,
als er die Erde noch nicht gemacht hatte
noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
Als er die Himmel bereitete, war ich da,
als er den Kreis zog über der Tiefe,
als er die Wolken droben mächtig machte,
als er stark machte die Quellen der Tiefe,
als er dem Meer seine Grenze setzte
und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl;
als er die Grundfesten der Erde legte,
da war ich beständig bei ihm;
ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
So hört nun auf mich, meine Söhne und Töchter!
Wohl denen, die meine Wege einhalten!
Hört die Zucht und werdet weise
und schlagt sie nicht in den Wind.
Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
dass er wache an meiner Tür täglich,
dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
Wer mich findet, der findet das Leben
und erlangt Wohlgefallen vom Herrn.
Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben;
alle, die mich hassen, lieben den Tod.
III.
Finde das Leben, Mensch.
Folge der Weisheit.
Sie war im Anfang da... und die Weisheit war bei Gott.
War schon da bevor irgendwas da war
Alles war noch eine große Leerstelle,
eine Klammer ohne Inhalt.
Da war sie schon da, die Weisheit.
Noch bevor das Licht anging,
bevor Himmel und Erde wurden, was sie sind,
bevor sich Worte bildeten in den Herzen der Menschen,
bevor das Leben Klänge und Farben bekam.
Sie war da, bevor es Busfahrkarten und Streuselkuchen gab,
Liebesgedichte und Papierschiffchen,
Sommerregen und Schneeflocken.
Sie war schon da.
Im Anfang war die Weisheit ...
und die Weisheit war ein Kind,
Gottes Kind, erstes Geschöpf, sein Liebling.
Trägt viele Namen: Chochma, Sophia, Sapientia.
Und Sophia, die Weisheit, spielt. Und Gott mit ihr.
Beide erschaffen Neues.
IV.
Kurt Marti (aus: Die gesellige Gottheit)
Sie spielte vor dem Erschaffer
umspielte, was er geschaffen,
und schlug,
leicht hüpfend von Einfall zu Einfall,
neue Erschaffungen vor:
Warum nicht einen anmutig gekurvten Raum?
Warum nicht Myriaden pfiffiger Moleküle
Warum nicht schleierwehende Wirbel, Gase?
Oder Materie, schwebend, fliegend, rotierend?
So sei es, lachte Gott,
denn alles ist möglich,
doch muß Ordnung ins Ganze -
durch Schwerkraft zum Beispiel.
Dazu aber wünschte Sophia sich ebensoviel Leichtigkeit.
Da ersann Gott die Zeit.
Und Sophia klatschte in die Hände.
Sophia tanzte,
leicht wie die Zeit,
zum wilden melodischen Urknall,
dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen,
Räume, Zukünfte, erste Vergangenheiten -
der kosmische Tanz,
das sich freudig ausdehnende All.
Fröhlich streckte Sophia Gott die Arme entgegen.
Und Gott tanzte mit.
V.
Gestern schoss die Weisheit ein Tor.
Das 2 zu 3 gegen Königsbach-Stein.
Sie umdribbelte zwei Gegenspieler
und zirkelte den Ball ins linke Eck.
Sie riss ihre Arme hoch und jubelte.
Und auf einmal waren alle anderen um sie herum
und freuten sich mit.
Auch Gott war dabei und jubelte laut.
Er spielt nicht gerne allein, sondern braucht Mitspieler.
Dich und mich.
Bei allem, was so entstehen soll.
Auch beim Fußball.
Die Weisheit liebt den Fußball.
Aber auch das Tanzen auf der Berlin-Klassenfahrt.
Leicht wie die Zeit mit Wirbeln und Bewegungen.
Mit einer Schwerkraft, die sie erdet.
Schaut nur genau hin.
Die Weisheit liebt es, mit Vollkaracho in Pfützen zu springen,
dass es nur so spritzt.
Noch mehr Spaß macht es mit anderen zusammen.
Gottes Weisheit ist gesellig.
Alle zusammen an den Händen -
zählen auf 1 - 2 - 3 und dann los.
Fast so schön wie der Urknall.
Der Schlamm sitzt dann überall, auch in den Haaren.
Und das ist es wert.
Die Weisheit liebt die Regenwürmer.
Wenn es geregnet hat, rennt sie schnell raus auf die Straße,
sammelt die Würmer auf, damit sie nicht überfahren werden.
Und sie staunt mit Gott darüber,
wie unterschiedlich kurz und lang so ein Regenwurm sein kann.
Und dass das Leben nicht nur leicht ist.
Die Weisheit baut leidenschaftlich gerne Sandburgen,
so nah wie möglich am Wasser,
damit es den Burggraben fluten kann.
Und am nächsten Morgen rennt die Weisheit hin
und schaut, ob die Burg noch da ist.
Vielleicht ist sie dann traurig, dass nur noch eine Ruine zu sehen ist.
Aber sie weiß, dass das eben so ist.
Die Zeit lässt sowas vergehen.
Erste Vergangenheiten werden sichtbar.
Nichts ist ewig, was wir erschaffen.
Aber die Weisheit erschafft weiter:
baut mit ihrem kleinen Bruder eine neue - noch schönere Burg.
Sammelt die Muscheln dafür und den Seetang.
Für das Spiel mit den Gezeiten.
VI.
Im Anfang war das Wort ... schreibt Johannes (1,1).
Der Logos, wie es im Griechischen heißt.
Logos, Sinn, Vernunft,
göttliche Weisheit und Inspiration.
Und darum wage ich mich weiter:
Im Anfang war die Weisheit,
und die Weisheit war bei Gott,
und Gott war die Weisheit.
Dieselbe war im Anfang bei Gott….
Und die Weisheit ward Fleisch
und wohnte unter uns, ...
Wird ein Mensch, wird ein Kind –
wie könnte es anders sein?
Die Weisheit liebt das, was da ist
und das was noch nicht da ist.
Sie heilt und tröstet, nimmt in den Arm und segnet.
Aus Erde und Speichel macht sie einen Brei.
Die Tische im Tempel wirft die Weisheit um.
Sie weint mit den Traurigen und lacht mit den Fröhlichen.
Mit Mirjam tanzt sie, deckt mit Marta den Tisch,
hört zu, was Maria sagt.
Und ist eins mit Gott.
Die Weisheit schreibt in den Sand.
Findet das Leben, ruft sie den Menschen zu.
Findet das Leben!
VII.
Liebe Weisheit,
komme zu mir. Erfülle mich.
Lehre mich tanzen und springen.
Ich will neugierig sein wie du.
Zeige mir die Wunder, die ich übersehe.
Lass mich staunen über den Regenwurm.
Schubse mich zum Marktplatz,
wo im Sprachenwirrwarr
die Kinder über die Wasserfontänen hüpfen.
Bewahre mich auch davor, abzustumpfen.
Ich will nicht denen auf den Leim gehen,
die es mit den Schwächsten nicht gut meinen
und die mit der Dummheit der Menschen spielen.
Gerade heute brauchen wir dich ganz besonders, Weisheit.*
Über die Toten lass mich weinen wie ein Kind.
Hilf mir, dass ich mich meiner Tränen nicht schäme.
Ich will sie sammeln im Krug und sie in Taten verwandeln.
In gute Taten. In einfache Taten.
Und auch in etwas Großes, wenn es nötig ist.
Liebe Weisheit, zeige mir, wie das geht.
Öffne mir die Räume des Lebens, die ich gestalten kann
- mit dir.
Ich will das Leben finden.
Mit dir, liebe Weisheit.
Ich finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Ich will das Leben tanzen und feiern.
Mit dir, Weisheit, denn du weißt, was das Leben ist.
Von Anfang an warst du da.
Amen.
*) Heute wird in Pforzheim der zukünftige Oberbürgermeister gewählt (und es verspricht, spannend zu werden). Außerdem finden heute die Stichwahlen zur französischen Präsidentschaft statt, die große Auswirkungen auf die Zukunft Europas haben.
Sonntag, 16. April 2017
Alles ist da. In Emmaus und in Pforzheim auch.
Predigt zum Ostermontag über Lukas 24,13-35
(Danke an Thomas Hirsch-Hüffel für die entscheidende Anregung)
Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,
haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.
Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.
I.
Alles da.
Es ist alles da in diesem einen Moment.
Die vielen Mahlzeiten mit ihm.
Das Brot in der Hand. Die Stücke, die er verteilt.
An alle, die da waren.
Und sie waren alle da.
In diesem einen Moment in einem Gasthof in Emmaus ist alles da.
Das letzte Mahl.
Der Abschied.
Der Tod. Aber vor allem die Liebe.
Auch die anderen sind da.
Der tote Judas, der sich so sehr verrannt hat in seine Idee,
und daran zerbrochen ist.
Die Frau mit dem Salböl, das sie für Jesus verschwendet.
Petrus ist auch dabei,
mit rotgeweinten Augen, in die er sich nicht schauen lässt.
Maria von Magdala ist da und verteilt den Wein.
Ihre Augen leuchten noch von der Begegnung am Grab.
Jetzt ist alles da. Hier.
Jesus ist da. Und bricht das Brot.
Keine Fragen mehr.
Nur noch da sein.
Mit offenen Augen und brennendem Herzen.
II.
Diese Momente, wo alles da ist.
Die du nicht erklären kannst, nur spüren.
Mir ging das so, als die Hebamme sagte:
„Ihre Tochter hat einen kleinen Sohn bekommen!“
Davor die bangen Stunden, weil es nicht so gut lief.
Die Sorgen ließen mich im Krankenhaus herumlaufen.
Mit klugen Argumenten versuchte ich mich zu besänftigen.
Aber das Herz war unruhig.
Und dann der eine Satz: Ihrer Tochter geht es gut. Und Ihrem Enkel auch.
Ein Moment, wo alles da ist.
Ich dachte daran, wie ich sie das erste Mal in den Armen hielt.
Und ihr 6.Geburtstag als Piratin.
Ihr Auftritt im Musical.
Und nach einem Jahr Amerika sie wieder zu umarmen.
Die langen Gespräche in den dänischen Dünen.
Auf ihrer Hochzeit sie segnen zu dürfen.
Ich dachte an meine Mutter, die das nicht mehr erleben konnte.
Alles das war da. In diesem einen Moment.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
III.
Für Kleopas ist es dieser Moment im Gasthof von Emmaus.
Der Schmerz sitzt ihm noch in den Knochen.
Gefallen aus der Welt und er wusste nicht, was er noch denken konnte.
Jesus am Kreuz. War’s das jetzt?
Das kann es nicht gewesen sein.
Oder doch?
Laufen hilft. Nicht stillsitzen.
Und ihm half zu zweit zu laufen. Zusammen mit einem anderen.
Weg von diesem Ort der Gewalt. Weg vom Kreuz.
Wohin auch immer.
Woher der Dritte kam, weiß Kleopas nicht.
Er ging von dem ersten Brunnen hinter Jerusalem an mit ihnen.
Sie erzählten, weil er fragte.
Erst wollten sie nicht, dann lief es aus ihnen raus.
Man ist nicht bei sich in solchen Zeiten.
Aber es ist gut, dass jemand fragt. Und auch nicht locker lässt.
Und dann dieser Moment.
Im Gasthof von Emmaus.
Der Fremde nimmt das Brot und bricht es.
Es braucht keine Worte mehr. Nur das Brot.
Nur das, was zählt.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
Alles ist da.
IV.
So ein Moment ist Gnade.
Denn du kannst ihn nicht machen,
nicht inszenieren.
Zauber, Magie, Wunder, Geschenk.
Alles Worte, die es doch nicht erfassen.
Weil es um Ewiges geht.
Um etwas, das größer ist als wir.
Mir kommen die Dortmund-Fans in den Sinn,
die nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus
die Monaco-Fans zu sich nach Hause einladen
#BedforawayFans - dieser Hashtag - ein Moment, wo alles da ist.
Wo Liebe statt Hass regiert.
Und wo sie denen,
die den Flüchtlingen die Schuld geben wollen, ins Gesicht lachen.
Da ist Brot und Bier und Sprachenwirrwarr -
alles beieinander.
Und trotz Wut und Trauer und Fassungslosigkeit wurde gelacht und geküsst und geliebt.
Und es brauchte keine Worte mehr.
Erinnert ihr euch noch an die alte verwirrte Frau,
die am Sonntag vor der Vesperkirche hier in den Altarraum kam und dort blieb?
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Für mich war das so ein Moment, wo alles da war.
Sie war die, die eigentlich nicht hierher passte.
Und doch musste sie da sein.
Und in späteren Gottesdiensten kam sie auch.
Und da war sie wohl wirklich anstrengend. Und brauchte Hilfe.
Aber an diesem Sonntag war es für mich ein Moment, wo alles da war.
Sie wirkte so unverrückbar sicher, am richtigen Ort zu sein.
Liebe und Tränen und Nähe.
V.
So ein Moment ist Gnade.
Man kann ihn nicht erklären.
Was macht man damit?
Kleopas wacht auf aus seiner Starre und läuft los.
Läuft zurück nach Hause.
Geht zu den anderen und lebt diesen Moment.
Lässt sich davon leiten.
Und sein Herz füllen.
Und steckt damit die anderen an.
Leben,
spüren,
schmecken,
weinen
und lachen.
Und diesen Moment, wo alles da ist, erleben.
So möchte ich es auch tun.
Ich will die Momente, wo alles da ist, spüren, erkennen, sehen.
Meine Augen offen halten
und jede Faser meines Körpers darauf einstellen.
Das wird mich verletzlich machen.
Denn ich öffne mich ja.
Und das werden andere ausnutzen.
Aber das ist mir heute egal.
Denn ich weiß ja, dass dann Jesus bei mir ist.
Wenn ich Brot teile und mit Freunden Wein trinke.
Wenn ich mit meinem Enkel über den Boden krabble.
Er ist da, wenn ich über die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weine
und über die Folterlager für Homosexuelle in Tschetschenien.
Wenn mich die Bomben auf Afghanistan und in Syrien entsetzen.
Jesus ist bei mir gerade dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Wenn ich nur noch vor mich hinstammle
und blind das Weite suche wie Kleopas.
Auf einmal ist er da und spricht mit mir.
Ich erkenne ihn nicht.
Aber er ist da und wärmt mir das Herz.
Setzt sich mit mir hin und hört zu.
Sein Brot.
Sein Wort.
Seine Liebe.
Und Nähe.
In einem Moment und für die Ewigkeit.
Alles ist da.
Amen.
(Danke an Thomas Hirsch-Hüffel für die entscheidende Anregung)
Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,
haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.
Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.
I.
Alles da.
Es ist alles da in diesem einen Moment.
Die vielen Mahlzeiten mit ihm.
Das Brot in der Hand. Die Stücke, die er verteilt.
An alle, die da waren.
Und sie waren alle da.
In diesem einen Moment in einem Gasthof in Emmaus ist alles da.
Das letzte Mahl.
Der Abschied.
Der Tod. Aber vor allem die Liebe.
Auch die anderen sind da.
Der tote Judas, der sich so sehr verrannt hat in seine Idee,
und daran zerbrochen ist.
Die Frau mit dem Salböl, das sie für Jesus verschwendet.
Petrus ist auch dabei,
mit rotgeweinten Augen, in die er sich nicht schauen lässt.
Maria von Magdala ist da und verteilt den Wein.
Ihre Augen leuchten noch von der Begegnung am Grab.
Jetzt ist alles da. Hier.
Jesus ist da. Und bricht das Brot.
Keine Fragen mehr.
Nur noch da sein.
Mit offenen Augen und brennendem Herzen.
II.
Diese Momente, wo alles da ist.
Die du nicht erklären kannst, nur spüren.
Mir ging das so, als die Hebamme sagte:
„Ihre Tochter hat einen kleinen Sohn bekommen!“
Davor die bangen Stunden, weil es nicht so gut lief.
Die Sorgen ließen mich im Krankenhaus herumlaufen.
Mit klugen Argumenten versuchte ich mich zu besänftigen.
Aber das Herz war unruhig.
Und dann der eine Satz: Ihrer Tochter geht es gut. Und Ihrem Enkel auch.
Ein Moment, wo alles da ist.
Ich dachte daran, wie ich sie das erste Mal in den Armen hielt.
Und ihr 6.Geburtstag als Piratin.
Ihr Auftritt im Musical.
Und nach einem Jahr Amerika sie wieder zu umarmen.
Die langen Gespräche in den dänischen Dünen.
Auf ihrer Hochzeit sie segnen zu dürfen.
Ich dachte an meine Mutter, die das nicht mehr erleben konnte.
Alles das war da. In diesem einen Moment.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
III.
Für Kleopas ist es dieser Moment im Gasthof von Emmaus.
Der Schmerz sitzt ihm noch in den Knochen.
Gefallen aus der Welt und er wusste nicht, was er noch denken konnte.
Jesus am Kreuz. War’s das jetzt?
Das kann es nicht gewesen sein.
Oder doch?
Laufen hilft. Nicht stillsitzen.
Und ihm half zu zweit zu laufen. Zusammen mit einem anderen.
Weg von diesem Ort der Gewalt. Weg vom Kreuz.
Wohin auch immer.
Woher der Dritte kam, weiß Kleopas nicht.
Er ging von dem ersten Brunnen hinter Jerusalem an mit ihnen.
Sie erzählten, weil er fragte.
Erst wollten sie nicht, dann lief es aus ihnen raus.
Man ist nicht bei sich in solchen Zeiten.
Aber es ist gut, dass jemand fragt. Und auch nicht locker lässt.
Und dann dieser Moment.
Im Gasthof von Emmaus.
Der Fremde nimmt das Brot und bricht es.
Es braucht keine Worte mehr. Nur das Brot.
Nur das, was zählt.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
Alles ist da.
IV.
So ein Moment ist Gnade.
Denn du kannst ihn nicht machen,
nicht inszenieren.
Zauber, Magie, Wunder, Geschenk.
Alles Worte, die es doch nicht erfassen.
Weil es um Ewiges geht.
Um etwas, das größer ist als wir.
Mir kommen die Dortmund-Fans in den Sinn,
die nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus
die Monaco-Fans zu sich nach Hause einladen
#BedforawayFans - dieser Hashtag - ein Moment, wo alles da ist.
Wo Liebe statt Hass regiert.
Und wo sie denen,
die den Flüchtlingen die Schuld geben wollen, ins Gesicht lachen.
Da ist Brot und Bier und Sprachenwirrwarr -
alles beieinander.
Und trotz Wut und Trauer und Fassungslosigkeit wurde gelacht und geküsst und geliebt.
Und es brauchte keine Worte mehr.
Erinnert ihr euch noch an die alte verwirrte Frau,
die am Sonntag vor der Vesperkirche hier in den Altarraum kam und dort blieb?
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Für mich war das so ein Moment, wo alles da war.
Sie war die, die eigentlich nicht hierher passte.
Und doch musste sie da sein.
Und in späteren Gottesdiensten kam sie auch.
Und da war sie wohl wirklich anstrengend. Und brauchte Hilfe.
Aber an diesem Sonntag war es für mich ein Moment, wo alles da war.
Sie wirkte so unverrückbar sicher, am richtigen Ort zu sein.
Liebe und Tränen und Nähe.
V.
So ein Moment ist Gnade.
Man kann ihn nicht erklären.
Was macht man damit?
Kleopas wacht auf aus seiner Starre und läuft los.
Läuft zurück nach Hause.
Geht zu den anderen und lebt diesen Moment.
Lässt sich davon leiten.
Und sein Herz füllen.
Und steckt damit die anderen an.
Leben,
spüren,
schmecken,
weinen
und lachen.
Und diesen Moment, wo alles da ist, erleben.
So möchte ich es auch tun.
Ich will die Momente, wo alles da ist, spüren, erkennen, sehen.
Meine Augen offen halten
und jede Faser meines Körpers darauf einstellen.
Das wird mich verletzlich machen.
Denn ich öffne mich ja.
Und das werden andere ausnutzen.
Aber das ist mir heute egal.
Denn ich weiß ja, dass dann Jesus bei mir ist.
Wenn ich Brot teile und mit Freunden Wein trinke.
Wenn ich mit meinem Enkel über den Boden krabble.
Er ist da, wenn ich über die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weine
und über die Folterlager für Homosexuelle in Tschetschenien.
Wenn mich die Bomben auf Afghanistan und in Syrien entsetzen.
Jesus ist bei mir gerade dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Wenn ich nur noch vor mich hinstammle
und blind das Weite suche wie Kleopas.
Auf einmal ist er da und spricht mit mir.
Ich erkenne ihn nicht.
Aber er ist da und wärmt mir das Herz.
Setzt sich mit mir hin und hört zu.
Sein Brot.
Sein Wort.
Seine Liebe.
Und Nähe.
In einem Moment und für die Ewigkeit.
Alles ist da.
Amen.
Donnerstag, 13. April 2017
Lieben, dass es weh tut. Und heilt.
Predigt zum leidenden Gottesknecht (Jes 53,2b - 13)
Karfreitag 2017
I.
Er hatte keine Gestalt und Hoheit.
Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste,
voller Schmerzen und Krankheit.
Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg;
darum haben wir ihn für nichts geachtet.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit
und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.
Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig
und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird;
und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf.
Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.
Wer aber kann sein Geschick ermessen?
Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen,
da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern,
als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat
und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,
wird er Nachkommen haben
und in die Länge leben,
und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
den Vielen Gerechtigkeit schaffen;
denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben
und er soll die Starken zum Raube haben,
dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat
und den Übeltätern gleichgerechnet ist
und er die Sünde der Vielen getragen hat
und für die Übeltäter gebeten.
Musik
II.
Gott, hast du uns verlassen?
Da wird einer fertig gemacht,
zum Sündenbock abgestempelt,
klein gehalten, bespuckt.
Der Allerverachtetste und Unwerteste.
Schaut ihn euch an:
was muss der nur verbrochen haben, dass es dem so geht?
Der ist bestimmt selber Schuld.
Oh, ich hab ihm nichts getan, die anderen waren‘s.
Ich wasche meine Hände in Unschuld!
Und sag lieber nichts dazu.
Womöglich gerate ich noch in den gleichen Schlamassel...
Gott, hast du uns verlassen?
Wie den Gottesknecht.
Sind die über 40 koptischen Christen in Ägypten deine Gottesknechte?
Getötet von Terroristen.
Weil sie Christen sind.
Sind die Opfer von Stockholm deine Gottesknechte?
Wo bleibt deine Strafe für die Täter, Gott?
Oder die Flüchtlinge, die nach Afghanistan zurück geschickt werden,
in ein Land, das voller Minen und Talibanterroristen ist
und das Außenministerium warnt vor Reisen in dieses Land.
Oder der 13jährige - über whats-app so gemobbt,
dass er sich nicht mehr in die Schule traut…
Alles Gottesknechte?
Schaut sie euch an:
was müssen sie nur verbrochen haben, dass es ihnen so ergeht?
Die sind bestimmt selber Schuld.
III.
Gott, hast du uns verlassen?
Warum müssen wir über andere schlecht reden?
Warum interessiert es uns so wenig,
wie es denen geht, denen es offensichtlich schlecht geht?
Vielleicht sogar direkt nebendran…
Und wir glauben, uns könnte das nicht treffen?
Da verdient einer sein Geld unsauber.
Aber einen anderen Platz hat er nicht gefunden.
Es geht ihm nicht gut dabei.
Die Blicke der anderen tun ihm weh.
Aber das wird er nicht zeigen.
Sonst werden sie seine Schwäche erkennen.
Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus.
Da hat eine andere einen fragwürdigen Lebenswandel.
So jedenfalls bezeichnen es die, die anders leben.
Sie selber will das eigentlich nicht.
Ihre Träume sind ganz andere.
Aber ihre Träume werden zertreten.
Weil so eine wie sie nicht träumt.
Andere träumen von ihr.
Das findet kaum einer schlimm.
Aber dass sie sich einlässt auf die Träume, das ist unmoralisch.
Moral hat mindestens zwei Gesichter. Und an welches soll sie sich halten?
Zwei Geschichten - bekannt aus der Bibel:
der Zöllner, die Sünderin.
Gescheiterte Existenzen. Menschen wie wir.
Ein anderes Leiden als die Opfer der brutalen Übergriffe
in Ägypten oder Stockholm oder Afghanistan.
Nicht vergleichbar.
Und doch Leiden - immer wieder - auch heute.
Und es gibt keine Zwei-Klassen-Leiden…
IV.
Gott, hast du uns verlassen?
Da gibt es da noch einen dritten -
der Grund, warum wir hier sind:
Jesus, ja, du.
Du predigst von Sanftmut und Barmherzigkeit,
hältst die rechte Wange hin,
nachdem dir auf die linke geschlagen wurde.
Du stellst dich vor andere Opfer,
vor die Ehebrecherin zum Beispiel.
Und du machst dich unbeliebt,
weil du Regeln in Frage stellst,
die nicht für Menschen gemacht sind.
Du liebst, dass es weh tut.
Verraten, verkauft, verloren.
Deine Freunde haben sich verkrümelt.
Die Menge schreit und will ein Opfer,
will einen, auf den sie alles abladen kann.
Dich.
Sie lacht über deine Schmerzen.
Schaut zu, wenn du gequält wirst,
achselzuckend oder geifernd.
Gott, hast du uns verlassen?
Hast du sogar Jesus verlassen, deinen Sohn?
Da steht, sitzt, hängt einer.
Und andere schütteln den Kopf,
wenden sich ab, gehen vorüber.
Es ist einsam auf Golgatha.
Da sind nur die, die da sein müssen.
Und die, die lieben, dass es weh tut.
V.
Leiden hat keine Lobby.
Liebe darf nicht weh tun.
Denn Leiden und Schmerz passen nicht in die perfekte Welt.
Karfreitag soll sich verkrümeln.
Es reicht, dass ich das täglich in den Nachrichten sehe und höre.
Mein Aufschrei im Internet und das beleuchtete Brandenburger Tor -
das muss genügen.
Nicht mehr bitte - denn sonst müsste ich genauer hinsehen,
wo ich da eigentlich stehe.
Ich müsste stehen bleiben.
Den Schmerz aushalten und mitfühlen.
Der Gottesknecht.
Die ägyptische Christin, der schwedische Angestellte,
der afghanische Flüchtling, der gemobbte Junge.
Der Zöllner, die Frau. Jesus.
Derselbe rote Faden zieht sich durch alle Geschichten.
Menschen leiden.
Unschuldig oder mitschuldig.
Heroisch oder schmuddelig.
Sympathisch oder unsympathisch.
Wer will das unterscheiden?
Jesus: unschuldiges, heroisches, sympathisches Leiden.
Für uns.
Für die Damaligen:
Ein mitschuldiger, schmuddeliger und unsympathischer Tod.
Kein Grund stehen zu bleiben.
Gott bleibt stehen.
Beim Kreuz.
Bei den Minen und im zerstörten Gotteshaus.
Und dem traurigen Jungen.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du hältst dich nicht heraus
aus dem Leid und dem Unrecht in unserer Welt.
Du bleibst nicht im Himmel.
Du bist selber am Kreuz.
Du liebst.
Bist der Gottesknecht, der selber schuld ist.
Nah am Abgrund und nah an meinen Abgründen.
VI.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du nimmst in Christus die Abgründe auf dich.
Du gehst tief hinein. Ganz tief.
Christus wird hingerichtet wie ein Mörder,
zwischen zwei Mördern am Kreuz links und rechts.
Dort, wo die Täter sind.
Die mit ihren Abgründen.
Die, die selber schuld sind.
Ja, da bist du, Gott, in den Abgründen - auch bei mir.
Wo ich mitlaufe oder anführe,
wo ich schweige oder zu Gerüchten beitrage,
wo ich wegschaue und geschehen lasse,
wo ich mitbeteiligt bin, ob ich will oder nicht.
Und wo ich denke, dass der oder die doch selber schuld ist.
Auch da bist du, Gott!
Und bei dir kann ich es lassen - und neuanfangen.
Das Kreuz zeigt die Welt, wie sie ist. Täter und Opfer.
Und ich sehe im Kreuz nicht nur, wie die Welt ist,
sondern, wie sie sein kann.
Voller Liebe und Vergebung.
Lieben, dass es weh tut.
Und heilt.
VII.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du bist hier, mitten drin.
In alles Leid der Welt gefallen.
So tief, wie keiner.
Und weil du tiefer bist als alles Leid, kannst du alles Leid auffangen.
Bei dir wird keiner fertig gemacht.
Du liebst, dass es weh tut.
Und heilst.
Auch mich.
Fürwahr, du trugst unsre Krankheit
und ludst auf dich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten dich für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber du bist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Durch deine Wunden sind wir geheilt.
Amen.
Karfreitag 2017
I.
Er hatte keine Gestalt und Hoheit.
Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste,
voller Schmerzen und Krankheit.
Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg;
darum haben wir ihn für nichts geachtet.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit
und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.
Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig
und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird;
und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf.
Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.
Wer aber kann sein Geschick ermessen?
Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen,
da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern,
als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat
und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,
wird er Nachkommen haben
und in die Länge leben,
und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
den Vielen Gerechtigkeit schaffen;
denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben
und er soll die Starken zum Raube haben,
dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat
und den Übeltätern gleichgerechnet ist
und er die Sünde der Vielen getragen hat
und für die Übeltäter gebeten.
Musik
II.
Gott, hast du uns verlassen?
Da wird einer fertig gemacht,
zum Sündenbock abgestempelt,
klein gehalten, bespuckt.
Der Allerverachtetste und Unwerteste.
Schaut ihn euch an:
was muss der nur verbrochen haben, dass es dem so geht?
Der ist bestimmt selber Schuld.
Oh, ich hab ihm nichts getan, die anderen waren‘s.
Ich wasche meine Hände in Unschuld!
Und sag lieber nichts dazu.
Womöglich gerate ich noch in den gleichen Schlamassel...
Gott, hast du uns verlassen?
Wie den Gottesknecht.
Sind die über 40 koptischen Christen in Ägypten deine Gottesknechte?
Getötet von Terroristen.
Weil sie Christen sind.
Sind die Opfer von Stockholm deine Gottesknechte?
Wo bleibt deine Strafe für die Täter, Gott?
Oder die Flüchtlinge, die nach Afghanistan zurück geschickt werden,
in ein Land, das voller Minen und Talibanterroristen ist
und das Außenministerium warnt vor Reisen in dieses Land.
Oder der 13jährige - über whats-app so gemobbt,
dass er sich nicht mehr in die Schule traut…
Alles Gottesknechte?
Schaut sie euch an:
was müssen sie nur verbrochen haben, dass es ihnen so ergeht?
Die sind bestimmt selber Schuld.
III.
Gott, hast du uns verlassen?
Warum müssen wir über andere schlecht reden?
Warum interessiert es uns so wenig,
wie es denen geht, denen es offensichtlich schlecht geht?
Vielleicht sogar direkt nebendran…
Und wir glauben, uns könnte das nicht treffen?
Da verdient einer sein Geld unsauber.
Aber einen anderen Platz hat er nicht gefunden.
Es geht ihm nicht gut dabei.
Die Blicke der anderen tun ihm weh.
Aber das wird er nicht zeigen.
Sonst werden sie seine Schwäche erkennen.
Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus.
Da hat eine andere einen fragwürdigen Lebenswandel.
So jedenfalls bezeichnen es die, die anders leben.
Sie selber will das eigentlich nicht.
Ihre Träume sind ganz andere.
Aber ihre Träume werden zertreten.
Weil so eine wie sie nicht träumt.
Andere träumen von ihr.
Das findet kaum einer schlimm.
Aber dass sie sich einlässt auf die Träume, das ist unmoralisch.
Moral hat mindestens zwei Gesichter. Und an welches soll sie sich halten?
Zwei Geschichten - bekannt aus der Bibel:
der Zöllner, die Sünderin.
Gescheiterte Existenzen. Menschen wie wir.
Ein anderes Leiden als die Opfer der brutalen Übergriffe
in Ägypten oder Stockholm oder Afghanistan.
Nicht vergleichbar.
Und doch Leiden - immer wieder - auch heute.
Und es gibt keine Zwei-Klassen-Leiden…
IV.
Gott, hast du uns verlassen?
Da gibt es da noch einen dritten -
der Grund, warum wir hier sind:
Jesus, ja, du.
Du predigst von Sanftmut und Barmherzigkeit,
hältst die rechte Wange hin,
nachdem dir auf die linke geschlagen wurde.
Du stellst dich vor andere Opfer,
vor die Ehebrecherin zum Beispiel.
Und du machst dich unbeliebt,
weil du Regeln in Frage stellst,
die nicht für Menschen gemacht sind.
Du liebst, dass es weh tut.
Verraten, verkauft, verloren.
Deine Freunde haben sich verkrümelt.
Die Menge schreit und will ein Opfer,
will einen, auf den sie alles abladen kann.
Dich.
Sie lacht über deine Schmerzen.
Schaut zu, wenn du gequält wirst,
achselzuckend oder geifernd.
Gott, hast du uns verlassen?
Hast du sogar Jesus verlassen, deinen Sohn?
Da steht, sitzt, hängt einer.
Und andere schütteln den Kopf,
wenden sich ab, gehen vorüber.
Es ist einsam auf Golgatha.
Da sind nur die, die da sein müssen.
Und die, die lieben, dass es weh tut.
V.
Leiden hat keine Lobby.
Liebe darf nicht weh tun.
Denn Leiden und Schmerz passen nicht in die perfekte Welt.
Karfreitag soll sich verkrümeln.
Es reicht, dass ich das täglich in den Nachrichten sehe und höre.
Mein Aufschrei im Internet und das beleuchtete Brandenburger Tor -
das muss genügen.
Nicht mehr bitte - denn sonst müsste ich genauer hinsehen,
wo ich da eigentlich stehe.
Ich müsste stehen bleiben.
Den Schmerz aushalten und mitfühlen.
Der Gottesknecht.
Die ägyptische Christin, der schwedische Angestellte,
der afghanische Flüchtling, der gemobbte Junge.
Der Zöllner, die Frau. Jesus.
Derselbe rote Faden zieht sich durch alle Geschichten.
Menschen leiden.
Unschuldig oder mitschuldig.
Heroisch oder schmuddelig.
Sympathisch oder unsympathisch.
Wer will das unterscheiden?
Jesus: unschuldiges, heroisches, sympathisches Leiden.
Für uns.
Für die Damaligen:
Ein mitschuldiger, schmuddeliger und unsympathischer Tod.
Kein Grund stehen zu bleiben.
Gott bleibt stehen.
Beim Kreuz.
Bei den Minen und im zerstörten Gotteshaus.
Und dem traurigen Jungen.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du hältst dich nicht heraus
aus dem Leid und dem Unrecht in unserer Welt.
Du bleibst nicht im Himmel.
Du bist selber am Kreuz.
Du liebst.
Bist der Gottesknecht, der selber schuld ist.
Nah am Abgrund und nah an meinen Abgründen.
VI.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du nimmst in Christus die Abgründe auf dich.
Du gehst tief hinein. Ganz tief.
Christus wird hingerichtet wie ein Mörder,
zwischen zwei Mördern am Kreuz links und rechts.
Dort, wo die Täter sind.
Die mit ihren Abgründen.
Die, die selber schuld sind.
Ja, da bist du, Gott, in den Abgründen - auch bei mir.
Wo ich mitlaufe oder anführe,
wo ich schweige oder zu Gerüchten beitrage,
wo ich wegschaue und geschehen lasse,
wo ich mitbeteiligt bin, ob ich will oder nicht.
Und wo ich denke, dass der oder die doch selber schuld ist.
Auch da bist du, Gott!
Und bei dir kann ich es lassen - und neuanfangen.
Das Kreuz zeigt die Welt, wie sie ist. Täter und Opfer.
Und ich sehe im Kreuz nicht nur, wie die Welt ist,
sondern, wie sie sein kann.
Voller Liebe und Vergebung.
Lieben, dass es weh tut.
Und heilt.
VII.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du bist hier, mitten drin.
In alles Leid der Welt gefallen.
So tief, wie keiner.
Und weil du tiefer bist als alles Leid, kannst du alles Leid auffangen.
Bei dir wird keiner fertig gemacht.
Du liebst, dass es weh tut.
Und heilst.
Auch mich.
Fürwahr, du trugst unsre Krankheit
und ludst auf dich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten dich für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber du bist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Durch deine Wunden sind wir geheilt.
Amen.
Sonntag, 9. April 2017
Verschwenderische Liebe
Predigt zu Markus 14,3-9
(Danke an Birgit Mattausch für die Beratung des Entwurfs. Sie ist so eine wunderbare Predigerin! Ihre Texte finden sich auf frauauge.blogspot.de - sehr empfehlenswert!)
I.
Liebe ist verschwenderisch.
Die Scherben liegen noch auf dem Boden.
Dazwischen die Reste vom Fisch und Brotkrümel.
Überall Tropfen von Nardenöl.
Sie schimmern und duften.
Ein schwerer Geruch und zugleich ganz leicht.
Vermischt sich mit dem Fisch und dem Wein und dem Schweiß.
In den Wandteppichen hängen noch die Stimmen,
die zornigen und die lauten, die leisen und die sanften auch.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
II.
Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch,
da kam eine Frau,
die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl,
und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:
Was soll diese Vergeudung des Salböls?
Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können
und das Geld den Armen geben.
Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach:
Lasst sie! Was bekümmert ihr sie?
Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch,
und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun;
mich aber habt ihr nicht allezeit.
Sie hat getan, was sie konnte;
sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.
Wahrlich, ich sage euch:
Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt,
da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.
III.
Simon, der Aussätzige, berührt seine Narben.
Der Geruch vom Nardenöl erfüllt noch den Raum.
Und er hofft, dass er möglichst lange da bleibt.
Denn er tut seinen Narben gut, auch den Narben auf seiner Seele.
Es war mutig von der Frau, einfach so hineinzutreten in die Männerrunde.
Simon kannte sie nicht und die anderen kannten sie auch nicht.
Aber als sie eintrat, verstummten sie auf einmal.
Was will sie hier?
Merkt sie nicht, dass sie stört?
Und alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Sie wusste, was sie wollte - wohin sie wollte.
Keiner traute sich, sie aufzuhalten.
Sie sprach kein Wort.
Nur das Zerbrechen des Öl-Gefäßes aus Alabaster war zu hören.
Was sie tat, brauchte keine Worte.*
Und der Duft verströmte sich.
IV.
Liebe ist verschwenderisch.
Der liebende Duft.
Die duftende Berührung.
Alles ganz nah.
Auch mit ungewisser Zukunft.
Die Frau trat zu ihm.
Sie, die Unbekannte,
Die Liebende. Die Prophetin.
Sie salbt ihn, Jesus, zum König.
Wie einst Samuel den David salbte.
Jesus, der Gesalbte, der König.
Der auf einem Esel in Jerusalem einzog,
Er war gefeiert und bejubelt worden.
Hatte berührt und wurde berührt.
Im Tempel trat er sehr unköniglich, aber handfest auf.
Die arme Witwe bewunderte er.
Er ließ sich von der blutflüssigen Frau anfassen.
Und die todgeweihte Tochter des Jairus nahm er an die Hand.
Der Gesalbte, der verschwenderisch Liebende.
V.
Seine Verschwendung ist anstößig.
Was bringt die Rettung der kleinen Tochter von Jairus für die Toten der Welt?
Und das kleine Opfer der Witwe, wenn der Reiche nichts gibt?
Wo bleibt der Ertrag?
Und seine Verschwendung wird noch anstößiger.
Er setzt sich aus. Setzt sein Leben aus.
Verschwendet seine Liebe an Menschen, die ihn töten wollen und dies auch tun.
Er verhandelt nicht mit den Obersten, er erreicht keinen Kompromiss.
Stattdessen teilt er Brot und Wein mit seinen Freunden und Freundinnen.
Er hätte doch auch einen Pakt mit Pilatus schließen können,
ihm vormachen können, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.
Vielleicht hätte Pilatus ihn nicht gekreuzigt
und Jesus hätte noch mehr Menschen erreicht.
Vielleicht....?
Aber stattdessen geht er ans Kreuz mit seiner verschwenderischen Liebe,
Verströmt sie an die neben ihm.
Und wird sterben - mit ihr, dieser Liebe.
VI.
Liebe ist verschwenderisch.
Kostbares Öl auf seinem Kopf.
Öl, das man hätte gut verkaufen können.
Es macht ihn zum Gesalbten.
Zum König.
Zum Sterbenden.
Als Sterbender bleibt er der Gesalbte, der König.
Der wahre König muss seine Liebe verschwenden.
Er kann sie nicht für sich behalten und nutzbringend einsetzen.
So wie das Öl von seinen Haaren tropfen muss und sich auf dem Boden verteilt.
Tropfen bildet. Scherben hinterlässt. Und die anderen verstört.
Die Frau kümmert sich nicht darum, was die anderen verstört.
Sie tut, was ansteht.
Nimmt vorweg, was kommen wird.
Sie zeigt, wer Jesus ist.
Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.
Er lässt sich salben mit Öl aus einem zerbrochenen Krug*
und ist Träger von zerbrochenen Hoffnungen.
Er trägt sie mit.
Auch unsere zerbrochenen Hoffnungen.
Sie werden getragen. Und gesalbt.
Wie unsere Narben und Wunden.
VII.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da, wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
Die Namenlose.
Liebe strömt den Kopf hinab und tropft auf den Boden.
Verschwenderisch.
Sie ist da -
und bringt eine dampfende Hühnersuppe für die erkältete Pfarrerin.
Stundenlang hat sie sie gekocht für die Kranke.
Verschwenderische Liebe fährt 600 Kilometer durch die Bundesrepublik,
um dabei zu sein, wenn die Tochter ihr Abschlusszeugnis bekommt.
Sie demonstriert in Stuttgart gegen die Abschiebungen nach Afghanistan
und spricht stundenlang mit einem,
der nur noch im völkischen Denken das Heil für die Zukunft sieht.
Verschwenderische Liebe betet für dich
und umarmt dich, wenn du selber keine Kraft hast zum Lieben.
Verschwenderische Liebe komponiert unglaubliche Musik,
inspiriert von dem Licht eines Rembrandts**.
Und sie singt Töne voller Schmerz.
Liebe ist so verschwenderisch,
dass ihre Tropfen noch reichen für deine Narben,
die auf der Haut und auf der Seele.
Ihr Duft vermischt sich mit den Gerüchen deines Lebens.
Verschwenderisch bis zum Tod.
Nichts wird zurückgehalten.
Und selbst die Scherben tragen genug
für Simon,
für dich und für mich
und für alle da draußen.
Amen.
* Vielen Dank an Jonathan Overlach für diese Formulierung
** Musikalisch wurde der Gottesdienst mit Teilen aus "Golgota" von Frank Martin gestaltet, der seine Passion komponiert hat nach einer Betrachtung des Kupferstichs von Rembrandt "Die drei Kreuze"
(Danke an Birgit Mattausch für die Beratung des Entwurfs. Sie ist so eine wunderbare Predigerin! Ihre Texte finden sich auf frauauge.blogspot.de - sehr empfehlenswert!)
I.
Liebe ist verschwenderisch.
Die Scherben liegen noch auf dem Boden.
Dazwischen die Reste vom Fisch und Brotkrümel.
Überall Tropfen von Nardenöl.
Sie schimmern und duften.
Ein schwerer Geruch und zugleich ganz leicht.
Vermischt sich mit dem Fisch und dem Wein und dem Schweiß.
In den Wandteppichen hängen noch die Stimmen,
die zornigen und die lauten, die leisen und die sanften auch.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
II.
Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch,
da kam eine Frau,
die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl,
und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:
Was soll diese Vergeudung des Salböls?
Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können
und das Geld den Armen geben.
Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach:
Lasst sie! Was bekümmert ihr sie?
Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch,
und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun;
mich aber habt ihr nicht allezeit.
Sie hat getan, was sie konnte;
sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.
Wahrlich, ich sage euch:
Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt,
da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.
III.
Simon, der Aussätzige, berührt seine Narben.
Der Geruch vom Nardenöl erfüllt noch den Raum.
Und er hofft, dass er möglichst lange da bleibt.
Denn er tut seinen Narben gut, auch den Narben auf seiner Seele.
Es war mutig von der Frau, einfach so hineinzutreten in die Männerrunde.
Simon kannte sie nicht und die anderen kannten sie auch nicht.
Aber als sie eintrat, verstummten sie auf einmal.
Was will sie hier?
Merkt sie nicht, dass sie stört?
Und alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Sie wusste, was sie wollte - wohin sie wollte.
Keiner traute sich, sie aufzuhalten.
Sie sprach kein Wort.
Nur das Zerbrechen des Öl-Gefäßes aus Alabaster war zu hören.
Was sie tat, brauchte keine Worte.*
Und der Duft verströmte sich.
IV.
Liebe ist verschwenderisch.
Der liebende Duft.
Die duftende Berührung.
Alles ganz nah.
Auch mit ungewisser Zukunft.
Die Frau trat zu ihm.
Sie, die Unbekannte,
Die Liebende. Die Prophetin.
Sie salbt ihn, Jesus, zum König.
Wie einst Samuel den David salbte.
Jesus, der Gesalbte, der König.
Der auf einem Esel in Jerusalem einzog,
Er war gefeiert und bejubelt worden.
Hatte berührt und wurde berührt.
Im Tempel trat er sehr unköniglich, aber handfest auf.
Die arme Witwe bewunderte er.
Er ließ sich von der blutflüssigen Frau anfassen.
Und die todgeweihte Tochter des Jairus nahm er an die Hand.
Der Gesalbte, der verschwenderisch Liebende.
V.
Seine Verschwendung ist anstößig.
Was bringt die Rettung der kleinen Tochter von Jairus für die Toten der Welt?
Und das kleine Opfer der Witwe, wenn der Reiche nichts gibt?
Wo bleibt der Ertrag?
Und seine Verschwendung wird noch anstößiger.
Er setzt sich aus. Setzt sein Leben aus.
Verschwendet seine Liebe an Menschen, die ihn töten wollen und dies auch tun.
Er verhandelt nicht mit den Obersten, er erreicht keinen Kompromiss.
Stattdessen teilt er Brot und Wein mit seinen Freunden und Freundinnen.
Er hätte doch auch einen Pakt mit Pilatus schließen können,
ihm vormachen können, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.
Vielleicht hätte Pilatus ihn nicht gekreuzigt
und Jesus hätte noch mehr Menschen erreicht.
Vielleicht....?
Aber stattdessen geht er ans Kreuz mit seiner verschwenderischen Liebe,
Verströmt sie an die neben ihm.
Und wird sterben - mit ihr, dieser Liebe.
VI.
Liebe ist verschwenderisch.
Kostbares Öl auf seinem Kopf.
Öl, das man hätte gut verkaufen können.
Es macht ihn zum Gesalbten.
Zum König.
Zum Sterbenden.
Als Sterbender bleibt er der Gesalbte, der König.
Der wahre König muss seine Liebe verschwenden.
Er kann sie nicht für sich behalten und nutzbringend einsetzen.
So wie das Öl von seinen Haaren tropfen muss und sich auf dem Boden verteilt.
Tropfen bildet. Scherben hinterlässt. Und die anderen verstört.
Die Frau kümmert sich nicht darum, was die anderen verstört.
Sie tut, was ansteht.
Nimmt vorweg, was kommen wird.
Sie zeigt, wer Jesus ist.
Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.
Er lässt sich salben mit Öl aus einem zerbrochenen Krug*
und ist Träger von zerbrochenen Hoffnungen.
Er trägt sie mit.
Auch unsere zerbrochenen Hoffnungen.
Sie werden getragen. Und gesalbt.
Wie unsere Narben und Wunden.
VII.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da, wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
Die Namenlose.
Liebe strömt den Kopf hinab und tropft auf den Boden.
Verschwenderisch.
Sie ist da -
und bringt eine dampfende Hühnersuppe für die erkältete Pfarrerin.
Stundenlang hat sie sie gekocht für die Kranke.
Verschwenderische Liebe fährt 600 Kilometer durch die Bundesrepublik,
um dabei zu sein, wenn die Tochter ihr Abschlusszeugnis bekommt.
Sie demonstriert in Stuttgart gegen die Abschiebungen nach Afghanistan
und spricht stundenlang mit einem,
der nur noch im völkischen Denken das Heil für die Zukunft sieht.
Verschwenderische Liebe betet für dich
und umarmt dich, wenn du selber keine Kraft hast zum Lieben.
Verschwenderische Liebe komponiert unglaubliche Musik,
inspiriert von dem Licht eines Rembrandts**.
Und sie singt Töne voller Schmerz.
Liebe ist so verschwenderisch,
dass ihre Tropfen noch reichen für deine Narben,
die auf der Haut und auf der Seele.
Ihr Duft vermischt sich mit den Gerüchen deines Lebens.
Verschwenderisch bis zum Tod.
Nichts wird zurückgehalten.
Und selbst die Scherben tragen genug
für Simon,
für dich und für mich
und für alle da draußen.
Amen.
* Vielen Dank an Jonathan Overlach für diese Formulierung
** Musikalisch wurde der Gottesdienst mit Teilen aus "Golgota" von Frank Martin gestaltet, der seine Passion komponiert hat nach einer Betrachtung des Kupferstichs von Rembrandt "Die drei Kreuze"
Sonntag, 2. April 2017
Keine Opfer mehr! Auch nicht für Gott....
Predigt zu 1.Mose (Genesis) 22, 1-13
I.
(Folgendes aus https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/2015/kindersoldaten-erzaehlen/72156)
Der Tag, an dem David ein Kindersoldat wurde, hatte begonnen wie jeder andere Tag.
Der 16-Jährige verabschiedete sich morgens von seinen Eltern in einem Dorf in Südsudan und ging zur Schule. Er kam nicht mehr zurück. Bewaffnete Männer überfielen die Schule und entführten David zusammen mit rund 100 Mitschülern. "Es ist eure Pflicht zu kämpfen und euren Stamm zu verteidigen" - sagte man ihnen. David lernte drei Monate lang in einem Trainingscamp das Kämpfen. „Am schlimmsten war, morgens um drei Uhr geweckt zu werden und bis mittags trainieren zu müssen. Wir haben nur drei Mal pro Woche etwas zu essen bekommen. Wenn du die Waffe nicht richtig bedienen konntest, wurdest du geschlagen. Ich hatte keine Wahl.”
David und die anderen Kindersoldaten wurden an die Front gebracht und gezwungen, zu kämpfen. Sie konnten es nicht ertragen. Gemeinsam planten sie, bei der ersten Gelegenheit zu fliehen – auch wenn das lebensgefährlich war. „Wir waren so verzweifelt“, sagt David.
Unter dem Vorwand, wie üblich Feuerholz zu suchen, flüchteten sich rund 100 Jungen in den Wald. „Wir haben unsere Waffen und Uniformen zurückgelassen“, erzählt David. Die meisten Jungen schlugen den Weg in Richtung Sudan ein. David und vier andere konnten sich nach Bentiu zu einem Stützpunkt der Vereinten Nationen durchschlagen, in dem Zehntausende Menschen Zuflucht vor der Gewalt suchen. David hatte Glück: Eine Familie im Camp hat ihn und zwei andere Teenager aufgenommen.
II.
Kinder werden geopfert.
Für Machtinteressen. Für den Krieg. Für den eigenen Wohlstand. Für den Ehrgeiz.
Und für die Religion.
Die meisten verlieren alles, was ihr Leben ausmacht:
ihre Kindheit und Jugend, ihre Familie, ihre Würde, ihre Zukunft.
Und manche haben Glück und überleben es.
Heute wie vor 3000 Jahren.
Und auch damals begann der Tag wie jeder andere Tag.
Ich lese aus dem 1.Buch Mose, im Kapitel 22:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham!
Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach:
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast,
und geh hin in das Land Morija
und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Da stand Abraham früh am Morgen auf
und gürtete seinen Esel
und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak
und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf
und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf
und sah die Stätte von ferne.
Und Abraham sprach zu seinen Knechten:
Bleibt ihr hier mit dem Esel.
Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer
und legte es auf seinen Sohn Isaak.
Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand;
und gingen die beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:
Mein Vater!
Abraham antwortete:
Hier bin ich, mein Sohn.
Und er sprach:
Siehe, hier ist Feuer und Holz;
wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
Abraham antwortete:
Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.
Und gingen die beiden miteinander.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte,
baute Abraham dort einen Altar
und legte das Holz darauf
und band seinen Sohn Isaak,
legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
und reckte seine Hand aus
und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:
Abraham! Abraham!
Er antwortete: Hier bin ich.
Er sprach:
Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts;
denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest
und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
Da hob Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen
und ging hin und nahm den Widder
und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
III.
Auch Isaak hat Glück, dass er überlebt. Wie David.
Aber Abraham ist bereit, seinen Sohn zu opfern. Mit dem Messer in der Hand.
Und schon allein das lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Und was ist das für ein Gott, der so etwas befiehlt?
Will Gott solche Opfer? Die, die sich nicht wehren können?
Will Gott etwa auch, dass Kinder und Jugendliche zu Soldaten gemacht
und damit geopfert werden?
Und mit Entsetzen sehe ich:
diese Geschichte spiegelt auch wider, was wir Menschen einander antun.
Dass wir Menschen einander opfern,
dass das Leben von einzelnen oft so wenig zählt.
Oder was wir erleiden müssen an Verlusten.
Und nicht immer ist ein Engel zu Stelle und verhindert das Schlimmste.
Ich habe den Isaak vor Augen, der neben seinem schweigenden Vater läuft,
und er weiß nicht, was geschieht.
Ahnt er was?
Und was geht in ihm vor, als er auf den Altar gebunden wird?
Und danach.
Kann er seinem Vater überhaupt noch in die Augen sehen?
Hinterher reden sie kein Wort mehr miteinander.
Lied:
|: Sometimes I feel like a motherless child, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
|: Sometimes I feel like I'm almost gone, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
IV.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Er will Gott gehorchen.
Stellt den Befehl Gottes nicht in Frage.
Warum nicht?
Mir lässt diese Frage keine Ruhe.
Viel zu gut wissen wir, welche schrecklichen Folgen blinder Gehorsam hat.
Außerdem sind wir doch keine willenlosen Marionetten eines tyrannischen Gottes!
Nein, wir sind das Ebenbild Gottes, ausgestattet mit Würde und Geist und freiem Willen -
und das alles dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
„Ich habe nur meine Pflicht getan“ - genügt nicht.
Das hat noch nie genügt.
In solchen Momenten, wo Menschen geopfert werden sollen, müssen wir „Nein“ sagen.
Was hätte Sarah, Isaaks Mutter, getan, wenn sie den Befehl erhalten hätte?
Hätte sie sich überhaupt auf den Weg gemacht
oder hätte sie nicht vielmehr gelacht
und damit jedes Einschreiten des Engels überflüssig gemacht?
Und mir fallen Worte von Emil Fackenheim in die Hände,
ein jüdischer Philosoph:
„Abraham hat die Prüfung nicht bestanden.
Er ist durchgefallen.
Als Gott Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte Er Abrahams Weigerung.
Er wollte nicht ‚Ja‘, sondern ‚Nein‘.“
Wenn wir Menschen stark genug wären, Nein zu sagen, wo es nötig ist -
uns zu verweigern, wo Menschen geopfert werden sollen,
dann könnten viele Kriege und viel Leid verhindert werden.
Dann gäbe es keine motherless children mehr.
Und keinen Verrat an unseren Kindern.
Wo Flüchtlinge in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden, braucht es mein Nein.
Wo Hass gesät wird
oder durch Brandanschläge Todesopfer in Kauf genommen werden:
Da muss mein Nein laut sein. Und klar.
Und zusammen mit deinem Nein wird es noch lauter und klarer.
V.
Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab‘.
Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen,
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,
Und die, die werden keine Waffen tragen,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt.
Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,
Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht
Sind‘s wert, dafür zu töten und zu sterben,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!……
(Auszug aus Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht - https://www.youtube.com/watch?v=e0qPsYTBCtQ)
VI.
Abraham hat kein Nein gesagt.
Aber hätte Gott sich das Nein gewünscht: warum macht er das nicht deutlicher?
Warum spielt er mit ihm wie mit Hiob?
Menschen sind doch keine Spielfiguren, die Gott mal eben austestet.
Nach dem Motto: Mal sehen, wie weit ich mit Abraham und Isaak gehen kann?
An so einen Gott kann und will ich nicht glauben.
Und doch - trotz aller Zweifel - ist da auch etwas Wichtiges,
etwas erschreckend Vertrautes:
Hier zeigt sich ein Gott, der fremd ist, dunkel.
Ein Gott, an dem wir irre werden.
Weil er auf der falschen Seite steht.
Einer, dem Abraham seinen Sohn opfert
und mit ihm auch all seine Hoffnung und Zukunft,
die er auf Gott gesetzt hat.
Was bleibt da noch übrig an Glauben?
Ein Glaube, der unterzugehen droht…
Almost gone….
Ja, das ist die Erfahrung großer Gottesfinsternis,
mir vertraut und euch bestimmt auch -
wenn wir ihn und die Welt nicht mehr begreifen -
gar nicht mehr begreifen wollen,
weil sich Abgründe auftun, wenn wir an diesen Gott denken.
Und ihm darum am liebsten den Rücken zukehren würden.
VII.
Abraham wendet diesem Gott nicht seinen Rücken zu.
Vielleicht hätte er Nein sagen können oder sollen.
Aber vielleicht ist da doch mehr.
Ein Rest Hoffnung, den er nicht bereit ist, zu opfern.
Isaak fragt ihn - nichts ahnend, was mit ihm geschehen soll:
Vater, wo ist das Schaf zum Brandopfer?
Da antwortet Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.“
Vielleicht weicht Abraham nur aus
oder vielleicht ist seine Antwort sogar zynisch.
Aber vielleicht - und das hoffe ich - steckt da wirklich der Rest Hoffnung drin,
den Abraham noch hat.
Die Hoffnung:
Am Ende ist Gott doch und immer noch der Freund,
der er bis zu diesem Tag gewesen ist.
Am Ende wird er den unmenschlichen Befehl zurücknehmen.
Am Ende sind hoffentlich weder Isaak noch Abraham motherless children.
Vielleicht ist es das, was Abraham nicht irre werden lässt.
Und ich hoffe, dass er nur darum diesen Weg geht.
Weil er an den barmherzigen Gott glaubt - gegen den gnadenlosen Gott.
Er hält daran fest:
die dunkle Seite Gottes, die ich hier zu sehen bekomme, kann nicht alles sein.
Das ist nicht mein Gott. Da ist noch mehr.
Und das ist stärker.
VIII.
Seine Hoffnung behält recht - Gott sei dank.
Und darum möchte ich die Geschichte von hinten her lesen und verstehen.
Denn letztlich macht dieser Schluss das Entscheidende klar:
Gott will kein Menschenopfer!
In der Umgebung Israels gab es Kinderopfer
und der Prophet Jeremia klagt noch im 6.Jahrhundert v.C. über Menschenopfer in Israel.
Abraham war also nur einer in einer langen Reihe, die für Gott töten.
Aber am Ende unserer Geschichte steht Gottes Nein da.
Gott selbst ist es, der am Ende den Mord an Isaak verhindert.
Und der ihn nicht motherless zurücklässt.
Dadurch rückt er auch zurecht, wie wir uns Gott ausmalen.
Gott zeigt sich als die Mutter, die das Leben will, nicht den Tod,
als ein Gegenüber, das von uns ein rechtzeitiges Nein erwartet.
Und das keine Opfer will, sondern lebendige Menschen -
Menschen, die lieben und essen und schlafen,
schreiben, malen und Musik machen,
die diskutieren, vertrauen und Kinder groß ziehen,
die traurig sind und fröhlich
und sich gegenseitig in die Augen schauen können.
Keine Opfer mehr!
Dies gilt für alle: für die Kinder und Jugendlichen,
die wie David als Soldaten ihre Kindheit, ihre Zukunft und ihr Leben verlieren.
Das gilt für die Opfer von Gewalt und Kriegen,
für die Opfer der Flucht über das Mittelmeer, die keine legalen Wege zu uns finden.
Alles das gehört abgeschafft.
Denn Gott selbst singt: Nein, meine Söhne, meine Töchter gebe ich nicht.
Und der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
I.
(Folgendes aus https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/2015/kindersoldaten-erzaehlen/72156)
Der Tag, an dem David ein Kindersoldat wurde, hatte begonnen wie jeder andere Tag.
Der 16-Jährige verabschiedete sich morgens von seinen Eltern in einem Dorf in Südsudan und ging zur Schule. Er kam nicht mehr zurück. Bewaffnete Männer überfielen die Schule und entführten David zusammen mit rund 100 Mitschülern. "Es ist eure Pflicht zu kämpfen und euren Stamm zu verteidigen" - sagte man ihnen. David lernte drei Monate lang in einem Trainingscamp das Kämpfen. „Am schlimmsten war, morgens um drei Uhr geweckt zu werden und bis mittags trainieren zu müssen. Wir haben nur drei Mal pro Woche etwas zu essen bekommen. Wenn du die Waffe nicht richtig bedienen konntest, wurdest du geschlagen. Ich hatte keine Wahl.”
David und die anderen Kindersoldaten wurden an die Front gebracht und gezwungen, zu kämpfen. Sie konnten es nicht ertragen. Gemeinsam planten sie, bei der ersten Gelegenheit zu fliehen – auch wenn das lebensgefährlich war. „Wir waren so verzweifelt“, sagt David.
Unter dem Vorwand, wie üblich Feuerholz zu suchen, flüchteten sich rund 100 Jungen in den Wald. „Wir haben unsere Waffen und Uniformen zurückgelassen“, erzählt David. Die meisten Jungen schlugen den Weg in Richtung Sudan ein. David und vier andere konnten sich nach Bentiu zu einem Stützpunkt der Vereinten Nationen durchschlagen, in dem Zehntausende Menschen Zuflucht vor der Gewalt suchen. David hatte Glück: Eine Familie im Camp hat ihn und zwei andere Teenager aufgenommen.
II.
Kinder werden geopfert.
Für Machtinteressen. Für den Krieg. Für den eigenen Wohlstand. Für den Ehrgeiz.
Und für die Religion.
Die meisten verlieren alles, was ihr Leben ausmacht:
ihre Kindheit und Jugend, ihre Familie, ihre Würde, ihre Zukunft.
Und manche haben Glück und überleben es.
Heute wie vor 3000 Jahren.
Und auch damals begann der Tag wie jeder andere Tag.
Ich lese aus dem 1.Buch Mose, im Kapitel 22:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham!
Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach:
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast,
und geh hin in das Land Morija
und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Da stand Abraham früh am Morgen auf
und gürtete seinen Esel
und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak
und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf
und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf
und sah die Stätte von ferne.
Und Abraham sprach zu seinen Knechten:
Bleibt ihr hier mit dem Esel.
Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer
und legte es auf seinen Sohn Isaak.
Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand;
und gingen die beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:
Mein Vater!
Abraham antwortete:
Hier bin ich, mein Sohn.
Und er sprach:
Siehe, hier ist Feuer und Holz;
wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
Abraham antwortete:
Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.
Und gingen die beiden miteinander.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte,
baute Abraham dort einen Altar
und legte das Holz darauf
und band seinen Sohn Isaak,
legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
und reckte seine Hand aus
und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:
Abraham! Abraham!
Er antwortete: Hier bin ich.
Er sprach:
Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts;
denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest
und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
Da hob Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen
und ging hin und nahm den Widder
und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
III.
Auch Isaak hat Glück, dass er überlebt. Wie David.
Aber Abraham ist bereit, seinen Sohn zu opfern. Mit dem Messer in der Hand.
Und schon allein das lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Und was ist das für ein Gott, der so etwas befiehlt?
Will Gott solche Opfer? Die, die sich nicht wehren können?
Will Gott etwa auch, dass Kinder und Jugendliche zu Soldaten gemacht
und damit geopfert werden?
Und mit Entsetzen sehe ich:
diese Geschichte spiegelt auch wider, was wir Menschen einander antun.
Dass wir Menschen einander opfern,
dass das Leben von einzelnen oft so wenig zählt.
Oder was wir erleiden müssen an Verlusten.
Und nicht immer ist ein Engel zu Stelle und verhindert das Schlimmste.
Ich habe den Isaak vor Augen, der neben seinem schweigenden Vater läuft,
und er weiß nicht, was geschieht.
Ahnt er was?
Und was geht in ihm vor, als er auf den Altar gebunden wird?
Und danach.
Kann er seinem Vater überhaupt noch in die Augen sehen?
Hinterher reden sie kein Wort mehr miteinander.
Lied:
|: Sometimes I feel like a motherless child, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
|: Sometimes I feel like I'm almost gone, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
IV.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Er will Gott gehorchen.
Stellt den Befehl Gottes nicht in Frage.
Warum nicht?
Mir lässt diese Frage keine Ruhe.
Viel zu gut wissen wir, welche schrecklichen Folgen blinder Gehorsam hat.
Außerdem sind wir doch keine willenlosen Marionetten eines tyrannischen Gottes!
Nein, wir sind das Ebenbild Gottes, ausgestattet mit Würde und Geist und freiem Willen -
und das alles dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
„Ich habe nur meine Pflicht getan“ - genügt nicht.
Das hat noch nie genügt.
In solchen Momenten, wo Menschen geopfert werden sollen, müssen wir „Nein“ sagen.
Was hätte Sarah, Isaaks Mutter, getan, wenn sie den Befehl erhalten hätte?
Hätte sie sich überhaupt auf den Weg gemacht
oder hätte sie nicht vielmehr gelacht
und damit jedes Einschreiten des Engels überflüssig gemacht?
Und mir fallen Worte von Emil Fackenheim in die Hände,
ein jüdischer Philosoph:
„Abraham hat die Prüfung nicht bestanden.
Er ist durchgefallen.
Als Gott Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte Er Abrahams Weigerung.
Er wollte nicht ‚Ja‘, sondern ‚Nein‘.“
Wenn wir Menschen stark genug wären, Nein zu sagen, wo es nötig ist -
uns zu verweigern, wo Menschen geopfert werden sollen,
dann könnten viele Kriege und viel Leid verhindert werden.
Dann gäbe es keine motherless children mehr.
Und keinen Verrat an unseren Kindern.
Wo Flüchtlinge in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden, braucht es mein Nein.
Wo Hass gesät wird
oder durch Brandanschläge Todesopfer in Kauf genommen werden:
Da muss mein Nein laut sein. Und klar.
Und zusammen mit deinem Nein wird es noch lauter und klarer.
V.
Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab‘.
Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen,
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,
Und die, die werden keine Waffen tragen,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt.
Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,
Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht
Sind‘s wert, dafür zu töten und zu sterben,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!……
(Auszug aus Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht - https://www.youtube.com/watch?v=e0qPsYTBCtQ)
VI.
Abraham hat kein Nein gesagt.
Aber hätte Gott sich das Nein gewünscht: warum macht er das nicht deutlicher?
Warum spielt er mit ihm wie mit Hiob?
Menschen sind doch keine Spielfiguren, die Gott mal eben austestet.
Nach dem Motto: Mal sehen, wie weit ich mit Abraham und Isaak gehen kann?
An so einen Gott kann und will ich nicht glauben.
Und doch - trotz aller Zweifel - ist da auch etwas Wichtiges,
etwas erschreckend Vertrautes:
Hier zeigt sich ein Gott, der fremd ist, dunkel.
Ein Gott, an dem wir irre werden.
Weil er auf der falschen Seite steht.
Einer, dem Abraham seinen Sohn opfert
und mit ihm auch all seine Hoffnung und Zukunft,
die er auf Gott gesetzt hat.
Was bleibt da noch übrig an Glauben?
Ein Glaube, der unterzugehen droht…
Almost gone….
Ja, das ist die Erfahrung großer Gottesfinsternis,
mir vertraut und euch bestimmt auch -
wenn wir ihn und die Welt nicht mehr begreifen -
gar nicht mehr begreifen wollen,
weil sich Abgründe auftun, wenn wir an diesen Gott denken.
Und ihm darum am liebsten den Rücken zukehren würden.
VII.
Abraham wendet diesem Gott nicht seinen Rücken zu.
Vielleicht hätte er Nein sagen können oder sollen.
Aber vielleicht ist da doch mehr.
Ein Rest Hoffnung, den er nicht bereit ist, zu opfern.
Isaak fragt ihn - nichts ahnend, was mit ihm geschehen soll:
Vater, wo ist das Schaf zum Brandopfer?
Da antwortet Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.“
Vielleicht weicht Abraham nur aus
oder vielleicht ist seine Antwort sogar zynisch.
Aber vielleicht - und das hoffe ich - steckt da wirklich der Rest Hoffnung drin,
den Abraham noch hat.
Die Hoffnung:
Am Ende ist Gott doch und immer noch der Freund,
der er bis zu diesem Tag gewesen ist.
Am Ende wird er den unmenschlichen Befehl zurücknehmen.
Am Ende sind hoffentlich weder Isaak noch Abraham motherless children.
Vielleicht ist es das, was Abraham nicht irre werden lässt.
Und ich hoffe, dass er nur darum diesen Weg geht.
Weil er an den barmherzigen Gott glaubt - gegen den gnadenlosen Gott.
Er hält daran fest:
die dunkle Seite Gottes, die ich hier zu sehen bekomme, kann nicht alles sein.
Das ist nicht mein Gott. Da ist noch mehr.
Und das ist stärker.
VIII.
Seine Hoffnung behält recht - Gott sei dank.
Und darum möchte ich die Geschichte von hinten her lesen und verstehen.
Denn letztlich macht dieser Schluss das Entscheidende klar:
Gott will kein Menschenopfer!
In der Umgebung Israels gab es Kinderopfer
und der Prophet Jeremia klagt noch im 6.Jahrhundert v.C. über Menschenopfer in Israel.
Abraham war also nur einer in einer langen Reihe, die für Gott töten.
Aber am Ende unserer Geschichte steht Gottes Nein da.
Gott selbst ist es, der am Ende den Mord an Isaak verhindert.
Und der ihn nicht motherless zurücklässt.
Dadurch rückt er auch zurecht, wie wir uns Gott ausmalen.
Gott zeigt sich als die Mutter, die das Leben will, nicht den Tod,
als ein Gegenüber, das von uns ein rechtzeitiges Nein erwartet.
Und das keine Opfer will, sondern lebendige Menschen -
Menschen, die lieben und essen und schlafen,
schreiben, malen und Musik machen,
die diskutieren, vertrauen und Kinder groß ziehen,
die traurig sind und fröhlich
und sich gegenseitig in die Augen schauen können.
Keine Opfer mehr!
Dies gilt für alle: für die Kinder und Jugendlichen,
die wie David als Soldaten ihre Kindheit, ihre Zukunft und ihr Leben verlieren.
Das gilt für die Opfer von Gewalt und Kriegen,
für die Opfer der Flucht über das Mittelmeer, die keine legalen Wege zu uns finden.
Alles das gehört abgeschafft.
Denn Gott selbst singt: Nein, meine Söhne, meine Töchter gebe ich nicht.
Und der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Sonntag, 12. März 2017
Alle wie Amos: Da bleiben, weiter reden, weiter denken
Rede anlässlich der AMOS-Preisverleihung 12.3.2017
I.
„Der Herr nahm mich von der Herde und sprach zu mir:
Geh hin und weissage meinem Volk Israel!“ (Amos 7,15)
Das hat Amos sich aufgeschrieben, damit er es nicht vergisst.
Vor allem, wenn er sich fragt:
Wie bin ich da nur hineingeraten - in diesen Schlamassel?
Mir ist diese Frage sehr vertraut.
Spätestens seitdem ich am 23. Februar 2014 auf einem Übertragungswagen stand.
23. Februar - der Gedenktag zur Zerstörung Pforzheims am Ende des Krieges.
Ein Tag, der - wie in Dresden - auch von Rechtsextremen missbraucht wird.
Gegen diese Rechten demonstrierten mehrere 100 Menschen.
Und vor diesen Demonstrierenden hielt ich eine Rede.
Da bin ich in was hineingeraten….
„Pforzheim war keine unschuldige Stadt.“
Im Netz und in den Zeitungen hängt dieser Satz an mir wie mit Kleister.
Mir war zwar vorher klar: Ich mache mich unbeliebt. Viele wollen das nicht hören.
Aber ich hätte nicht geglaubt, dass dieser Satz so viel Wut und Hass freisetzen würde.
Und dass mich deswegen viele in die Wüste schicken wollen, zumindest raus aus Pforzheim.
Aber ich hätte damit rechnen müssen:
Gut 20 Jahre zuvor wurden die Pfarrer Curt-Jürgen Heinemann-Grüder und Horst Zorn
in Pforzheim beschimpft und geschmäht:
sie haben dafür gesorgt, dass in Huchenfeld, einem Pforzheimer Stadtteil,
eine Mahntafel für fünf ermordete englische Kriegsgefangene errichtet wurde.
Viele Pforzheimer wollten an so was nicht erinnert werden
und begründeten das mit den 17.000 Toten der Bombardierung.
Die beiden galten als Nestbeschmutzer oder gar Verräter.
Oder 2003:
da wurde mein Vorgänger, Dr. Hendrik Stössel, von keinem Geringeren als Stefan Mappus
in die linksextreme Ecke gestellt,
weil er die Wehrmachtsausstellung von Reemtsma
in der Stadtkirche in Pforzheim ermöglichte.
Und dass das Rathaus und die Gemeinderatsfraktionen jahrelang nur zugesehen haben,
wie die rechten Fackelträger den Gedenktag der Zerstörung missbrauchten, wusste ich auch.
Erst als die NSU-Morde ans Licht kamen, wachten die Gemeinderäte auf.
Aber auch nur ein bisschen.
Die Sorge, dass die Ruhe gestört werden könnte, war immer größer
als der Wunsch, deutliche Zeichen zu setzen.
Wer sich gegen die Neonazis stellte, galt als links.
Und das war und ist in ihren Augen schlecht.
II.
Wie bin ich da nur hineingeraten?
Mein Großvater trat demonstrativ aus der NSDAP aus.
Da war Hitler gerade an die Macht gekommen.
Es hat mich schon als Kind schwer beeindruckt,
dass in dem Moment, als alle eintraten, er das Gegenteil tat.
Er tat es, weil er verhört wurde wegen seiner Freundlichkeit gegenüber Juden und Polen.
Und er tat es, obwohl er sich damit Feinde machte.
Und er verweigerte weiterhin den Hitlergruß.
Sein christlicher Glaube gab ihm dazu die Kraft.
Das alles jedenfalls erzählte meine Mutter mir und meinen Geschwistern.
Wir hörten genau zu.
Vielleicht auch, weil wir wussten, wie sich das anfühlt: nicht dazu zugehören.
Meine Mutter war nicht verheiratet. Mein Vater hatte bereits eine andere Familie.
Und so lebten wir als uneheliche Kinder in Familienverhältnissen,
die in den 60er und Anfang der 70er Jahre noch sehr verpönt waren.
Meine Mutter wurde als Nutte beschimpft.
Verwandte wollten mit ihr nichts mehr zu tun haben
und der Vermieter verbot ihr, die Sauna zu benutzen.
Aber ihr Bruder unterstützte sie.
Und es gab einen Ort, wo wir trotz und mit diesem „Makel“ willkommen und gewollt waren:
das war die Kirchengemeinde.
Die Gemeindehelferin organisierte Babysitter und nahm uns auf Freizeiten mit.
Wir Kinder feierten Kindergottesdienst und leiteten später Jugendgruppen.
Die Gemeinde war - neben meiner Familie - der einzige Ort,
wo ich über die Alkoholerkrankung meiner Mutter offen reden konnte.
Und das hat mich bis heute geprägt:
Die Kirche zeigt und lebt, dass für Gott jeder einzelne Mensch gleich wichtig ist.
Was gesellschaftlich als normal gilt, ist hier nicht das Wichtigste.
Niemand darf ausgegrenzt oder ausgeschlossen werden.
Die Welt ist kompliziert und die rasanten Veränderungen machen vielen Angst.
Aber keine Welt hat das Recht, Menschen in 1. und 2. Klasse zu unterteilen.
Auch wenn es unser Weltbild durcheinanderbringt.
Die Rechten von damals und von heute machen aber genau dies:
Sie unterteilen in 1. und 2. und 3. Klasse, wer zum Volk gehört und wer nicht.
Und mit Ressentiments und festgefügten Feindbildern schüren sie Ängste gegen Minderheiten,
denn diese bringen Unruhe - in die Ordnung, in das eigene Weltbild, das eigene Denken.
Das Ganze verbinden sie mit einem gottlosen Nationalismus -
gottlos, weil er ohne Gott auszukommen meint.
Die Nation ist dann mit ihren Grenzen wichtiger als alles andere -
vor allem wichtiger als die Menschenwürde.
III.
Tja, so bin ich da hineingewachsen.
Ich bin nicht einfach so hineingeraten,
vielmehr war ich schon immer mittendrin
in diesem Gemengelage aus Wärme und Güte
und einer Wolke von Zeugen, die gar nicht anders konnten, als sich einzumischen.
Natürlich kenne auch ich die Versuchung, in Klassen zu denken.
Aber wenn jemand anfing, Menschen abzuwerten
oder meinte bestimmen zu können, ob es jemand verdient hat, zum Volk zu gehören,
musste ich widersprechen.
Die von Gott geschenkte Menschenwürde hat immer Vorrang -
auch vor meinem eigenen Kleingeist.
Darum: Mund auf!
Auch in Pforzheim.
Auch und gerade als Theologin und als Dekanin.
Und auch, wenn es politisch wird.
Die Bibel erzählt vom Reich Gottes - das ist für mich politisch.
Die Niedrigen werden erhöht,
die Sanftmütigen und Verfolgten selig gepriesen.
Die Nächstenliebe hört beim Fremden nicht auf
und die Hungernden bekommen zu essen.
Das alles muss ich auch politisch hören.
Sonst setze ich dem Evangelium Grenzen.
Ich erinnere an die 2.These der Barmer Theologischen Erklärung:
Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.
Den christlichen Glauben von irgendeinem Bereich des Lebens auszuschließen,
ist mir auf dieser Grundlage nie in den Sinn gekommen.
Mein Bekenntnis zu Jesus Christus bezieht selbstverständlich
auch den gesellschaftlichen und politischen Bereich des Lebens mit ein.
Ich verstehe das freilich nicht parteipolitisch,
aber kritisch gegen ausgrenzende Positionen von Parteien.
Und immer im Sinne einer Parteinahme
für die Armen, die Benachteiligten, die Verfolgten und Gedemütigten -
kurz für alle, die allzu schnell abgewertet werden:
ob sie nun aus einem anderen Land kommen,
einen anderen Glauben haben, anders lieben oder anders aussehen.
IV.
So bin ich da hineingeraten, bin ich mittendrin -
auch in diesem Konflikt in Pforzheim.
Er ist ein Konflikt unserer gesamten Gesellschaft.
Und deswegen stehe ich hier und bekomme einen Preis in der Tradition des Propheten Amos.
Das ist für mich eine große Ehre und ich freue mich darüber.
Vielleicht kann ich mich mit Amos tatsächlich verbunden fühlen.
Es ist ja für mich - wie gesagt - selbstverständlich,
gegen alles Menschenfeindliche den Mund aufzumachen -
erst recht, wenn es vor meiner Haustür stattfindet.
Besonders mutig bin ich dabei nicht,
sondern ich übernehme schlicht Verantwortung.
Ich bin nun mal in der Position, wo ich auch gehört werde.
Gott, der Herr, redet, wer sollte nicht Prophet werden? fragt Amos selbst (Amos 3,8).
Also ducke ich mich auch nicht weg.
Ein anderer Punkt ist mir aber noch viel wichtiger:
Ich mach das Ganze nicht allein,
sondern zusammen mit vielen, die mit mir den Weg gehen.
Vorne weg meine Familie, die immer hinter mir steht:
mein Mann, meine Söhne, meine Tochter, meine Schwester, mein Bruder.
Aber auch die Kollegen und Kolleginnen, die Stadtsynode,
viele Gemeindeglieder, meine Kirchenleitung,
meine Freunde und Freundinnen - auch aus dem Internet -
und nicht zuletzt die Engagierten von der Initiative gegen Rechts.
Wir sind eine Wolke von Zeugen und Zeuginnen
für eine menschenfreundliche und vielfältige Gesellschaft.
Eine "Amos-Wolke".
Und der dritte Punkt:
Alle müssen wie Amos sein.
Dann brauchen wir noch nicht mal so einen Preis,
weil das „Wie Amos sein“ nichts Besonderes mehr ist.
Es sollte doch für alle Menschen selbstverständlich sein,
dass sie ihren Mund auftun für die Stummen,
dass sie Mitleid empfinden für die Gedemütigten
und laut widersprechen, wo die Grundrechte mit Füßen getreten werden.
Gott, der Herr, redet, wer sollte nicht Prophet werden?
Alle müssen wie Amos sein. Dann brauchen wir auch keinen Preis.
V.
Alle wie Amos –
für diese Alle, jede und jeden Einzelnen, nehme ich diesen Preis entgegen.
Ich bin sehr dankbar und fühle mich außerordentlich geehrt.
Aber nicht weil ich diesen Preis besonders verdient hätte.
Nein, ich empfange den Preis stellvertretend
für alle, die ihren Mund auftun und für Menschlichkeit eintreten.
Mit mir werden alle geehrt, die dafür angefeindet werden,
die als Gutmenschen beschimpft, als Bahnhofsklatscher diffamiert werden.
Ich nehme den Preis für alle Theologen und Theologinnen,
denen man nicht zugesteht, dass sie sich politisch äußern und widersprechen.
Und für alle, die man deswegen aus der Stadt vertreiben will.
Wir lassen uns nicht vertreiben.
Wir gehen nicht weg.
Wir rechnen damit, dass uns die vertreiben wollen,
die eine scheinsaubere Gesellschaft vor Augen haben:
wie damals bei Amos, bei den Kollegen Heinemann-Grüder, Zorn und Stössel,
wie bei meiner Mutter.
Wir bleiben. Und stören.
Weil unsere Worte gebraucht werden für das gute Leben.
„Sucht das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr lebt" (Amos 5,14) - so Amos.
Wir schauen nicht weg,
wir ducken uns nicht weg,
denn sonst lassen wir das Böse seinen Weg gehen.
Wir fragen nicht mehr: wie bin ich da nur hineingeraten?
Denn wir sind schon mitten drin -
in diesen beunruhigenden Entwicklungen.
Wir gehen nicht weg.
Wir werden weiterreden
und wir denken weiter,
wie wir das Gute suchen und nicht das Böse.
Wir klären, wie wir unsere Kirche davor schützen,
dass sie von Rechten immer mehr unterwandert wird.
Und wir ermutigen uns zu Worten,
die nicht gerne gehört werden, aber notwendig sind.
Worte des Himmels.
Worte eines Gottes, vor dem wir alle gleich sind.
Worte wie:
Willkommen, du Mensch von nah und fern und egal, was du glaubst.
Angst brauchst du bei uns nicht mehr zu haben.
Du gehörst dazu, egal was die anderen sagen.*
Am Ende
lachen wir den Angstmachern und Ausgrenzerinnen frech ins Gesicht.
Und Amos - lacht mit.
(* zur Erklärung: ich bin nicht so naiv zu denken, dass wir nur alle willkommen heißen müssen und dann ist alles gut. Und die Probleme, die damit u.U. einhergehen, blenden wir aus. Aber es geht um eine grundsätzliche Haltung: Sehe ich im anderen meinen Bruder oder meine Schwester (Matthäus 25) oder nicht? Sehe ich in ihm/ihr ein geliebtes Kind Gottes oder nicht? Wenn ich das mit ja beantworte - und Jesus sagt "Ja" -, gehört der/die andere dazu. Das schließt auch Regeln und Akzeptanz der Grundwerte mit ein. Und darum müssen wir gemeinsam ringen. Billiger geht es nicht.)
I.
„Der Herr nahm mich von der Herde und sprach zu mir:
Geh hin und weissage meinem Volk Israel!“ (Amos 7,15)
Das hat Amos sich aufgeschrieben, damit er es nicht vergisst.
Vor allem, wenn er sich fragt:
Wie bin ich da nur hineingeraten - in diesen Schlamassel?
Mir ist diese Frage sehr vertraut.
Spätestens seitdem ich am 23. Februar 2014 auf einem Übertragungswagen stand.
23. Februar - der Gedenktag zur Zerstörung Pforzheims am Ende des Krieges.
Ein Tag, der - wie in Dresden - auch von Rechtsextremen missbraucht wird.
Gegen diese Rechten demonstrierten mehrere 100 Menschen.
Und vor diesen Demonstrierenden hielt ich eine Rede.
Da bin ich in was hineingeraten….
„Pforzheim war keine unschuldige Stadt.“
Im Netz und in den Zeitungen hängt dieser Satz an mir wie mit Kleister.
Mir war zwar vorher klar: Ich mache mich unbeliebt. Viele wollen das nicht hören.
Aber ich hätte nicht geglaubt, dass dieser Satz so viel Wut und Hass freisetzen würde.
Und dass mich deswegen viele in die Wüste schicken wollen, zumindest raus aus Pforzheim.
Aber ich hätte damit rechnen müssen:
Gut 20 Jahre zuvor wurden die Pfarrer Curt-Jürgen Heinemann-Grüder und Horst Zorn
in Pforzheim beschimpft und geschmäht:
sie haben dafür gesorgt, dass in Huchenfeld, einem Pforzheimer Stadtteil,
eine Mahntafel für fünf ermordete englische Kriegsgefangene errichtet wurde.
Viele Pforzheimer wollten an so was nicht erinnert werden
und begründeten das mit den 17.000 Toten der Bombardierung.
Die beiden galten als Nestbeschmutzer oder gar Verräter.
Oder 2003:
da wurde mein Vorgänger, Dr. Hendrik Stössel, von keinem Geringeren als Stefan Mappus
in die linksextreme Ecke gestellt,
weil er die Wehrmachtsausstellung von Reemtsma
in der Stadtkirche in Pforzheim ermöglichte.
Und dass das Rathaus und die Gemeinderatsfraktionen jahrelang nur zugesehen haben,
wie die rechten Fackelträger den Gedenktag der Zerstörung missbrauchten, wusste ich auch.
Erst als die NSU-Morde ans Licht kamen, wachten die Gemeinderäte auf.
Aber auch nur ein bisschen.
Die Sorge, dass die Ruhe gestört werden könnte, war immer größer
als der Wunsch, deutliche Zeichen zu setzen.
Wer sich gegen die Neonazis stellte, galt als links.
Und das war und ist in ihren Augen schlecht.
II.
Wie bin ich da nur hineingeraten?
Mein Großvater trat demonstrativ aus der NSDAP aus.
Da war Hitler gerade an die Macht gekommen.
Es hat mich schon als Kind schwer beeindruckt,
dass in dem Moment, als alle eintraten, er das Gegenteil tat.
Er tat es, weil er verhört wurde wegen seiner Freundlichkeit gegenüber Juden und Polen.
Und er tat es, obwohl er sich damit Feinde machte.
Und er verweigerte weiterhin den Hitlergruß.
Sein christlicher Glaube gab ihm dazu die Kraft.
Das alles jedenfalls erzählte meine Mutter mir und meinen Geschwistern.
Wir hörten genau zu.
Vielleicht auch, weil wir wussten, wie sich das anfühlt: nicht dazu zugehören.
Meine Mutter war nicht verheiratet. Mein Vater hatte bereits eine andere Familie.
Und so lebten wir als uneheliche Kinder in Familienverhältnissen,
die in den 60er und Anfang der 70er Jahre noch sehr verpönt waren.
Meine Mutter wurde als Nutte beschimpft.
Verwandte wollten mit ihr nichts mehr zu tun haben
und der Vermieter verbot ihr, die Sauna zu benutzen.
Aber ihr Bruder unterstützte sie.
Und es gab einen Ort, wo wir trotz und mit diesem „Makel“ willkommen und gewollt waren:
das war die Kirchengemeinde.
Die Gemeindehelferin organisierte Babysitter und nahm uns auf Freizeiten mit.
Wir Kinder feierten Kindergottesdienst und leiteten später Jugendgruppen.
Die Gemeinde war - neben meiner Familie - der einzige Ort,
wo ich über die Alkoholerkrankung meiner Mutter offen reden konnte.
Und das hat mich bis heute geprägt:
Die Kirche zeigt und lebt, dass für Gott jeder einzelne Mensch gleich wichtig ist.
Was gesellschaftlich als normal gilt, ist hier nicht das Wichtigste.
Niemand darf ausgegrenzt oder ausgeschlossen werden.
Die Welt ist kompliziert und die rasanten Veränderungen machen vielen Angst.
Aber keine Welt hat das Recht, Menschen in 1. und 2. Klasse zu unterteilen.
Auch wenn es unser Weltbild durcheinanderbringt.
Die Rechten von damals und von heute machen aber genau dies:
Sie unterteilen in 1. und 2. und 3. Klasse, wer zum Volk gehört und wer nicht.
Und mit Ressentiments und festgefügten Feindbildern schüren sie Ängste gegen Minderheiten,
denn diese bringen Unruhe - in die Ordnung, in das eigene Weltbild, das eigene Denken.
Das Ganze verbinden sie mit einem gottlosen Nationalismus -
gottlos, weil er ohne Gott auszukommen meint.
Die Nation ist dann mit ihren Grenzen wichtiger als alles andere -
vor allem wichtiger als die Menschenwürde.
III.
Tja, so bin ich da hineingewachsen.
Ich bin nicht einfach so hineingeraten,
vielmehr war ich schon immer mittendrin
in diesem Gemengelage aus Wärme und Güte
und einer Wolke von Zeugen, die gar nicht anders konnten, als sich einzumischen.
Natürlich kenne auch ich die Versuchung, in Klassen zu denken.
Aber wenn jemand anfing, Menschen abzuwerten
oder meinte bestimmen zu können, ob es jemand verdient hat, zum Volk zu gehören,
musste ich widersprechen.
Die von Gott geschenkte Menschenwürde hat immer Vorrang -
auch vor meinem eigenen Kleingeist.
Darum: Mund auf!
Auch in Pforzheim.
Auch und gerade als Theologin und als Dekanin.
Und auch, wenn es politisch wird.
Die Bibel erzählt vom Reich Gottes - das ist für mich politisch.
Die Niedrigen werden erhöht,
die Sanftmütigen und Verfolgten selig gepriesen.
Die Nächstenliebe hört beim Fremden nicht auf
und die Hungernden bekommen zu essen.
Das alles muss ich auch politisch hören.
Sonst setze ich dem Evangelium Grenzen.
Ich erinnere an die 2.These der Barmer Theologischen Erklärung:
Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.
Den christlichen Glauben von irgendeinem Bereich des Lebens auszuschließen,
ist mir auf dieser Grundlage nie in den Sinn gekommen.
Mein Bekenntnis zu Jesus Christus bezieht selbstverständlich
auch den gesellschaftlichen und politischen Bereich des Lebens mit ein.
Ich verstehe das freilich nicht parteipolitisch,
aber kritisch gegen ausgrenzende Positionen von Parteien.
Und immer im Sinne einer Parteinahme
für die Armen, die Benachteiligten, die Verfolgten und Gedemütigten -
kurz für alle, die allzu schnell abgewertet werden:
ob sie nun aus einem anderen Land kommen,
einen anderen Glauben haben, anders lieben oder anders aussehen.
IV.
So bin ich da hineingeraten, bin ich mittendrin -
auch in diesem Konflikt in Pforzheim.
Er ist ein Konflikt unserer gesamten Gesellschaft.
Und deswegen stehe ich hier und bekomme einen Preis in der Tradition des Propheten Amos.
Das ist für mich eine große Ehre und ich freue mich darüber.
Vielleicht kann ich mich mit Amos tatsächlich verbunden fühlen.
Es ist ja für mich - wie gesagt - selbstverständlich,
gegen alles Menschenfeindliche den Mund aufzumachen -
erst recht, wenn es vor meiner Haustür stattfindet.
Besonders mutig bin ich dabei nicht,
sondern ich übernehme schlicht Verantwortung.
Ich bin nun mal in der Position, wo ich auch gehört werde.
Gott, der Herr, redet, wer sollte nicht Prophet werden? fragt Amos selbst (Amos 3,8).
Also ducke ich mich auch nicht weg.
Ein anderer Punkt ist mir aber noch viel wichtiger:
Ich mach das Ganze nicht allein,
sondern zusammen mit vielen, die mit mir den Weg gehen.
Vorne weg meine Familie, die immer hinter mir steht:
mein Mann, meine Söhne, meine Tochter, meine Schwester, mein Bruder.
Aber auch die Kollegen und Kolleginnen, die Stadtsynode,
viele Gemeindeglieder, meine Kirchenleitung,
meine Freunde und Freundinnen - auch aus dem Internet -
und nicht zuletzt die Engagierten von der Initiative gegen Rechts.
Wir sind eine Wolke von Zeugen und Zeuginnen
für eine menschenfreundliche und vielfältige Gesellschaft.
Eine "Amos-Wolke".
Und der dritte Punkt:
Alle müssen wie Amos sein.
Dann brauchen wir noch nicht mal so einen Preis,
weil das „Wie Amos sein“ nichts Besonderes mehr ist.
Es sollte doch für alle Menschen selbstverständlich sein,
dass sie ihren Mund auftun für die Stummen,
dass sie Mitleid empfinden für die Gedemütigten
und laut widersprechen, wo die Grundrechte mit Füßen getreten werden.
Gott, der Herr, redet, wer sollte nicht Prophet werden?
Alle müssen wie Amos sein. Dann brauchen wir auch keinen Preis.
V.
Alle wie Amos –
für diese Alle, jede und jeden Einzelnen, nehme ich diesen Preis entgegen.
Ich bin sehr dankbar und fühle mich außerordentlich geehrt.
Aber nicht weil ich diesen Preis besonders verdient hätte.
Nein, ich empfange den Preis stellvertretend
für alle, die ihren Mund auftun und für Menschlichkeit eintreten.
Mit mir werden alle geehrt, die dafür angefeindet werden,
die als Gutmenschen beschimpft, als Bahnhofsklatscher diffamiert werden.
Ich nehme den Preis für alle Theologen und Theologinnen,
denen man nicht zugesteht, dass sie sich politisch äußern und widersprechen.
Und für alle, die man deswegen aus der Stadt vertreiben will.
Wir lassen uns nicht vertreiben.
Wir gehen nicht weg.
Wir rechnen damit, dass uns die vertreiben wollen,
die eine scheinsaubere Gesellschaft vor Augen haben:
wie damals bei Amos, bei den Kollegen Heinemann-Grüder, Zorn und Stössel,
wie bei meiner Mutter.
Wir bleiben. Und stören.
Weil unsere Worte gebraucht werden für das gute Leben.
„Sucht das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr lebt" (Amos 5,14) - so Amos.
Wir schauen nicht weg,
wir ducken uns nicht weg,
denn sonst lassen wir das Böse seinen Weg gehen.
Wir fragen nicht mehr: wie bin ich da nur hineingeraten?
Denn wir sind schon mitten drin -
in diesen beunruhigenden Entwicklungen.
Wir gehen nicht weg.
Wir werden weiterreden
und wir denken weiter,
wie wir das Gute suchen und nicht das Böse.
Wir klären, wie wir unsere Kirche davor schützen,
dass sie von Rechten immer mehr unterwandert wird.
Und wir ermutigen uns zu Worten,
die nicht gerne gehört werden, aber notwendig sind.
Worte des Himmels.
Worte eines Gottes, vor dem wir alle gleich sind.
Worte wie:
Willkommen, du Mensch von nah und fern und egal, was du glaubst.
Angst brauchst du bei uns nicht mehr zu haben.
Du gehörst dazu, egal was die anderen sagen.*
Am Ende
lachen wir den Angstmachern und Ausgrenzerinnen frech ins Gesicht.
Und Amos - lacht mit.
(* zur Erklärung: ich bin nicht so naiv zu denken, dass wir nur alle willkommen heißen müssen und dann ist alles gut. Und die Probleme, die damit u.U. einhergehen, blenden wir aus. Aber es geht um eine grundsätzliche Haltung: Sehe ich im anderen meinen Bruder oder meine Schwester (Matthäus 25) oder nicht? Sehe ich in ihm/ihr ein geliebtes Kind Gottes oder nicht? Wenn ich das mit ja beantworte - und Jesus sagt "Ja" -, gehört der/die andere dazu. Das schließt auch Regeln und Akzeptanz der Grundwerte mit ein. Und darum müssen wir gemeinsam ringen. Billiger geht es nicht.)
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